Margret Xyländer, Peter Sauer: Zwischen Gestalten und Aushalten
Rezensiert von Dr. Hermann Müller, 12.04.2019

Margret Xyländer, Peter Sauer: Zwischen Gestalten und Aushalten. Sterbebegleitung in stationären Pflegeeinrichtungen im urbanen Raum. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2019. 290 Seiten. ISBN 978-3-8474-0793-5. D: 29,90 EUR, A: 30,80 EUR.
Thema
Das Thema Sterben und Sterbebegleitung stellt sich verstärkt in der stationären Altenpflege, vor allem in den Pflegeheimen. 30 % aller Pflegebedürftigen lebt in Heimen (vgl. Statistisches Bundesamt 2013, 5) „Schätzungen zufolge sind die Alters- und Pflegeheime dabei, in Kürze Sterbensorte Nr. 1 in Deutschland zu werden, noch vor den Krankenhäusern und weit vor dem eigenen zuhause.“ (Borasio 2014, 18). Aus einer Untersuchung von 33 Einrichtungen ergibt sich u.a.: „Nach einem Jahr sind knapp die Hälfte (47,5 %) der Bewohnerinnen und Bewohner verstorben.“ (Schönberg, de Vries 2011). Nach einer Studie beträgt die durchschnittliche Verweildauer der männlichen Bewohner 18 Monate und die der Bewohnerinnen 36 Monate (vgl. Schönberg, de Vries 2011, 370). Damit müsste eigentlich Tod und Sterben ein zentrales Thema dieser Organisationen und ihrer Insassen sein. Dies müsste auch für diejenigen Bewohnerinnen und Bewohner gelten, die etwas länger leben. Sie erleben, dass viele ihrer Mitbewohnerinnen und Mitbewohner versterben. Wenn man Sterbebegleitung nicht auf wenige Wochen reduziert, sind die meisten Heimbewohner und viele Heimbewohnerinnen bereits kurz nach ihrem Heimeintritt Betroffene. Vielen ist dies auch bewusst (vgl. Luckwald 2018, S. 47). Eine Fragestellung ist, inwieweit diese Sterbenden in Pflegeheimen durch die Palliativmedizin und die Palliativpflege versorgt werden. „Ich habe mich bewusst der Versorgung von Tumorpatienten gewidmet. Ich wußte, dass es mir nicht gelingt, die Misere in der Versorgung unserer alten Mitbürger aufzugreifen. Das Problem war mir zu groß gewesen.“ (Cicely Saunders, zitiert nach Becker-Ebel 2017, S. 11). Vor dem Hintergrund des Pflegenotstands stellt sich die Frage nach den Beteiligungsmöglichkeiten des Personals. Wichtig wird auch die Frage der Lebensqualität im Heim. Eine Sterbebegleitung ist durch ambulante Hospizvereine möglich. Die Frage ist jedoch, ob dies ausreicht. „Allein, wenn ich die fehlende palliative Kompetenz und Versorgung in vielen Altenpflegeeinrichtungen erlebe, ist noch viel zu tun.“ (Domdey 2018. S. 21). Wird so Sterben im Pflegeheim zu einem Sterben zweiter Klasse im Sinne eines stark fremdbestimmten Sterbens? (vgl. Ärzte-Zeitung 2015).
Autorin und Autor
Dr. Margret Xyländer ist Soziologin und arbeitet in der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld.
Prof. Dr. em. Peter Sauer (+) war Professor für Sozialpolitik an der Evangelischen Hochschule Berlin
Aufbau
Der Aufbau entspricht einem klassischem Forschungsbericht. Begonnen wird nach der Einleitung mit einem theoretischen Teil. Nach einem methodischen Kapitel (2) folgt ein ausführliches Kapitel (4), in dem die empirischen Ergebnisse dargestellt werden. Es folgt eine Zusammenfassung und Diskussion (Kapitel 5) und ein kurzes Kapitel (6) zur Sorgekultur.
In der Einleitung skizziert die Autorin Kontext und Relevanz der Untersuchung. Die forschungsleitende Fragestellung, die Ziele der Studie und die spezifische Situation in Berlin. In der Untersuchung geht es zum einen um eine Bestandsaufnahme (S. 12) und Analyse bestehender Sterbekulturen. Zum anderen sollen herausgearbeitet werden, wie eine Verbesserung der Abläufe erreicht werden kann. Letzteres wäre ein normativer Ansatz. Skeptisch sieht der Rezensent Begriffe wie „Gelingen von Sterbebegleitung“. Sterben und Sterbebegleitung sind individuell. Der Gesprächsbedarf kann unterschiedlich groß sein. Unterschiedliche Dimensionen (körperlich, sozial, psychisch. spirituell) können Schwerpunkt sein. Dies kann sich während des Sterbeprozesses verändern. Allein die Sterbenden und die Angehörigen können einschätzen, was hilfreich war und was nicht. In Berlin gibt es ein spezifisches Konzept zur Sterbebegleitung in vollstationären Einrichtungen. Inwieweit dieses theoretisch-programmatischen Konzept auch den Pflegealltag prägt, bleibt aber eine offene Frage. [1]
Kapitel 2
In Kapitel 2 werden zentrale Bezugspunkte des Projektes behandelt. Begonnen wird mit einigen relevanten Forschungsarbeiten zum Sterben und zur Sterbebegleitung in Heimen, wobei Widersprüche und Inkonsistenzen festgestellt werden. Bisher lägen kaum gesicherte Ergebnisse vor. Einige dieser Arbeiten basieren auf Einschätzungen der Mitarbeiterinnen. Wie Sterbeprozesse tatsächlich verlaufen wird dagegen kaum analysiert. Anschließend wird auf relevante Begriffe wie Hospizbewegung, Palliativ Care, Palliative Geriatrie, Sterbebegleitung und Sterbekulturen eingegangen. Hierzu empfiehlt der Rezensent den Lesern ergänzende Literatur mit vielen Fallgeschichten und Erfahrungsberichten (z.B. Borasio 2014, Gottschling, Amend 2016; Döhring 2018, Jungbauer, Krockhauer 2013). Wichtig sind zum Beispiel die Selbstbestimmung des Sterbenden über sein Leben und die Lebensqualität.
