Marita Rainsborough: Foucault heute
Rezensiert von Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, 14.04.2020

Marita Rainsborough: Foucault heute. Neue Perspektiven in Philosophie und Kulturwissenschaft.
transcript
(Bielefeld) 2018.
243 Seiten.
ISBN 978-3-8376-4553-8.
D: 29,99 EUR,
A: 30,90 EUR,
CH: 36,80 sFr.
Reihe: Edition moderne Postmoderne.
Thema
Im vorliegenden Buch geht es hauptsächlich um die Untersuchung der aktuellen Relevanz der Philosophie von Michel Foucault unter Bezug auf die post- und dekolonialen Theorien vom Mbembe, Bhaba und Mignolo, um so u.a. neue Aspekte für die philosophische Auseinandersetzung mit dem französischen Klassiker erarbeiten zu können.
Autor
Marita Rainsborough promovierte an der Universität Hamburg und lehrt am Institut für Philosophie und Kunstwissenschaft an der Leuphana Universität Lüneburg und am Romanischen Seminar der Christian-Albrechts-Universität Kiel; sie forscht hauptsächlich im Bereich der französischen und der klassischen deutschen Philosophie, sowie im Bereich der Philosophie Afrikas und Südamerikas
Entstehungshintergrund
Der Autorin hat sich offensichtlich insbesondere von der Frage inspirieren lassen, ob das lebensweltlich ausgerichtete und mit politischen Implikationen versehene Programm Foucaults heute noch eine gewisse Aktualität aufzuweisen vermag, bzw. inwieweit der emanzipatorische Impetus einer experimentellen Kritik angesichts heutiger gesellschaftlicher Herausforderungen noch aufrechtzuerhalten ist?
Aufbau
Der Band gliedert sich – nach einem ersten Einführungskapitel, das sich insbesondere mit der Aktualität des philosophischen Konzepts von Foucault befasst und auch Überlegungen zur Vorgehensweise anstrengt, in lediglich ein weiteres, sehr umfängliches Kapitel, das sich mit dem Subjekt im Kontext von Wissen, Macht, Ethik und Ästhetik auseinandersetzt, um schließlich mit einem resümierenden Kapitel und anschließendem Literaturverzeichnis zu enden.
Inhalt
Die Autorin stellt sich eingangs wohl zu Recht die Frage nach der Aktualität des philosophischen Konzepts von Michel Foucault, auch wenn er nach wie vor als einer der wichtigsten Philosophen des 20. Jahrhunderts gilt – nicht zuletzt als Begründer der macht- und wissenstheoretischen Diskursanalyse.
Der studierte Historiker, Philosoph, Soziologe und Psychologe war von 1970 bis zu seinem Tod im Jahr 1984 Professor am College de France und lehrte 'Geschichte der Denksysteme'.
Der Autorin fällt in ihrem einführenden Teil der Arbeit hinsichtlich der Aktualität bzw. Relevanz Foucaults vor allem auf, dass es insbesondere um den Schwerpunkt Macht mit besonderer Berücksichtigung der Aspekte Disziplin, Postoralmacht und Biopolitik, Gouvernementalität und Ökonomie (vgl. S. 17) geht, weshalb es gelte einen bestehenden Zusammenhang zu erarbeiten. „Es lassen sich im Einzelnen Verschiebungen, Ausweitungen und Präzisierungen der Problemstellungen konstatieren, die einer genauen Analyse zugeführt werden sollen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Subjekts zwischen Grenze und Überschreitung“ (S. 18).
So wird dann im nachfolgenden Kapitel der Einführung diese Aufgabenstellung aufgegriffen und das 'Subjekt zwischen Heteronomie und Autonomie bei Foucault' einer näheren Betrachtung unterzogen. Die Foucaultsche Prämisse, dass die Autonomie des Willens das alleinige Prinzip aller moralischen Gesetze und der ihnen gemäßen Pflichten sei, wird seitens der Autorin in Relation zu dem positiven Freiheitsbegriff Kants gesehen und einer näheren Begründung unterzogen, ehe sie zu konkreten Überlegungen zum Vorgehen im Sinne der Darlegung des erkenntnisleitenden Interesses kommt.
So stellt sich Rainsborough im ersten Kapitel des Hauptteils die Aufgabe, „das Subjekt zwischen Grenze und Überschreitung im Kontext der Geschichtskonzeption von Foucault vor dem Hintergrund seiner Auseinandersetzung mit Kant und Hegel als heterotopes Modell einer pragmatischen Ad-hoc-Ausrichtung herauszustellen, in dem menschliche Hoffnung – unter Rekurs auf Bloch – ihre Berechtigung findet“ (S. 25). Dabei geht es besonders um die Akzentuierung der gesellschaftspolitischen Zielsetzung des französischen Philosophen, der diesbezüglich eine spezifische Interpretation der gesellschaftspolitischen Prozesse der Kantschen Zeit vornimmt. Rainsborough verwendet für die Analyse der gesellschaftspolitischen Ambition und der gesellschaftlichen Phänomene seiner der Zeit verschiedene Metaphern, als da sind: 'Grenze und Überschreitung', die 'Konzeption von Apriorität' und das 'Verhältnis von Freiheit, Natur und Geschichte' – welche sowohl bei Foucault wie auch bei Kant einem Vergleich unterzogen werden. Des Weiteren geht es u.a. in diesem Kapitel um den Zusammenhang zwischen Subjekt und Geschichte und um die Frage nach einer Zukunftskonzeption des Philosophen.
