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Yvonne Lehmann, Christiane Schaepe et al.: Pflege in anderen Ländern

Rezensiert von Matthias Brünett, 03.06.2019

Cover Yvonne Lehmann, Christiane Schaepe et al.: Pflege in anderen Ländern ISBN 978-3-86216-536-0

Yvonne Lehmann, Christiane Schaepe, Ines Wulff, Holger Roßberg, Michael Ewers: Pflege in anderen Ländern. Vom Ausland lernen? medhochzwei Verlag GmbH (Heidelberg) 2019. 282 Seiten. ISBN 978-3-86216-536-0. D: 59,99 EUR, A: 61,70 EUR.

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Thema

In der rezensierten Publikation werden die Ergebnisse des Projektes „Pflege in anderen Ländern“ (PinaL) vorgestellt, welches von der Stiftung Münch gefördert wurde. Mit dem Projekt sollte über einen internationalen Vergleich Potenziale zur Verbesserung der pflegerischen Versorgung und der Rahmenbedingungen für Pflegende in Deutschland identifiziert werden. Neben Deutschland wurde dazu die Situation in Großbritannien, den Niederlanden, Schweden und Kanada analysiert.

Autorinnen und Autor

Dr. rer. medic. Yvonne Lehmann, Christiane Schaepe MPH und Dr. rer. cur. Ines Wulff, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen am Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft (IGPW) der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie Univ.-Prof. Michael Ewers, Direktor des IGPW.

Aufbau

Die Publikation umfasst insgesamt 281 Seiten.

  • Kapitel 1 enthält eine Zusammenfassung der Ergebnisse des Projektes (Seiten 1-10).
  • In der Einleitung (Kapitel 2, Seiten 11-26) werden im Wesentlichen die Zielsetzung, Fragestellung und Vorgehensweise der Studie erläutert.
  • Im Kapitel 3 (Seiten 27-62) werden die Länder, die Gegenstand der Analyse waren, anhand bestimmter relevanter Kennziffern und Merkmale vorgestellt. Diese sind u.a. bevölkerungsbezogene und gesundheitsökonomische Kennziffern, bildungspolitische Eckdaten in Bezug auf die Pflegeberufe sowie eine recht umfassende wohlfahrtsstaatliche Einordnung der betreffenden Länder.
  • Die Kapitel 4 bis 7 bestehen aus ausführlichen Profilen der untersuchten Länder. In diesen Kapiteln werden die eigentlichen Ergebnisse der Studie vorgestellt.
  • Kapitel 8 (Seiten 201-236) enthält ein Resümee zur Beantwortung der sieben Leitfragen, die nachfolgend genauer vorgestellt werden, sowie Empfehlungen für die Pflege in Deutschland.

Inhalt

Die vorliegende Rezension wird anhand von sieben Leitfragen gegliedert, die die Autorinnen und der Autor der Analyse zugrunde legen. Dabei wird auszugsweise auf den Inhalt der zuvor schon erwähnten Kapitel eingegangen.

Wie ist Pflege in anderen Ländern grundsätzlich organisiert und wie reagiert sie auf den steigenden quantitativen und qualitativen Bedarf an Versorgungsleistungen?

Grundsätzlich orientieren sich Organisationsformen immer auch an ihren strukturellen Voraussetzungen, im Falle der Pflege also am jeweiligen Gesundheitswesen. Die AutorInnen halten fest, dass eine akademisierte Ausbildung in den Vergleichsländern als Reaktion auf qualitative Veränderungen hinsichtlich der Versorgung gesehen wird. Herausforderungen hinsichtlich quantitativer Veränderungen bspw. in Bezug auf eine größere Zahl benötigter Pflegekräfte, werden durch den Einsatz von Hilfskräften gelöst.

Wie wird in anderen Ländern mit den Herausforderungen bei der Gewinnung und Bindung von Pflegepersonal umgegangen?

Wie die AutorInnen feststellen, ist in allen untersuchten Ländern die Lage hinsichtlich der Gewinnung und des Haltens entsprechend geeigneter Fachkräfte von Herausforderungen begleitet. Eines der in der Studie ausführlicher vorgestellten Beispiele ist das Konzept der Magnet Hospitals und eines entsprechenden Zertifizierungsverfahrens, das in Kanada zur Anwendung kommt und in Deutschland (noch) nicht verbreitet ist. Im Rahmen dieser Konzeption wird das Augenmerk dezidiert auch auf die Arbeitsbedingungen gelegt, was letztlich zu einer „Magnetwirkung“ im Sinne einer deutlich höheren Personalbindung und -konstanz in den Einrichtungen führt.

