Sandra Eck (Hrsg.): Forschendes Lernen - lernendes Forschen
Rezensiert von Prof. Dr. Werner Sauter, 22.07.2019

Sandra Eck (Hrsg.): Forschendes Lernen - lernendes Forschen. Partizipative Empirie in Erziehungs- und Sozialwissenschaften. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2018. 213 Seiten. ISBN 978-3-7799-3888-0. D: 34,95 EUR, A: 35,90 EUR, CH: 45,90 sFr.
Thema
Das Thema Forschendes Lernen bewegt bereits seit fast fünf Jahrzehnten die Diskussion in deutschsprachigen Hochschulen, zunehmend auch in Schulen. Dieses Lernen durch Forschung umfasst die Ziele, eine größtmögliche Selbstständigkeit bei der Auswahl von Herausforderungen und Methoden, ein gesteigertes Maß an Unabwägbarkeiten, die Orientierung an Standards wissenschaftlichen Arbeitens sowie einen transparenten und selbstkritischen Umgang mit den Ergebnissen. Im Endeffekt sollen die Lernprozesse im Rahmen von Forschungsaufgaben kompetenzorientiert gestaltet werden.
Die partizipative Sozialforschung unterscheidet sich vom Forschenden Lernen durch die Zielsetzung. Beim Forschenden Lernen liegt der Fokus auf den Lernprozessen, während beim Lernenden Forschen die Erkenntnisgewinnung im Vordergrund steht und die Forscher als Nebeneffekt über Erfahrungen lernen.
Beide Ansätzen wollen mit den Zielgruppen arbeiten. Dabei ergeben sich eine Vielzahl von Fragen. Wie können die Lerner wirksam in die Forschungs- und Bildungsprojekte eingebunden werden, welche sozialtheoretischen und forschungsethischen Voraussetzungen sind zu schaffen, wie sieht ein geeigneter Methodenmix aus und wie können geeignete Herausforderungen identifiziert werden, die für die Kompetenzziele der Beteiligten relevant sind?
Diese Fragen werden in diesem Herausgeberband sowohl theoretisch-methodologisch als auch anhand von Praxisprojekten untersucht.
Herausgeberin und Autor*innen
Die Herausgeberin Sandra Eck ist als Soziologin bei der Frauenakademie München sowie in der inner- und außeruniversitären Lehre tätig. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind Gender, Bildung und Care sowie sowie methodologische Fragen innerhalb der qualitativen Sozialforschung.
Das Autorenteam umfasst weitere 25 Autorinnen und Autoren, vor allem aus den Bereichen Erziehungswissenschaft, Pädagogik, Soziologie, Sozialforschung oder Politik.
Entstehungshintergrund
Der Bologna-Prozess an den Hochschulen hat bewirkt, dass nominal auch überfachliche, berufsfeldorientierte Kompetenzen, die ein Fachstudium sinnvoll ergänzen, im Studium berücksichtigt werden. Fast alle deutschen Hochschulen haben die „Vermittlung“ von diesen Fähigkeiten, zumindest in der Begrifflichkeit, in ihre Lehrpläne aufgenommen oder ein Konzept dafür entwickelt.
Kompetenzorientierte Lernszenarien im Hochschulstudium, die produktives Lernen ermöglichen, regen Studierende in ihren Forschungsaktivitäten an, weil sie ihre Kontexte und Ressourcen selbst gestalten können und ihre Lernprozesse mit professioneller Lernbegleitung eigenverantwortlich planen. Studierende entwickeln dabei ihre Kompetenz für selbstständiges Forschen, indem sie Forschung erleben und aktiv (mit) gestalten.
Die theoretischen Ansätze und Erfahrungen zu diesen Konzepten werden in diesem Band systematisch aufgearbeitet.
Aufbau und Inhalt
Das Werk ist in vier Teile gegliedert:
- Im ersten Bereich der theoretischen Grundlagen beschäftigt sich zunächst Sebastian Engelmann mit der These, dass sich Forschendes Lernen insbesondere darüber auszeichnen kann, dass Studierende auf ihre eigenen Prägungen und ihre Handlungsspielräume aufmerksam werden. Dabei wirken die vorhandenen Machtverhältnisse und die impliziten Vorstellungen darüber, wie Studierende zu lernen und zu handeln haben, auf die personalisierten Lernprozesse. Die Studierenden handeln dabei im Spannungsfeld von Freiheit und Zwang.
Gianpiero Favella untersucht die Möglichkeiten einer kontextsensiblen Evaluation, bei der die Theorie mit empirischen Ereignissen in Verbindung gebracht wird. Im Zentrum der Untersuchungen stehen dabei vor allem die Transformationsprozesse zwischen Kontext und Outcome einer Maßnahme. Damit sollen förderliche und hinderliche Bedingungen identifiziert werden. Die Kernfrage lautet dabei:“ Welche sozialen Mechanismen als wirksame Praktiken werden in welchen Kontexten in der Lehr- und Lernform der forschungsorientierten Lehre hergestellt?“Katharina Gallant beschäftigt sich mit der sozialen Repräsentation von Wissen in unterschiedlichen Hochschulbildungssettings. Sie postuliert, dass soziale Repräsentationen im Forschenden Lernen nicht nur Lerngegenstand, sondern Lernmethode sind. Diese gemeinsame Gesprächsbasis, die dadurch geschaffen wird, erleichtert es, die Forschungsfrage zu konkretisieren und die Forschungsergebnisse zu interpretieren. - Im zweiten Teil werden die Brücken in die Forschungspraxis methodisch aufbereitet.
