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Tino Baudach: Organisation von Wissensarbeit

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 12.03.2019

Cover Tino Baudach: Organisation von Wissensarbeit ISBN 978-3-8487-5394-9

Tino Baudach: Organisation von Wissensarbeit. Entwicklung eines gedanklichen Bezugsrahmens vor dem Hintergrund von Zukunftsannahmen sowie theoretischen Bezügen zur Arbeits- und Organisationsforschung. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2018. 396 Seiten. ISBN 978-3-8487-5394-9. D: 79,00 EUR, A: 81,30 EUR.

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Wissenschaft, die Wissen schafft

Es gehört zu den anthropologischen Selbstverständlichkeiten, dass Individuen und Gesellschaften auf Wissen angewiesen sind, und dass Wissen nicht in den Genen liegt, sondern erworben werden muss. In den Zeiten der sich immer interdependenter, entgrenzter und global entwickelnden (Einen?) Welt kommt es darauf an, menschliche Entwicklung nicht nur als ökonomisches Antriebsmittel eines „business as usual“ und „throughput growth“ zu begreifen (vgl. z.B. den Brundtland-Bericht der Weltkommission „Umwelt und Entwicklung“, 1987), sondern ganzheitliche Wandlungs- und Veränderungsprozesse zu verstehen und zu befördern. Die Frage, was Wissenschaft eigentlich im Theorie-Praxis-Lebensbezug der Menschen leisten soll und kann, wird in den meta- und konkreten Wissenschaftsdiskurs in vielfältiger Weise gestellt: Disziplinär und interdisziplinär (vgl. z.B. dazu auch: Axel Philipps, Wissenschaftliche Orientierungen. Empirische Rekonstruktionen an einer Ressortforschungseinrichtung, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/25024.php).

Entstehungshintergrund und Autor

Mit dem Begriff „Wissensarbeit“ werden bereits Phänomene zusammengebracht, die im traditionellen Theorie-Praxis-Diskurs eher mit der Trennscheibe als mit Kleber behandelt wurden. Der Theoretiker wird eher den Innovations- Gestaltungs- und Kreativitätsaspekten zugeordnet, während dem Praktiker das Machen und Schaffen obliegt. Zwar sind diese allzu groben Zuordnungen fehler- und lückenhaft; doch die „Weiße-Kragen-Mentalität“ obsiegt immer noch über die Arbeitskluft. Wir sind bei der Frage, ob und wie sich der Arbeitsbegriff verändert hat (siehe dazu: Andrea Komlosy, Arbeit. Eine globalhistorische Perspektive. 13. bis 21. Jahrhundert, 2014, www.socialnet.de/rezensionen/17372.php); und damit auch die Organisationsformen von Arbeit.

Der Arbeits- und Oranisationsentwickler bei dem, der TU Kaiserslautern zugeordnetem Institut für Technologie und Arbeit, Tino Baudach, geht in seiner Dissertation den Fragen nach:

  • Welche Konzepte zur Organisation von Wissensarbeit werden in Studien über die zukünftige (2025) Entwicklung von Arbeits- und Produktionsprozessen thematisiert?
  • Wie werden sie als verifizierbar oder falsifizierbar eingeschätzt?
  • Lassen sich daraus zukünftige Organisationsformen für Arbeit ableiten?
  • Gibt es dazu theoretische Vorschläge und theoretische Ansätze?
  • Kann die Arbeits- und Organisationsforschung daraus Modelle entwickeln?
  • Wie lässt sich das Paradoxon von Wissensarbeit erklären?

Es geht konkret um die betriebswirtschaftliche Frage, wie Unternehmensführung und Management auf die digitalen Transformationsprozesse agieren und reagieren: „Man geht … davon aus, dass sich die Formen des Wirtschaftens, des Arbeitens, der Kooperation und des Zusammenlebens durch moderne Digitaltechnik mittel- und langfristig dramatisch verändern werden“.

