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Ernst Engelke, Stefan Borrmann u.a.: Theorien der Sozialen Arbeit

Rezensiert von Prof. Dr. Michael May, 13.03.2019

Cover Ernst Engelke, Stefan Borrmann u.a.: Theorien der Sozialen Arbeit ISBN 978-3-7841-3100-9

Ernst Engelke, Stefan Borrmann, Christian Spatscheck: Theorien der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2018. 7., überarbeitete und erweiterte Auflage. 647 Seiten. ISBN 978-3-7841-3100-9.

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Thema

Das Buch zeichnet über einen Zeitraum von beinahe 1000 Jahren die Entwicklung des Theoriediskurses Sozialer Arbeit von frühen Vorformen bis hin zu aktuellen Ansätzen der Gegenwart anhand des Werkes bedeutender Autorinnen und Autoren vor dem jeweiligen historischen Hintergrund und ihrer Biografie nach.

Autoren

  • Prof. Dr. Ernst Engelke war von 1980 – 2007 Professor für Soziale Arbeit an der Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt. Er gilt als einer der bedeutendsten Autoren im Bereich der Theorie- und Wissenschaftsdebatte der Sozialen Arbeit in Deutschland
  • Prof. Dr. Stefan Borrmann lehrt seit 2009 als Professor für Sozialarbeitsforschung mit internationaler Perspektive an der Fakultät Soziale Arbeit der Hochschule für angewandte Wissenschaften Landshut, dessen Dekan er seit Oktober 2013 ist.
  • Prof. Dr. Christian Spatscheck hat 2008 eine Professor für Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit an der Fakultät Gesellschaftswissenschaften der Hochschule Bremen übernommen.
  • Stefan Borrmann und Christian Spatscheck sind im Vorstand der DGSA – Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit und beide Sprecher der Sektion Theorie- und Wissenschaftsentwicklung der DGSA.

Entstehungshintergrund

Das Buch ist die 7. aktualisierte Auflage des von Ernst Engelke ursprünglich allein und erstmals 1998 veröffentlichten Buches „Theorien Sozialer Arbeit“. Zur 5. überarbeiteten und erweiterten Auflage von 2008 sind dann Stefan Borrmann und Christian Spatscheck als Autoren hinzugekommen.

Aufbau

Das Buch unterscheidet historisch vier Phasen: Der erste Teil widmet sich den Vorformen bzw. frühen Theorien der Sozialen Arbeit vom 12. bis zum 19. Jahrhundert, der zweite den Theorien in der ersten Hälfte sowie der dritte denen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und schließlich der vierte den zu Beginn des 21. Jahrhunderts entwickelten.

Die Vorstellung der einzelnen – insgesamt 31 – diesen historischen Teilen „in der Reihenfolge der Geburtsjahrgänge der AutorInnen“ (S. 24) zugeordneten Theorien folgt jeweils einem siebengliedrigen „Leitfaden“ (S. 23), der den historischen und biografischen Kontext beleuchtet, vor diesem Hintergrund Forschungsgegenstand/-interesse sowie das Wissenschaftsverständnis umreißt, um dann die Theorie in ihren „Grundannahmen, Zielen und Werten“ (ebd.) zu rekonstruieren und deren Bedeutung für die Soziale Arbeit auf der Basis ihrer „Rezeption, Verbreitung und Einfluss […] zur Zeit der Erstveröffentlichung und heute“ (ebd.) zu würdigen. Die Kapitel enden jeweils mit Literaturempfehlungen „zur Vertiefung der Theorie“ (ebd.).

Die Deutsche Nationalbibliothek bietet Einblick in das vollständige Inhaltsverzeichnis.

Inhalt

Nach dem Vorwort zur 7. Auflage, in dem die Autoren darauf verweisen, dass sie „[n]eben inhaltlichen Aktualisierungen […] vor allem die Auswahl der TheoretikerInnen verändert und dies mit fünf neuen Theorien deutlich erweitert“ (S. 8) haben, wurden auch noch die Vorworte zu den zwei vorhergehenden Auflagen aufgenommen, die so erlauben, die Veränderungen in der Auswahl der Theorien vor allem in der 5. Auflage nachzuvollziehen.

