Sylvia Näger: Lesekultur in der Krippe
Rezensiert von Ulrike Ziemer, 24.04.2019

Sylvia Näger: Lesekultur in der Krippe. Kinder bis 3 entdecken Bücher und Geschichten. Verlag Herder GmbH (Freiburg, Basel, Wien) 2019. 112 Seiten. ISBN 978-3-451-38157-7. D: 20,00 EUR, A: 20,60 EUR, CH: 27,90 sFr.
Thema
Sylvia Näger beleuchtet in ihrem Buch „Lesekultur in der Krippe“ das gemeinsame Erleben von Buchkultur von Anfang an. Sie stellt Ideen und Möglichkeiten vor, wie Krippenerzieher gemeinsam mit Kinder bis 3 Jahren Geschichten und Bücher entdecken können. Hierbei spielt die lesefreundliche Gestaltung der Einrichtung eine entscheidende Rolle.
Autorin
Sylvia Näger ist von Beruf Diplom Medienpädagogin und arbeitet als Dozentin und Autorin. Ihre Arbeitsprioritäten sind die sprachliche Bildung, die Sprachförderung sowie Literatur und Medien. Sie berät und begleitet Träger und Institutionen in der Entwicklung und Durchführung von Plänen zur sprachlichen Bildung.
Aufbau
Das Buch im Format 19,8 x 1,5 x 25,9 cm beinhaltet 109 Seiten und besteht neben einer Einleitung und einem abschließenden Literaturverzeichnis aus sechs Kapiteln.
Inhalt
Warum Bücher im Alltag unverzichtbar sind (Kapitel 1)
Im ersten Abschnitt des Fachbuches erläuter Sylvia Näger den aus dem englischen kommenden Begriff „Literacy“. Sie versteht darunter die Kompetenz, durch Sprache und Schrift, in Interaktion zu treten. Literacy umfasst nicht nur die Fähigkeit, Lesen und Schreiben zu können, sondern bezieht auch alle Erfahrungen und Grundfertigkeiten, die das Sprechen, Erzählen und Schreiben betreffen, mit ein. Kleinkinder sammeln ihre ersten Erfahrungen durch die Kombination von Kommunikation mit Bezugspersonen und Kontakt zu Bilderbüchern. Der frühe Kontakt zu Büchern schafft die Grundlage zum Lesen. Erste Bücher verknüpfen Wort und Bild miteinander und begründen sich auf Erfahrungen, die das Kind bereits machen konnte. Voraussetzung für das Erkennen ist es unter anderem, dass das Kind die Fähigkeit erworben hat, Figur und Hintergrund zu unterscheiden. Hierbei ist es, wichtig zu wissen, dass das Greifen eine Vorstufe der rein visuellen Wahrnehmung darstellt. Um Gegenstände zu erkennen ist es hilfreich zu wissen, dass es sie gibt und wie sie sich anfühlen. Frau Näger listet zehn Tipps für die frühe Leseförderung auf und erläutert die Hinweise.
- Vorlesen bevor die Kleinkinder selbst sprechen und Bilderbücher betrachten können
- Spielen und sinnliches Begreifen mit Bilderbüchern ermöglichen
- Gemeinsam Benenn-Bilderbücher anschauen
- Auf Lautierungen reagieren
- Zeigen und Benennen von Abbildungen
- Fragen und Antworten geben
- Bücher immer wieder anschauen
- Vorlesen und selbst erzählen parallel nutzen
- Rituale und eine angenehme Atmosphäre zum Vorlesen gestalten
- Lesevorbild sein.
Ein lesefreundliches Klima in der Krippe schaffen (Kapitel 2)
Bildung findet fortlaufend statt. Jede Krippenkonzeption sollte inhaltliche Vorschläge enthalten, wie das Vorlesen und der Kontakt zu Bilderbüchern in den Tagesablauf integriert werden. Dazu gehören eine altersgerecht sortierte Bibliothek und die Präsentation der Bilderbücher in Regalen und Bücherständern. Orte zum Lesen sind genauso wichtig wie ein positives Leseklima.
Bücher für die Krippenbibliothek auswählen (Kapitel 3)
Frau Näger gibt mit ihrer Richtschnur für die Wahl entwicklungsgerechter Bilderbücher Hilfestellung für die richtige Auswahl. Neben den Aspekten, wie ein Buch für welches Alter beschaffen sein sollte, ist es wichtig, dass eine Vielfalt von Büchern zum Einsatz kommt.
- Bilderbücher mit Spieleffekten, Fühl- und Tastbilderbücher, Bücher mit Gucklöchern, Schiebern, Klappen, Soundchips
- Bücher die sich am Kinderwagen befestigen lassen
- Leporellos
- Wimmelbilderbücher
- Suchbilderbücher
- Fotobilderbücher
- Bilderbücher mit besonders gestalteten Schriftzeichen
Bei der Auswahl von Bilderbüchern sollte auch auf Klassiker wie zum Beispiel „Henriette Bimmelbahn“ von James Krüss oder Die kleine Raupe Nimmersatt von Eric Carle zurückgegriffen werden. Sylvia Näger gibt thematisch sortierte Bilderbuchempfehlungen zu den Themen: Natur, Fahrzeuge, Abstraktes, Essen, Spielen, Schlafen, Gefühle, Körper, Zeigen, Benennen und Suchen. Verletzt/Krank, Körperhygiene, Suchen und Finden, Geräuschvolle Bilderbücher, Lyrisch erzählende Bilderbücher, Autonomie, Streit/Konflikte und Gemeinsam.