Aufbau

Baudach gliedert seine Forschungsarbeit in neun Kapitel:

  • im ersten informiert er über Zielsetzung und Methoden der Dissertation;
  • im zweiten thematisiert er „Entwicklung und Definition von Wissensarbeit als Tätigkeit und Begriff“;
  • im dritten diskutiert er „Wissensarbeit im Spiegel der digitalen Transformation“;
  • im vierten setzt er sich mit der „Forschungsagenda zur Zukunft von Wissensarbeit“ auseinander;
  • im fünften geht es um die „Rezipientenagenda zur Zukunft der Wissensarbeit“;
  • im sechsten um „Theoriebezüge von Zukunftsverständnissen zur Organisation von Wissensarbeit“;
  • im siebten Kapitel stellt der Autor „Ausgewählte Problemstellungen intensiver Wissensarbeitssysteme“ vor;
  • im achten formuliert er die „Entwicklung eines gedanklichen Bezugsrahmens“ und
  • im neunten Kapitel werden die Forschungsergebnisse zusammengefasst und mit einem Ausblick versehen.

Inhalt

Es liegt an dem Faktum, dass der Begriff „Wissensarbeit“ im Rahmen der differenzierten, vielfältigen, fächergezogenen und interdisziplinären Anwendungsbereiche nicht umfassend und allgemeingültig formuliert werden kann. Es sind vor allem die jeweiligen Zugänge und Fragestellungen auf der Makro-, Meso- und Mikroebene, die entweder „soziokulturelle, -ökonomische und -technologische Prozesse und Veränderungen“ ansprechen, „Prozesse der Koordination von Arbeit und Technologie, des Wettbewerbs und Systeminhalts“ thematisieren oder „intra- und interpersonelle (Entwicklungs-)Prozesse“ behandeln, die für eine „Wissensgesellschaft“ bedeutsam sind. Der Perspektivenwechsel, den der homo oeconomicus hin zum homo creator vollziehen muss (vgl. dazu: Hans Lenk, Kreative Aufstiege. Zur Philosophie und Psychologie der Kreativität, 2000, S. 350), macht es notwendig, die traditionelle (Unter-)Gliederung in „Niedrigstirn-Unternehmen“, „Mittelstirn-Unternehmen“ und „Hochstirn-Unternehmen“ zu überwinden, und auch die Einteilungen in Kopf- und Handarbeit, geistige und körperliche Arbeit zu überdenken.

Es sind neben den funktionalen und rationalen Aspekten im Wirtschaftshandeln ethische Anforderungen, die ein neues, ökonomisches Narrativ notwendig machen (vgl. dazu: Jeremy Rifkin, Die dritte industrielle Revolution. Die Zukunft der Wirtschaft nach dem Atomzeitalter,.2011, www.socialnet.de/rezensionen/12414.php). Die Herausforderungen, die sich im „Zeitalter der Digitalisierung“ darstellen, sollen nicht in die extremen Formen von Technikabhängigkeit einerseits und Produktionsfeindlichkeit andererseits münden, auch nicht grundsätzlich „Wachstum“ verdammen; vielmehr kommt es darauf an, „technische ‚Systeme nicht ohne Einbezug der Eigenschaften des dazugehörenden sozialen Systems und umgekehrt nicht ohne Berücksichtigung möglicher Auswirkungen der technischen Systeme auf das soziale System“ zu gestalten.

Die Frage nach der Zukunft von Wissensarbeit schließt logischerweise die nach der Gegenwart ein. Es sind Visionen und Prognosen, die in der Zukunftsforschung ausgewiesen werden. Beim wirtschaftlichen Agieren freilich sind es eher pragmatische denn illusorische Lösungsansätze. Sie basieren auf der Grundannahme, dass Zukunft offen ist und die möglichen Wandlungs- und Veränderungsprozesse sowohl Denkbares als auch (scheinbar) Undenkbares prognostizieren können. Fokussiert auf die Zielsetzung der Forschungsarbeit stellt der Autor mehrere Studien vor, die zur Zukunft der Organisation von Wissensarbeit vorliegen: Es sind die Themenfelder „Ökonomische Rahmenbedingungen“ – „Arbeitsumgebung und neue Technologien“ – „Wandel der Organisationsmodelle“ – „Wandel von Führung, Management und Unternehmenskultur“ – „Anforderungen und Kompetenzen“ – „Entgrenzung und Sinnstiftung“.

