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Ludwig Haag: Kernkompetenz Klassenführung

Rezensiert von Dr. Torsten Mergen, 18.01.2019

Cover Ludwig Haag: Kernkompetenz Klassenführung ISBN 978-3-8252-4934-2

Ludwig Haag: Kernkompetenz Klassenführung. UTB (Stuttgart) 2018. 176 Seiten. ISBN 978-3-8252-4934-2. D: 18,99 EUR, A: 19,60 EUR, CH: 25,50 sFr.
Reihe: UTB - 4934.

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Thema

Für Lehramtsstudierende und praktizierende Lehrkräfte stellen Fragen zur positiven und gelingenden Klassenführung ein zentrales Thema beruflicher Tätigkeit dar. Dabei kommt den Formen des Klassenmanagements eine wesentliche Bedeutung zu. Die effiziente Organisation der Jahrgangsklasse gilt als zentrale Lehrerkompetenz, die in der kompakten, forschungsgestützten Einführung von Ludwig Haag mit verschiedenen Akzenten und Perspektiven beleuchtet wird: Der diffuse Begriff der Klassenführung wird, gestützt auf bildungswissenschaftliche und psychologische Forschungsarbeiten sowohl mit Fokus auf die Rolle der Lehrkraft als zentraler Instanz für die Unterrichtsgestaltung als auch mit Berücksichtigung der Merkmale guten Unterrichts geklärt und systematisch erläutert. Dabei werden die Erkenntnisse zu den Ressourcen und Eigenschaften der Lehrkräfte für eine gelingende Praxis beleuchtet, indem vor allem Präsenz, Regulation/Verhaltenskontrolle, Kommunikation und Beziehungsarbeit als zentrale lehrerseitige Kategorien gelingender Klassenführung herausgearbeitet werden.

Autor

Prof. Dr. Ludwig Haag, Jahrgang 1954, arbeitet seit 2004 als Professor für Schulpädagogik an der Universität Bayreuth. Von 1984 bis 1993 war er als Studienrat und Schulpsychologe tätig, 1991 erfolgte die Promotion zum Thema „Hausaufgaben am Gymnasium“, von 1993 bis 2004 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erlangen-Nürnberg und habilitierte sich ebendort.

Aufbau und Inhalt

Nach einer knappen Einführung in die Bandthematik finden sich acht unterschiedlich umfangreiche Kapitel:

1. Sichtweisen von Klassenführung

2. Klassenführung als Ressource für die Gesundheit aller – auch der Lehrpersonen

3. Präsenz einer Lehrkraft

4. Regulation/Verhaltenskontrolle

5. Strukturierende Unterrichtsgestaltung

6. Kommunikation/Beziehungsförderung

7. Das Beziehungsgeflecht von Klassenführung auf dem Prüfstand

8. Schlussgedanken

Abgerundet wird das Buch durch ein achtseitiges Literaturverzeichnis sowie ein Abbildungs- und ein Tabellenverzeichnis.

Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

In der Einführung betont der Bayreuther Schulpädagoge die Bedeutsamkeit des Themas Klassenführung, das aus verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven (etwa Merkmale guten Unterrichts, Unterrichtsgestaltung oder Salutogenese und Lehrerressource) beleuchtet werden könne, woraus der Autor „im Sinne eines eklektischen Vorgehens (…) gleichsam ‚von allen das Beste‘ extrahiert“ (S. 8) habe.

