Franziska Martinsen (Hrsg.): Wissen - Macht - Meinung
Rezensiert von Arnold Schmieder, 26.02.2019

Franziska Martinsen (Hrsg.): Wissen - Macht - Meinung. Demokratie und Digitalisierung : Die 20. Hannah-Arendt-Tage 2017. Velbrück GmbH Bücher & Medien (Weilerswist) 2018. 107 Seiten. ISBN 978-3-95832-148-9. D: 18,90 EUR, A: 19,50 EUR.
Thema
Risiken und Chancen der Digitalisierung werden in neun Einzelbeiträgen ausgelotet und jeweils themenspezifisch diskutiert, und zwar immer mit Blick auch auf den Wandel – formalen wie inhaltlichen – demokratischer Strukturen und ihrer Auskleidung: Möglichkeiten der Optimierung wie gefährdende Potenziale kommen zur Sprache. Die AutorInnen argumentieren jeweils schwerpunktmäßig im Hinblick auf technologische Phänomen, umgreifen prospektive Einsatzmöglichkeiten, die Digitalisierung bietet oder böte, wobei auch (sicherheitsrelevante) Notwendigkeiten der Verbesserung einbezogen werden. In den sozialwissenschaftlichen und ebenso politiktheoretischen Erörterungen stehen die jetzt schon beobachtbaren Folgen und Einflüsse des ‚digitalen Wandels‘ im Vordergrund, die mit Einschätzungen seiner Handhabung bzw. Beherrschung verbunden sind, wie sie aus Desideraten von Demokratie hervorgehen.
Der Bezug zu Hannah Arendt, so Herbert Schmalstieg im „Appendix: Warum gerade Hannah Arendt? Laudatio für Detlef Horster“, ergibt sich aus einem Zitat dieser Philosophin: „Die Politik braucht das philosophische Nachdenken über das, was ihr Alltagsgeschäft ist.“ Ihre Meinung dazu sei gewesen: „Über Probleme, die im politischen Alltag unter dem Zwang des Handelns schnell gelöst werden müssen, soll man genauer nachdenken.“ (zit. S. 101 f.)
Diesen Vorgaben zu folgen, machten sich die AutorInnen anheischig; der Band geht – wie im Titel ausgewiesen – auf eine Tagung im Oktober 2017 zurück, wobei „sowohl erwartungsvolle als auch skeptische Stimmen“ zu Wort kamen, u.a. dahingehend, worauf Frau Martinsen als Herausgeberin in ihrem Vorwort hinweist, dass „angesichts der Undurchsichtigkeit ökonomischer und rechtlicher Machtverhältnisse in der digitalen Sphäre demokratische Grundprinzipien verletzt werden“ können. (S. 9 f.)
Herausgeberin
Franziska Martinsen ist Privatdozentin am Institut für Politikwissenschaft der Leibnitz Universität Hannover und derzeit Vertretungsprofessorin an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Aufbau
Der Tagungsband gliedert sich in ein Vorwort von Franziska Martinsen, neun Einzelbeiträge und schließt mit einem Appendix von Herbert Schmalstieg.
Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.
Inhalt
Unter dem Titel „Digitalisierung und demokratischer Wandel als Spiegelbilder?“ eröffnet Jeanette Hofmann im ersten Beitrag den Problemhorizont auf einem politiktheoretischen Hintergrund des Verständnisses von Demokratie als „offene(m) Projekt“ und zu „realisierende(r) Vision legitimer Herrschaft“ und wirft die Frage auf, „wenn das Internet nicht den demokratischen Wandel steuert und die Demokratie nicht die Digitalisierung, wie kann man die Beziehung zwischen Digitalisierung und Demokratisierung stattdessen beschreiben?“ (S. 14 f.) Über Beschreibung hinaus stellt sie im Anschluss an Arendts Anspruch gegenüber politischem Handeln, es sollte „narrativ verfasst“ sein und aus „interaktiven und öffentlichen Erzählakten“ bestehen, eine für Demokratie tragfähige Nutzung des Internet zur Diskussion, wofür sie das Beispiel „virtueller Nationen (‚Bitnation‘), plattformbasierter Regierungsformen und anderer cloud communities“ anführt, „die neue Formen der Selbstverwaltung ausprobieren wollen.“ Gerade angesichts eines „Rückzugs des Staates in Verbindung mit Enttraditionalisierung und Individualisierung der Gesellschaft“, was „einer Entwicklung digitaler Technologien Vorschub geleistet“ habe, könnten zumal unter dem offenkundigen Umstand, dass für immer mehr Menschen demokratische Organisation auch anders möglich wäre, ein „Nebeneffekt“ eintreten: Die Metapher für solche Nutzung digitaler Möglichkeiten sei „Laborsituation, in der Alternativen ausprobiert, aber auch wieder verworfen werden können.“ Die „Botschaft“ der Autorin lautet, das Digitale nicht als etwas Fremdes zu betrachten, „sondern lieber als einen situativen Spiegel, der uns Auskunft über den Strukturwandel unserer Gesellschaft gibt.“ Auf dem hat „Erzählung“ im Sinne Arendts aufzusatteln, die dann auch keine individuelle AutorIn hat, „sondern sie repräsentiert uns alle. Es ist eine Geschichte, die von uns allen geschrieben wird.“ (S. 20)