Die grundlegende Erkenntnis (und das Geheimnis) von einer funktionierenden, effektiven und zukunftsorientierten Organisationsentwicklung ist, dass Innovations- und Veränderungsprozesse nicht per Ordre du mufti und nicht autoritär und hierarchisch initiiert werden können. Nur wenn es gelingt, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf allen Ebenen der Produktion einzubeziehen, kann Wissensarbeit gelingen. Um den aktuellen Stand des Arbeits- und Verantwortungsbewusstseins, der Schaffenskompetenz und der Bereitschaft zum Mitdenken und -handeln zu erkunden, hat der Autor im Rahmen eines vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie und von der Forschungsvereinigung Stahlanwendungen e.V. (FOSTA) geförderten Verbundforschungsprojektes die empirische Studie zur Zukunft der Büro- und Wissensarbeit erstellt. In einer Online-Befragung bei 344 ausgewählten Praxisexperten gelang eine auswertbare Rückmeldung von ca. ein Viertel bis ein Drittel der an der Fragebogenaktion Teilnehmenden; das sind nach den Forschungserfahrungen akzeptable und für die Analyse brauchbare Ergebnisse. Sie sind insofern bemerkenswert, als in den Antworten zu den Themenfeldern Meinungen geäußert wurden wie: Viele Zukunftsvisionen seien bereits in der Praxis verwirklicht; es werden jedoch weniger utopische als dystopische Meinungen über zukünftige Entwicklungen geäußert. Es wird auch von der Erwartung gesprochen, dass sich Arbeit, Wettbewerbs- und Innovationsdruck erhöhen werden und die Unternehmen gezwungen würden, eine lebensphasenorientierte Personalpolitik zu betreiben. Die Veränderungen in organisational-sozialen Systemen erforderten zudem eine arbeits- und gesundheitsgerechtere Ausgestaltung der Arbeitsräume und -umgebung, wie auch eine Flexibilisierung und Neugestaltung der Arbeitszeit und -belastung.

Effektive, effiziente und produktive Wissensarbeitsprozesse lassen sich, das dürfte eine der interessantesten Ergebnisse der Studie sein, nur mit einer nachhaltigen Arbeitssystemgestaltung erreichen. Es ist der Ruf nach „Humanisierung der Arbeit“, der grundgelegt wird in einer Tätigkeit, die bestimmt wird von „Interaktion, Zusammenarbeit, gemeinsamem Lernen, Selbstorganisation sowie persönlicher und beruflicher Entwicklung… (und) Einbettung in externe Netzwerke“. Das sich daraus entwickelnde Ordnungsschema für Wissensarbeit basiert auf dem Framework-Ansatz, mit dem es möglich sein sollte, Zukunft nicht als vorbestimmtes oder illusorisches Irgendwann, „sondern als eine Folge gegenwärtiger Handlungen und Strukturen“ zu verstehen.

Fazit

Nachhaltige, heterarchische und intermedierende Strukturen und Prozesse ermöglichen Organisationsmodelle für Wissensarbeit, die nicht mehr auf den traditionellen, tayloristischen und hierarchischen Gegebenheiten beruhen, sondern mit neuen Rollenverständnissen aufwarten: „Die Bandbreite reicht von der Funktion als Vermittlungs- und Übersetzungsinstanz zwischen Mitarbeiter- und Unternehmensinteressen… bis hin zur Übernahme von Coach-Funktionen, durch die Wissensarbeiter kognitive, emotionale und motivationale Barrieren überwinden können“.

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1595 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 12.03.2019 zu: Tino Baudach: Organisation von Wissensarbeit. Entwicklung eines gedanklichen Bezugsrahmens vor dem Hintergrund von Zukunftsannahmen sowie theoretischen Bezügen zur Arbeits- und Organisationsforschung. Nomos Verlagsgesellschaft (Baden-Baden) 2018. ISBN 978-3-8487-5394-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25254.php, Datum des Zugriffs 07.06.2023.


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