Im folgenden Kapitel „Zur Einführung“ bekennen sich die Autoren zur „Definition der Sozialen Arbeit, die von der Internationalen Federation of Social Workers (IFSW) im Jahr 2000 in Montreal/Kanada beschlossen wurde“ (S. 14), weil sie ihrer Ansicht nach „sehr viel präziser“ (ebd.) beschreibe, was Soziale Arbeit ist, als die im Jahre 2014 verabschiedete „Global Definition of Social Work“. Soziale Arbeit betrachten sie als eine „wie alle Wissenschaften […] relativ autonome Wissenschaft“ (S. 15), die sowohl von ihrem Werdegang, wie inhaltlich „mit anderen Wissenschaften verschränkt ist, insbesondere den Human-, Sozial-, Rechts- und Geisteswissenschaften“ (ebd.). Wert legen sie auch darauf, dass sie „dem internationalen Vorgehen“ (S. 16) folgen, wonach „die Profession Soziale Arbeit aus Wissenschaft, Praxis und Ausbildung“ (ebd.) bestehe, während in Deutschland dies „nicht üblich“ (ebd.) sei, „vielmehr […] die Praxis als Profession und die Wissenschaft als Disziplin voneinander getrennt und einander gegenübergestellt“ (ebd.) würden. Vor diesem Hintergrund betrachten sie Soziale Arbeit als eine „Handlungswissenschaft“ (S. 20) und bringen deren „Gegenstandbereich“ unter Bezug auf die IFSW-Definition „in Kurzform“ (ebd.) auf die Formel: „soziale Probleme und ihre Lösungen“ (ebd.).

Diese Sicht der Wissenschaft Sozialer Arbeit scheint dann auch ein bedeutendes Auswahlkriterium für ihre Auswahl von Theorien zu sein, weil sie dies unter der Überschrift „Zur Auswahl der Theorien der Sozialen Arbeit“ (S. 17 ff.) ausführen. Ebenso referieren sie dort die Kriterien, die Michael Winkler in seinem Aufsatz „Hat die Sozialpädagogik Klassiker?“ benennt, um bestimmte Personen dieser Kategorie zuzuordnen. Und neben Winklers Auswahl, benennen sie auch diejenigen, die Alice Salomon in ihrem Buch „Soziale Führer“ aufführt.

Weiterhin begründen sie, warum sie nicht eine Klassifizierung der Theorien z.B. „nach den ihnen zugrunde liegenden wissenschaftlichen Erkenntnismethoden“ (S. 21) vorgenommen haben, vielmehr mit ihrer historischen und biografischen Kontextualisierung zu verdeutlichen beanspruchen, dass „Theorien […] in der Regel eine Antwort auf die Herausforderungen ihrer Zeit“ (S. 21) darstellen. Selbstkritisch merken sie an, dass „Zweck und Ziel“ (S. 25) ihres Buches dazu führen, „dass es eher einem groben Holzschnitt als einer feinen Federzeichnung gleicht“ (ebd.). Das bezieht sich auf die Darstellung der einzelnen Theorien, welche zum Teil „die bei den Theorien real vorhandenen Wendungen, Widersprüche und Brüche nur unzureichend“ (S. 29) wiederzugeben vermögen. Ebenso bedauern sie, dass sie „[a]uf wichtige und interessante […] Vertreter haben […] verzichten müssen“ (S. 26), wobei sie aus dem deutschsprachigen Raum explizit auf Friedrich Schleiermacher, Karl Marx, Max Weber, Aloys Fischer, Hans Pfaffenberger und C.W. Müller verweisen.

Zudem gestehen sie ein, dass ihre Auswahl den „Gender Bias“ (S. 26) in der Sozialen Arbeit widerspiegelt, wonach „Männer […] die führenden Positionen in der Theoriebildung, in der Leitung der Praxis und auch in der Lehre/Ausbildung ein[nehmen], während Frauen stärker die alltägliche Arbeit in der Praxis ausführen“ (S. 26). Weiter verweisen sie auf die Schwierigkeit, dass vor allem neuere Theorien „oft in Zusammenarbeit von weit mehr als einer oder zwei Personen erstellt und weiterentwickelt werden“ (S. 29), und sie in diesen Fällen versucht haben, „prägende Hauptpersonen zu benennen und weitere relevante Beteiligte in ergänzenden Zitaten und Quellenangaben mit zu benennen“ (ebd.). Schließlich betonen sie explizit, dass sie die „kritische Würdigung und Bewertung der einzelnen Theorien […] den LeserInnen“ (ebd.) überlassen.

