Jasmin Lee Cori: Wenn die Mutterliebe fehlte
Rezensiert von Friederike Otto, 15.11.2019
Jasmin Lee Cori: Wenn die Mutterliebe fehlte. Wie wir das ungeliebte Kind in uns entdecken und heilen.
Kösel-Verlag
(München) 2018.
332 Seiten.
ISBN 978-3-466-34719-3.
D: 24,00 EUR,
A: 24,70 EUR,
CH: 33,90 sFr.
Bischoff, Ursula (Übersetzerin) .
Thema
Die Autorin wendet sich mit ihrem Buch an Leserinnen und Leser, die unter den Folgen von emotionaler Vernachlässigung und Lieblosigkeit von Seiten ihrer Mütter leiden und es bietet eine Anleitung zur Bewältigung der erfahrenen Lieblosigkeit.
Autorin
Die Amerikanerin Jasmin Lee Cori arbeitet als Psychotherapeutin in eigener Privatpraxis in Boulder, Colorado. Ihr Schwerpunkt ist die Arbeit mit Erwachsenen, die in ihrer Kindheit von emotionaler Vernachlässigung und Gewalt betroffen waren. Zu diesen Themen ist sie auch als Dozentin an Colleges und Fachschulen tätig. Sie hat mehrere Bücher geschrieben. 2015 erschien „Das große Trauma-Selbsthilfebuch. Symptome verstehen und zurück ins Leben finden.“ in deutscher Sprache.
Entstehungshintergrund
Grundlage des Buches sind langjährige Erfahrungen aus der therapeutischen Arbeit der Autorin ohne den Anspruch der Wissenschaftlichkeit. Als erfahrene Therapeutin und selbst Betroffene bietet Jasmin Lee Cori ihren Lesern Erklärungsansätze für die Gefühle ihrer emotionalen Verletztheit und Strategien, einen Selbstheilungsprozess einzuleiten.
Aufbau
Das Buch ist in drei Teile gegliedert, die durch eine Einführung und einen Anhang mit Fallbeispielen und Literaturhinweisen ergänzt werden. Die drei Teile sind in insgesamt 14 Kapitel unterteilt. Jedes Kapitel enthält mehrere Abschnitte, die im Inhaltsverzeichnis ausgewiesen sind.
Inhalt
In ihrer Einleitung führt Jasmin Lee Cori auf die vier Ziele hin, mit denen sie sich an die Leserinnen und Leser wendet:
- „Ich möchte Ihnen ein klares Bild von der mütterlichen Liebe und Zuwendung vermitteln, die Sie entbehren mussten.
- Ich möchte Ihnen helfen, den Zusammenhang zwischen der emotional abwesenden Mutter und den Schwierigkeiten zu erkennen, mit denen Sie in Ihrem heutigen Leben konfrontiert sind. …
- Ich möchte Ihnen Möglichkeiten aufzeigen, fehlende Elemente einer guten Mutterschaft auszugleichen…
- Ich möchte Ihnen bei der Entscheidung helfen, wie Sie als Erwachsene die Beziehung zu Ihrer Mutter gestalten wollen …“ (Seite 22)
Der erste Teil des Buches ist überschrieben Was wir von der Mutter brauchen. Darin beschreibt Cori die Mutter als Lebensbaum, der „gibt und gibt und gibt“ (S. 26), was jedoch nicht leicht sei, wenn die Mutter selbst noch viele unerfüllte Wünsche habe.
Für die Entwicklung eines Kindes liefert die Mutter nach Coris Ansicht neben der biologischen Basis auch die Grundbausteine für die Psyche und die Persönlichkeit. Dabei falle das Verhalten der Mutter weniger ins Gewicht als ihre energetische Präsenz und Liebe.