Lars Klingbeil beschäftigt sich mit „Demokratie digital: Gestaltungswille und Gestaltungsanspruch der Politik“. Seinem Beitrag setzt er als Motto ein Arendt-Zitat voran: „Der Sinn von Politik ist Freiheit.“ (zit. S. 22) Öffentlichkeit ist für ihn zentral, weil Ort der Selbstbeobachtung von Gesellschaft, Ort somit auch von Diskursen, in denen auf der „Basis des besseren Arguments“ über gesellschaftliche Zukunft verhandelt wird. Unabhängiger Journalismus sei unabdingbar und über Medien müsse „gesellschaftliche Kommunikation anschlussfähig“ gehalten werden. Ob das ‚Netz‘, wenngleich von Betreibern mit demokratisch-emanzipatorischen Anspruch ummantelt, notwendige „Aushandlungsprozesse über die Zukunft der Gesellschaft und das Zusammenleben“ befördere, scheine zunächst „paradox“ bis fraglich angesichts von manipulativen Interventionen. (S. 22) Warnend erinnert er an Arendts „Verschwinden der Öffentlichkeit“, auf das sie nicht zuletzt das „Entstehen totalitärer Herrschaftsformen“ zurückgeführt habe. (S. 23 f.) Daher müsse ein gesellschaftlicher „Diskursraum“ gewonnen werden und erhalten bleiben, wo neben der „Vielfalt an Meinungen und Positionen“ vor allem „zivilgesellschaftliches Engagement und Gegenrede“ zum Zuge kommen können. Folglich gehe es beim Thema Digitalisierung um viel, nämlich „um die Grundlage der Demokratie und der offenen und pluralen digitalen Gesellschaft und ihre Öffentlichkeit.“ (S. 26)
Mike Weber thematisiert die Möglichkeiten von „Effizienzgewinne(n) bei erhöhtem Komfort und Entlastung von Routinetätigkeiten“ unter der Titel „Die vollautomatische Kommune“. Schließlich würde, wenn „das ganze Leben durchdigitalisiert wird, (…) der damit verbundene Komfort auch von kommunalen Leistungen erwartet.“ (S. 27) In Erwartung, „dass sich die Art der wirtschaftlichen Produktion ändert“, würden zunehmend nicht nur Warenproduktion, sondern eben auch „Dienstleistungen“ von „Automatisierungspotenzialen“ gestaltet, die sich durch eine „zielgerichtete Datenauswertung“ ergäben, wovon die „öffentliche Verwaltung“ nicht unberührt bleibe. (S. 29) Um ein „qualitativ neues Phänomen“ würde es sich dann handeln, „wenn das System keiner menschlichen Mitarbeit mehr bedarf“ und das System „autonom“ entscheide, wobei schließlich die „vollständige Automatisierung von Entscheidungen (…) dann zu einer Aushöhlung der Überprüfbarkeit“ führe, „die bei der Etablierung neuer Systeme in besonderer Weise geboten erscheint.“ (S. 31 ff.) Der Autor thematisiert beabsichtigte und unbeabsichtigte Wirkungen, so die Verstetigung „bestehende(r) Ungleichheiten“, was die Frage der „sozialen Einbettung“ berühre. Er gibt zu bedenken, dass etwa statt des „Austauschs von Meinungen (…) dann quantifizierbare Indikatoren und ihre Auswertung über Wohl und Wehe der Stadtpolitik“ bestimmen. (S. 36) Doch hält er dystopischen Warnungen vor Digitalisierung wie euphorischen Befürwortungen „(f)rei nach Hannah Arendt“ als „Bewertungskriterium“ entgegen: „Sinnvoll ist die vollautomatisierte Kommune immer dann, wenn sie unsere Freiheit stärkt.“ (S. 38)
Clemens Rehm geht es wesentlich um die Frage, „wie viel Amtsgeheimnis eine Demokratie verträgt und ob es Informationen geben darf, die die Gesellschaft nicht wissen soll.“ Dabei zielt er auf die „gesetzliche(.) Absicherung archivischer Funktionen“, wie er gleich im Untertitel seines Beitrages ausweist: „Geheim! Macht und Ohnmacht der Archive in der demokratischen Gesellschaft“. (S. 41) Dass und wie „Archivar*innen (…) an der Grenze zwischen Vergessen und Erinnern“ stehen, illustriert er an Beispielen und macht dabei auch klar, dass eben jenes „Vergessen (…) in Zeiten des Internets, ‚das nichts vergisst‘, eine neue Dimension erhalten“ hat (S. 43), wobei er grundsätzlich an das Wort resp. den Buchtitel von Marquard erinnert: „Zukunft braucht Herkunft“. (zit. S. 44) An kurze Einblicke in die lange Geschichte des Archivierens schließt er vier Forderungen an: einen uneingeschränkten Zugang für Archive zu allen Unterlagen und Informationen; zu löschende Informationen müssten Archiven angeboten werden und müssten archiviert werden dürfen; auch unzulässig gespeicherte Informationen wären Archiven anzubieten und müssten archiviert werden dürfen; Informationen der Geheimdienste wären Archiven anzubieten und müssten ebenfalls archiviert werden dürfen. Diese Punkte zeigen auch die Gefährdung „archivalischer Aufgaben durch den normativen Rahmen. Die Transparenz, die Archive schaffen sollen, wird gesetzlich unterlaufen.