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Maximilian Kreßner: Gesteuerte Gesundheit

Rezensiert von Dr. phil. Andreas Meusch, 08.03.2019

Cover Maximilian Kreßner: Gesteuerte Gesundheit ISBN 978-3-8487-5124-2

Maximilian Kreßner: Gesteuerte Gesundheit. Grund und Grenzen verhaltenswissenschaftlich informierter Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention. edition sigma im Nomos-Verlag (Baden-Baden) 2019. 505 Seiten. ISBN 978-3-8487-5124-2. 129,00 EUR.
Reihe: Studien aus dem Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht - 71.

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Thema

Das Buch thematisiert die rechtlichen Grenzen verhaltenswissenschaftlicher Gesundheitssteuerung.

Autor

Maximilian Kreßner ist Rechtsreferendar am Kammergericht Berlin. Die Arbeit ist entstanden im Rahmen eines Promotionsstipendiums am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik.

Entstehungshintergrund

Die Dissertation wurde von Prof. Dr. Ulrich Becker betreut. Sie wurde mit dem Fakultätspreis der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie dem Wissenschaftspreis der Gesellschaft für Recht und Politik im Gesundheitswesen ausgezeichnet.

Ziel der Arbeit ist es, die verfassungsrechtlichen Problemfragen präventiver Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention aufzuarbeiten sowie rechtliche Grenzen und Möglichkeiten aufzuzeigen.

Aufbau

Das Buch ist in eine Einführung und drei Kapitel gegliedert. Zusammenfassende Thesen und das Literaturverzeichnis schließen das Werk ab.

Inhalt

In der Einführung wird der Gegenstand der Untersuchung beschrieben, es werden Erkenntnisinteresse und Forschungsfragen dargelegt sowie ein Überblick über den Forschungsstand gegeben. Schließlich werden der Gang der Untersuchung und die gewählte Methodik erläutert.

Das erste Kapitel "Public Health und die Sorge um den Gesundheitszustand der Bevölkerung" dient dazu, dem Leser mit juristischem Hintergrund einen Überblick über die Ansätze und Erkenntnisse der Public Health-Forschung zu geben, die für die Fragestellung relevant sind. Es werden insbesondere die "Wertgeladenheit der Begriffe Krankheit und Gesundheit" sowie die Abhängigkeit von "moralischen Wertungen" (S. 139) herausgearbeitet.

Das zweite Kapitel "Die Grundrechtsrelevanz von Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention" stellt zunächst die unterschiedlichen Instrumente der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention vor. Die anschließende verfassungsrechtliche Bewertung kommt zu dem Ergebnis, dass gesetzgeberische Verhaltenskonditionierung im "Kontrast, wenn nicht gar (in) einem krassen Widerspruch zum Leitbild des selbstbestimmten Bürgers" steht und das "Potenzial zu einem mitunter starken Grundrechtseingriff aufweisen" kann (S. 317).

Vor dem Hintergrund dieser Analyse wendet sich das dritte Kapitel den Rechtfertigungsmöglichkeiten des gesundheitsfördernden Staates zu. Es geht auf vier Aspekte ein:

  1. Schutz des Einzelnen vor sich selbst,
  2. Schutz der Gesundheit Dritter und der "Bevölkerungsgesundheit",
  3. Schutz der Solidargemeinschaft sowie
  4. Verringerung sozialbedingter gesundheitlicher Ungleichheiten.

Im abschließenden Abschnitt dieses Kapitels wird "die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention" im Sinne eines Interessenausgleichs erörtert. Als Ergebnis dieser Abwägung äußert der Autor den Verdacht, "dass das Krankenversicherungsrecht nicht der geeignete Ort ist, um eine umfassende bevölkerungsbezogene Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention zu leisten. (…)Ziel des gesundheitsfördernden Staates sollte es vielmehr sein, die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass der Einzelne zu einer selbstbestimmten Wahrnehmung gesundheitlicher Belange befähigt wird" (S. 462).

Diskussion

Das Buch lässt sich als ein clash of cultures lesen. Die Welt der Public Health trifft auf das Verfassungsrecht. Es sind vor allem unterschiedliche Menschenbilder, die hier aufeinandertreffen:

  • Das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Grundgesetztes abgeleitete Menschenbild, das auch die innere Entscheidungs- und Willensbildungsfreiheit als umfassend geschützt ansieht, wenn das Ergebnis von wünschenswertem Verhalten abweicht (z.B. Rauchen);
  • Das paternalistische Menschenbild, das auch weitergehende Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht zur Gesundheitsförderung für sinnvoll oder geboten hält, um für richtig erkannte Verhaltensweisen zu erreichen.

Der Autor lässt "die unzureichende Evidenz der Konzepte der Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention" (S. 468) auf die harte Wirklichkeit des Verfassungsrechts prallen und setzt sie dem Stahlbad der Anforderungen aus, die insbesondere das Bundesverfassungsgericht in zahlreichen Urteilen konkretisiert hat. Die Konzepte der Gesundheitsförderung sind für den Autor nichts weiter als "moralische Wertungen" "unter dem Deckmantel der wissenschaftlichen Argumentation" (S. 139). Auch wenn kritische Anmerkungen zur fehlenden Evidenzbasierung von gesundheitsfördernden Maßnahmen in vielen Fällen angebracht sein mögen, in dieser weitgehenden Kritik schießt der Autor über das Ziel hinaus. Die vorliegenden Studien z.B. zu den Folgen von Rauchen oder Bewegungsmangel lassen sich nicht als "moralische Wertung" abtun.

Die vorliegende Dissertation kann sicher nicht das letzte Wort im interdisziplinären Dialog zwischen Jurisprudenz und Gesundheitswissenschaften sein. Die Notwendigkeit dieses Dialogs macht die Dissertation aber überdeutlich. Die Außensicht eines wohlwollenden Autors, der durchaus anerkennt, dass "eine gelungene gesundheitsfördernde und präventive Politik ... einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes der Bevölkerung leisten" kann (S. 20), sollten die Public Health-Forscher aber ernstnehmen.

Fazit

Die vorliegende Dissertation ist eine herausragende Arbeit, die insbesondere dem interdisziplinären Dialog zwischen Jurisprudenz und Gesundheitswissenschaften Impulse gibt, indem sie verfassungsrechtliche Grenzen paternalistischer Politikansätze aufzeigt.

 

Rezension von
Dr. phil. Andreas Meusch
Lehrbeauftragter an der Fakultät Wirtschaft und Soziales der Hochschule für Angewandte Wissenshaften (HAW), Hamburg,
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Es gibt 25 Rezensionen von Andreas Meusch.

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ISSN 2190-9245