Im ersten Kapitel wird die Geschichte der Classroom Management-Forschung detailliert vorgestellt. Dazu arbeitet Ludwig Haag zunächst drei psychologische Forschungstraditionen heraus, die um Konzepte im Bereich des Behaviorismus, der Erziehungsstilforschung und der ökologischen Studien kreisen, bevor er auf die wegweisenden Beiträge des Autorenteams Franz E. Weinert und Andreas Helmke eingeht, welche Klassenführung als „eine Schlüsselfunktion für gelingenden Unterricht“ (S. 13) identifiziert haben, was bedeutet: „Klassenführung und Qualität des Unterrichts bedingen sich gegenseitig“ (S. 14), mit der Folge, dass ein komplexes Wirkungsgeflecht entsteht, welches durch die von Helmke entwickelte evidenzbasierte Unterrichtsdiagnostik analysiert werden kann. Des Weiteren werden Konzepte des Autorenpaars Diemut Ophardt und Felicitas Thiel (mit dem Schwerpunkt: Herstellen und Aufrechterhalten sozialer Ordnung in der Klassengemeinschaft), der Autorengruppe Ewald Kiel, Anne Frey und Sabine Weiß (mit den Schwerpunkten „Empathie als zentraler Beziehungsaspekt“ (S. 18) und erziehender Unterricht als Konsequenz) sowie der Forschergruppe Ferdinand Eder, Walter Fartacek und Johannes Mayr vorgestellt. Letztgenannte Gruppe, die mit dem Linzer Diagnosebogen zur Klassenführung hervorgetreten ist, steht repräsentativ für den Ansatz, pädagogische Handlungsstrategien für die Unterrichtsgestaltung zu fokussieren und als Leitprinzip die Stimmigkeit zu postulieren. Aus den verschiedenen Konzepten leitet Haag drei Aspekte ab: die Führungsrolle der Lehrkraft in der Schulklasse, die Bedeutsamkeit von Komplexitätsreduktion mit einer Schulklasse und die herausragende Rolle des Beziehungsgeflechts zwischen Lehrkraft und Klasse.

Das zweite Kapitel beleuchtet knapp den Gesundheitsaspekt und zeigt die Probleme, die sich mit Verweis auf das Stichwort „Burnout“ aus Schülergewalt, mangelnder Klassendisziplin, Schülerteilnahmslosigkeit und Desinteresse ergeben können, denn Schülerfehlverhalten und Burnout bewirken sich gegenseitig. Entsprechend erläutert der Autor Erklärungen für diesen Verstärkungsprozess und zeigt, gestützt auf die Potsdamer Lehrerstudie zu Belastungssituationen von Lehrkräften, Lösungsofferten in den Feldern Elternengagement oder Schulklima und Schulkultur. Insgesamt konstatiert er für das Selbstverständnis der Lehrkräfte: „Enttäuschungen sind vorprogrammiert! ‚Aushalten können‘ scheint eine zentrale Bedingung von Klassenführung zu sein (…) Doch Geduld ist (…) kein passives Erleben, sondern aktives Aushalten und Durchhalten, d.h. beharrliche Widerstandskraft.“ (S. 28).

Im dritten Kapitel beschreibt er das Handeln der Lehrkräfte als „Handeln unter Druck“ (S. 32), welches durch ein doppeltes Dilemma geprägt sei: „Der Lehrer kann die Situation, in er der zu entscheiden hat, einfach nicht überschauen, und die für eine Entscheidungsfindung verfügbare Zeit ist zu knapp bemessen.“ (S. 32) Dem könne höchstens durch einige Techniken effektiver Klassenführung entgegengewirkt werden, wozu der Autor Allgegenwärtigkeit und Überlappung, Schwung, Gruppenmobilisierung, Überdrussvermeidung sowie Präsenz der Lehrkraft genauer erläutert und knapp auf das Konstanzer Trainings-Modell eingeht, das entsprechende Kompetenzen schult.

