Helen Buell Whitworth, James Whitworth: Lewy–Body–Demenz
Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 04.03.2020

Helen Buell Whitworth, James Whitworth: Das Lewy–Body–Demenz–Buch. Wissen und Tipps zum Verstehen und Begleiten. Hogrefe AG (Bern) 2019. 2. überarbeitete u. ergänzte Auflage. 344 Seiten. ISBN 978-3-456-85841-8. D: 32,95 EUR, A: 33,90 EUR, CH: 42,90 sFr.
Thema
Bei der Lewy-Body-Demenz handelt es sich um eine neurodegenerative Demenz, die ähnliche Symptome wie die Alzheimerdemenz aufweist und daher nicht leicht von dieser unterschieden werden kann. Histologisch charakteristisch für diese Erkrankung sind die Lewy-Körperchen in den Nervenzellen der Großhirnrinde und im Hirnstamm. Es gibt zwei Formen der Lewy-Body-Demenz, eine eigenständige Variante und eine Demenz im Zusammenhang der Parkinson-Krankheit.
Autor*innen
Helen Buell Whitworth, MS, BSN, Pflegefachfrau und Pflegelehrerin, Autorin und Koordinatorin für Freiwilligenarbeit in der Lewy-Body-Demenz-Vereinigung, Arizona, USA
James Whitworth, Präsident der Lewy-Body-Demenz-Vereinigung, Arizona, USA
Aufbau und Inhalt
Das Buch ist in 15 Kapitel nebst Anhang untergliedert.
In Kapitel 1 (Was ist die Lewy-Body-Demenz?, Seite 19 – 30) werden die beiden Formen der Lewy-Body-Demenz hinsichtlich ihrer Genese und ihres Verlaufs kurz beschrieben. Während die Lewy-Body-Demenz (DLB) kognitive Minderleistungen als primäre Symptome zeigt, treten bei der Parkinson-Krankheit mit Demenz (PDD) zuerst motorische Einschränkungen als Krankheitssymptome auf. Die Kernsymptome dieser Erkrankung sind u.a. stark schwankende Bewusstseinszustände (flukturierende Kognition), lebhafte visuelle Halluzinationen und motorische Funktionsstörungen. Des Weiteren werden Schlafstörungen angeführt.
Kapitel 2 (Wie komme ich zu einem Spezialisten und einer Diagnose, denen ich trauen kann?, Seite 31 – 42) thematisiert die praktischen Schwierigkeiten bei der Suche nach Spezialisten im Bereich der Neurologie und Psychiatrie zwecks Erstellung einer korrekten Diagnose und damit auch Behandlung. Überwiegend wird die Lewy-Body-Demenz sowohl von Hausärzten als auch von Fachärzten (Neurologie und Psychiatrie) meist zuerst als Alzheimer-Demenz fehldiagnostiziert.
Kapitel 3 (Verlangsamen des Demenzprozesses, Seite 43 – 50) enthält eine Reihe von alltagsbezogenen Tipps, die nach Meinung der Autoren die Progredienz der Erkrankung vermindern könnten. Angeführt werden u.a. die körperliche, geistige und soziale Anregung, Ernährungshinweise und Nahrungsergänzungsmittel und pflanzliche Heilmittel.
In Kapitel 4 (Umgang mit kognitiven Symptomen, Seite 51 – 79) werden ausführlich die kognitiven Einbußen in der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit, der Gedächtnisleistungen und auch der Kommunikation (verstümmelte Sprache) anhand alltäglicher Beispiele beschrieben. Auch die Tagesschwankungen mit ihren Auswirkungen auf das Alltagsverhalten werden thematisiert. Abschließend stehen die Medikamente mitsamt den Nebenwirkungen im Fokus der Darstellung, wobei u.a. die verschiedenen Typen der Antidementiva kurz vorgestellt werden.
In Kapitel 5 (Umgang mit motorischen Symptomen, Seite 81 – 88) stehen die Bewegungsstörungen dieser Erkrankung im Mittelpunkt: Muskelrigidität, Muskelschwäche, gebeugte Haltung, schlurfender Schritt und Gleichgewichtsstörungen, Tremor, Verlust der Geschicklichkeit, leerer Gesichtsausdruck und schwache Gesichtsmuskulatur („Maskengesicht“).
