Tanja Maier: Die (un-)sichtbare Religion
Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 11.03.2019
Tanja Maier: Die (un-)sichtbare Religion. Wandel des christlichen Bilderrepertoires in der visuellen Kultur. Herbert von Halem Verlag (Köln) 2019. 348 Seiten. ISBN 978-3-86962-318-4.
Du sollst dir (k)ein Bild machen
Bilder können, das ist keine Neuigkeit und auch keine sensationelle Entdeckung, Wirklichkeiten abbilden, Visionen aufzeigen, Illusionen bewirken, also Realitäten oder Zerrbilder spiegeln. Sie können führen und verführen; und sie sind Ein- und Ausgang des Lebens ( Michael R. Müller / Hans-Georg Soeffner, Hrsg., Das Bild als soziologisches Problem. Herausforderungen einer Theorie visueller Sozialkommunikation, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/25022.php ). Eine Weltanschauung muss gezeigt und gelebt werden, sowohl im stillen Kämmerlein, in der Wüstenklause, als auch an Glaubensorten. Ist also eine „unsichtbare Religion“ eine oder keine Weltanschauung? Diese erst einmal ziemlich apodiktisch daherkommende Frage ist doch bedeutsam. Denn ein Glaubensbekenntnis muss öffentlich und unbeeinflusst bekannt werden können, wie ebenfalls die Auffassung, nicht religiös zu sein. In der „globalen Ethik“, der Menschenrechtsdeklaration, wird in Artikel 18 eindeutig und nicht relativierbar festgestellt: „Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“. Damit kommt zum Ausdruck, dass Religion Privatsache ist, wie gleichzeitig, dass eine individuelle und kollektive Weltanschauung von der Gesellschaft und vom Staat anerkannt und gewährleistet werden muss.
Entstehungshintergrund und Autorin
Die aktuellen, lokalen und globalen, gesellschaftlichen und politischen Veränderungsprozesse bewirken eine neue, mediale Sichtbarkeit der Religionen. Sie zeigt sich im Selbstbewusstsein der Gläubigen, wie auch in deren Unsicherheiten, bis hin zu Formen von Bedeutungslosigkeit; sie drückt sich aus in existentiellen Halteseilen, wie auch in fundamentalistischen Ansprüchen. Bedeutsam sind dabei die Bilder und Symbole, die von einer Religionsgemeinschaft benutzt und ausgesendet werden. In der Gesellschaftsanalyse wird deutlich, dass zur Propagierung und Durchsetzung von religiösen Bildern als Zeichen sich sowohl eindeutige, der jeweiligen Glaubensrichtung zuschreib- und identifizierbare, als auch auf den ersten Blick nicht zugehörige Bilder benutzt werden können, um gesellschaftliche Akzeptanz bei den Entwicklungsprozessen von Bio-, Informations- und Kommunikationstechnologien zu bewirken. Mit dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) in den Jahren 2012 – 2015 finanzierten Forschungsprojekt „Die (un-)sichtbare Religion? Wandel- und Wirkmächtigkeit christlich-religiöser Bilder in der visuellen Medienkommunikation“ hat die an der Berliner Freien Universität lehrende, derzeit die Professur für Kommunikations- und Medienwissenschaft mit dem Schwerpunkt vergleichende Kulturanalyse an der Universität in Bremen vertretende Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Tanja Maier, die Forschungsergebnisse in einer Habilitationsschrift vorgelegt. In der Studie wird aufgezeigt, „wie christlich-religiöse Bilder in SPIEGEL, STERN, BUNTE, SUPERILLU und TITANIC medial und historisch spezifisch eingesetzt, adaptiert und transformiert werden“. In einer qualitativen Bildanalyse werden die über einem mehr als einem halben Jahrhundert veröffentlichten, aus künstlerischen und populärkulturellen Produktionen stammenden Abbildungen betrachtet und in die medienöffentliche Praxis eingeordnet. Dadurch wird zum einen deutlich, dass und wie sich die Visualisierung von religiösen Themen und Akteuren in den unterschiedlichen, historischen und medialen Kontexten verändern, und zum anderen, „dass dem <christlich-religiösen Bildrepertoire auch dort eine Relevanz zukommt, wo es nicht immer auf den ersten Blick offensichtlich ist“.