“ (S. 47) Die Bilanz des Autors fällt nüchtern und eher negativ aus. Gleichwohl hält er an seinen Forderungen fest, weil sie „unverzichtbares Element einer demokratischen Gesellschaft“ sind und die „Rolle der Archive“ klar ist: „Sie sind die Einrichtungen, die für viele Zwecke glaubwürdige Informationen bereitstellen – für Wissenschaftler*innen, für Journalist*innen, für Neugierige und Interessierte“. (S. 56)
„Wir prägen die digitale Evolution: Ein neues Lebensgefühl entsteht“, lautet der Titel des Beitrages von Kurt Schneider, der erst einmal festhält, dass „Algorithmen (…) Kern vieler Fortschritte und Erleichterungen unseres Lebens“ sind und man daher „differenzierter argumentieren“ müsse (S. 59), wobei er sich vorab über ‚harmlose Algorithmen‘ auslässt – von der Küche, aber auch vor dort aus über Vernetzung in die ganze Welt, etwa über Bewertungen u.a.m. mit der Folge interessierter Datennutzung. Dies sei aber auch, und zwar durch „Vernetzung und sinnvolle Anordnung durch wenige Algorithmen“, insofern begrüßenswert, als die „Meinung der Konsument*innen ernster genommen wird.“ Jenseits aller missgünstigen, manipulativen Bewertungen würden potenzielle KundInnen und KonsumentInnen gewarnt, und letztlich sei es die „Marktwirtschaft, die hier unbarmherzig zuschlägt.“ (S. 63) Ersichtlich sei, dass nicht irgendwelche „Informatiker“ entschieden: „Wir sind es. Wir stimmen täglich ab.“ Somit handele es sich um „Demokratie im Kleinen“, einem „Zeitalter“, in dem „jeder ständig beobachtet“ wird, was auch bedeute: „Jeder kann ein Vorbild sein!“ (S. 65 f.)
Eingangs am Beispiel von Smartphones und Tablets behandelt Oliver Bendel „Die Spione im eigenen Haus“, wobei er sein Hauptaugenmerk auch darum auf das Auditive richtet, weil man über „Stimmerkennung (…), wie über Gesichtserkennung, Emotionserkennung betreiben“ kann. (S. 68, Anm. 2) Wie das geschehen kann, illustriert der Autor auch an Smarten Fernsehern, an Intelligentem Spielzeug und an Servicerobotern, was unter ethischer Perspektive auf die Problematik der „gläserne(n) Bürger*innen“ verweist, darin eingeschlossen auch die Frage nach „persönliche(r) Autonomie“ und die „persönliche Freiheit im Informationszeitalter“. (S. 72 f.) Unter so sich einstellendem „permanenten Druck“ durch das Risiko aus möglicher Ausspähung „ändern sich bei allen Betroffenen die Gepflogen- und Gewohnheiten“ bis in Intimitäten wie „Aufstoßen und Flatulieren.“ Dagegen wären vormalige „Wanzen“ gleichsam hausbacken und die seinerzeit utopisch anmutenden Schilderungen von George Orwell sehr präsent, „ohne dass die Mehrheit der Mitglieder der Informationsgesellschaft davon sonderlich beunruhigt wäre.“ (S. 75 f.) Gleichwohl könne Sammlung und Auswertung von Daten auch lebensnotwendig sein und man könne „Situationen antreffen, dass die persönliche Autonomie gestärkt, die informationelle Autonomie geschwächt wird.“ Dem müsse man sich seitens einer „Informations- und Technikethik widmen.“ (S. 78)
„‚Fake News‘ sind Fake News. Über automatisierte Meinungsmache und Urteilskraft“, so der Titel des Beitrages von Matthias Spielkamp, wobei er Fake News einmal in Apostroph gesetzt hat, weil zu klären sei, warum sie überhaupt ein Problem darstellen, auch darum, weil es „interessante Abstufungen dessen“ gibt, „wie man mit der Wahrheit umgehen kann.“ (S. 83) Er zeigt auf, dass und warum „Falschmeldungen (…) sehr oft ‚beliebt‘“ sind und eben „Teil von Propaganda, Meinungsmache, Kampagnenjournalismus.“ Sowenig wie der Volksempfänger für den Holocaust verantwortlich zu machen wäre, sowenig seien die Algorithmen oder das Internet oder gar Facebook selbst das vordringliche Problem. Die „Erfolge von Falschmeldungen“ seien „nicht Ursache, sondern vielmehr Folge großer gesellschaftlicher Probleme“, wie dann auch Falschmeldungen, die Positionen der AfD stützten, darum „erfolgreich“ wären, „weil viele Menschen die Einschätzungen der AfD teilen.“ (S. 84 f.)