Die Überschrift zum Teil 1 wurde gegenüber der vorhergehenden Ausgabe leicht verändert und heißt jetzt: „Vom Armutsideal bis zur Gemeinschaftserziehung – Frühe Theorien der Sozialen Arbeit“. Als eigenes Kapitel herausgenommen und dafür in die Einleitung integriert wurden die Überlegungen Otto von Bismarcks. Zudem wurde das Kapitel über Paul Natorp in den Teil 2 verschoben. So finden sich jetzt im Teil 1 folgende sieben Kapitel:

  1. Gott und den Nächsten lieben – Thomas von Aquin (1224–1274)
  2. Arme unterstützen und durch Fordern fördern – Juan Luis Vives (1492–1540)
  3. Zur reinen Natur zurück – Jean Jacques Rousseau (1712–1778)
  4. Glück und Wohlstand für alle – Adam Smith (1723–1790)
  5. Für ein Leben in Armut erziehen – Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827)
  6. Das Entstehen von Armut verhindern – Thomas Robert Malthus (1766–1834)
  7. Hütten der Liebe bauen – Johann Hinrich Wichern (1808–1881).

Auch die Überschrift zum Teil 2, der sich mit Theorien der Sozialen Arbeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigt wurde verändert und lautet jetzt: „Von der Gemeinschaftserziehung bis zur Behebung der Not“. Nach der Einleitung folgt das in diesen Teil verschobene Kapitel:

  • 1. In, durch und zur Gemeinschaft erziehen – Paul Natorp (1854–1924).

Alle anderen sind bis auf die in den Teil 3 verschobenen Kapitel über Muthesius und Scherpner gleich geblieben:

  • 2. Frieden und soziale Gerechtigkeit herstellen – Jane Addams (1860–1935)
  • 3. Bevormunden und leiten – Christian Jasper Klumker (1868–1942)
  • 4. Erziehen und Heilen – Alfred Adler (1870–1937)
  • 5. Frieden im Inneren und in der Welt gewinnen – Alice Salomon (1872–1948)
  • 6. Sich um gesellschaftlich notwendige Aufgaben kümmern – Gertrud Bäumer (1873–1954)
  • 7. Grundbedürfnisse befriedigen – Ilse von Arlt (1876–1960)
  • 8. Geistige Energien zur Behebung der Not wecken – Herman Nohl (1879–1960).

Durch die Verschiebung von Muthesius und Scherpner in den Teil 3, der sich den Theorien der Sozialen Arbeit in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts widmet, hat sich auch dessen Überschrift verändert. Sie lautet nun: „Von der sozial-rassistischen Auslese zum gelingenden Alltag“. Und da es nun einen Teil 4 zu den Theorien der Sozialen Arbeit zu Beginn des 21. Jahrhunderts gibt,  wurden die Theorien von Staub-Bernasconi, Böhnisch und Dewe/Otto dahin verschoben. Im Teil 3 sind nun nach der historischen Einleitung versammelt:

  1. Sozial-rassistisch auslesen und ausschalten – Hans Muthesius (1885–1977)
  2. Persönlich fürsorgen – Hans Scherpner (1898–1959)
  3. Menschen in ihrer sozialen Umwelt entdecken und unterstützen – Carel Bailey Germain (1916–1995) und Alex Gitterman (* 1938)
  4. Anleiten, erwachsen zu werden – Klaus Mollenhauer (1928–1998)
  5. Engagierter Dialog – Marianne Hege (* 1931)
  6. Technologisch normalisieren – Lutz Rössner (1932–1995)
  7. Ausbeutung und Verelendung überwinden – Karam Khella (* 1934)
  8. Einen gelingenderen Alltag ermöglichen – Hans Thiersch (* 1935).

Der neue Teil 4 ist überschrieben: „Vom menschengerechten Handeln bis zur Gerechtigkeit und dem guten Leben“. Nach der Einleitung zum historischen Kontext finden sich darin versammelt die beiden verschobenen Beiträge:

  • 1. Menschengerecht handeln – Silvia Staub-Bernasconi (* 1936)
  • 2. Persönliche und gesellschaftliche Krisen bewältigen – Lothar Böhnisch (* 1944)

Dann neu eingeschoben:

  • 3. Geschlechterverhältnisse, Soziale Arbeit und Care – Margit Brückner (* 1946)

Als weiterer verschobener Beitrag:

  • 4. Wissen und Können relationieren – Bernd Dewe (1950 – 2017) und Hans-Uwe Otto (* 1940)

Und schließlich ebenfalls neu ergänzt:

  • 5. Diversitätsbewusste und rassismuskritische Soziale Arbeit – Rudolf Leiprecht (* 1955) und Paul Mecheril (* 1962)
  • 6. Soziale Räume aneignen und Entwicklung gestalten – Ulrich Deinet (* 1959) und Christian Reutlinger (* 1971)
  • 7. Erkennen und Entscheiden zwischen Lebenswelt und Lebenslage – Björn Kraus (* 1969)
  • 8. Gerechtigkeit und das gute Leben – Dieter Röh (* 1971).

