Rosemarie Nave-Herz: Die Hochzeit
Rezensiert von Dr. habil. Waltraud Cornelißen, 12.10.2019

Rosemarie Nave-Herz: Die Hochzeit. Ihre heutige Sinnzuschreibung seitens der Eheschließenden: eine empirisch-soziologische Studie.
Ergon Verlag
(Würzburg) 2018.
2., durchgesehene Auflage.
141 Seiten.
ISBN 978-3-95650-479-2.
D: 28,00 EUR,
A: 28,80 EUR.
Reihe: Religion in der Gesellschaft - Band 5.
Thema
Das Buch beruht auf einer in den 90er Jahren durchgeführten, leitfadengestützten Befragung von fast 70 Personen, die ca. ein Jahr vor dem Gespräch geheiratet hatten. Es beschreibt, wie sie die standesamtliche und kirchliche Trauung erleben und welchen Sinn sie ihr zuschreiben. Zur Interpretation der Befunde bietet es einen kurzen historischen Rückblick auf den Wandel der kirchlichen und standesamtlichen Hochzeit in Deutschland und bietet statistische Daten zur Entwicklung der standesamtlichen und kirchlichen Hochzeit von den 50er bis in die Mitte der 90er Jahre. Das Buch bettet die empirischen Befunde in die innerkirchlichen Debatten der 90er Jahre ein. Theoretisch ist die Studie an der Ritualtheorie orientiert.
Autorin
Zu einer Zeit, in der Frauen im Wissenschaftsbetrieb noch die Ausnahme waren, promovierte Rosemarie Nave-Herz 1963 in Berlin. Sie war „gut“ verheiratet und hatte zwei Kinder, was in jener Zeit eigentlich gegen jedes berufliches Engagement sprach. Sie aber übernahm 1971 den Lehrstuhl für Soziologie in Köln und wechselte 1974 auf den Lehrstuhl für Familiensoziologie in Oldenburg. Mit ihren familienhistorischen Arbeiten zum Strukturwandel der Familie, ihrer Fundierung eines neuen Familienbegriffs und zahlreichen empirischen Beiträgen zur Familienforschung erneuerte sie die Familiensoziologie in Deutschland und verhalf ihr zu internationalem Ansehen.
Aufbau und Inhalt
Das Buch beginnt mit einem sehr lesenswerten historischen Rückblick auf die gesellschaftliche und rechtliche Entwicklung der kirchlichen und der standesamtlichen Trauung in Deutschland. Dabei wird deutlich, dass die Eheschließung bis in die Neuzeit als eine Angelegenheit zwischen zwei Familien galt, die – sofern sie Vermögen besaßen – mit einem Ehevertrag die Besitzverhältnisse zwischen sich regelten. Die Kirchen und der Staat traten historisch später auf den Plan. Erst 1875 wurde in Deutschland die obligate Ziviltrauung eingeführt, die zur Voraussetzung für jede kirchliche Trauung wurde.
Neben der historischen Betrachtung bietet die Einführung einen Einblick in statistische Daten zur Entwicklung der standesamtlichen und kirchlichen Eheschließungen zwischen 1950 und 1996. Damit wird deutlich gemacht, dass beide Formen der Eheschließung von einem sehr hohen Verbreitungsniveau in den 50er Jahren besonders in den 60er und 70er Jahren deutlich abnahmen. Dies ist die Zeit, in der sich nichteheliche Lebensgemeinschaften zunehmend etablierten, zunächst vor allem als Übergangsphase zwischen dem Alleinleben und einer Ehe.
Im Kapitel 2 finden sich wichtige Hinweise auf das Ziel der Untersuchung und die theoretischen Vorüberlegungen. Nave-Herz geht es um die Frage, ob die Hochzeit in den 90er Jahren angesichts des verbreiteten vorehelichen Zusammenlebens junger Paare von diesen überhaupt noch als „rite de passage“, als Ritus des Übergangs, verstanden wird oder ob die Hochzeit in jener Zeit schon ein „rite sans passage“, ein Ritual ohne Übergang ist, weil etwa die früher mit der Eheschließung verbundene Gründung eines gemeinsamen Haushalts oft längst vor der Eheschließung erfolgte. Ferner soll die Untersuchung aufzeigen, welche Bedeutung die jungen Paare ihrer Trauung zuschreiben. Im Kapitel 2 finden sich ferner wichtige Hinweise zur Durchführung der empirischen Untersuchung.
Im Kapitel 3 werden die Forschungsergebnisse zusammengestellt, wobei die Interpretation der Befunde durch viele Zitate aus den Interviews plausibel belegt wird. Dabei zeigte sich, dass die befragten Paare Jahren weder die Gründung einer Lebensgemeinschaft noch die Verlobung bekannt gemacht und öffentlich gefeiert haben. Bei der Mehrzahl der Befragten besteht aber der Wunsch die Trauungim öffentlichen Raum zu vollziehen. Dazu bot das Standesamt damals kaum Gelegenheit. Von der standesamtlichen Trauung sind viele enttäuscht, weil sie als zu nüchtern erlebt wird und sich die Standesbeamten als wenig flexibel im Hinblick auf individuelle Gestaltungswünsche und größere Gästezahlen erweisen. Den gewünschten außeralltäglichen, öffentlichen Rahmen, der auch Mitgestaltungsmöglichkeiten bietet, finden die Paare damals nur in den Kirchen.