Auch am Beispiel von Wahlcomputern behandelt Constanze Kurz „Die wundersame Datengläubigkeit. Daten und IT-Sicherheit heute“, die nach ihrem Dafürhalten als prozessual zu verstehen ist, also auch fortlaufende Anstrengung der Optimierung. An „erhebliche Sicherheitslücken“, wie wir sie „aus der Softwarebranche gewohnt sind“, legt sie die Elle der Standards an, die im Hinblick auf Produkte der Wirtschaft, Fahrzeuge z.B., unabdingbar sind. (S. 88) Sie gibt Empfehlungen, die sie zwar für nicht leicht umzusetzen hält, die jedoch als „Orientierungspunkte und ethische Handlungsmaximen“ zu bedenken wäre. Dazu gehört wesentlich: „Es sollte keine Pflicht geben, technische Möglichkeiten wahrzunehmen.“ (S. 90)
Im Gesamtdeutschland „gibt sich das Volk“ ‚begeistert‘ „den neuen, schicken Mitteln der totalen Überwachung hin“ und die „Big-Data-Religion“ sei: „der optimierte Mensch“ (S. 91), beginnt Yvonne Hofstetter ihren Beitrag „Digitale Revolution, gesellschaftlicher Umbruch. Eine Technikfolgenbewertung“. Da Geschäftsführerin eines Unternehmens, das Künstliche Intelligenz für verschiedene industrielle Einsatzzwecke entwickelt, also intim vertraut mit Folgen aus Anwendungsorientierungen, kommt den kritischen Einlassungen von Frau Hofstetter besonderes Gewicht zu (wie man zu unterstellen geneigt ist), zumal sie schließt, „für die demokratische Herrschaftsform ist die Digitalisierung, wie sie sich heute vollzieht, extrem schädlich“; und da es gelte, „an der Demokratie festzuhalten“, habe „sie auch in der digitalen Transformation nur die besten und leidenschaftlichsten Verteidiger verdient.“ (S. 98) Und „Big Data“, hebt die Autorin hervor, greife „unser Menschenbild an“, vor allem die grundgesetzlich garantierte Unantastbarkeit der Würde des Menschen. (S. 93) Sie skizziert allgemeine „Identitätskrise“ als Folge aus „wachsender Komplexität des Alltags mit einem schier endlosen Universum von Alternativen.“ „Datenfusion“, erst einmal nur „ein anderer Begriff für ‚Algorithmus‘“, nützlich für Militär, vor allem „Basistechnologie für alle autonomen Systeme, von der Industrie 4.0 bis zum selbstfahrenden Auto“, bezöge sich nicht mehr in der Hauptsache auf Objekte, sondern stammten von Menschen, bestünden „aus einem ganz überwiegenden Teil aus unseren persönlichen Daten“, die wir mehr oder minder ahnungslos preisgäben.
Die Folge: „Nicht ein demokratischer kontrollierter Staat, sondern wenige Internetgiganten sind über sämtliche Details unseres Lebens informiert.“ (S. 92 f.) Für Big-Data seien Menschen gleichsam um seine Daten auszubeutende „Rohstoffträger“, womit wir weitab von einem durch den Philosophen Kant begründeten „europäischen Menschenbild“ stünden. Doch in der „Objektivierung des Menschen“, der „Leugnung des Subjektcharakters der Person“, drücke sich mehr aus: „Die Werteverwirrung ist der grundlegende Irrtum des Kapitalismus. Der Neoliberalismus angloamerikanischer Provenienz will den Menschen seinem Wirtschaften unterordnen.“ Und unter diesem Blickwinkel seien „Big-Data Geschäftsmodelle“ zu sehen, was eigentlich „nicht so recht auf unser europäisches Verständnis von Menschenwürde und sozialer Marktwirtschaft passen will“, dass „auch fragwürdige Geschäftsideen mit großer Leidenschaft verteidigt“ werden, „solange sie Umsatz und Gewinn versprechen“. (S. 94) Deutlich kehrt Frau Hofstetter hervor, dass Big Data u.a. „Rassismus etabliert“, soziale Medien „technologiebasierte Werbebühnen für amerikanische Großkonzerne“ sind, diese Medien die NutzerInnen „vereinzeln“ und sie dadurch ‚entmachten‘, „weil gemeinsames Eintreten für gemeinsame Interessen nicht mehr möglich ist“, was sie beispielhaft belegt. Zu den „besonders gefährdeten Freiheiten“ gehöre die „Freiheit auf digitale Abstinenz“, die es zu wahren gelte. (S. 96 f.) Die Autorin rät an, „die Naivität gegenüber der Digitalisierung ganz abzulegen und nicht all ihren Begleitideologien auf den Leim zu gehen.“ (S. 98)
Diskussion
Es hätte einen gewissen Reiz, wären die Diskussionen anlässlich der Tagung zwischen den AutorInnen und ggf. Einlassungen aus dem Publikum in diesem Band dokumentiert (was allerdings auch wegen des immensen Arbeitsaufwandes für die Herausgeberin nicht als Manko verstanden sein will), sind doch die einzelnen Beiträge hinsichtlich ihrer Einschätzungen von ‚Digitalisierung‘, möglichem Nutzen und ebenso möglichem Schaden, tendenziell recht unterschiedlich – was erst einmal einer solchen Tagung und dann auch dem Band gut zu Gesicht steht. Verändert man den Titel ein wenig, nämlich in „Wissen macht Meinung“, dann stellt sich mithin die Frage, welches Wissen welche Meinung macht.
