Josef Sachs, Miro Barp: Forensiklexikon
Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 21.03.2019
Josef Sachs, Miro Barp: Forensiklexikon. Das Nachschlagwerk für soziale, medizinische und juristische Berufe. Stämpfli Verlag (Bern) 2018. 205 Seiten. ISBN 978-3-7272-1578-0. 41,00 EUR. CH: 36,00 sFr.
Thema
Das Lexikon versteht sich als fachliche und sprachliche Orientierungshilfe im Umgang mit forensischen Fragestellungen, z.B. der Kriminalprognostik, der Glaubhaftigkeitseinschätzung oder bestimmten Tätertypologien. Die einzelnen Schlagworte werden im Umfang von wenigen Zeilen bis maximal zweieinhalb Seiten erläutert und sind alphabetisch sortiert.
Autoren
Dr. Josef Sachs, Psychiater arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Chefarzt der Forensik des Psychiatrischen Dienstes Aargau/Ch.
Miro Barp, Pflegewissenschaftler mit forensischem Schwerpunkt, Projektleiter im Aufbau des Sicherheitsdienstes bei den Psychiatrischen Diensten Aargau AG (PDAG).
Aufbau
Das Lexikon umfasst ca. 300 Einträge von A wie „ABC-Modell der Gefühle“ bis Z wie „Zwangsmaßnahme“. Die einzelnen Schlagworte haben unterschiedlichen Umfang, der von wenigen Zeilen bis hin zu mehrseitigen Erläuterungen führt.
Ausgewählte Inhalte
Aus der Vielzahl der Einträge sollen hier ausgewählte Begriffe dargestellt werden, um die Art der Texte, deren sprachliche Aufarbeitung und fachliche Tiefe zu erfassen.
„Basisrate“
„… unter der Basisrate [versteht man] das Verhältnis der Anzahl der Wiederholungstäter zur Gesamtzahl der Straftäter“. Es folgt dann eine Tabelle mit Beispielen für solche Basisraten, z.B. die für die Deliktgruppe „Mord“ welche bei 0–3 % liegt, oder Körperverletzungsdelikte mit einem Wert von 25–50 %. Weitere Angaben, z.B. zur Aussagekraft statistischer Werte oder zur Problematik rein numerischer Prognosewerte finden sich nicht.
„Compliance“
Der Begriff wird als „Bereitschaft eines Patienten … zur Mitarbeit in der Diagnostik und Therapie“ definiert. Merkmale einer „guten“ Compliance werden benannt (z.B. Pünktlichkeit, Medikamenteneinnahme) und der Kontext der Zwangsunterbringung (Unfreiwilligkeit) kurz gestreift. Schließlich wird der moderne Begriff der Adhärenz (mit Stichwortverweis) angeboten.
„Deliktrekonstruktion“
Diese wird als zentraler Bestandteil moderner Kriminaltherapie erschlossen und deren Herangehensweise (Sequenzanalyse) und einzelne Methoden benannt, ebenso die Bedeutung biografischer Merkmale und psychischer Funktionen (z.B. handlungsleitende Fantasie) betont. Als Outcome der Deliktrekonstruktion wird abschließend der Rückfallvermeidungsplan (als Strategie zur Verhinderung von Deliktrückfällen) erwähnt.
„Gutachten“
Einer der längsten Lexikoneinträge befasst sich mit Aufgabe, Funktion, Struktur, Qualitätsmerkmalen und unterschiedlichen Fragestellungen von Gutachten. In -für ein Lexikon- relativer Breite werden die einzelnen Aspekte dargestellt und durch den anschließenden Eintrag „Gutachter“ noch um die Person des Gutachters, dessen notwendige Expertise und seine Stellung in Gerichtsverfahren ergänzt. Damit gehen die Autoren mit exakt drei Seiten Text umfangreich auf diesen Begriff ein.
„Legalprognose“
Auf einer Seite Textbeitrag werden der Begriff (Vorhersage eines Deliktrückfalls, Risikobeurteilung) und drei stark vertretene Prognosemethoden (intuitive, kriteriengeleitete und aktuarische Methode) erläutert und erneut die Position und Funktion des (Prognose)gutachters dargestellt.
„Pädophilie“
Der Stichworteintrag definiert die Pädophilie als primäres, dauerhaftes sexuelles Interesse an präpubertären Jungen und Mädchen und geht auf die wesentlichen Subgruppen (ausschließlicher vs. nicht-ausschließlicher Typ) ein. Daneben erfolgte die begriffliche Abgrenzung zum sexuellen Missbrauch, dem nicht zwingend eine Präferenzstörung unterliegt.
„Ressourcen“
Der Beitrag erschließt die für Therapie und Rehabilitation wichtigen Unterstützungsquellen und Schutzfaktoren, deren Bedeutung und Möglichkeiten bei der Rückfallprävention als positive „Fähigkeiten, Talente, Neigungen und Stärken“ von Straftätern.