Ulrike Seiffert-Petersheim denkt über partizipative Forschungsinteressen und feministische Wissenschafts- und Machtkritik nach. Sie fordert insbesondere strukturelle Rahmenbedingungen für Forschungsprojekte, die der Steigerungslogik und dem Konkurrenzdruck im Wissenschaftsbetrieb Widerstand leisten.
Robert W. Jahn, Marcel Spittel und Mathias Götzl analysieren induktive versus deduktive Konzeptionen schulpraktischer Studienphasen mit Forschendem Lernen im Rahmen der Lehrer_innenbildung. Dabei kommen sie zum Ergebnis, dass beide Positionen legitim und verbreitet sind. Gleichzeitig werfen sie eine Vielzahl von Fragen auf, die in diesem Kontext noch zu klären sind.
Stefan Thomas, Susan Schröder und David Scheller stellen das Research Forum als partizipative Forschungsmethodik im Rahmen der Citizen Social Science vor. Dabei gehen sie davon aus, dass die Akteurinnen der sozialen Lebenswelt als Co-Researcher eingebunden werden. Dieser Ansatz basiert auf vier Dimensionen des Research Forums – Eröffnung von Räumen, Kommunikation, soziale Selbstverständigung und (Gegen-) Öffentlichkeit. Voraussetzung dafür sind Partizipation, Offenheit und Hierarchiefreiheit. - Im dritten Teil werden konkrete partizipative Ansätze und Methoden vorgestellt.
Katrin Glawe beschreibt die Chancen und Grenzen von Forschen und Reflektieren in den Praxissemestern der Grundschullehrer-Ausbildung. Es zeigt sich, dass die Transparenz von Sinn und Relevanz des Forschens im Studium nicht von allen Studierenden erkannt werden. Gewinnversprechend sind nach ihrer Analyse Forschungsprojekte, die praxisnahe Phänomene aus Sicht der Schüler untersuchen.
Katharina Hombach befasst sich mit einem Pilotprojekt, in dem Praxisforschung mit Lehrkräften umgesetzt wird. Dabei geht sie insbesondere auf die strukturellen Fragen, aber auch kulturelle Besonderheiten, z.B. die individualisierte Arbeitsweise der Lehrer, ein.
Am Beispiel der Laborschule Bielefeld berichtet ein Autorenteam über die schulische Praxisforschung als Form der partizipativen Bildungsforschung. Es zeigte sich, dass die Praxisforschung zwar herausfordernd komplex war, durch den steten Dialog zwischen Praxis und Wissenschaft aber weit über die konkrete Laborschulpraxis hinausreichende Ergebnisse generierte.Marie-Theres Modes stellt ihre Überlegungen zur Ermöglichung und Gestaltung von Bildungsprozessen aus heilerziehungspflegerischer Perspektive dar. Sie kommt zum Ergebnis, dass es möglich ist, mit Forschendem Lernen Menschen mit Beeinträchtigungen jeden Alters wirksam dabei zu unterstützen, ihr Recht auf Bildung wahrzunehmen.
Alva Täbert und Gabrielle Dennert stellen Erfahrungen aus einem partizipativen Lehrerforschungsprojekt vor, das sich mit der Frage beschäftigt, wie lesbische, schwule und transgeschlechtliche Menschen ein gesundes Älterwerden gestalten.
Alexander Mack und Alexander Wohnig verzahnen in ihrem Beitrag partizipative Bildungssettings, Forschendes Lernen und partizipative Forschung in der politischen Bildung. Damit sammelten sie gute Erfahrungen, stießen aber auch an strukturelle Grenzen.
Kathrin Leutz stellt ihr Projekt Forschenden Lernens zum Klimawandel vor. Positiv empfunden wurden hierbei insbesondere die eigene Wahl der Forschungsfrage, die Selbstorganisation in der Kleingruppe und die Autonomieerfahrungen in der Erhebungsphase. - Im abschließenden vierten Teil führt die Herausgeberin die Ergebnisse zusammen und entwickelt einen Ausblick. Sie fordert, dass gesicherte Rahmenbedingungen mit Räumen für mehr Resonanz geschaffen werden, damit die Beteiligten mit der Welt in Verbindung treten und miteinander agieren.
Fazit
Dieser Herausgeberband bietet ein breites Spektrum an theoretischen Überlegungen zum Forschenden Lernen sowie zum Lernenden Forschen. Die Praxisbeispiele bieten eine Reihe von Anregungen zur Übertragung dieser Elemente auf eigene Lernprojekte. Insgesamt überwiegt, auch im Praxisteil, die theoretische Betrachtung. Damit zielt das Werk vor allem auf Bildungsplaner, die sich mit dem theoretischen Fundament Forschenden Lernens sowie des Lernenden Forschens beschäftigen möchten.
Rezension von
Prof. Dr. Werner Sauter
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Zitiervorschlag
Werner Sauter. Rezension vom 22.07.2019 zu:
Sandra Eck (Hrsg.): Forschendes Lernen - lernendes Forschen. Partizipative Empirie in Erziehungs- und Sozialwissenschaften. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2018.
ISBN 978-3-7799-3888-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25364.php, Datum des Zugriffs 02.12.2023.
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