Kapitel 3
In Kapitel 3 wird das methodische Vorgehen behandelt. In einer vorgeschalteten Leitbildanalyse wurde festgestellt, dass in den Leitbildern das Thema Sterben und Heime als Sterbeorte häufig marginalisiert ist. Eingegangen wird auf Vorannahmen der Untersuchung und auf Themenkomplexe. Durchgeführt wurden vom Oktober 2013 bis Ende 2013 9 Gruppendiskussionen und 40 Einzelinterviews. Von den 40 Einzelinterviews waren 30 Experteninterviews und 10 narrative Interviews (mit ehrenamtlichen Sterbebegleitungen) zur Entwicklung zum Sterbebegleiter/in und zu Erfahrungen mit Sterbebegleitungen. Offen thematisiert werden Erfahrungen und Probleme während der Datenerhebung. Erhebungsprobleme gab es weniger bei den Hospiz-Diensten, aber stärker in den Pflegeeinrichtungen. Heimleitungen hätten vor allem in Sinne sozialer Erwünschtheit geantwortet, Vermutungen zu Sterbebegleitungen geäußert und seien weniger auf Missstände eingegangen. In Gruppendiskussionen mit dem Pflege- und Betreuungspersonal wurden Probleme deutlich, sich offen zu emotional sensiblen Bereichen zu äußern, außerdem gab es eine Zeitproblematik. Die Analyse der Daten erfolgte durch eine inhaltlich strukturierte qualitative Inhaltsanalyse, wobei Kategorien sowohl induktiv als auch deduktiv gebildet wurden.
Kapitel 4
Die Darstellung der Ergebnisse in Kapitel 4 beginnt mit Bedingungsfaktoren für die Begleitung Sterbender (Kapitel 4.1.). Hierzu gehört die kurze Verweildauer und schlechter Allgemeinzustand vieler Bewohner, was Qualität der Sterbebegleitung beeinträchtigen könne. Man habe nur wenig Zeit, die Bewohnerinnen und Bewohner kennenzulernen. Die Pflegeheime müssten so „verstärkt hospizähnlichen Charakter entwickeln.“ (S. 47). Ob das im derzeitigen Pflegesystem und Gesundheitssystem möglich sein wird, bezweifelt der Rezensent. Die Entwicklung zur kürzeren Verweildauer und der schlechte Personalschlüssel sind systembedingt. Aufgrund der Fallpauschalen übernehmen Pflegeheime häufig Patienten aus Krankenhäuser, der Gewinn der Heime ist auch von den Pflegegraden der Bewohner abhängig und die ambulante Pflege hat Vorrang im Pflegesystem. Die Pflegeheime würden dann weniger zu Hospizen, sondern eher zu Warteräumen des Sterbens. Hingewiesen wird auch auf den Einfluss von Antipathien und Sympathien zwischen Bewohnern und Pflegepersonal. Die Verweildauer beeinflusse auch das Beziehungsgeflecht zwischen Bewohnerinnen und Pflegenden. Behandelt wird auch die Möglichkeiten auf die Individualität der Sterbenden einzugehen. Diese könne eingeschränkt sein durch die Knappheit an Zeit auf Seiten des Personals. Von Bedeutung sei auch die Länge des Sterbeprozessen und die Frage, inwieweit Angehörige mitwirken. Als begrenzende Rahmenbedingungen wird vor allem der Zeitmangel des Personals dargestellt, manchmal würden Personalangehörige Sterbebegleitung in ihrer Freizeit leisten. Für den Rezensenten stellt sich die Frage, inwieweit unter den hier dargestellten Bedingungen überhaupt noch von Hospizarbeit und Palliative Care gesprochen werden kann. Die Palliativmedizin und entsprechend auch die Palliative Care schließen psychische, soziale und spirituelle Aspekte mit ein. Eine Institution ist daher nicht schon deshalb palliativ, weil dort gestorben wird. Die Kooperation mit Institutionen wie Krankenhäusern und Hausärzten wird häufig als konflikthaft eingeschätzt. Eine hausärztliche Versorgung könne problematisch werden, wenn an Wochenenden die Hausärzte nicht erreichbar seien. Eine Versorgung durch Palliativmediziner wird, wenn sie stattfindet, positiver gesehen. Mit Krankenhäusern gibt es Konflikte um Einweisungen.
In Kapitel 4.2. werden kategorienbezogene Auswertungen aus der Perspektive der Heimleitung (Kapitel 4.2.1) und des Pflegepersonals (Kapitel 4.2.2.) behandelt. Die Ergebnisse aus der Perspektive der Heimleitung werden am ausführlichsten dargestellt (96 Seiten).
Begonnen wird das Unterkapitel 4.2.1. mit dem Aufnahmegespräch. Nur in einem der Interviews mit Heimleitungen wurden offene Thematisierungen des Themas Tod und Sterben dargestellt. In mehr als die Hälfte der Fälle wurden die Themen im Aufnahmegespräch vermieden und auf später verschoben In weniger als die Hälfte der Fälle beschränkte man sich auf formale und organisatorische Aspekte. Der Rezensent vermutet, dass eine formale Thematisierung heute häufiger ist. Diese Thematisierungen gehören zur Vorsorge und erfolgen heute schon bei Klinikeinweisungen, auch wenn noch keine lebensbedrohliche Erkrankung diagnostiziert wurde. Die Organisation muss sich rechtlich absichern für den Fall, dass der Patient bestimmte Behandlungen während eines Sterbeprozesses verweigert.
Es folgt das Thema Kommunikation über Tod und Sterben zwischen Personal und Heimbewohnern. Einige Heimleitungen nehmen an, dass die Themen von Bewohnerinnen und Bewohnern eher gemieden werden. Andere Heimleitungen nehmen an, dass Heimbewohner offensiver mit den Themen umgehen als Mitarbeitende. Das Thema ist wichtig, weil Betroffene spüren, mit wem sie über bestimmte Themen reden können. Behandelt werden auch Rituale zur Einbeziehung von Mitbewohnern ein eine Bewohnerin oder ein Bewohner gestorben ist. Manchmal nehmen Mitbewohner persönlich von einem Verstorbenen Abschied, wenn sie zu ihm eine gute Beziehung hatten.