Dafür, dass Anlass der Tagung die „20. Hannah Arendt Tage“ waren, fällt der Bezug der BeiträgerInnen auf diese Philosophin eher spärlich aus und wenn, wird ihr Begriff der ‚Freiheit‘ zitiert, aber nicht erläutert. Hintergrundrauschen dabei ist, wie es häufig kolportiert wird, dass nach Arendt Freiheit weder Furcht noch Not kennt und frei nur derjenige sei, wer als Gleicher unter Gleichen am öffentlichen politischen Leben eben repressionsfrei teilnehmen könne – was gut klingt, wo aber Wesentliches außen vor bleibt, was für Analyse belangvoll ist. Bekanntlich hat Arendt den ‚jungen‘ Marx gegenüber dem des ‚Kapital‘ bevorzugt (wobei es fast schon eine Ironie ist, dass ihre Marx-Kritik genaugenommen eine Kapitalismuskritik ist); hätte sie sonst doch mehr darauf abheben müssen, dass Freiheit im Kapitalismus immer zugleich Unfreiheit bedeutet, was in den so genannten ‚Systemzwängen‘ festgeschrieben ist. Wohl darum konnte ihr auch die affirmative Äußerung unterlaufen: „Erst mit Eigentum von Dingen beginnt menschliches Leben“ – so im „Denktagebuch“. Doch nähert sich ihr Handlungsbegriff einem wie mit Marx kritisch zu reflektierenden Freiheitsbegriff an: „In Wahrheit jedoch ist es die Funktion jeden Handelns, im Unterschied zu einem bloß reaktiven Sichverhalten (behavior), Prozesse zu unterbrechen, die sonst automatisch und damit voraussagbar verlaufen würden“ – so in „Macht und Gewalt“. Dieses Zitat wird häufig in politischer Hinsicht als einer ihrer Schlüsselsätze bemüht; Arendt ging es, entfaltet man ihren Handlungsbegriff weiter, um Selbstzweck des Handelns, das meint dessen Befreiung von den Logiken der Notwendigkeit. Dieser so definierte Handlungsbegriff auf die Spitze getrieben bedeutet dann für sie, die ‚soziale Frage‘ nicht einmal als Gegenstand des Handelns zuzulassen, weil deren Politisierung zu einer Unterhöhlung des Politischen führen würde – und sie allein, diese ‚soziale Frage‘, durch Wissenschaft und Technik lösbar wäre.
Sicher war die Tagung nicht der Ort, Hannah Arendt und ihr unbestritten philosophiegeschichtlich wichtiges Werk kritisch zu würdigen (wobei sie sich noch 1964 nicht als Philosophin sah, sondern als politische Theoretikerin), aber wenn die AutorInnen des Bandes sich im Für und Wider in Bezug auf Demokratie und Digitalisierung (oder umgekehrt) und da prominent auf ihren Begriff der Freiheit beziehen, wäre über eine kritische Aufnahme ihres Freiheits- und Handlungsbegriffs auch zu einem ‚Wissen‘ hingeleitet, das dann eine andere ‚Meinung‘ zumal auf die ökonomischen Folgen der Digitalisierung ‚machen‘ würde.
Sehr deutlich klingt das bei Yvonne Hofstetter an, wo sie den ansonsten sozialwissenschaftlichen und politiktheoretischen Zugängen und Deutungen, mit denen die Folgen der Digitalisierung debattiert werden, den Gedanken an die bestimmte Form ihrer Nutzung im herrschenden ökonomischen System einspeist. Nicht erst der „Neoliberalismus (…) will den Menschen seinem Wirtschaften unterordnen“ (s.o.), es gehört zum Kapitalismus wie seine Krisen (nicht nur des Finanzkapitals), folgt der immer vorausgesetzten Werteverwertung, wie es heute in Bezug auf die ‚Industrielle Revolution 4.0‘, dem sich zuspitzenden Einzug der IT-Technologien in die Sphären der Produktion, Distribution und Konsumtion, von kritischen SoziologInnen und WirtschaftswissenschaftlerInnen diskutiert wird. Was winkt, ist dann das im Grunde alte Muster aus Überproduktion auf der einen und Verarmung auf der anderen Seite, deren Erscheinungsformen etlichen Medien immer häufiger Stoff liefern, sich einen dem öffentlichen Meinungsklima abgekupferten radical chic zu geben, der von einer Thematisierung tatsächlicher ökonomischer Ursachen zumeist in Richtung bedauerlicher und behebbarer Kollateralschäden abwinkelt.