Im zweiten Kapitel ihrer Arbeit wird Foucaults Subjektauffassung im Vergleich mit Hegels anthropologischen Perspektivierungen, besonders im Hinblick auf dessen Ästhetik des Näheren untersucht. Hierbei geht es um die Herausarbeitung der Subjektfrage im Kontext von Ethik und Ästhetik. Des Weiteren werden u.a. die Zusammenhänge der Handlungsfähigkeit des Subjekts in einer neoliberalen Regierungsform als zentraler aktueller Form der Gouvernementalität untersucht und auf den Prüfstand gestellt. Schließlich mündet dieses Kapitel in dem Herausarbeiten der besonderen Rolle der Affektivität bei Foucault und den sich daraus ergebenden Implikationen.
Im dritten Teil des zweiten Kapitels ihres Buches geht es der Autorin um die Analyse des Machtbegriffs von Foucault und um „die Untersuchung des menschlichen Potenzials für widerständiges Handeln“ (S. 26). Beides soll den Gestaltungsraum für Veränderungen im individuellen wie auch im gesellschaftlichen Bereich verdeutlichen.
Wirft man beispielsweise den Blick auf den in Kapitel 2.3.1 untersuchten Macht- und Widerstandsbegriff Foucaults, so wird man insbesondere mit Fragen nach dem Subjekt zwischen Macht und Ethik bzw. Ästhetik aus heutiger Sicht, oder aber mit der Frage danach, wie in diesem Zusammenhang der Vorwurf des Eurozentrismus in Bezug auf seine Philosophie einzuschätzen ist, konfrontiert. Rainsborough geht es hier also konkret darum, die Messung der Philosophie von Foucault vor dem Hintergrund aktueller und im globalen Kontext relevanter Probleme vorzunehmen, bzw. die Brauchbarkeit seiner Theoreme für unsere Zeit zu überprüfen.
Die Autorin weist in besagtem Kapitel darauf hin, dass der Macht-Aspekt im Zentrum der Philosophie von Foucault steht und zitiert ihn selbst: „Im Grunde habe ich nichts anderes geschrieben als eine Geschichte der Macht“ (S. 169, zit. nach Foucault, Michel: Der Mensch ist ein Erfahrungstier: Gespräch mit Ducio Trombadoni, 1996, S. 98). Dabei geht der Philosoph nicht nur von einer Staatsmacht aus, sondern von jener die s. E. im Inneren der Gesellschaft ausgeübt wird. Er setzt sich bewusst von traditionellen Machtkonzeptionen etwa von Freud, Durkheim, Rousseau oder Weber ab; er versteht Macht viel eher im Sinne von historischen Machtpraktiken, von Kräfteverhältnissen und strategischen Situationen (vgl. S. 171). Dabei lehnt er sich in gewisser Weise an die philosophischen Konzepte von Marx und Nietzsche an und entwickelt eine Fülle von Machtformen in unterschiedlichen sozio-historischen Kontexten.
Rainsborough untersucht im Rahmen dieses eigentlichen Hauptteils ihres Werkes des Weiteren die Zusammenhänge zwischen 'Freiheit und Macht', 'Autonomie und Widerstand', beleuchtet die Vielschichtigkeit des Machtbegriffs bei Foucault und wirft den Blick u.a. auf die Rezeption seiner Machtkonzeption durch die post- und dekolonialen Theorien von Mbembe und Mignolo.
In ihrem abschließenden Resümee kommt die Autorin zu der Erkenntnis, dass „die Kantschen Wurzeln von Foucaults Philosophie … in hohem Maße für seine Zielkonzeption von Bedeutung [sind], insbesondere für den Anspruch mit Philosophie eine Analyse der aktuellen gesellschaftlichen Situation leisten und darüber hinaus auch durch philosophische Erkenntnisse auf die Gestaltung von Zukunft ausüben zu können … “ (S. 223).
Diskussion
Auch wenn Rainsborough schließlich zu der Erkenntnis gelangt, dass Foucault hinsichtlich der Entwicklung von Fragestellungen, Verfahrensweisen und Problemlösungsansätzen eine wichtige Inspirationsquelle (vgl. S. 230) für aktuelle Entwicklungen im sozio-kulturellen Heute ist, so bleibt doch die Frage offen, ob dies dem Anspruch der Autorin gerecht wird, Foucaults Aktualität in besonderem Maße konkret und überzeugend nachweisen zu können. Sie ist nach eigener Aussage überzeugt davon, dass Foucaults Denken nach wie vor „von herausragender Bedeutung für die Entwicklung von Ansätzen zur Lösung aktueller Probleme – auch im globalen Kontext!“ (a.a.O.) ist.
Dies erscheint schon allein deshalb fraglich, weil Michel Foucault in seinem Denken nicht unbedingt als der unkomplizierte und in seinen Aussagen stringente philosophische Denker gelten mag.
Fazit
Das Werk von Marita Rainsborough unternimmt den Versuch, den französischen Philosophen Michel Foucault in die Aktualität der heutigen sozio-kulturellen Entwicklung zu holen, was nur dann gelingen mag, wenn seine Werke und seine zentralen Denkansätze bzw. die von ihm entwickelte Machtkonzeption wieder erfolgreich ins Bewusstsein heutiger Studierender der Philosophie getragen werden können. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe oder besser Zielsetzung – Foucaults Aktualität nachweisen zu wollen bzw. zu können – hatte offensichtlich selbst die Autorin vor Augen, hätte sie sonst wohl den provokativen Titel 'Foucault heute' gewählt!?
Rezension von
Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann
Professor (em.) für Andragogik, Politikwissenschaft und Philosophie/Ethik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
Mailformular
Es gibt 85 Rezensionen von Peter Eisenmann.