Sicht der Heimleitungen
Es folgt ein Abschnitt zum Selbstverständnis von Heimleitungen. Nach dem Eindruck des Rezensenten bleibt dabei offen, welche Bedeutung diese Aussagen, Meinungen und Einschätzungen für den Heimalltag tatsächlich haben und inwieweit sie die Heimkultur tatsächlich prägen. Hier könnten ergänzende ethnographische Erhebungen oder interaktionsgeschichtliche Interviews (vgl. Riemann 2000, S. 40 ff) sinnvoll sein. Angesprochen wird auch der Umgang mit Unzulänglichkeiten und Fehlern bei der Sterbebegleitung. In einem der angeführten Beispiele (S. 76) könnte es sich allerdings auch um Mängel in der palliativ-medizinischen Versorgung handelt, denn für die Schmerztherapie wären eigentlich Ärzte verantwortlich. Es folgt ein Abschnitt zum Verständnis von Sterbebegleitung. Der Beginn einer Sterbebegleitung wird unterschiedlich definiert. Nach einer Definition beginnt die Sterbebegleitung mit dem Einzug der Bewohnerin oder des Bewohners. Nach einer anderen Definition wird von Anzeichen des Rückzugs oder der Nahrungsverweigerung ausgegangen. Hier würde die Bewohnerin oder der Bewohner selbst signalisieren, dass der Sterbeprozess beginnen soll bzw. wird (vgl. auch Luckwaldt 2018). Nicht erwähnt wird offenbar die Möglichkeit der Diagnose von ein oder mehreren unheilbaren Krankheiten, die wahrscheinlich in einigen Monaten zum Tode führen werden. Zu dem Verständnis von Sterbebegleitung gehört das Einbeziehen von Angehörigen und die Erfüllung von Wünschen des Sterbenden. Dies scheint wünschenswert zu sein, wobei der Rezensent sich fragt, inwieweit dies auch umgesetzt wird.
Eine Dokumentenanalyse zu Konzepten der Sterbebegleitung wurde durchgeführt. Diese enthalten vorrangig organisatorische Regelungen und Hinweise zur Pflege Sterbender. Festgelegt werden auch einige Rituale für die Zeit nach dem Tod des Bewohners bzw. der Bewohnerin. Festgestellt wird, dass solche Konzepte häufig vorhanden sind, aber wenig angewendet bzw. umgesetzt werden. [2] Ein folgt ein Abschnitt zur „internen Organisation der Sterbebegleitung“ Für den Rezensenten bleibt offen, inwieweit es um eine Sterbebegleitung oder eine Organisation des Sterbens geht. Organisation in Zusammenhang mit Sterben hat es schon immer gegeben (vgl. etwa Glaser/Strauss 1965). Das entspricht aber nicht immer dem, was in der Hospizbewegung und der Palliativmedizin/Palliative Care mit Sterbebegleitung gemeint ist. Eingegangen wird dann auf die Thematik Krankenhauseinweisungen am Lebensende. Probleme können entstehen Wenn eine Sterbebegleitung in der Nacht aufgrund von Personalmangel schwierig wird. Sofern eine engmaschige hausärztliche Versorgung gewährleistet ist, können Krankenhauseinweisungen vermieden werden. Wenn Patientenverfügungen vorliegen, können Maßnahmen in Krankenhäusern, die den Sterbeprozess verlängern (z.B. Magensonden), vermieden werden. Der Rezensent möchte hier anmerken, dass auch die Möglichkeit einer Einweisung auf eine Palliativstation, die einen besseren Personalschlüssel hat, bestehen kann. Ein Problem kann aber die Übertherapie am Lebensende werden (vgl. Thöns 2016).
Es folgt ein Abschnitt über Rituale während des Sterbeprozesses und nach dem Tod. Zu den Ritualen vor dem Tod wird festgestellt „das eher wenig ritualisierte Handlungen während des Sterbeprozesses existieren“ (S. 99). Den Rezensenten wundert dies nicht, wenn man von der Heimkultur ausgeht. Es gibt religiöse und kulturelle Sterberituale (zum Beispiel katholische oder islamische), die sich in einer kulturell heterogenen Gesellschaft nicht vereinheitlichen lassen. Sie sind abhängig von der Religiosität und Spiritualität der Sterbenden und ihrer Angehörigen. Auch die Bedürfnisse von Sterbenden nach Kommunikation und Berührungen können unterschiedlich sein. Sie können sich auch während des Sterbeprozesses verändern. Bei den Ritualen nach dem Tod wird unterschieden zwischen symbolischen Ritualen, Rituale mit organisatorischem Charakter, persönlicher Abschiednahme, Rituale beim Verlassen der Einrichtung und Rituale des Erinnerns (u.a. Gedenkveranstaltungen für Mitbewohnerinnen und/oder Angehörige) Festgestellt wird ein Wandel zu einer bewussteren Auseinandersetzung zum Sterben und Tod durch Ritualen. In einigen Fällen würden jedoch Rituale durchgeführt aber nicht „gelebt“ (S. 107).
Die Darstellung zu den Kompetenzen des Pflegepersonals aus der Perspektive der Heimleitung umfasst die Themen grundlegende Voraussetzungen und Qualifizierung. Begonnen wird mit Sensibilität als Voraussetzung. Die Personalangehörigen sollten sensibel sein für die Bedürfnisse von Sterbenden. [3] Hierzu gehöre auch das Erkennen eines Sterbeprozesse. Der Rezensent möchte hier anmerken, dass das schwierig sein kann. Manche Sterbebegleitungen können zu Besuchsdiensten werden. Beginnt der Sterbeprozess mit der Diagnose einer stark lebensverkürzenden Krankheit bzw. schwerer Multimorbidität oder erst mit den letzten Tagen und Stunden? Die Sensibilisierung könne eingeschränkt werde durch geringe Qualifikation des Personals und Fluktuation des Personals. Festgestellt wird, dass die Heimleitungen häufig nicht sicher wissen, inwieweit und in welchem Maße die Sterbebegleitung Teil der Pflegeausbildung ist. Auch die Fähigkeit zur Selbstreflexion gehöre zu den sozialen Kompetenzen.