Kapitel 6 (Schlafstörungen und Lewy-Body-Demenz, Seite 89 – 102) befasst sich mit den Schlafstörungen im Rahmen dieser Erkrankung, wobei vor allem die REM-Schlaf-Verhaltensstörung („aktive Träume“) beschrieben wird. Hierbei werden bedingt durch eine Funktionsstörung des Gehirns die Schlafinhalte geradezu ausgelebt. Es wird gesprochen und die Gliedmaßen werden je nach Trauminhalt bewegt. Auch aggressive Verhaltensmuster treten hierbei oft auf, die für die Ehepartner ein großes Gefährdungspotenzial darstellen, wenn der Erkrankte im Schlaf um sich schlägt. Bei diesen „aktiven Träumen“ fallen die Erkrankten manchmal aus dem Bett, wandern umher und stoßen sich an Möbelstücken. Die „aktiven Träume“ können bereits einige Jahre vor den ersten kognitiven Demenzsymptomen auftreten.
In Kapitel 7 (Was sind Wahrnehmungsstörungen?, Seite 103 – 114) geht es vor allem um Halluzinationen, die oft als Erstsymptome der Lewy-Body-Demenz auftreten. Überwiegend handelt es sich um visuelle Halluzinationen, wobei oft Kinder und Haustiere, aber auch bereits verstorbene Angehörige halluziniert werden. Des Weiteren werden auch akustische Halluzinationen festgestellt, wenn man z.B. das Telefon klingeln hört. Auch von Präsenzhalluzinationen wird berichtet. Bei dieser Halluzinationsform hat der Erkrankte das Gefühl, eine Person sei in der Nähe, die man nur nicht sehen könne. Auch illusionäre Verkennungen werden beobachtet, wenn z.B. ein blinkendes Licht für „Feuer“ gehalten wird. Eine weitere Realitätsverzerrung bei der Lewy-Body-Demenz besteht aus „systematischen Wahnvorstellungen“, die von den einfacheren Wahnvorstellungen der Alzheimer-Demenz dahingehend unterschieden werden können, da hierbei vollständige Wahngeschichten mit einer über den Tag verteilten Handlungsfolge krankhaft konstruiert werden.
Kapitel 8 (Arzneiüberempfindlichkeiten und unerwünschte Reaktionen, Seite 115 – 142) thematisiert recht ausführlich die Wirkungen und Nebenwirkungen der Psychopharmaka bei der Lewy-Body-Demenz. Als besonders gefährlich werden die folgenden Medikamente eingeschätzt: klassische Neuroleptika (u.a. Haldoperidol) und die Sedativa Benzodiazepine. Des Weiteren klassifizieren die Autoren u.a. auch atypische Neuroleptika, einige Antidepressiva und starke Analgetika als Medikamente mit unerwünschten Nebenwirkungen.
Kapitel 9 (Umgang mit ausagierendem Verhalten, Seite 143 – 164) befasst sich mit der Behandlung krankheitstypischer Verhaltensweisen wie Wutausbrüche, verbale und tätliche Aggression, Unruhe, Angst und Paranoia hinsichtlich medikamentöser und verhaltensbezogener Interventionen. Es werden kurz Empfehlungen hinsichtlich einer angemessenen Medikation gegeben, wobei der Aspekt der Beruhigung als vorrangiges Behandlungsziel hervorgehoben wird. Die therapeutischen Umgangs- und Milieustrategien zur psychosozialen Stabilisierung bei Lewy-Body-Demenz-Patienten sind identisch mit den Interventionen bei Alzheimerdemenzpatienten: Behandlung körperlicher Erkrankungen (u.a. Obstipation und Harnwegsinfekte), strikte Milieustabilität, Regulierung der Reizgefüge der Umgebung (akustische Reizgefüge wie Musik oder Fernsehen), Verstetigung und Ritualisierung des Umgangs im alltäglichen Umgang der Pflege und Betreuung.
In Kapitel 10 (Umgang mit Störungen des vegetativen Nervensystems, Seite 165 – 188) werden krankheitsspezifische Umgangsformen bei den alltäglichen Verrichtungen ausführlich beschrieben: u.a. Schluckstörungen, Probleme mit der Verdauung, Diarrhö, Stuhlinkontinenz, Temperaturregulation, Blutdruck und Störungen der Sexualfunktion (erektile Dysfunktion).
Kapitel 11 (Umgang mit Harnwegsproblemen, Seite 189 – 197) beinhaltet die vielschichtigen Problemlagen der Inkontinenz, des Harnverhalts und der Harnwegsinfekte bezüglich des Umgangs, der Medikation und der spezifischen therapeutischen Trinkangebote.
In Kapitel 12 (Wie bilde ich ein Gesundheitsversorgungsteam, Seite 199 – 228) beschreiben die Autoren die verschiedenen Schritte zur Gewinnung eines erforderlichen Wissensstandes, um die erforderlichen medizinischen, pflegerischen und betreuenden Dienstleistungen und auch Institutionen für eine angemessene Versorgung eruieren zu können. Angesichts der Tatsache, dass die Lewy-Body-Demenz nicht den Bekanntheitsgrad der Alzheimerdemenz besitzt, gilt es vorab, sich als pflegender und betreuender Angehöriger sich ausreichend selbst zu schulen oder zu qualifizieren, um anschließend ein Netz an entsprechenden Leistungsangeboten zusammenstellen zu können.