Politik, als „offenes Projekt“ gedacht, ersichtlich jedoch zunehmend eine „institutionell ausbuchstabierte Regierungsform“, soll alles Problematische richten, lautet der an jedermann gerichtete Aufruf von Frau Hofmann (s.o.) auch im Hinblick auf den „Strukturwandel, den wir derzeit beobachten“. (ebd.) Der „demokratischen Wandel“ so die Autorin, würde nicht durch das „Internet“ gesteuert (S. 15), was in der Tat eine zu monokausale Sicht wäre; doch ist es als nutzbare und genutzte Möglichkeit für das zu sehen, was bislang, so Spielkamp, unter „Propaganda, Meinungsmache, Kampagnenjournalimus“ firmierte (s.o.) und heute als „Falschmeldungen“ tagtäglich verwirrt (und Verschwörungstheorien, könnte man hinzufügen). Man könnte hier eine priestertrugs-, agententheoretische Elle anlegen oder Manipulationstheorien der 1970er Jahre hervorkramen, die so nicht erschöpfend waren und in ihrer Kritik an TV und anfänglich vor allen der populärsten Boulevardpostille ‚Öffentlichkeit‘ nicht so kritisieren (konnten), wie sie heute hergestellt wird. Lars Klingbeil reklamiert dahervöllig zu Recht einen öffentlichen „Diskursraum“ (s.o.); angesichts von inzwischen seit mehr als einem halben Jahrhundert beklagter Isolation und sozialer Apathie und neueren Datums von Individualisierung ist das eine tendenziell ‚radikaldemokratische‘ Forderung, die auch signalisiert, dass solche ‚Räume‘ zunehmend ausgedünnt werden resp. verschwinden und ggf. medial substituiert werden. Talkshows, Features u.ä., die sich anböten, sind scheinbarer Ersatz für lebendige Diskurse und erwecken häufig eher den Eindruck eines ‚Schaulaufen‘ der Diskutanten.
Aus der Sicht von Günther Anders findet hier eine Umwandlung in „Unterhaltungsmaterial“ statt, was er als „Tendenzkunst der Macht“ qualifiziert und als „sanfte(n) Terror“ bezeichnet. Bezöge man, ob in sozialwissenschaftlicher Forschung oder medialen Diskursen, analytisch zu gewinnendes „Wissen“ um die ökonomischen und sozioökonomischen Grundlagen der Gesellschaft, wie sie ist, mit ein, was weitgehend auch für das in diesem Band behandelte Spektrum von Aspekten um Auswirkungen von Digitalisierung auf politische Ordnung in Form der Demokratie gilt, könnte das Auswirkungen auf dann andere „Meinung“ haben. In Gesprächen und Auseinandersetzungen, face-to-face an öffentlichen Orten, die mehr und mehr von der nicht inszenierten Bildfläche verschwinden, werden, wie verquer auch immer, diese ‚Grundlagen‘ zumindest angesprochen – Aufklärung könnte da weiterhelfen: eine „Hoffnung mit Trauerflor“ (Bloch). Wohl unübersehbar, aber nicht nur „in der digitalen Sphäre“, wie Frau Martinsen vorausschickt, ist „Undurchsichtigkeit ökonomischer und rechtlicher Machtverhältnisse“ zu konstatieren, wodurch „demokratische Grundprinzipien verletzt werden.“ (S. 10)
„Es mag Manipulation geben“, räumt Kurt Schneider ein, aber schließlich wären „Wir“ es, die täglich abstimmten und dadurch, dass wir es täten, die „Meinung der Konsument*innen“ zum Tragen kämen (s.o.), wobei sich der Autor primär auf Digitalisierung der Küche und Konsumprodukte bezieht (schließlich können tausende von Hausfrauen nicht irren, wie eine Werbebotschaft einst suggerierte). Und wer nicht wolle, „dass Rezepte über das Internet verkauft werden, soll keine kaufen.“ Aus „ständigen Entscheidungen“ erwüchse ein Mehr an „Verantwortung“, was ein „neues Lebensgefühl“ erzeuge: „Wir alle prägen tatsächlich die digitale Evolution.“ (S. 66) Dass wir dabei für punktgenaue Werbung ausgespäht werden, auch damit Zulieferer für einen Datenhandel werden, der enorme Gewinne einfährt, macht wohl die Besorgnis um ‚gläserne BürgerInnen‘ zu einer moralisch übersäuerten Störvariable, die ‚demokratische Grundprinzipien‘ offenbar nicht verletzt und auch nicht die Privatsphäre. Technik- und Informationsethiker sehen das differenzierter; Stefan Bendel weist am Beispiel von „Pflege und Therapie“ darauf hin, dass eben Sammlung und dann Auswertung von Daten „lebensnotwendig sein“ kann und man oft „Situationen antreffen“ könne, „dass die persönliche Autonomie gestärkt, die informationelle Autonomie geschwächt“ würde, was vor „moralische(.) Herausforderungen“ stelle. (S. 78) Hinsichtlich der „Spione im eigenen Haus“, die der Autor kritisch und warnend thematisiert, stellen sich solche abwägenden „Herausforderungen“ und ethischen Fragen wohl nicht, weil hier nicht nur ‚demokratische Grundprinzipien‘, sondern auch grundgesetzliche Garantien tangiert sind.