Das vierte Kapitel zu „Regulation/Verhaltenskontrolle“ ist eines der umfangreichsten Kapitel des Buches. Es geht zunächst um klassische Aufgaben und Funktionen von Classroom Management, verstanden als Regelaufstellung und Sicherstellung der Einhaltung bzw. Sanktionierung der Nichtbeachtung. Differenziert erläutert er verschiedene Studienergebnisse zum Themenbereich „Regeln aufstellen/einüben/einhalten“ (S. 48) und beschreibt Formen und Wirkungen von disziplinierenden Interventionen. Besonders detailliert stellt Haag sogenannte Person-zentrierte Formen der Klassenführung vor und exemplifiziert dies durch die Trainingsraum-Methode. Abgerundet wird dieses Kapitel durch ein Fallbespiel für die täglichen Belastungen im Schulalltag, wie sie für eine achte Jahrgangsstufe geschildert werden. Ein Lehrerinnen-O-Ton wird zum Anlass einer ausführlichen, kriteriengeleiteten Fallanalyse genommen: „Ich finde es schlimm, mich den Schülern gegenüber immer wieder rechtfertigen bzw. durchsetzen zu müssen. Das ist sehr zermürbend.“ (S. 77) Im abschließenden „Zwischenfazit“ (S. 84) zeigt Haag auf, dass mehrere Weiterentwicklungen des klassischen Lehrerbildes in der Forschungsliteratur nachzuweisen sind, u.a. „von Gehorsam zu Selbstregulation: Schüler lernen, Verantwortung für ihr Verhalten, ihre Entscheidungen, ihr Handeln und Lernen zu übernehmen“ (S. 85) sowie „von Lehrer-Anweisungen zu Vertrauen und Fürsorge“ (S. 85).

Mit „Strukturierende Unterrichtsgestaltung“ ist das fünfte Kapitel überschrieben. Im Kern geht es dabei um Merkmale erfolgreichen Unterrichts, wie sie mit klarer Strukturierung, einem hohen Anteil echter Lernzeit, Methodenvielfalt und einer vorbereiteten Lernumgebung konkretisiert sind. Einen besonderen Aspekt sieht Ludwig Haag im Bereich der psychologischen Reduzierung der Schulklassengröße, die durch Formen der Differenzierung erreicht werden könne. Verknüpft damit hebt er das motivierende Unterrichten hervor: „Letztendlich muss es bei allen hier genannten Maßnahmen darum gehen, dass den Lernenden Erfolgserlebnisse ermöglicht werden, die sich auf die Selbstwirksamkeitserwartung, das Fähigkeitsselbstkonzept und das Interesse auswirken.“ (S. 120)

Das sechste Kapitel wendet sich der Kommunikation zu, worunter vorrangig die Beziehungsarbeit bzw. -förderung verstanden werden. Grundlegend dafür seien die Wahrnehmung und die Gestaltung des Klassenklimas: „Je höher die Schülerzentriertheit und je geringer der Sozial- und Leistungsdruck erlebt werden, desto günstiger ausgeprägt sind Kohäsion und Disziplin in der Klasse“ (S. 123). Dazu erläutert Haag verschiedene Aspekte gelingender Kommunikation und stellt grundlegende Dimensionen des Lehrer-Schüler-Verhältnisses vor (u.a. Erziehungsstile, Interaktionsschemata, Emotionskontrolle seitens der Lehrkraft). Er leitet daraus verschiedene Forderungen ab, die Lehrkräfte bei der Klassenführung berücksichtigen sollen: kein autoritäres und extrem dirigistisches Lehrerverhalten, Gleichbehandlung auch leistungsschwächerer Schüler, wertschätzendes Feedback.

Im knappen, teilweise stichwortartig gestalteten siebten Kapitel formuliert der Autor unter Bezugnahme auf Hans-Peter Nolting präventive Maßnahmen zum Umgang mit Störungen in der Schulklasse: Präventionsmaßnahmen setzen an in den Bereichen Unterrichtsfluss, klare Regeln, Präsenz- und Stoppsignale sowie breite Aktivierung der Klasse.

Abgerundet wird der Band im achten Kapitel mit „Schlussgedanken“, welche die Rolle des Lehrers und sein professionelles Selbstverständnis thematisieren. Haag plädiert für ein „lernerzentriertes Lehrverständnis“ und postuliert u.a.: „Lerner müssen durch Handeln zum Lernen angeleitet werden, nicht die Lehrer sollten die Denkarbeit abnehmen. (…) Lehrer müssen mehr Entscheidungsbefugnis abgeben, was das Lernen betrifft. Schüler müssen motiviert werden, Kontrolle über ihr eigenes Lernen und dessen Fortschritte zu erlangen.“ (S. 165)

Diskussion

Die kompakte Einführung „Kernkompetenz Klassenführung“ bietet einen sehr strukturierten und sachlich fundierten Überblick in die theoretischen Modelle und Konstrukte der Bildungswissenschaft zur Thematik. Aus Sicht der Schulpädagogik gelingt eine lesbare und keineswegs zu theoriefixierte Darstellung, wobei drei Aspekte der Klassenführung quantitativ den Band dominieren: „Regulation/Verhaltenskontrolle“ (Kapitel 4), „Strukturierende Unterrichtsgestaltung“ (Kapitel 5) und „Kommunikation/Beziehungsförderung“ (Kapitel 6).