Kapitel 13 (Umgang mit rechtlichen und finanziellen Angelegenheiten, Seite 229 – 242) befasst sich mit den verwaltungstechnischen und juristischen Dimensionen bei einer zunehmenden Gebrechlichkeit in körperlichen und geistigen Bereichen. Vor allem bei Fragen der zunehmenden Geschäftsunfähigkeit verbunden mit einem Betreuungsverhältnis sind verschiedene Aspekte wie z.B. Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung und Testament vorab zu klären. Auch die finanziellen Punkte wie die Aufstellung aller Vermögenswerte und der laufenden Ausgaben gilt es rechtzeitig aufzuarbeiten, damit später im fortgeschrittenen Stadium keine vertragsrechtlichen Unklarheiten mehr bestehen.
Kapitel 14 (Angelegenheiten am Lebensende, Seite 243 – 256) geht kurz auf mögliche körperliche Beeinträchtigungen und begleitende Akuterkrankungen in der letzten Phase des Lebens bei Lewy-Body-Demenzkranken ein. Erwähnt wird hierbei die lange Schlafdauer von fast 20 Stunden als ein Zeichen des nahenden Endes. Eingehender erläutern die Autoren das Leistungsangebot Hospiz.
In Kapitel 15 (Wie kümmere ich mich um mich selbst?, Seite 257 – 272) steht die Selbstpflege der pflegenden und betreuenden Angehörigen im Mittelpunkt. Es wird den Angehörigen nahegelegt, auf die eigene Gesundheit zu achten, sich temporär zurückzuziehen, Hilfen von Dienstleistern und auch Freunden anzunehmen. Auch die Teilnahme an Selbsthilfegruppen im Umfeld und im Onlinebereich wird empfohlen. „Das Leben geht weiter“ lautet die Überschrift des letzten Abschnittes, wo es um die Trauer, die Schuldgefühle und teils auch Selbstvorwürfe der Hinterbliebenen geht.
Diskussion
Über die Alzheimerdemenz ist die Zahl an Ratgeber und weiterführenden Informationspublikationen kaum noch zu überblicken. Anders sieht es bei der Lewy-Body-Demenz aus, hier ist das Angebot an Publikationen mehr als spärlich, obwohl diese Erkrankung nach der Alzheimerdemenz an zweiter Stelle der neurodegenerativen Demenzen steht.
Es kann konstatiert werden, dass der vorliegende Ratgeberband alle Erwartungen an notwendige Informationen und Alltagstipps vollauf erfüllt. Jahrelange Beschäftigung mit allen Fragen um diese Erkrankung ist bei den Autoren deutlich zu spüren. Sie scheinen mit allen Fallstricken, Problemfällen und Lösungsstrategien vertraut zu sein bei einer Erkrankung, die meist auf den ersten Blick als Alzheimer erkannt oder diagnostiziert wird. Hier macht sich wohl auch der von den Autoren mitgegründete landesweite Selbsthilfeverbund und ständige fachliche Informationsaustausch positiv bemerkbar.
Zu bemängeln ist nur der Aspekt der fehlenden Fachberatung durch Wissenschaft und Klinik. Hier werden ergänzende Fachbeiträge von Klinikern und Grundlagenforschern besonders bezüglich der Erkrankung mit all ihren Facetten und der entsprechenden Medikamenteneinnahme vermisst, die zu mehr Verhaltenssicherheit bei den Lesern führen könnte. Gilt es doch zu berücksichtigen, dass es sich bei den Autoren letztlich fachlich um Laien handelt.
Fazit
Trotz dieser eher randständigen Kritikpunkte kann das Buch den Betroffenen und ihren Angehörigen nebst Mitarbeitern in Beratungsstellen und auch in ambulanten und stationären Einrichtungen der Altenhilfe als eine weitreichende Orientierungshilfe zur Lektüre empfohlen werden.
Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Zitiervorschlag
Sven Lind. Rezension vom 04.03.2020 zu:
Helen Buell Whitworth, James Whitworth: Das Lewy–Body–Demenz–Buch. Wissen und Tipps zum Verstehen und Begleiten. Hogrefe AG
(Bern) 2019. 2. überarbeitete u. ergänzte Auflage.
ISBN 978-3-456-85841-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25268.php, Datum des Zugriffs 04.10.2023.
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