Michael Vilain, Sebastian Wegner (Hrsg.): Crowds, movements & communities?!
Rezensiert von Dr. Alexander Brandenburg, 20.05.2019
Michael Vilain, Sebastian Wegner (Hrsg.): Crowds, movements & communities?! Potenziale und Herausforderungen des Managements in Netzwerken : Tagungsband zum Social Talk 2016.
Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2018.
224 Seiten.
ISBN 978-3-8487-4023-9.
40,00 EUR.
Reihe: Zukunftsfragen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft - Band 1.
Thema
Zu den Megatrends unserer Zeit zählen die Digitalisierung und Globalisierung, und kein Mensch und keine Organisation können sich davor schützen. Es gibt hier keinen toten Winkel. Vorausgesetzt ist freilich, dass man mitspielen will, sei es aus Freude und Spaß, sei es aus Gründen der Produktivität, Optimierung und Wirtschaftlichkeit seiner Aufgabenstellung und seines Geschäftes. Die Netzwerkidee verspricht viele neue Wohltaten und hat in der schon länger dauernden Praxis ihrer Verwirklichung schon einige Versprechungen erfolgreich realisiert. Es existiert mittlerweile eine eigene Netzwerkforschung, die alle Aspekte des Zusammenwirkens von Menschen und Organisationen auch über den technischen Aspekt hinaus thematisiert. Auch die sozialen und gesundheitlichen Verbände und Organisationen sind gezwungen, über Optimierungsprozesse ihrer Arbeit und ihres Arbeitsfeldes nachzudenken, um den Anschluss nicht zu verlieren und öffentlich wirksamen Einfluss auszuüben. Immer mehr Menschen benutzen das Internet mit seinen Netzwerken, um Informationen zu erhalten, persönliche Probleme schnell zu lösen und passende Angebote dafür zu finden. Will man Menschen binden, dann wird Netzwerkarbeit eine zentrale Managementaufgabe.
Herausgeber
Dr. Michael Vilain ist Professor für Allgemeine BWL und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Zukunftsfragen der Gesundheits-und Sozialwirtschaft an der Evangelischen Hochschule Darmstadt.
Sebastian Wegner M.A. ist Wissenschaftlicher Mitarbeit am genannten Institut für Zukunftsfragen.
Entstehungshintergrund
Der vorliegende Band basiert auf Vorträgen der Fachtagung „Social Talk 2016“. Ziel dieser Tagungen ist es, Hochschulen und Praxis in ein Gespräch über Zukunftsfragen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft zu bringen. Dabei wird besonderer Wert darauf gelegt, dass die Tagungsteilnehmer auf Augenhöhe miteinander diskutieren. Verschiedene Vortragsmethoden und disziplinäre Perspektiven und die kurze Vorstellung interessanter Projekte machen solche Tagung lebendig.
Aufbau und Inhalt
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit den „Eigenschaften und Potenzialen neuer Netzwerkinformationen“:
Prosumer-Swarms-Crowds-Movements und andere Typen kollektiver Formen des Internets werden vorgestellt. Alle diese neuen Formen werden von Prozessen der sozialen Institutionalisierung begleitet. Dazu zählen: Regeln, Normen und Werte; kollektive Identität; Organisationskerne (Leitung, Kontrolle, Koordination); Machtungleichgewichte (Zentrum-Peripherie). Darüber hinaus bleiben die alten Formen des Organisierens und Strukturierens in Kraft.
Caring Communities oder sorgende Gemeinschaften sind sektoren-, themen- und Generationen- bzw. zielgruppenorientiert angelegt. Die Bündelung und Verzahnung professioneller Dienstleistungen und freiwilliger Unterstützungsangebote sollen der Bewältigung sozialer Aufgaben in einer begrenzten und überschaubaren Gemeinschaft dienen. Dabei geht es vor allem um ältere und alte Menschen.
Ausgehend von einem Wohlfahrtsverband als Community Organizer gilt es für ältere Menschen mit den Möglichkeiten intelligenter Netzwerke ein differenziertes und wohnortnahes System der Beratung, Betreuung, Dienstleistung und Alltagsbewältigung zu schaffen. Hier sollen Betroffene, Angehörige, Bekannte und Nachbarn sowie die professionellen Dienstleister eng, kooperativ und innovativ zusammen agieren. Durch dieses Verfahren der Netzwerkbildung kann erwartet werden, dass die Wohlfahrtsverbände ihre Stellung als Anbieter von Vertrauensgütern am Markt festigen und ausbauen können.
Lokale Engagement-Netzwerke stärken und dadurch ein Aktives Altern fördern- das ist Ziel eines Projektes, das in ländlichen Räumen die Versorgung und Lebensqualität für die älteren und alten Menschen sicherstellen will, damit das Leben in der eigenen Wohnung möglichst lange dauern kann. Die Übertragbarkeit der Projektergebnisse auf weitere Regionen ist gegeben.
Mit der Vorstellung der sportbezogenen Sozialarbeit am Beispiel eines BasKIDball – Projektes, dessen Kooperationen, Netzwerke und Projektstrukturen vorgestellt werden, schließt das erste Kapitel.
Das zweite Kapitel thematisiert die „Strategie und Leitung in digitalen Netzwerken“:
In einer eher grundsätzlichen Weise werden die Auswirkungen der Digitalisierung für Branchen und Unternehmen beschrieben und insbesondere auf die Notwendigkeit der Veränderung der Führungsstrukturen und des Führungsverhaltens aufmerksam gemacht.