Cori beschreibt ausführlich die 10 Botschaften der guten Mutter, wie bspw. „Ich freue mich, dass es dich gibt“, „Deine Bedürfnisse sind mir wichtig“ oder „Du bist mein ganzes Glück“ (Seite 31). Dazu liefert sie die alternative Botschaft bei fehlender Mutterliebe. Das Kind fühlt sich unerwünscht, es sollte besser keine Bedürfnisse haben, es erlebt sich als lästig für die Mutter und möchte keinen Raum einnehmen.
Die Autorin beschreibt dann die verschiedenen Aspekte einer einfühlsamen und verlässlichen Mutter: Die Mutter als Quelle des Lebens, als Bindungsperson, als Ersthelferin, als Regulationsinstanz, als Kraftspenderin, als Spiegel, als Mutmacherin, als Mentorin, als Beschützerin und als Zufluchtsort. Jeder Abschnitt endet mit einer Reihe Fragen an die Leser*innen wie bspw. „Hatten Sie je das Gefühl, ein Waisenkind oder mutterloses Kind zu sein?“ oder „Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Mutter Ihr wahres Selbst wahrgenommen hat? Worauf stützt sich Ihr Eindruck?“ (Seite 51).
Ein weiteres Kapitel ist dem Thema Bindung gewidmet. Die verschiedenen Bindungsstile, die von Bowlby, Ainsworth und Main beschrieben wurden, werden erläutert und mit Quellen belegt. Anhand von einer Reihe von Aussagen können die Leser*innen herausfinden, welcher Bindungsstil auf sie zutrifft, falls sie sich bisher keinem Stil zuordnen konnten. Cori weist darauf hin, dass Mütter durch Anleitung und Hilfe lernen können, auf die Bedürfnisse ihrer Kinder einzugehen.
Der zweite Teil heißt Wie die Mutterschaft misslingt. Darin beschreibt Cori, was die Folgen von mangelnder Mutterliebe sein können. Sie nennt es die Leere im Herzen und eine Leere im Selbstvertrauen, die auch dazu führt, dass die Betroffenen später selbst nicht gut für sich sorgen und ihren Bedürfnissen Rechnung tragen können. Deutlich beschreibt sie den Zusammenhang von emotionaler Abwesenheit und Depression der Mutter und benennt eine Reihe weiterer Gründe: Unwissenheit der Mutter, Kummer und Sorgen, zu viele Kinder, Karriereambitionen, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit oder Pflege eines Angehörigen, um nur einige zu nennen (S. 106–108).
In weiteren Abschnitten werden mögliche Defizite der emotional abwesenden Mutter beschrieben, etwa die mangelnde Strukturierung des Tageslaufs, die fehlende Anleitung in lebenspraktischen Dingen oder die fehlende Hilfe in Notsituationen, die vom Kind gar nicht gesucht wurde, weil keine Hilfe zu erwarten war.
Nach dem „Versäumnis“ der Vernachlässigung beschreibt Cori als weiteren Bereich der misslingenden Mutterschaft die emotionale Gewalt, die sich darin äußert, dass das Kind verspottet, beschimpft, beschuldigt oder gedemütigt wird (S. 132). Dazu zählen auch Drohungen, das Kind zu verlassen oder es ins Heim zu geben.
Bei allen Formen der Vernachlässigung und Misshandlung können andere Personen, etwa der Vater, die Großeltern oder Geschwister das Leid lindern und Defizite ausgleichen.
In weiteren Abschnitten werden die Folgen der emotionalen Vernachlässigung beschrieben, wie etwa mangelndes Selbstwertgefühl, Beziehungsprobleme, mangelndes Gefühl der Zugehörigkeit, Depressionen, Gefühle der Machtlosigkeit, Suchtverhalten, Perfektionismus, Angst oder selbstverletzendes Verhalten.