Das Lexikon enthält abschließend eine kurze Literaturliste mit einigen vertiefenden Literaturhinweisen und eine extra Seite mit Internetressourcen (darin lediglich fünf Hinweise).
Diskussion
Ein Fachlexikon Forensische Psychiatrie für Professionelle und Laien – Die beiden Autoren wollen damit die spezifischen und teilweise komplizierten Fachwörter und Spezialbegriffe einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen und dem gestiegenen Interesse am Fach der Forensischen Psychiatrie gerecht werden – und das ist ihnen auch gelungen. Dazu haben sie ein Format gewählt, dass von Aufmachung und Gestaltung her die Hürde gezielt niedrig hält (Taschenbuch, geringer gestalterischer Aufwand) um potentielle LeserInnen nicht abzuhalten. Gelingt dies auf der gestalterischen Ebene dürfte mit der Preisgestaltung (41,00 Euro für 200 Seiten Lexikon) allerdings für deutliche Abschreckung gesorgt sein.
Inhaltlich scheint das Fachlexikon auf den ersten Blick gelungen. Die Begriffe werden in verständlicher Sprache, meist fachlich ausreichend differenziert, dabei nicht zu umfassend erläutert. Es gibt Stichwortverweise auf andere (zu- und übergeordnete) Begriffe, die eine Orientierung erleichtern. Allerdings ist das System der Querverweise nicht durchgängig eingehalten worden, z.B. fehlen einzelne wichtige Verweise, etwa im Beitrag „Pädophilie“ der Hinweis zum Begriff der „Paraphilie“.
Der fachliche Fokus liegt oft auf den Schweizer Verhältnissen, dem schweizerischen Massnahmenvollzug, der auch die geografische Heimat der beiden Autoren ist. Ist diese Zuspitzung auf nationale Gegebenheiten auch nachvollziehbar, fehlen doch spezifische Begrifflichkeiten aus Österreich und Deutschland (z.B. der Begriff des „Hanges“ als juristische Bezeichnung der Suchtmittelabhängigkeit), oder z.B. auch ein Überblick zu Vollzugsanstalten in diesen Ländern (für die Schweiz werden sie vollständig aufgezählt) und auch die strafrechtlichen Grundlagen werden nicht für den gesamten deutschsprachigen Raum erschlossen.
Hinsichtlich der ausgewählten Fachbegriffe verhält es sich ebenso: zwar werden für die aktuelle Praxis wichtige (und auch durchaus neuere) Begriffe aufgegriffen, für ein Fachlexikon fehlen dann aber doch erstaunlich viele Einträge: z.B. ist nichts zu lesen über Infantizid, Neoantizid, Sozialtherapie, Schutzfaktoren (Risikofaktor ist als Begriff enthalten), Substitution, Amphetamin… (letzteres ist kaum nachvollziehbar, da Alkohol, Heroin, Kokain, Cannabis etc. durchaus enthalten sind).
Aber nochmal: die enthaltenen Begriffe werden kompetent, verständlich und in fachlicher Tiefe erläutert, sodass Fachfremde, aber auch ExpertInnen davon profitieren werden.
Wirklich kritisch zu sehen ist die im Anhang enthaltene Literaturliste und die Seite mit den Internettips: ganze fünf Webseiten aufzulisten ist äußerst sparsam (es fehlen die gängigen Fachportale aus Deutschland und Österreich, die Internetseiten der Forensischen Institute und Fakultäten, selbst die Website der PrognoseexpertInnen von FOTRES) und bei einigen der aufgelisteten Literaturhinweisen liegen längst Neuauflagen vor.
Zielgruppe des Buches:
Das Lexikon versteht sich als „Nachschlagewerk für soziale, medizinische und juristische Berufe“ und spricht ebenso Pflegende, PsychologInnen, Polizei und PolitikerInnen an. Die Autoren wollen aber auch die ansprechen „die sich für Forensik ganz einfach darum interessieren, weil es ein faszinierendes und relevantes Gebiet ist, das sich enorm rasch weiterentwickelt“ (VI).
Fazit
Sachs und Barp füllen mit dem Forensiklexikon eine Lücke und bieten fachlich fundiertes, gut erklärtes und fachlich differenziertes Wissen an, wovon Laien und Professionelle profitieren werden. Von A (wie ABC-Modell der Gefühle) bis Z (wie Zwangsmassnahme) werden in gut 300 Facheinträgen die relevanten Begriffe erschlossen und vermittelt – eine praktische Hilfe für Berufsalltag und alle Interessierten.
Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 177 Rezensionen von Gernot Hahn.
Zitiervorschlag
Gernot Hahn. Rezension vom 21.03.2019 zu:
Josef Sachs, Miro Barp: Forensiklexikon. Das Nachschlagwerk für soziale, medizinische und juristische Berufe. Stämpfli Verlag
(Bern) 2018.
ISBN 978-3-7272-1578-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25282.php, Datum des Zugriffs 23.01.2025.
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