Neben denjenigen, die sich aus religiösen Gründen für eine kirchliche Trauung entscheiden, finden sich unter den Befragten solche, denen vor allem am Erhalt und der Weitergabe von Tradition und Brauchtum gelegen ist, ferner andere, die aus Konformismus kirchlich heiraten – oft der Verwandtschaft zuliebe. Schließlich gibt es manche, denen vor allem an der Selbstinszenierung gelegen ist. Diese verschiedenen Motivlagen sind weitgehend unabhängig vom religiösen Selbstverständnis der Paare.
Wie die Erzählungen belegen, lassen sich die Brautleute durchweg von der Macht des kirchlichen Rituals emotional ergreifen. Die Möglichkeiten, den Traugottesdienst mitzugestalten, werden dankbar hervorgehoben. Niemand zeigt sich enttäuscht von seiner kirchlichen Trauung. Es dominiert bei den Betroffenen der Eindruck, mit der kirchlichen Feier, dem kirchen-öffentlichen Gelöbnis und dem Tausch der Ringe ihre Beziehung vertieft und gefestigt zu haben. In manchen selbst gewählten Formen des Traurituals finden sich noch Verweise auf früher mit der Ehe einhergehende Statuswechsel, so etwa wenn eine Braut, die längst mit ihrem Partner zusammenlebt, noch von ihrem Vater in die Kirche geführt werden möchte, wo ihr Partner auf sie wartet.
Nave-Herz kommt zu dem Schluss, dass Trauungsrituale in der Regel nicht mehr den Statuswechsel von der Herkunftsfamilie in die Partnerschaft unterstreichen, sondern als Rituale der Statusverfestigung, der Konfirmation dieser Partnerschaften fungieren. Da Ehen oft im Hinblick auf eine geplante Familiengründung geschlossen werden, gelten sie ihr im Hinblick auf die Elternrolle als aber doch ein ‚rite de passage‘. Die Ehe kündigt den Statuswechsel in die Elternschaft quasi an.
Fazit
Das Büchlein ist noch immer lesenswert, zumal es bis heute keine ähnlich breit angelegte Nachfolgeuntersuchung gibt. Dass in der vorliegenden zweiten Auflage der Untertitel des Werkes beibehalten wurde, ist allerdings irreführend. Nicht die „heutige“ Sinnzuschreibung, sondern die in den 90er Jahren ist Gegenstand der Untersuchung.
In den beiden letzten Jahrzehnten hat der Trend zur Eventisierung auch die Trauung voll erfasst. Ohne dies belegen zu können, möchte ich behaupten, die Feste selbst werden immer größer und kostspieliger. Auch die Dokumentation der Feierlichkeiten wird aufwendiger und zum Polterabend, der standesamtlichen und kirchlichen Trauung sind aufwendig öffentlich inszenierte Heiratsanträge einerseits und Junggesellinnenabschiede andererseits getreten. Auch die Gemeinden haben ihr Angebot m.E. diversifiziert und bieten für die standesamtliche Trauung neben dem üblichen Trauzimmer im Rathaus zunehmend besondere Lokalitäten an. Es wäre heute zu untersuchen, wie Kommunen und Kirchen dem Bedarf von Paaren nach persönlich mitgestalteter, öffentlich wahrnehmbarer Ritualisierung ihrer Heirat durch erweiterte Angebote nachkommen und wie sich womöglich auch der subjektive Sinn der Feierlichkeiten für die Brautleute verschoben hat. Die Untersuchung von Nave-Herz wäre eine tragfähige Grundlage für die Planung einer neuen Untersuchung, die wiederum das subjektive Erleben der Brautleute in den Mittelpunkt rückt.
Besonders aufschlussreich könnte die Lektüre der Arbeit von Nave-Herz heute noch für Standesbeamtinnen und Theologinnen sein. Sie können hier erfahren, was sie selbst dazu beitragen, wie Paare ihre Hochzeit erleben und deuten.
Einige interessante neuere soziologische Arbeiten zu Hochzeitsritualen finden sich in der Zeitschrift GENDER, 6. Jahrgang, 2014 mit dem Themenschwerpunkt „Heiraten und Hochzeiten – kulturelle, ästhetische und soziale Praktiken und Praxen“.
Rezension von
Dr. habil. Waltraud Cornelißen
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Zitiervorschlag
Waltraud Cornelißen. Rezension vom 12.10.2019 zu:
Rosemarie Nave-Herz: Die Hochzeit. Ihre heutige Sinnzuschreibung seitens der Eheschließenden: eine empirisch-soziologische Studie. Ergon Verlag
(Würzburg) 2018. 2., durchgesehene Auflage.
ISBN 978-3-95650-479-2.
Reihe: Religion in der Gesellschaft - Band 5.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25251.php, Datum des Zugriffs 31.03.2023.
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