In Teil 3 geht es um Die Heilung der seelischen Wunden. Zunächst beschreibt die Autorin „Vertuschungsaktionen“, womit sie meint, dass Betroffene ihren Mangel an Mutterliebe verdrängen oder leugnen, weil diese Erkenntnis zu schmerzlich wäre. Als Strategien zur Aufarbeitung empfihlt Cori, Tagebuch zu schreiben, der eigenen Wut nachzuspüren, sich eine Vertrauensperson als Ersatz für die gute Mutter zu suchen, mit dem „inneren Kind“ zu arbeiten, etwa durch Meditation, Fotos aus der Kindheit oder Briefeschreiben, und nicht zuletzt durch bindungsbezogene Psychotherapie. Der dritte Teil schließt mit der Beschreibung von einer Reihe von Einzelstrategien. Zunächst sollten die Leser*innen die eigenen emotionalen Bedürfnisse ergründen und diese dann gezielt erfüllen, etwa das Bedürfnis nach unterstützenden Strukturen oder nach Zugehörigkeit in einer Gemeinschaft. Dazu zählt auch die Empfehlung, nicht nur wahrzunehmen, was fehlt, sondern auch das was an tragfähiger Struktur vorhanden ist (Seite 253).
Diskussion
Jasmin Lee Cori hat ihr Buch durch die Unterteilung in Kapitel und Abschnitte übersichtlich gegliedert. Die Leser*innen werden ermuntert, wahlweise die Kapitel der Reihe nach oder selektiv zu lesen. An verschiedenen Stellen rät sie zur Inanspruchnahme von Psychotherapie, wenn die Erkenntnisse den Leser*innen zu schmerzhaft erscheinen.
Der (amerikanische) Schreibstil, d.h. die direkte Ansprache der Leser*innen als Betroffene oder die Wir-Form ist gewöhnungsbedürftig. Die Autorin geht offenbar davon aus, dass alle Leser*innen Defizite der eigenen Mütter erlitten haben und mit aktuellen Schwierigkeiten in Verbindung bringen. Sie geht außerdem davon aus, dass die Defizite nicht allen Betroffenen bewusst sind. So gibt es einen Abschnitt „Woher weiß ich, ob eine sichere Mutterbindung bestand?“ (Seite 66).
In der Beschreibung der verschiedenen Bindungsstile greift Cori auf anerkannte Autoren zurück. An anderen Stellen fehlt die wissenschaftliche Fundierung ihrer Thesen, z.B. wenn sie schreibt „wenn die Mutter ihrer Aufgabe nicht gerecht wird, haben die Kinder erhebliche Defizite in ihrer Entwicklung“ (Seite 19) oder „Ist sie [die Mutter beim Stillen des Kindes] emotional abwesend, ist die Milch weniger nahrhaft. Das Kind empfindet es vielleicht als Unrecht, die Milch anzunehmen, weil sie nicht freigebig gewährt wird“ (Seite 27).
Die Vorschläge zur Selbsttherapie können für die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte hilfreich sein, wie auch die Empfehlung, psychotherapeutische Hilfe zu suchen, wenn Selbsthilfe nicht ausreicht.
Fazit
Ein Buch vor allem für Betroffene, die sich intensiv mit der emotionalen Vernachlässigung durch die Mutter beschäftigen möchten und Denkanstöße für die Bewältigung der Folgen der mangelnden Mutterliebe suchen.
Rezension von
Friederike Otto
Leiterin des Forschungsverbundes Familiengesundheit.
Medizinische Hochschule Hannover, Medizinische Soziologie OE 5420
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Es gibt 13 Rezensionen von Friederike Otto.
Zitiervorschlag
Friederike Otto. Rezension vom 15.11.2019 zu:
Jasmin Lee Cori: Wenn die Mutterliebe fehlte. Wie wir das ungeliebte Kind in uns entdecken und heilen. Kösel-Verlag
(München) 2018.
ISBN 978-3-466-34719-3.
Bischoff, Ursula (Übersetzerin) .
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25220.php, Datum des Zugriffs 11.09.2024.
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