Grundgesetzliche Garantien gilt es auch im Hinblick auf archivalische Aufgaben zu wahren, wie Clemens Rehm betont und entlang seines Forderungskataloges konkretisiert und zeigt, dass „Transparenz“ und Zugänglichkeit zu Informationen über Dokumente „unverzichtbares Element einer demokratischen Gesellschaft“ sind. (S. 56) Der vom Autor zitierte, eher konservativ orientierte, wenngleich auch von der Kritischen Theorie beeinflusste Philosoph Odo Marquard könnte auch da mit seiner Warnung vor einer „narrative(n) Atrophie“ als Referenz herangezogen werden, lehrte er doch, „Geschichte aber muß man erzählen“ – d.h. auch: erzählt werden können. Versteht man den von Rehm zitierten Titel als Aufforderung, dass Zukunft Herkunft brauche, dann darf das nicht auf offizielle oder offiziöse Bruchstücke aus der (sogenannten) ‚Geschichtsschreibung der Sieger‘ reduziert werden und kann damit auch nicht das zu Gedenkreden emphatisch eingespeiste ‚Wider das Vergessen‘ gemeint sein. Zwar affirmierte Marquard den Zustand der bürgerlichen Welt mit seinem anthropologisch unterlegten Wort von der „Unvermeidlichkeit von Üblichkeiten“ (in: „Apologie des Zufälligen“); ob er unter solchen „Üblichkeiten“ auch missliche Folgen von Digitalisierung rubrizieren würde, kann man höchstens vermuten. Allerdings darf man gewiss sein, dass er Rehms Einschätzung der Wichtigkeit von Archiven teilen würde; die von ihm in historischer Rückschau festgehaltene „verweigerte Bürgerlichkeit“ ist auch einer solchen Lesart zuzuführen, dass heutige ‚Bürgerlichkeit‘, soweit sie verkarstet ist, wenig diskursfreudig, auf Meinungen zumeist aus zweiter Hand reduziert oder gänzlich desinteressiert, zu ‚verweigern‘ ist. Archive sind Fundstellen und müssen es auch unter veränderten Bedingungen bleiben, um einem Elend von Wissensversatzstücken ohne Bewusstsein entgegenzuwirken. Das nämlich ist noch vor aller radikaldemokratischen Insistenz nicht kompatibel mit unserem – demokratischen – ‚Menschenbild‘.
Inwieweit man Kant für unser „Menschenbild“ und dafür als Beleg heranziehen kann, dass wir „Träger von Rechten und Pflichten“ sind, wie Frau Hofstetter ihren Beitrag einleitet (S. 94), mag angesichts seines kategorischen Imperativs, seines Vernunft- und auch Pflichtbegriffs im Hinblick auf unsere politische und rechtliche Wirklichkeit diskussionswürdig bleiben. Wenn nicht „quantifizierbare Indikatoren“, so Weber (s.o.), sondern politische Akteure, „Bürgerinnen und Bürger“ (ebd.), über Diskurse entscheiden sollten, dann fragt sich, ob sich dabei in der Entscheidungen ‚Vernunft‘ Bahn bricht oder sich Interessen, in der Regel ökonomisch unterlegte, durchsetzen. Sinnvoll ist es, worauf Weber verweist, technologische Innovationen wie Digitalisierung für mehr ‚Freiheit‘ zu nutzen, von belastenden oder ‚stupiden‘ bis krankmachenden Arbeitstätigkeiten zu ‚befreien‘, wobei das oft Lippenbekenntnis ist und das eigentliche Kalkül darin besteht, Arbeitsplätze einzusparen; eben auch in der Verwaltung oder bspw. in Sparkassen: Man bekommt sein Bargeld, das eh zu teuer kommt und durch Kreditkarten ersetzt werden wird, nicht mehr von der MitarbeiterIn an der Kasse, sondern vom Automaten. Da werden dann Angestellte auf zwei Drittel ihrer wöchentlichen Arbeitsstunden und auch ihres Einkommens gesetzt oder ‚freigestellt‘, was sie nicht gerade diesen ‚Fortschritt‘ begrüßen lässt. Der allgemein verbreitete Trost, cum grano salis sicher richtig, dass für wegfallende Arbeitsplätze und Berufe neue Beschäftigungsmöglichkeit entstehen werden, nützt ihnen in ihrer Lebenssituation ebenso wenig wie die Aufforderung zum lebenslangen Lernen oder das Ansinnen, zum „unternehmerischen Selbst“ (Bröckling) zu mutieren.