Aufbau und Inhalt
Neben der Einleitung gliedert die Autorin den Forschungsbericht in die weiteren Kapitel:
- „Visuelle Kommunikation und Kultur als Forschungsfeld“
- „Medien, Religion und öffentliche Sichtbarkeit“
- „Wege und Werkzeuge der Bildanalyse“
- „Zur Sichtbarkeit von Religionen in Zeitschriften“
- „Sichtbarkeit christlicher Religionen auf Covern von Spiegel, Stern und Bunte“
- „Papstbildnisse: Das religiöse Kirchenoberhaupt, die Macht und die Politik“
- „Marienbilder: Mutter Gottes, Kunstikone und (moderne) Frau“
- „Jesusbilder: Erlöser, historische Figur und Pop-Ikone“
- „Schöpfungs- und Paradiesbilder: Das Leben zwischen Heils-, Technik- und Wissenschaftsgeschichte(n)“
- „Konvergenzen der Sichtbarkeit: Eine Bilanz“.
Dass die in populären Medien, wie z.B. in Zeitschriften veröffentlichten Bilder und Motive kulturelle und lebensweltliche Bedeutung für individuelle und kollektive Identifikationen und Identitätsbildungen ausüben können, vor allem wenn sie aus kulturgeschichtlichen und ästhetischen Zusammenhängen kommen, ist keine neue Erkenntnis. Die Intensivierung und Alltagsnutzung der in den Neuen Medien allzeit präsenten Bilder und Symbole aus dem kulturellen, lokalen und globalen Fundus jedoch führt dazu, dass die Zugangs- und Einflusssphären informativ wie manipulativ wirksam werden können. Im Wissenschaftsdiskurs erhalten die Begriffe „Sichtbarkeit“ und „Unsichtbarkeit“ insofern eine besondere Aufmerksamkeit, weil es „sowohl im Gesagten auch um das Ungesagte…, im Sichtbaren um das Unsichtbare“ geht. In den „Visual Culture Studies“ werden diese Phänomene fachspezifisch und interdisziplinär thematisiert. „Im Fall von Religionsbildern ist eine Ausweitung von bildender Kunst auf massenmediale Produktion zu beobachten, und mit diesen Bildern erlangt wiederum die christliche Ikonographie Bedeutung“. Weil Bilder immer Zeichen sind, kommt es bei der Analyse und Bewertung von Bildaussagen darauf an, die medialen Veränderungsprozesse zu beachten, die bei der (schnellen und technisch-qualitativen) Digitalisierung vorhanden und möglich sind. In den Medienwissenschaften wird dafür der Begriff „Remediation“ verwendet. Damit wird ausgedrückt, dass Bild(um)gestaltung und -verwendung neue Bedeutungsinhalte und -aussagen tradieren und generieren können.
Die Studie fokussiert ihre Forschungsziele auf die konfessionelle Situation in Deutschland seit den 1960er Jahren. Die Dominanz der beiden Großkirchen, der Katholiken und Protestanten, erfährt, wie die medialen Veränderungsprozesse in diesem Zeitraum, auch neue Bildbetrachtungen und -nutzungen im Bereich des Bild- und Medieneinsatzes bei der öffentlichen, religiösen Information und Präsentation. Die sich daraus bildenden Perspektiven für die hier diskutierte Forschungsarbeit ergeben sich mit den Fragen, „wie die Zeitschriften in Religionsdiskursen… (und) im Zusammenhang mit Wissenschafts- und Technikdiskursen auf christliche Bildmotive rekurrieren und wie sie mit diesen operieren“.
Wie bei Forschungsarbeiten grundsätzlich und im speziellen Sinn bei der Untersuchung über Zielsetzungen und Wirksamkeit von christlichen Bildmotiven in populären, öffentlichkeits- und interessenspezifischen Massenmedien, wie in Zeitschriften und Illustrierten, kommt es darauf an, adäquate Konzepte und Methoden anzuwenden. In diesem Fall ist es die für das Forschungsprojekt entwickelte „seriell-ikonographische Fotoanalyse“, die es möglich macht, Status und Bedeutung der religiösen Bildmotive zu erkennen, die mediale Sichtbarkeit von christlichen Religionen in Zeitschriften zu erfassen, die zeitlichen Veränderungen zu registrieren und die Entwicklungen der medialen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit im historischen Kontext einzuschätzen.