Bei den Fortbildungen ergibt sich ein heterogenes Bild. Formale Schulungen von Bildungsträgern, aber auch Teammeetings oder Arbeitsgruppen werden dazu gezählt. Auch der Umfang der Fortbildungen und der Anteil der in Palliative Care weitergebildeten Pflegekräfte kann unterschiedliche sein. Hier könnte nach Ansicht des Rezensenten ein verbindliches Curriculum mit Mindeststundenzahl für Pflegende, die zur Sterbebegleitung bereit und dafür geeignet sind, sinnvoll sein. Die so qualifizierten Pflegekräfte müssen dann aber auch die Zeit haben, Sterbebegleitungen anzubieten. Hingewiesen wird auf die Notwendigkeit des Einsatzes von Ehrenamtlichen. Dies „begründet sich in den knappen Personalressourcen, in denen Sterbebegleitung nicht vorgesehen ist.“ (S. 116).
Im nächsten Unterabschnitt wird die Bewältigung von Tod und Sterben beim Pflegepersonal behandelt. Die Reaktionen der Pflegenden sind demnach unterschiedlich. Neben der Ausblendung gibt es Formen der Bearbeitung oder auch Weigerungen, Zimmer von Sterbenden zu vertreten. In zwei Drittel der Fälle (12 von 17) sind die Unterstützungsangebote der Heime für die Pflegenden in dieser Frage sehr gering (S. 121). Einige Heimleitungen sehen hier einen Nachholbedarf. In einigen Fällen ist die Heimleitung ein Gesprächspartner für die Pflegenden. Einige Sterbeprozesse könnten sehr lange dauern und schwierig sein. Das Personal müsste das aushalten. Erwähnt werden auch Prozesse, die man als Sterbefasten charakterisieren könnte (S. 124/125). Bei den internen Unterstützungen werden informelle Angebote (u.a. Gesprächsangebote an Personalangehörige ) und formelle Angebote (u.a. Fortbildungen) unterschieden. Externe Angebote wie Supervisionen sind sehr selten, u.a. weil sie sehr teuer sind. Die positive Haltung der Heimleitung gegenüber Personalangehörigen, die mit Sterbenden zu tun haben wurde als wichtig abgesehen. Grenzen der Unterstützung liegen in knappen Zeitressourcen, finanziellen Beschränkungen sowie darin, dass Angebote häufiger nicht angenommen werden. Dem Rezensenten wird nicht klar, in welchem Umfang und mit welcher Intensität diese Unterstützungen überhaupt stattfinden. Die Intensität kann von Worte des Bedauerns bis zu biographischen und interaktionsgeschichtlichen Reflexionen zur Beziehung zum Sterbenden reichen.
Es folgt ein Abschnitt zur Kooperation mit Ehrenamtlichen und Hospiz-Vereinen. Vier von siebzehn Einrichtungen nutzen keinen Hospizdienst oder nur dann, wenn Angehörige dies wünschen. Fünf Einrichtungen haben regelmäßige und intensive Kooperation. Anscheinend ist die Kooperation in acht Einrichtungen weniger intensiv und regelmäßig. Die Kooperation wird als hilfreich empfunden, unter anderem weil die Pflegekräfte weniger Zeit für Sterbebegleitung haben. Wichtig ist für einige Einrichtungen, dass die Ehrenamtlichen auch Kontakte zu den Pflegekräften pflegen. Probleme der Kooperation können entstehen, wenn Ehrenamtliche sich in die Pflege einmischen und Hauptamtlichen sagen, was sie zu tun hätten. Schwierigkeiten können zum Beispiel auch entstehen, wenn Ehrenamtliche nicht rechtzeitig über den Tod der begleiteten Person informiert werden. Auch die Einschätzung, wann eine Sterbebegleitung einsetzen sollte, kann zu einem Problem werden. Manchmal werde die nicht rechtzeitig vorher erkannt, sodass die Sterbebegleitung sehr spät einsetzt, in anderen Fälle ziehe sich der Sterbeprozess über einen längeren Zeitraum hin. [4] Bei längeren Sterbebegleitungen nehme häufig die Kommunikation zwischen Ehrenamtlichen und Pflegekräften ab. Einige Heimleitungen treffen sich regelmäßig mit Koordinatorinnen der Hospizvereine. Einige Hauptamtliche würden die Begleitung lieber selber übernehmen und nicht an einen Ehrenamtlichen abgeben. Verbesserungsbedarf zur Kooperation mit den Ehrenamtlichen wird in den Absprachen zwischen Personal, Angehörigen und Ehrenamtlichen in der letzten Sterbephase gesehen
Es folgt ein Abschnitt über Idealbilder von Heimleitungen zur Sterbebegleitung. Hierbei geht es zum einen um „gelingende Sterbebegleitung“ durch das Eingehen auf die Individualität des Sterbenden mit seinen Wünschen und Vorstellungen. Zum anderen geht es um Möglichkeiten der Umsetzung. Der Rezensent hat vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen als Ehrenamtlicher den Eindruck, dass einige dieser Idealbilder idealisierend und verklärt sind. Die Sensibilität der Begleitenden und Absprachen mit allen Beteiligten sei wichtige für die Umsetzung guter Sterbebegleitung. Hingewiesen wird auch auf den knappen Personalschlüssel. Verbesserungsbedarf bestehe in der Kooperation der beteiligten Berufe und Institutionen und einer besseren Vorbereitung der Auszubildenden gesehen. Auch die Finanzierung der Pflege müsse verbessert werden.