Im Schlusskapitel appellieren die Autoren noch einmal, „[d]en Reichtum der Geschichte Sozialer Arbeit […] zu entdecken und so aufzubereiten, dass er für die Lösung der gegenwärtig anstehenden globalen und regionalen sozialen Probleme genutzt werden kann“ (S. 579). Sie argumentieren, dass sich „eine schlichte Einteilung der Theorien in ‚gute‘ und ‚schlechte‘ […] allein schon wegen der […] Verstrickungen der AutorInnen in die Dialektik von Herrschaft und Emanzipation sozialarbeiterisch-sozialpädagogischen Handelns – mit ihren Auswirkungen auf die jeweils von ihnen entwickelten Theorien“ (S. 580) – verbiete. Auch wehren sie sich gegen „Vereinheitlichungsbestrebungen“ (S. 581), missachteten diese doch „die qualitative Vielfalt und Differenziertheit des Wirklichen, der Menschen wie der Gesellschaft und ihrer Problematiken“ (ebd.). Zudem warnen sie unter Verweis auf die „Unterordnung jeglicher Fürsorge unter die nationalsozialistische Rassentheorie“ (S. 582), dass „[z]entrale Theorien […] charakteristisch für Einheitswissenschaften und dogmatisch-autoritäre Strukturen“ (ebd.) seien. Demgegenüber plädieren sie für „das Gespräch der VertreterInnen aller Ansätze miteinander, um gemeinsam Antworten auf die vielen Fragen und Lösungen für die bedrängenden Probleme zu finden“ (S. 581).

Diskussion

Ohne Zweifel wird dieses Standardwerk in seiner ergänzten und veränderten 7. Auflage den neuen Kohorten von Studierenden in den BA-Studiengängen Sozialer Arbeit eine zentrale Grundlage für die von ihnen zu erstellenden Referate und Hausarbeiten sein. Die Schwierigkeiten, die mit diesem Werk verbunden sind, haben die Autoren weitgehend selbst benannt:

Dies bezieht sich zunächst einmal auf die Auswahl der Theorien: Sie selbst haben explizit auf auch aus ihren Augen bedeutsame AutorInnen verwiesen, die sie nicht abhandeln konnten. Allerdings begründen sie dies nicht näher. Dass Arbeiten im Anschluss an Luhmann nur als auf deren Praxis konzeptionell gewendete am Rande, im Teilkapitel zur Bedeutung der Theorie von Carel Bailey Germain und Alex Gitterman für die Soziale Arbeit, erwähnt werden und die im Anschluss an Michel Foucault überhaupt nicht, und dass diese beiden Theorietraditionen noch nicht einmal bei den ausgelassenen angesprochen werden, erklärt sich vielleicht dadurch, dass eine an Luhmanns Systemtheorie anschließende Soziologie Sozialer Arbeit oder eine Gouvernementalität Sozialer Arbeit in der Tradition Foucaults keine Handlungstheorien darstellen. Warum aber findet Siegfried Bernfeld und die an ihn anschließende psychoanalytische Sozialarbeit keinerlei Erwähnung?

Ist Wolf Rainer Wendt, dessen sozialökologischer Entwurf Sozialer Arbeit als einer Fürsorgewissenschaft in der 5. Auflage mit dem Argument herausgenommen wurde, dass dieser „nicht mehr die Bedeutung im wissenschaftlichen Diskurs der Sozialen Arbeit“ (S. 11) habe, wirklich im deutschsprachigen Diskurs um Theorien Sozialer Arbeit bedeutungsloser als die Arbeiten von Carel Bailey Germain und Alex Gitterman? Und ist Michael Winklers Theorie der Sozialpädagogik, die mit dem gleichen Grund ebenfalls seit der 5. Auflage nicht mehr auftaucht, wirklich nicht mehr relevant? Möglicherweise mag dies von vielen in der DGSA Organisierten so eingeschätzt werden. In der Theorie-AG der Kommission Sozialpädagogik der DGFE wird aber bis heute immer wieder an diese angeknüpft und sich mit ihr auseinandergesetzt. Gleiches gilt für den „Klassiker“ Siegfried Bernfeld. Könnte die institutionelle Trennung zwischen universitärer Sozialpädagogik und der an den Fachhochschulen und Hochschulen für angewandte Wissenschaften vorangetriebenen Sozialarbeitswissenschaft doch auch im Theoriediskurs Sozialer Arbeit noch nicht ganz überwunden sein?