Eine vielfältige und reflektierte Literaturauswahl nimmt die Bedürfnisse der Kinder ernst und bietet die Chance, dass jedes Kind individuell angesprochen wird.
Eltern für gemeinsame Literacy- Erfahrungen begeistern (Kapitel 4)
Es gibt viele Möglichkeiten, Eltern in die Literacy Erfahrungen, die Kinder in der Krippe sammeln, einzubinden. Es werden Ideen vorgestellt, wie zum Beispiel das Angebot eines Lesekoffers oder einer Büchertasche für zu Hause. Frau Näger beschreibt verschiedene Modelle, um die Elternkompetenz zur sprachlichen Bildung zu vertiefen. Es werden unter anderem Reime und Lieder sowie eigne Literaturerfahrungen angeboten.
Mit Kindern Bücher erleben – Methodenkoffer (Kapitel 5)
Damit das gemeinsame Lesen und Betrachten von Bilderbüchern gelingt, ist es wichtig über entsprechende Kompetenzen zu verfügen. Zeigen und Benennen, dialogisches Lesen, Rituale und das Erzählen mit Hilfsmitteln wie Handpuppen oder Geschichtensäckchen sind nur einige der hilfreichen Methoden. Bilder können nicht nur in Büchern betrachtet werden, sondern auch mit einem Kniebuch, einer Erzählschiene, einem Kamishibai oder dem Bilderbuchkino präsentiert werden. Im Mittelpunkt steht immer der Dialog. Klangeschichten und illustrierte Liederbücher animieren zum Mitmachen.
Buchtipps mit praktischen Anregungen (Kapitel 6)
Geeignete Bilderbücher zu entdecken und auszuwählen ist aufgrund der angebotenen Vielfalt nicht immer leicht. Sylvia Näger stellt einige Bücher kurz vor, indem sie einen Einblick in deren Inhalt gibt und Anregungen zur Arbeit mit dem Buch anbietet.
Diskussion
Es ist bekannt, dass Vorlesen die Entwicklung fördert und sich positiv auf die Sprache auswirkt. In letzter Zeit wurde jedoch vermehrt ein Augenmerk auf die sehr jungen Kinder gerichtet, die noch keinen langen Geschichten folgen können. Hier knüpft dieses Buch an. Babys und Kleinkinder die Bücher erst einmal sinnlich erforschen, greifen und schmecken möchten benötigen entsprechende Möglichkeiten. Damit Kinder in das Lesen hineinwachsen können ist es wichtig, Grundsteine zu legen die sehr frühe literarische Erfahrungen ermöglichen. Dies geschieht im Idealfall schon in der Schwangerschaft und Babyzeit durch das Vorlesen, Sprechen und Singen der Eltern. Es wird fortgesetzt durch das Erleben einer Lesekultur im Elternhaus und/oder in der Krippe. Frau Näger arbeitet schrittweise heraus, wie bedeutsam diese frühen Erfahrungen sind, und gibt praxisnahe und gut umsetzbare Anleitungen. Besonders im Krippenbereich fehlen die kleinkindgerechten Konzepte und es entsteht schnell Frustration, wenn die kindergartenerprobten Vorleserituale nicht auf geduldige Zuhörer stoßen. Krippenkinder sind keine kleinen Kindergartenkinder, sondern Kleinkinder, die eigene Konzepte benötigen, um positive Literaturerfahrungen machen zu können. Sylvia Näger präsentiert mit ihrem Werk einen großen Schatz an Erfahrungen und Ideen. Das Buch ist schrittweise aufgebaut. Die Leser werden anfangs für die Leseförderung sensibilisiert und erhalten am Ende durch den Methodenkoffer viele praktische Tipps. Bei allen Konzepten wird die wichtige Zusammenarbeit mit den Eltern nicht vergessen. Das Buch wird abgerundet durch die Vorstellung konkreter Bilderbücher für den U 3 Bereich.
Ein hilfreicher und sehr empfehlenswerter Ratgeber, für pädagogische Fachkräfte, Eltern und Vorlesepaten, der einen handlungsorientierten Zugang zur Literatur anbietet.
Fazit
Das Fachbuch von Sylvia Näger „Lesekultur in der Krippe“ beleuchtet das Erleben von Buchkultur von Anfang an. Damit pädagogische Fachkräfte gemeinsam mit Kindern bis 3 Jahren Geschichten und Bücher entdecken können, benötigen sie brauchbare Methoden und Bilderbücher. Die lesefreundliche Gestaltung der Kinderkrippe und die Einbindung der Eltern sind wichtige Aspekte, um das Lesen und Vorlesen anzuregen. Das vorliegende Werk bietet praxiserprobte und handlungsorientierte Modelle an und stellt geeignete Bilderbücher und Materialien vor.
Rezension von
Ulrike Ziemer
Dipl. Heilpädagogin (FH)
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