Man möchte Frau Hofstetter auch da zustimmen, was andere AutorInnen des Bandes vermutlich nur unter Vorbehalt täten, wo sie als „demokratische Alternative“ die „Freiheit auf digitale Abstinenz“ (s.o.) mit Verve vertritt. Ähnlich sieht es auch Frau Kurz, die eine „Pflicht“ zur Nutzung technischer Möglichkeiten ablehnt. (s.o.) Im Für und Wider der Digitalisierung von Verwaltungen, Schulen, Sparkassen u.v.a.m. darf man ihnen einen Philosophen an die Seite stellen, der vor mehr als einem halben Jahrhundert in seinem Werk über die „Antiquiertheit des Menschen“ über die „Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution“ mahnte, es würden „technische Möglichkeiten durchweg als verbindlich gelten, weil ‚facibile faciendum‘ ist, weil wir, was wir machen können, angeblich auch machen sollen oder müssen, und deshalb auch effektiv machen.“ Das scheint auch heute noch bedenkenswert, wo wir uns nach kursierenden Diagnosen bereits in der ‚vierten industriellen Revolution‘ dank Digitalisierung befinden. Und nicht nur mit Blick auf die Atomgefahren testierte Günther Anders seinen Mitbürgern: „Wir sind unfähig, das einmal Gekonnte nicht mehr zu können. Nicht an Können fehlt es uns also, sondern an Nichtkönnen.“ Das klingt dräuend, stellt aber vor die entscheidende Anschlussfrage: Was wollen wir, wenn überhaupt, nicht können? Prallt man da doch vor die schon lange bestehende Hürde, dass gemacht wird, was gemacht werden kann – wenn es profitabel ist, Konkurrenzvorteile einträgt, wirtschaftlichem Wachstum dient.
Von „Undurchsichtigkeit ökonomischer und rechtlicher Machtverhältnisse in der digitalen Sphäre“ sprach Frau Martinsen eingangs. Ob sie tatsächlich undurchsichtig sind oder über legitimierende Narrative gehalten werden, ist die Frage, und zwar eine zu beantwortende, ohne dass theoretisch bei vor allem Kritischer Theorie angeliehen werden muss. Vorab kann man festhalten, was ohne Weiteres zugänglich ist und in alltäglichen Diskursen Gegenstand, der i.d.R. jeweils nicht ‚auf den Punkt‘ gebracht wird: Jenes „Nichtkönnen“, das Anders anmahnte, kann man auch umkehren, nämlich dass ein ‚Nicht-Nichtkönnen‘ in Feldern zu realisieren wäre oder ist; nämlich die Nutzung von (nicht nur energieeffizienten) wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten, die auf Halde liegen, weil praktische Umsetzung mit ökonomischen Desideraten nicht nur kollidiert, sondern aus dieser Optik unmöglich ist (was nicht nur national gilt, sondern – wie immer beschworen – für den ‚Weltmarkt‘).
Andererseits hallt das „Nichtkönnen“ nach: Ist es im Sinne von Demokratie, von Menschenrechten und Menschenwürde, dann auch im Sinne Kants (s.u.) zukunftsträchtig (zumindest als Frage darf es jenseits aller geopolitischen Probleme erlaubt sein), wenn bspw. das amerikanische Verteidigungsministerium Unsummen von Dollars in die mittels digitaler Technologie mögliche Nachahmung von Insektengehirnen steckt, um leistungsfähige KI-Hardware für Roboter zu entwickeln, welche die Kampfkraft von Platoons und Squads optimieren. Gleichsam betulich erscheint es dagegen (wenngleich es bedenklich ist), wenn Instagram naserümpfend als gigantische Werbemaschine identifiziert und der breitenwirksame Einfluss von Influencers (f.) (vor allem auf Mädchen und junge Frauen) warnend aufgezeigt wird.
All das kreist um Symptome und verbleibt in politischen und öffentlichen Debatten meistenteils auf dieser Ebene. ‚Kuratives‘ im Sinne von Ursachenbehebung bleibt nicht immer, aber oft nur annäherungsweise, solchen hochgespülten Thematiken äußerlich, bleibt vernebelt. Und erst recht, wie soll Kant als ‚moralische Referenz‘ in den „stumme(n) Zwang der ökonomischen Verhältnisse“ (Marx) eingeschleust und nicht als „irrationale Hypothek liquidiert“ (Adorno) werden: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“ So nach des Philosophen ‚praktischem Imperativ‘, wobei es an anderem Ort heißt: „Der Mensch ist zwar unheilig genug, aber die Menschheit in seiner Person muß ihm heilig sein.“ – Dahin möchte man mit Kant entlassen: „Wir wollen sehen, ob sich dieses bewerkstelligen lasse.“
Fazit
Wie jeder technologische Innovationsschub kann auch Digitalisierung segensreich sein und Erleichterungen im Alltag verschaffen; bei ihrer Nutzung im Hinblick auf die erst einmal unabwendbare ‚Industrielle Revolution 4.0‘ muss man allerdings schon genauer hinschauen und auf den Zweck gucken. Davon wird Demokratie – wie sie ist und wie sie sein bzw. sich weiterentwickeln sollte – beeinflusst. Das Buch dokumentiert dazu nicht nur Positionen, sondern regt zu Diskussionen an, innerhalb derer Meinungen mit Wissen gesättigt werden können und ggf. die Frage aufkommt, welche ‚Macht‘ nach welcher ‚Vernunft‘ die Nutzung digitaler Möglichkeiten in Szene setzt.
Rezension von
Arnold Schmieder
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Zitiervorschlag
Arnold Schmieder. Rezension vom 26.02.2019 zu:
Franziska Martinsen (Hrsg.): Wissen - Macht - Meinung. Demokratie und Digitalisierung : Die 20. Hannah-Arendt-Tage 2017. Velbrück GmbH Bücher & Medien
(Weilerswist) 2018.
ISBN 978-3-95832-148-9.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25240.php, Datum des Zugriffs 10.06.2023.
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