Sichtbarkeit von Motiven ist dann einprägsam und wirkungsvoll, wenn sie regelmäßig und typisch veröffentlicht werden. Die in Zeitschriften – „Spiegel“, „Stern“, „Bunte“ – thematisierten Schwerpunkte werden in den Themenfeldern „Kirche und Geistliche“, „Christliche Hochfeste“, „Christliche Figuren und Geschichte(n)“, „Glaube in der Gesellschaft“, „Hochzeiten und Taufen“ und „Politische Akteur_innen und Konflikte“ abgehandelt. Dabei zeigen sich Beständigkeiten und Gemeinsamkeiten sowohl im Tenor als auch in der qualitativen und quantitativen Darstellung, wie auch differenzierte Bild- und Berichterstattung; etwa durch ein eher geschlossenes Themenrepertoire bis Ende der 1950er Jahre, und eine differenziertere, offenere, säkularisierte und gesellschaftspolitische Darstellung danach, bis hin zu inter- und transreligiösen Aspekten. Bei der Betrachtung der Covern der Zeitschriften fällt zudem auf, dass Bild- und Motivauswahl einem Schema folgen, das im medialen Veränderungsprozess als „Hybridisierung der Bilder“ bezeichnet wird und zur Produktion von „hyper-pictures“ führt. Diese Typisierungen werden an den Motiven – Papstbildnisse, Mutter-Gottes-Bilder, Erlöser- und Heiland-Motive, Schöpfungs- und Paradies-Ikonographien – verdeutlicht. Immer dabei werden die christlichen Überlieferungen, Erzählungen und Heilsbotschaften verbunden mit der „Erdhaftigkeit“ und der lebensweltlichen Erwartung und Verantwortung im Hier und Heute (vgl. z.B. dazu auch: Wolfgang Welsch, Homo mundanus. Jenseits der anthropischen Denkform der Moderne, 2012, www.socialnet.de/rezensionen/14323.php).
Fazit
Im Titel der Studie „Die (un-)sichtbare Religion“ wird bereits auf die unterschiedliche und unbestimmte Wahrnehmung des christlichen Bilderrepertoires in der geschichtlichen und aktuellen, visuellen Kultur aufmerksam gemacht. Der Forschungsbericht verweist auf die qualitativen und quantitativen Veränderungen bei der Auswahl und Gestaltung von christlichen Motiven in ausgewählten Zeitschriften im Laufe der letzten Jahrzehnte. Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit in medialen Prozessen differieren: Während bis Ende der 1950er Jahre eine geschlossene, traditionelle Präsentation von christlichen Bildern praktiziert wurde, öffnete sich in den folgenden Jahrzehnten die Bilderdarstellung hin zu hybriden bis integrativen Themen. Damit passte sich die Bilderauswahl und -präsentation an die lokalen und globalen, gesellschaftspolitischen Wandlungsprozesse an. Diese Remediations-Entwicklungen sind Hinweise für das Anschauen, Einordnen und Bewerten von religiösen Bildern in Zeitschriften, Kriterien zum Erkennen von erklärenden, informierenden und manipulierenden Zielsetzungen, und nicht zuletzt kritische Hinweise für die professionelle Produktion und Gestaltung beim Einsatz von religiösen Motiven in der Medienwelt.
Die zahlreichen Abbildungen, Bildbeispiele, Grafiken und Tabellen bieten den (Fach-)Leserinnen und Lesern die Möglichkeit, die wissenschaftlichen Fragestellungen und Zielsetzungen des Forschungsprojektes nachvollziehen zu können, und gleichzeitig den Fragehorizont auszuweiten hin zu inter- und transreligiösen Herausforderungen, wie sie in der sich immer interdependenter, entgrenzender und globaler entwickelnden (Einen?) Welt vollziehen.
Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
Mailformular
Es gibt 1672 Rezensionen von Jos Schnurer.
Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 11.03.2019 zu:
Tanja Maier: Die (un-)sichtbare Religion. Wandel des christlichen Bilderrepertoires in der visuellen Kultur. Herbert von Halem Verlag
(Köln) 2019.
ISBN 978-3-86962-318-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25328.php, Datum des Zugriffs 08.11.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.