Bereits einführend wird die allgemeine Relevanz der Thematik präzise bestimmt, gerade vor dem Hintergrund aktueller Herausforderungen wie Heterogenität, Mehrsprachigkeit und Inklusion, indem Ludwig Haag konstatiert: „Die Organisation der Jahrgangsklasse bleibt eine permanente Herausforderung für eine Lehrkraft. Deshalb dürfte es auch in Zukunft keinen Mangel an der Thematik geben.“ (S. 8) Insoweit überrascht bei der Lektüre, dass die Überlegungen zu der Frage allzu knapp ausfallen, „wie die Kompetenzen zur Klassenführung aufgebaut oder wie ein Lehrer zu einem Experten in der Klassenführung werden kann.“ (S. 161) Lediglich auf vier Seiten unter der Überschrift „Schlussgedanken“ finden sich hier wenige Stichworte, die sicherlich ausbaufähig und für Studierende mit expliziteren Erläuterungen hilfreich gewesen wären. So hebt Haag hervor, dass „es den Experten [mit mehrjähriger Unterrichtstätigkeit] aufgrund ihrer adaptiven Planungskompetenz [gelingt], Konflikte in der Klassenführung gar nicht erst aufkommen zu lassen“ (S. 161). Welche Strategien für die Adaptivitätskompetenz zielführend sind, wird nur stichwortartig erläutert, etwa „kollegiale Unterstützung“ (S. 162), Entwicklung eines schulweiten Managements bei Fehlverhalten oder eine schüler- bzw. lernerzentrierte Unterrichtsplanung mit einer anspruchsvollen Intention: „Klassenzimmer sollten als Lerngemeinschaften gesehen werden.“ (S. 165) Dies ist zweifellos plausibel, hätte aber mit Blick auf Berufseinsteiger einige Konkretisierungen benötigt. Denn die ansprechende Gestaltung und das sehr übersichtliche Layout des Buches weisen auf den Einführungscharakter hin, der es als begleitende Lektüre für Studium, Examensvorbereitung und erste Schritte im Lehrberuf ausweist. Geschuldet ist diese Vorgehensweise dem Umstand, dass es Haag mit seinem Buch explizit nicht um eine „Praxisanleitung für gelingende Klassenführung“ (S. 23) geht. Die durchweg verständliche Schreibweise des Autors und die kompakte Textgestaltung, vor allem aber das hohe Problembewusstsein machen es trotz der kleineren Unausgewogenheiten zu einer grundlegenden Basisliteratur zu der Thematik Klassenführung.

Fazit

Die „Kernkompetenz Klassenführung“ wird in Ludwig Haags Buch von der wissenschaftlichen (empirischen) Forschung aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet. Der vorliegende Einführungsband berücksichtigt sowohl die Rollen der Lehrkraft als Instanz der Klassenführung als auch die Diskussionen um guten Unterricht und Unterrichtsgestaltung. Ausführlich reflektiert der Band Aspekte wie Präsenz der Lehrkraft, Verhaltenskontrolle, strukturierte Unterrichtsgestaltung sowie Kommunikation und Beziehungsförderung. Er plädiert für ein sog. personenzentriertes Modell der Klassenführung als neues Paradigma in Folge des Konstruktivismus und hebt die wachsende Bedeutung der kommunikativen Aushandlungsprozesse für die Klassenführung hervor.

Rezension von
Dr. Torsten Mergen
Universität des Saarlandes, Fachrichtung 4.1
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Es gibt 43 Rezensionen von Torsten Mergen.

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ISSN 2190-9245