Sicht der Pflegekräfte
Die erste Kategorie betrifft die Organisation der Sterbebegleitung in Kooperation mit Angehörigen und Ehrenamtlichen. Deutlich wird die Zeitknappheit. Begleitung ist möglich, wenn es „meine Arbeit erlaubt“ (S. 157), manchmal findet sie auch in der Freizeit der Pflegekräfte statt und kann auch sehr kurz sein. Wichtig sei die Anwesenheit und das Ziel, dass niemand mit Angst oder Schmerzen sterbe (S. 156) Ob dies immer gewährleistet werden kann, ist nach dem Eindruck des Rezensenten fraglich. Zur Organisation gehören auch Beratungsgespräche mit Angehörigen zu wichtigen Fragen und Hilfe bei der Trauerbewältigung. Zur Organisation gehören auch Rituale während des Sterbens und als Erinnerungskultur nach dem Tod einer Bewohnerin, in die auch Mitbewohnerinnen einbezogen sind. Der Begriff Ritual wird dabei sehr weit gefasst.
Die nächste Kategorie behandelt das Erleben von Sterben und Tod. Begonnen wird mit dem Alltag. Herzu wird festgestellt, dass das Personal relativ offen mit dem Thema umgeht. Das stehe im Kontrast mit der Vermutung einiger Heimleitungen, die von einer Befangenheit des Pflegepersonals ausgingen. In einigen Gruppendiskussionen wird die Einschätzung geäußert, dass Tod und Sterben für die Bewohner ein Tabu-Thema sei, in anderen, dass dies den Bewohnerinnen und Bewohnern bewusst sei. In Gesprächen mit Bewohnern würde das Personal offen mit dem Thema umgehen. Gespräche im Pflegeteam zu den Themen werden als hilfreich angesehen. Dazu gebe es aber wenig Räume
Es folgt ein Abschnitt über „Trauer- und Verlustbewältigung“. Der Rezensent fragt sich, inwieweit man dabei immer von Trauerbewältigung sprechen kann. Trauer ist ein Prozess, der eine persönliche und emotionale Beziehung zum Sterbenden bzw. Toten voraussetzt. Eine solche Beziehung zwischen Pflegekraft und Bewohnerin mag in einzelnen Fällen bestanden haben, in anderen Fällen aber wohl nicht. „Für einen Großteil der Pflegekräfte ist Sterben unproblematisch, solange es friedlich abläuft.“ (S 168). Hier geht es um Gedanken und Gefühle, die mit dem Erleben von Sterbeprozessen verbunden sind. Als Herausforderungen werden u.a. unvorhersehbare Sterbefälle, Selbstzweifel des Personals, alles richtig gemacht zu haben, und knappe Zeitressourcen genannt. Umgangsstrategien sind u.a. professionelle Distanz und Abschalten sowie die Kommunikation im Team. Gewünscht werden mehr externe Unterstützungsangebote. Im Kollegenkreis wird offen über die Themen gesprochen, die Offenheit gegenüber den Heimleitungen ist dagegen nicht immer gegeben. Wichtig seien auch Abschiedsrituale, zum Beispiel interne Trauerfeiern zusammen mit Bewohnerinnen und Bewohnern.
Es folgt ein kurzer Abschnitt zu Fort-und Weiterbildungen zur Sterbebegleitung. Die Angebote hierzu sind unterschiedlich groß und nicht immer verpflichtet. Ein Problem sei, dass man das erworbene Wissen aufgrund von Zeitmangel häufig nicht anwenden könne.
Die Kooperation mit Hospiz-Vereinen wird positiv wahrgenommen, aber Ehrenamtliche werden in vielen Einrichtung eher in Ausnahmefällen hinzugezogen. [5] Wichtig seien auch die Angehörigen in Gespräche mit Ehrenamtlichen einzubeziehen.
In dem Abschnitt zu den Idealbildern zum „gelungener Sterbebegleitung“ ist wiederum der Zeitmangel bedeutsam. Gewünscht wird mehr Zeit für ganzheitliche Pflegebegleitung, für Nachtwachen und Kontakte mit Angehörigen.
Kapitel 4.3. Sicht der Hospiz-Koordinatorinnen und Koordinatoren
Begonnen wird auch in diesem Kapitel mit Bedingungsfaktoren. Danach folgt die kategorienbezogene Ausbildung. Eine positive Einstellung von Heimleitungen zur Sterbebegleitung, auch unter Beteiligung von Pflegekräften wird als günstig angesehen. Gewünscht wird ein längerer Vorlauf bei der Sterbebegleitung im Unterschied zu Sterbebegleitungen erst in der letzten Sterbephase. Gegenseitige Anerkennung und Wertschätzung und Einbeziehung in das Pflegeteam seien wünschenswert.
Eingegangen wird auf das Selbstverständnis von Sterbebegleitung, auf unterschiedliche Tätigkeiten, auf die Beziehung der Ehrenamtlichen zu Angehörigen und Mitbewohnern und Mitbewohnern, auf die Qualifizierung und Selbstschutz. Einige Ergebnisse entsprechen nach Einschätzung des Rezensenten der allgemein geteilten Wissensbasis von Hospiz-Vereinen. Strittig in der Hospizbewegung ist jedoch der Begriff der Professionalisierung. Gronemeyer spricht von „Professionalisierungsfalle“ ( Gronemeyer 2018, S. 20). Ehrenamtliche werden zwar qualifiziert und erhalten Supervision, sie werden aber dadurch nicht zu Professionellen. [6]
Die Kompetenzen der Pflegeheime und Pflegekräfte sind nach Einschätzungen der Koordinatorinnen unterschiedlich. Manchmal würden Bedürfnisse Sterbender falsch gedeutet. Manche Heime hätten Leitbilder, deren Umsetzung sie jedoch nicht gewährleisten könnten. Manchmal gebe es auch Konkurrenzdenken oder Berührungsängste. Gefordert wird das Sterbebegleitung fester Bestandteil der Pflegausbildung wird.
Im nächsten Abschnitt wird die Trauer- und Verlustbewältigung bei ehrenamtlichen Sterbebegleitern und bei Pflegenden aus Sicht der Koordinatorinnen behandelt. Es gebe immer noch Pflegeheime, in denen Sterben verleugnet würde. Eingegangen wird auf Supervisionen, Auszeiten, Angstbewältigung bei Ehrenamtlichen und den notwendigen Selbstschutz.