Möglicherweise hat diese Trennung auch bei den aktuellen Theorien die Auswahl der „prägende[n] Hauptpersonen“ (S. 29) beeinflusst? Gerade hier zeigt sich die von den Autoren selbst gesehene Schwierigkeit, Theorien anhand von AutorInnen darzustellen und zu sortieren. Deutlich wird dies wenn z.B. Theoretiker sehr häufig mit Werken zitiert werden, die sie mit anderen gemeinsam verfasst haben, welche aber als „prägende Hauptperson“ (ebd.) nicht erscheinen.

Noch ein weiteres ebenfalls von den Autoren gesehenes Problem wird gerade in den neu aufgenommenen Kapiteln deutlich. Haben die Autoren schon darauf verwiesen, dass TheoretikerInnen unterschiedliche Anleihen an andere (Meta-)Theorien nehmen und sich dies auch im Rahmen ihres theoretischen Schaffens verändert, spitzt sich dieses Problem bei unterschiedlichen AutorInnen noch zu, die jeweils ganz spezielle theoretische Bezüge herstellen. Die neu hinzugefügten Kapitel lassen sich als Hinweis auf das absolut nachvollziehbare Postulat der Autoren lesen, dass aufgrund der Komplexität ihres Gegenstandes „Theorien Sozialer […] vermutlich in Zukunft nicht mehr von Einzelnen entworfen und entwickelt [werden], sondern von Gruppen, weil ein Mensch allein damit überfordert ist“ (S. 582). Die neuen Kapitel beschreiben vor diesem Hintergrund aber eher Handlungsfelder der Sozialen Arbeit als konsistente Theorien.

Nachzuvollziehen ist auch die Entscheidung der Autoren, auf eine Kritik der vorgestellten Theorien zu verzichten, wobei sicher die von ihnen angesprochene „Dialektik von Herrschaft und Emanzipation sozialarbeiterisch-sozialpädagogischen Handelns“ (S. 580) in den verschiedenen Handlungstheorien ganz unterschiedlich akzentuiert wird und eine Stellungnahme geradezu provoziert. Anzurechnen ist dem Buch in diesem Zusammenhang, dass es den Nationalsozialismus und die davon beeinflussten Theorien Sozialer Arbeit nicht ausspart. Der Verzicht auf eine Kritik stellt dann im Hinblick auf die Verwendung dieses Buches im Rahmen der Theoriemodule von Studiengängen Sozialer Arbeit Lehrende vor die Aufgabe, solche Kritik gemeinsam mit den Studierenden zu erarbeiten, damit die Theorieaneignung nicht in Gefahr gerät, in Dogmatik umzuschlagen. Könnte jedoch darüber hinaus nicht auch die Theorieentwicklung im Kontext Sozialer Arbeit durch solidarische Kritik und Gegenkritik weiter beflügelt werden? Und wäre dies nicht noch stärker zu kultivieren, da nach wie vor einige bestrebt sind, „Schulen“ zu festigen und andere Theorieansätze geflissentlich ignorieren?

Fazit

Die 7. Auflage der Einführung in die „Theorien der Sozialen Arbeit“ gibt vor allem BA-Studierenden einen guten Einblick über Handlungstheorien Sozialer Arbeit und den historischen Kontext, in dem diese entstanden sind und auf den sie vor dem Hintergrund der Biografie ihrer VerfasserInnen antworten. Trotz der Breite hinterlässt es jedoch Lücken bezüglich Theorien, die sich in der Historie und der Gegenwart als für die Soziale Arbeit relevant erwiesen haben. Nicht zu leisten vermag das Buch eine Herausarbeitung der sich bei und zwischen den einzelnen Theorien überschneidenden Bezüge auf andere Meta- bzw. Grundlagentheorien. Dies wäre jedoch eher als Anspruch an ein dezidiert Masterstudierende adressierendes Lehrbuch zu richten. Das BA-Studium hingegen hat in erster Linie zur Kompetenzentwicklung im Hinblick auf eine zukünftige professionelle Tätigkeit in der Sozialen Arbeit beizutragen. Dafür bietet die Einführung in die „Theorien der Sozialen Arbeit“ eine solide Grundlage.

Rezension von
Prof. Dr. Michael May
Professor für Theorie und Methoden Sozialer Arbeit unter besonderer Berücksichtigung der Gemeinwesenarbeit an der Hochschule RheinMain
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Zitiervorschlag
Michael May. Rezension vom 13.03.2019 zu: Ernst Engelke, Stefan Borrmann, Christian Spatscheck: Theorien der Sozialen Arbeit. Eine Einführung. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2018. 7., überarbeitete und erweiterte Auflage. ISBN 978-3-7841-3100-9. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25348.php, Datum des Zugriffs 26.03.2023.


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