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Rudolf zur Lippe, Frank Hahn (Hrsg.): Mit und von einander Lernen der Kulturen

Rezensiert von Prof. Dr. Georg Auernheimer, 24.07.2019

Cover Rudolf zur Lippe, Frank Hahn (Hrsg.): Mit und von einander Lernen der Kulturen ISBN 978-3-495-48856-0

Rudolf zur Lippe, Frank Hahn (Hrsg.): Mit und von einander Lernen der Kulturen. Für eine gegenseitige Aufklärung. Verlag Karl Alber (Baden-Baden) 2018. 203 Seiten. ISBN 978-3-495-48856-0. D: 30,00 EUR, A: 31,00 EUR, CH: 40,00 sFr.

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Thema

Das Buch soll nach dem Willen der Herausgeber der Aufklärung der Aufklärung durch interkulturellen Austausch dienen. Denn über die von Horkheimer und Adorno aufgedeckte „Dialektik der Aufklärung“, d.h. der europäischen Aufklärung, hinaus bedürfe es einer „Aufklärung in Wechselseitigkeit“ durch Zeugnisse aus unterschiedlichen Kulturen (Klappentext).

Herausgeber

Rudolf zur Lippe hatte ab 1971 Professuren für Philosophie an den Universitäten Frankfurt/M., Oldenburg und Witten/Herdecke. Im Rahmen seiner Stiftung „Forum der Kulturen“ arbeitet er als Philosoph und bildender Künstler und macht Ausstellungen in Berlin.

Frank Hahn ist freier Autor und Essayist und leitet den Berliner Verein „Spree-Athen e.V.“.

Entstehungshintergrund

Der Band geht vor allem auf ein „philosophisches Kettengespräch“ von Intellektuellen aus drei Kontinenten zurück, das nach vorausgegangenen Begegnungen auf Initiative des Vereins „Spree-Athen e.V“ 2010 in Berlin zustande kam (10). Außerdem versammelt er Texte, die bei Veranstaltungen für das geplante „Humboldt Forum“ vorgetragen wurden (13).

Aufbau und Inhalt

Die nicht nur vom Inhalt, sondern auch vom Zugang her recht heterogenen Beiträge haben die Herausgeber in drei Teile aufgeteilt, von denen der zweite, zentrale Teil aus dem Protokoll des Symposiums von 2010, eingeleitet mit einem Beitrag von Frank Hahn, besteht. Aufgenommen hat man nicht nur Essays und Statements von Philosoph*innen und Ethnolog*innen. Mit Ilja Trojanow und Galsan Tschinag sind auch zwei Schriftsteller vertreten, mit Wim Wenders ein Filmemacher. Auch drei Inhaber politischer Ämter kommen zu Wort, darunter der ehemalige UN-Generalsekretär Boutros-Boutros Ghali, der Reformperspektiven für die Vereinten Nationen reflektiert.

Ryosuke Ohashi /Japan macht auf Schwierigkeiten der „Kulturübersetzung“ aufmerksam. Unterschiede, die Welt zu denken, sind auch das Thema weiterer Beiträge. Der „unübersetzbare Rest“ fremder Kulturen (102) ist ein zentraler Aspekt des Essays von Frank Hahn im zweiten Teil. Das Gespräch im diesem Teil dreht sich um das fundamental unterschiedliche Verständnis von Religion und von Ethik im Westen und in Ostasien, um die Abhängigkeit des Denkens von den Sprachen und um „Denkstile“.

Jacob Emmanuel Mabe/ Kamerun streitet in dem Gespräch für die Anerkennung einer Kultur und Philosophie, die sich auf Mündlichkeit stützt. Im ersten Teil hatte Ranjit Hoskoté „die Vorstellung eines souverän erlebenden (letztlich des ‚euro-amerikanischen‘) Ichs“ in Frage gestellt (61).

Mehrere Beiträge sind unverkennbar auf die Vorbereitung des Museumprojekts Humboldt Forum ausgerichtet. Mamadou Diawara/ Professor an der Universität Frankfurt/M. (Herkunft Elfenbeinküste) äußert sich zur Bedeutung und Präsentationsform ethnologischer Objekte. Maria Todorowa expliziert ihre „Idee der historischen Vermächtnisse“ (40) und plädiert mit Blick auf das kolonialistische Erbe dafür, Museen zur „Verhandlungszone“ zu machen. Für Wim Wenders sollte sich das künftige Humboldt Forum als „dritter Ort“ zwischen den Kulturen verstehen (55). Gisela Völger, ehem. Direktorin des Rautenstrauch-Joest-Museums in Köln, berichtet über kulturvergleichende Ausstellungen, die gegenseitiges Verständnis fördern sollten.

Es ist unmöglich, auf alle Beiträge einzugehen. Es sei nur noch erwähnt, dass im dritten Teil auf den Aufsatz von Rudolf zur Lippe, in dem er seine Überlegungen „für eine neue, eine wechselseitige Aufklärung“ entfaltet, Texte über Sufismus, Schamanentum und die afrikanische Ubuntu-Ethik folgen.

Diskussion

Vielfalt, ein Leitgedanke für die Herausgeber, prägt in mehrfacher Hinsicht auch den vorliegenden Band. Das mag seine Vorzüge haben, erschwert jedoch für die Leser*innen die Orientierung. Zweifellos enthält der Band aber einige wertvolle Denkanstöße. Ein produktives Experiment ist das Gespräch, in dem Denker aus unterschiedlichen Kulturen unmittelbar miteinander in Dialog treten. Kritisch anzumerken ist die Abgehobenheit eines solchen Diskurses über Kulturbegegnung, bei dem geopolitische Auseinandersetzungen, Globalisierungseffekte und die Bedrohung des Planeten ausgeblendet werden. Im Beitrag von Boutros-Boutros Ghali über eine „planetarische Demokratie“ werden solche Fragen immerhin gestreift. Und Adrienne Göhler stellt am Beispiel einer Ausstellung „künstlerische Praktiken, die zur Erhaltung des Planeten beitragen“ könnten, vor (85).

Fazit

Ein Band, der bei selektiver Lektüre für jeden an der Thematik Interessierten, speziell für Kulturarbeiter*innen oder Pädagog*innen Anregungen und Denkanstöße bietet. Nicht zuletzt lässt die Lektüre einen mit einer Frage zurück, die des Nachdenkens wert ist: Was hat mehr Gewicht, die kulturellen Differenzen oder die Universalia?

Rezension von
Prof. Dr. Georg Auernheimer
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Zitiervorschlag
Georg Auernheimer. Rezension vom 24.07.2019 zu: Rudolf zur Lippe, Frank Hahn (Hrsg.): Mit und von einander Lernen der Kulturen. Für eine gegenseitige Aufklärung. Verlag Karl Alber (Baden-Baden) 2018. ISBN 978-3-495-48856-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25383.php, Datum des Zugriffs 25.09.2023.


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