Im Abschnitt über die Kooperation mit Pflegeeinrichtungen und andere Organisationen wird auf die Organisation der Sterbebegleitung zunächst über die Koordinatorinnen und dann durch die Ehrenamtlichen eingegangen. Behandelt wird auch der Einbezug von Angehörigen und Kontakte zu weiteren Bewohnerinnen und Bewohnern. Die Kooperation mit Heimleitungen kann schwierig werden, wenn diese sich durch die Hospiz-Vereine stark kritisiert und angegriffen fühlen. Ein Problem ist, dass die Hospiz-Vereine relativ spät zu Sterbenden gerufen werden. Hingewiesen wird auf einem Mangel an Palliativmedizinern, Hausärzte seien häufiger nicht hinreichend in Palliativmedizin ausgebildet.
Sicht der Ehrenamtlichen
Eingegangen wird auf die Motivation der Ehrenamtlichen, auf die hospizliche Haltung und Wünsche der Sterbenden, auf die Qualifikation der Ehrenamtlichen, die Organisation der Sterbebegleitung und auf besondere Herausforderungen, wie zum Beispiel der Umgang mit Demenzkranken. Ein weiteres Thema ist die Thematisierung von Sterben in Pflegeeinrichtungen. Behandelt werden auch wieder Rituale während der Sterbebegleitung, die selten seien, und Rituale nach dem Tod. Es folgt ein Abschnitt zum Erleben der Kooperation mit Pflegenden. Von positiven und negativen Erfahrungen wird berichtet. Unzufrieden ist man zum Beispiel, wie das Personal mit Fragen oder Kritik von Ehrenamtlichen umgeht. Die Sichtbarmachung von Ehrenamtlichen, etwa durch Namensschilder wird unterschiedlich gehandhabt. Mitbewohnerinnen und Mitbewohner seien selten an der Sterbebegleitung beteiligt. Im Unterschied dazu werden Angehörige, wenn dies möglich ist, stärker in die Sterbebegleitung einbezogen. Eingegangen wird auf Bewältigungsstrategien der Ehrenamtlichen, u.a. Beweinen, Rituale zur Abgrenzung zwischen Begleitung und Alltag, Abschätzen der eigenen Grenzen und Auszeiten. Eingegangen wird auch auf Unterstützungsangebote der Vereine für die Ehrenamtlichen wie Supervision, Trauerrituale für die Verstorbenen und Fortbildungen. Behandelt werden Idealbilder gelungener Sterbebegleitung und Wünsche der Ehrenamtlichen. Gewünscht wird u.a. mehr Zeit für Gespräche mit dem Personal und eine bessere Fortbildung in Sterbebegleitung für die Pflegenden.
Unterkapitel 4.5
Hier werden vier Typen dargestellt. Zwei Typen werden dem Konzept des „Gestaltens“ zugeordnet und zwei dem Konzept des „Aushaltens“. Der Typ I „Das Heim als professioneller Begleiter“, der dem Gestalten zugeordnet wird, scheint eine optimale Umsetzung der Sterbebegleitung zu ermöglichen. Das gesamte Personal sei entsprechend geschult und kooperiert mit den Mitbewohnern, den Angehörigen und den ehrenamtlichen Sterbebegleitern. Das Fallbeispiel hierzu hätte etwas ausführlicher ausfallen können. Im Kontrast dazu steht der Typ II „Sterbebegleitung als organisatorische Notwendigkeit“, der sich auf die technische Organisation zum Sterben konzentriert. Dies beginne mit dem Aufnahmegespräch, indem dort notwenige Informationen für den Todesfall erfragt werden. Rituale nach dem Tod kommen vor. Sterben und Tod wird nicht mit anderen Bewohnerinnen thematisiert. Dieser Typ wird der Kategorie des Aushaltens zugeordnet. Eine Zwischenstellung scheint der Typ 3 „Heim und Sterbebegleitung im Wandel“ einzunehmen, der der Kategorie Gestalten zugeordnet wird. Er habe bereits Elemente des Typ I, die aber nicht stringent umgesetzt würden. Es bestünden noch Unsicherheiten beim Personal bei der Umsetzung von Ritualen und Handlungsanweisungen. Beim Typ IV werden Elemente der Verleugnung deutlich. Thematisierungen von Tod und Sterben in den Einrichtungen finden kaum statt, Fortbildungen zu diesem Thema sind kaum vorgesehen. Nach der Abbildung 10 (S. 253) lassen sich nur wenige Heime dem Typ I zuordnen.
Kapitel 5: Zusammenfassung und Diskussion der Ergebnisse
In diesem Kapitel werden Ergebnisse aus den vier Gruppen (Heimleitung, Pflegepersonal, Koordinatoren, Ehrenamtliche) verglichen und dazu Thesen aufgestellt. Begonnen wird mit dem Vergleich von Pflegepersonal und Heimleitung (Kapitel 5.1.) Festgestellt wird, dass Sterbebegleitung im Verständnis von Heimleitungen wenig vorkommt. Zu den Abläufen hätten die Heimleitungen häufig nur vage Vorstellungen. Die Autorin und der Autor nehmen an, dass vor dem Hintergrund der kurzen Verweildauer Einrichtungen zu „palliativen Heimen“ werden und sich eine „hospizähnliche Sorgekultur“ entwickele. Der Rezensent bezweifelt dies. Hospize haben einen ganz anderen Personalschlüssel und palliative Stationen auch. Palliativpflege und Palliativmedizin erfordern entsprechendes Fachpersonal. Festgestellt wird eine hohe Bereitschaft der Pflegekräfte, sich in der Sterbebegleitung zu engagieren. Eingegangen wird auf Abschiedsrituale und ihre Bedeutung auch für die Pflegenden. Während Heimleitungen häufig große Vorbehalte gegen Thematisierungen von Tod und Sterben hätten, entwickelten Pflegekräfte Möglichkeiten, um miteinander und mit Heimbewohnern über diese Themen zu sprechen. Unterstützungsangebote für Pflegende zur Trauer- und Verlustbewältigung sowie Fortbildungsangebote zur Sterbebegleitung seien häufig unzureichend, was zur Verdrängung bzw. Vermeidung führen könne. Die Haltung zur Kooperation mit Hospiz-Vereinen wird als ambivalent eingeschätzt. Einerseits wird Sterbebegleitung durch Ehrenamtliche als hilfreich angesehen, andererseits wird sie in einigen Einrichtungen nur in schwierigen Fällen in Anspruch genommen. Es folgt ein Vergleich zwischen der „Logik“ der Ehrenamtlichen und der Pflege (5.2). Nach dem Eindruck des Rezensenten ist hier einiges etwas zu pauschal dargestellt. Wer sich zum Beispiel in welchem Umfang an der Begleitung beteiligen sollte, entscheidet eher der Sterbende. Diese Bedürfnisse können unterschiedlich sein. In Unterkapitel 5.3 werden Handlungsempfehlungen an die Praxis gegeben. Es geht unter anderem um die Etablierung von Ritualen, Entlastungsmöglichkeiten die Heimleitungen anbieten sollen, Begleitung der Pflegenden und die Stärkung von Kompetenzen der Pflegenden durch Fort- und Weiterbildungen. Eingegangen wird auch auf die Verbesserung der Kooperation mit den ambulanten Hospizdiensten. Die Umsetzung der meisten dieser Handlungsempfehlungen ist nach Ansicht des Rezensenten davon abhängig, inwieweit der Gesetzgeber besseren Rahmenbedingungen für die stationäre Pflege schafft.