Auf der besonderen Ebene der Non-Profit-Organisationen zeigen sich zentrale Effekte der digitalen Kommunikation in ihrer geographischen Unabhängigkeit, in der Verringerung des Kommunikationsaufwandes, in der erhöhten Zielgenauigkeit und der beschleunigten Response. Allerdings gibt es eine neue Justierung der Intermediation: Neue durch Digitalisierung gegebene Möglichkeiten, Vermittlungsinstanzen zwischen Angebot und Nachfrage einzuschalten und neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, bedeuten zugleich für die Non-Profit-Organisationen verschärfte Konkurrenzsituationen, die bewältigt werden müssen, wenn man am Markt dauerhaft bestehen und mithalten will.
Das dritte Kapitel steht unter der Überschrift „Netzwerke und Innovation“:
Die Vernetzung von Sozialwesen und Hochschule wird mit dem Ziel implementiert, die Zusammenarbeit aller Akteure auf beiden Feldern zu intensivieren, damit soziale Probleme auf der Höhe der Wissensproduktion und sozialen Praxis in innovativer Weise und in gemeinsamen Austauschprozessen einer Lösung zugeführt werden können. Das Innovationsprogramm INCUMENT gibt Antworten auf die Frage, welche prozessualen und methodischen Gestaltungselemente für diese Zielsetzung erforderlich sind.
Ein Regionales Soziales Innovationssystem (RSIS) mit seinen Subsystemen der Wissensgenerierung, der Wissensverwertung und der politischen Rahmensetzung wird ausführlich vorgestellt.
Damit die sozialen Organisationen nicht zu lange an ihren altbewährten Verfahren der Problemfindung und Problembearbeitung kleben bleiben und die sicherlich und immer notwendiger werdenden Innovationen verschlafen, bleibt die Servicestelle Innovationsmanagement auch eine durchaus wünschenswerte Einrichtung.
Das vierte abschließende Kapitel fordert „Menschen in Netzwerken bewegen“:
Es wird danach gefragt, welche Konsequenzen die unterschiedlichen Formen der digitalen Bürgeraktivitäten für zivilgesellschaftliche Organisationen haben und wie man mit diesem „Problem“ umgehen sollte. Die in diesem Zusammenhang angesprochene politische und moralische Aufladung nahezu aller Lebensbereiche dürfte allerdings weniger vom digitalen Bürger verursacht worden sein als von der Moralisierung der Politik durch die Politiker.
Als gelungenes Beispiel für eine Bewegung von Menschen wird die analoge und digitale Kampagne „Bibel und Bierdeckel“ vorgestellt.
Die wichtige, ja für viele Organisationen zentrale Frage, wie durch Schwarmfinanzierung oder Crowdfunding die Generierung von Spenden bewerkstelligt werden kann, findet in zwei Beiträgen Antworten.
Diskussion
Netzwerkbildung ist von der Sache her nicht wirklich Neues: Ich selbst habe beim Aufbau eines psychiatrischen Netzwerkes in Herne auf diesem Gebiet besonders in den 80er Jahren im Modellprogramm Psychiatrie Erfahrungen sammeln können. Eine wichtige Erfahrung bestand darin, die technisch-organisatorische Seite der komplexen Netzwerkbildung zwischen verschiedenen Organisationen, Berufen und Bürgern und „Konsumenten“ etc. und den administrativen und politischen Bereichen nicht zu überschätzen. In der Digitalisierung der sozialen und gesundheitsbezogenen Arbeit und den oft überzogenen Erwartungen an den technisch neuen Möglichkeiten liegt eine Gefahr. Die persönliche Ebene der direkten und stets wiederholten Face to face- Kontakte und Gespräche, der gemeinsamen Diskussionen und Beschlussfassungen werden in ihrer Notwendigkeit für wirksame und tragfähige und nicht allein in der digitalen Welt vollzogene Netzwerkveränderungen leicht unterschätzt. Netzwerkarbeit bleibt immer zum größten Teil zeitintensiv, arbeitsaufwendig und personenbezogen. Die Modernisierung durch Digitalisierung hat „natürliche“ Grenzen, insofern das Netzwerkgeschehen nicht beliebig digitalisierbar ist und die Notwendigkeit des Persönlichen nicht beliebig reduzierbar.
Fazit
Es ist ein interessantes Buch, das den Lesern einen sachkundigen Einblick in die Möglichkeiten und Veränderungen gibt, die in sozialen Netzwerken umgesetzt werden können. Solches Wissen liefert nicht nur dem Management ein Rüstzeug, sondern ist auch auf allen anderen Ebenen und Bereichen sozialer Arbeit als Orientierungshilfe unverzichtbar. Man sollte wissen, wie die Arbeit unter neuen technischen und sozialen Bedingungen rekonstruiert werden kann, und die eigene Arbeit darauf ausrichten, soweit es eben geht.
Rezension von
Dr. Alexander Brandenburg
Leiter der Abteilung Gesundheitsförderung und Gesundheitsplanung bei der Stadt Herne
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Zitiervorschlag
Alexander Brandenburg. Rezension vom 20.05.2019 zu:
Michael Vilain, Sebastian Wegner (Hrsg.): Crowds, movements & communities?! Potenziale und Herausforderungen des Managements in Netzwerken : Tagungsband zum Social Talk 2016. Nomos Verlagsgesellschaft
(Baden-Baden) 2018.
ISBN 978-3-8487-4023-9.
Reihe: Zukunftsfragen der Gesundheits- und Sozialwirtschaft - Band 1.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25250.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
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