Kapitel 6
Im kurzen Kapitel 6 Skizzieren die Autorin und der Autor ihren Begriff der „Sorgekultur als gemeinsamer Prozess der Gestaltung resp. Herstellung von Sterben“. Die Sorgekultur wird demnach im wesentlichen bewusst von den Beteiligten hergestellt (S. 277) Ritualen hätten hierbei einen großen Stellenwert. Nach dem Eindruck des Rezensenten ist das Konzept idealisierend. Die Beteiligten sind nicht wirklich frei, sondern reagieren auch auf die bestehenden Verhältnisse.
Diskussion
Die ausführliche Behandlung ähnlicher Themen und Kategorien aus den vier Perspektiven mag aus methodischen Gründen sinnvoll gewesen sein. Für den Leser wirkt dadurch jedoch Einiges redundant. Dies kann auch ein Effekt der kategorienbildenden Auswertung sein, wenn die Kategorien bei den vier Personengruppen ähnlich sind. Die dargestellten Ergebnisse liegen häufig auf der Ebene eigentheoretischer Konzepte. Wie die Sterbebegleitung tatsächlich im Alltag aussieht, wird dagegen seltener deutlich.
Öfters stellt sich bei der Lektüre die Frage, was die Befragten eigentlich unter Sterbebegleitung verstehen. Manchmal scheint der bloße Kontakt mit Sterbenden bereits als Sterbebegleitung verstanden zu werden. In anderen Fällen ist die Interaktion mit den Sterbenden intensiver, die Persönlichkeit, die Gedanken und Gefühle der Sterbenden sind stärker einbezogen. Man hat den Eindruck, dass diese persönlichere Sterbebegleitung beim Personal selten vorkommt. Darin würde sich das Pflegeheim vom Hospiz stark unterscheiden.
Immer wieder wird in der Studie auf die Zeitknappheit des Personals hingewiesen. Aus der Perspektive der Bewohnerinnen und Bewohner führt dies zu einer Einschränkung der Lebensqualität (vgl. auch Rieger 2017) Lebensqualität und Lebenslänge sind in der Palliativmedizin wichtige Kategorien. So kann zum Beispiel eine bestimmte Krebstherapie das Leben vielleicht verlängern, das aber bei schlechterer Lebensqualität. Die Entscheidung darüber soll dann im Einzelfall beim Patienten liegen. Die Frage nach der Lebensqualität stellt sich aber nicht nur für Sterbende. Sie kann sich auch stellen für nicht-sterbende Pflegeheimbewohner, die aufgrund von Multi-Morbidität und Behinderungen stark eingeschränkt und abhängig von einem überlasteten Pflegpersonal sind. Daher greift die Frage nach der Sterbebegleitung im Pflegheim zu kurz. Sie muss gesehen werden vor dem Hintergrund des Pflegenotstands in unserem System der Pflege. Eine Sterbebegleitung für alle Bewohnerinnen und Bewohner, die bald sterben könnten, würde einen Personalschlüssel erfordern, der wahrscheinlich nicht finanziert würde. Fraglich ist auch, ob es so viele Ehrenamtliche gäbe, wie dafür nötig wären. Diese Ehrenamtlichen müssten auch genügend Zeit habe für die Sterbenden, die eine intensivere Begleitung wünschen. Ehrenamtliche Sterbebegleitung ist daher zwar hilfreich, aber häufig nicht ausreichend. Vor allem können sie keine Palliativpflege und keine Palliativmedizin ersetzen. Aber ein etwas besserer Personalschlüssel könnte schon zu mehr Lebensqualität für sterbenden und nicht-sterbende Heimbewohnerinnen führen, wenn das Personal entsprechend geschult und auch eingesetzt wird. Supervision kann dann notwendig werden, da immer auch persönliche Aspekte der Pflegenden berührt werden. In Pflegeheimen liegen auch sehr alte und multi-morbide Menschen, die wahrscheinlich bald sterben werden, aber nicht an einer lebensverkürzenden Krankheit leiden. Das Pflegeheim müßte auch diese Bewohnerinnen und Bewohner einbeziehen.
Fazit
Das Thema ist wichtig. Deutlich werden einige Defizite und Probleme der Interaktion mit sterbenden Pflegeheimbewohnerinnen und Pflegeheimbewohnern. Die Ergebnisse wurde jedoch primär anhand von Darstellungsmaterial gewonnen. Weitere Forschungsvorhaben sind sinnvoll, die auch die „Vollzugswirklichkeit“ (Bergmann 1981, Hitzler/Messmer 2008, S. 244) der Interaktion mit Sterbenden erfassen.
Literatur
- ÄrzteZeitung (12.6.2015), Patientenschützer beklagen „Zwei-Klassen-Sterben“. 12.6.2015, online verfügbar http://www.aerztezeitung.de letzter Zugriff 2.2.2019
- Becker-Ebel, Jochen (Hrsg.) (2017) Palliativ Care in Pflegeheimen und -diensten, Hannover: Schlütersche Verlagsbuchhandlung,
- Bergmann, J. (1981). Ethnomethodologische Konversationsanalyse. In Schröder, P. & Steger, H. (Hrsg.). Dialogforschung. Düsseldorf: Schwann.
- Borasio, G. D. (2014) selbst bestimmt sterben. Was es bedeutet, was uns daran hindert. Wie wir es erreichen können, München, Verlag C.H. Beck.
- Döring, Dorothee (2018) Sterbende liebevoll begleiten, Keverlaer
- Domdey, Ulrich (2018), Wie steht es um die Hospizarbeit in Niedersachsen? in: Monika C.M. Müller (Hrsg.) (2018) Gut gemeint – gut gemacht? Professionalisierung der Sterbebegleitung und Zukunft der Hospizarbeit. 21. Loccumer Hospiztagung 2018, Loccumer Protokolle 25/2018, Rehburg-Loccum, S. 21 - 32
- Glaser, B.; Strauss, A. (1965) Awareness of Dying, Chicago: Aldine
- Gottschling, Sven; Amend, Lars (2016) Leben bis zuletzt. Was wir für ein gutes Sterben tun können, Frankfurt am Main
- Gronemeyer, Reimer (2018) Professionalisierung der Sterbebegleitung und Zukunft der Hospizarbeit, in: Monika C.M. Müller (Hrsg.) (2018) Gut gemeint – gut gemacht? Professionalisierung der Sterbebegleitung und Zukunft der Hospizarbeit. 21. Loccumer Hospiztagung 2018, Loccumer Protokolle 25/2018, Rehburg-Loccum S. 9 - 20
- Hitzler, Sahra; Messmer, Heinz (2008): Gespräche als Forschungsgegenstand in der sozialen Arbeit. In: Zeitschrift für Pädagogik, Jg. 54, H. 2, S. 244–260.
- Jungbauer, Johannes; Krockhauer, Rainer (Hrsg.), Wegbegleitung, Trost und Hoffnung Interdisziplinäre Beiträge zum Umgang mit Sterben, Tod und Trauer, Opladen: Verlag Barbara Budrich
- Luckwaldt, Frauke (2018),Ich will selbstbestimmt sterben. Die mutige Entscheidung meines Vaters zum Sterbefasten, München: Reinhardt
- Rieger, Armin (2017) Der Pflegeaufstand. Ein Heimleiter entlarvt unser krankes System, München, Ludwig Verlag
- Riemann, Gerhard (2000. Die Arbeit in einer sozialpädagogischen Familienberatung, Weinheim und München.
- Schönberg, F,; Vries, Bodo de (2011): Mortalität und Verweildauer in der stationären Altenpflege. In: Theorie und Praxis der sozialen Arbeit (5), S. 370–375. Online verfügbar unter johanneswerk.de/fileadmin/content/Download_JW/3_Fachthemen/a_Menschen_wahrnehmen/Leben_im_Alter/Mortalitaet_Verweildauer_deVries_Schoenberg.pdf, zuletzt geprüft am 22.09.2014. ( steht nicht mehr im Netz)
- Techtmann, Gero (2015): Die Verweildauern sinken. Statistische Analysen zur zeitlichen Entwicklung der Verweildauer in stationären Pflegeeinrichtungen. Verfügbar unter: http://www.alters-institut.de
- Winter, M. H. (2008): Pflegeheime auf dem Weg zu Institutionen des Sterbens. In: GGW 8, 2008, S. 15–22.Thöns, Matthias (2016) Patient ohne Verfügung. Das Geschäft mit dem Lebensende. 2016, 6. Auflage, Piper Verlag, München, Berlin
[1] Der Begriff wird unterschiedlich verwendet. Manchmal wird bereits Anwesenheit bei Sterbenden als Sterbebegleitung bezeichnet. Dies kann durch Angehörige, Pflegekräfte oder Bekannte erfolgen. Manchmal ist ein Vorgehen nach bestimmten Prinzipien und mit bestimmten Haltungen gemeint, auf die Ehrenamtliche und Hauptamtliche durch Schulungen vorbereitet werden.
[2] Ein Grund könnte sein, dass Sterbebegleitungen individuell/fallspezifisch und nur teilweise standardisierbar sind. Für einige Betroffene steht zum Beispiel die Schmerzbehandlung im Vordergrund, für andere die Beziehung zu Angehörigen oder spirituelle Nöte. Einige haben Angehörige, andere nicht.
[3] Dies dürfte vor allem bei fortgeschrittener Demenz oder aber in den letzten Stunden und Tagen, wenn die Bewohnerin sich verbal nicht mehr äußern kann, wichtig sein.
[4] Dies ist ein grundsätzliches Problem. In einigen Fällen ist es wahrscheinlich, dass eine Person in wenigen Wochen oder Monaten sterben wird, es kann aber auch länger dauern. Die Grenzen zwischen Besuchsdienst und Sterbebegleitung sind dann fließend.
[5] Dies ist wohl nicht verwunderlich. Nicht alle Betroffene wünschen eine Sterbebegleitung durch Ehrenamtliche. Einige Bewohnerinnen und Bewohner versterben plötzlich. Auch stellt sich die Frage, ob es genügend Ehrenamtliche gäbe, um alle Betroffenen, die der Begleitung zustimmen, zu begleiten.
[6] Ehrenamtliche können keine Professionellen im Sinne der soziologischen Professionstheorie werden, da sie die Kriterien (u.a. Studium, Praxisausbildung) nicht erfüllen. Ehrenamtliche über ihre Tätigkeit in ihrer Freizeit aus und sind zum Teil noch berufstätig. Zeitaufwändige Ausbildungen sind daher schwer möglich.
Rezension von
Dr. Hermann Müller
Universität Hildesheim, Institut für Sozial- und Organisationspädagogik
Mailformular
Es gibt 36 Rezensionen von Hermann Müller.