Welche Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sowie Entwicklungs- und Aufstiegsoptionen gibt es in der Pflege in anderen Ländern?

und

Wie sind die Aufgaben und Verantwortlichkeiten innerhalb der Pflege sowie zwischen der Pflege und anderen Gesundheitsprofessionen verteilt?

Hier ist festzustellen, dass in den untersuchten Ländern die akademische Ausbildung von Pflegefachkräften einen wesentlichen Stellenwert einnimmt. So bildet etwa in Schweden ein Bachelorabschluss den Regelzugang zum Pflegeberuf. Statt einer beruflichen Ausbildung wird dort ein dreijähriger Bachelorstudiengang absolviert, der Praktika in unterschiedlichen Versorgungseinrichtungen bzw. -settings einschließt. In den Niederlanden laufen die Möglichkeiten einer beruflichen oder akademischen Ausbildung parallel, wobei im Vergleich zu Deutschland die akademische Ausbildung aber einen zentraleren Stellenwert hat. Auch in Bezug auf Weiterbildungsoptionen hat die akademische Ausbildung und Berufstradition in den untersuchten Ländern entschiedenen Einfluss auf die derzeit existierenden Strukturen. In Bezug auf sowohl Aus- als auch Weiterbildung scheint dabei in Großbritannien das am weitesten ausdifferenzierte System vorzuliegen. Dort steht eine Vielzahl an ebenfalls akademischen Weiterqualifizierungsangeboten zur Auswahl, die dann auch mit entsprechend erweiterten Aufgaben- und Verantwortungsbereichen einhergehen. Als Beispiel kann hier auf „Verschreibungskurse“ in Großbritannien verwiesen werden. Absolventen dieser Kurse dürfen bestimmte Medikamente selbstständig verordnen. Ersichtlich wird hier, dass eine erweiterte, in den untersuchten Fällen akademische, Ausbildung auch mit erweiterten Kompetenzen einhergeht. Auch in Deutschland existiert die Möglichkeit einer akademischen Qualifizierung, allerdings kennt man hierzulande keine korrespondierenden Aufgabenbereiche.

Werden moderne Technologien, Digitalisierung und Robotik eingesetzt, um das Pflegepersonal zu unterstützen und in welcher Weise und mit welchen Erfahrungen geschieht das gegebenenfalls?

Unter dieser Leitfrage richtete sich das Augenmerk der Untersuchung auf in den entsprechenden Ländern angewandten Konzepte neuer Technologien. Auch hier ist zusammenfassend festzustellen, dass in allen Ländern Digitalisierung als wichtiger Aspekt auch der Pflege gesehen wird. Besonders hervorzuheben wäre hier etwa Kanada, wo Telemedizin bzw. Telehealth-Konzepte einen hohen Stellenwert und auch Nutzen haben. In Form bspw. des Telederm-Programms werden dermatologische Fernkonsultationen durchgeführt. In vielen Fällen reicht eine solche Konsultation schon aus, sodass Patienten keine weiteren und weiten Wege auf sich nehmen müssen. Weitere Projekte, bspw. im Bereich der Robotik, finden im Bericht Erwähnung.

Welche innovativen Konzepte zur Berufstätigkeit in der Pflege gibt es und wie wird dabei mit anderen Gesundheits- und Sozialberufen, mit Familie, Ehrenamt und Zivilgesellschaft kooperiert?

Berichtet wird hier über Konzepte, die sich einerseits auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege, andererseits auf die Verbesserung der Versorgung der Pflegebedürftigen selbst richten. Die AutorInnen stellen einige besonders „inspirierende“ Projekte näher vor, so unter anderem „Buurtzorg“ aus den Niederlanden, das auch in Deutschland seit einigen Jahren Aufmerksamkeit erhält. Es handelt sich dabei um nichtkommerzielle ambulante Pflegedienste, die aus kleinen, selbstorganisierten Pflegeteams von 4–12 Personen bestehen und dezidiert sozialraumorientiert arbeiten. Die dort tätigen Pflegekräfte stufen ihre Arbeitsplätze als deutlich attraktiver ein als herkömmlich organisierte, auch die Klienten sind zufriedener.

Welche Konzepte und Innovationen können ggf. auf Deutschland übertragen werden?

Zur Beantwortung dieser Leitfrage werden am Schluss der Publikation Empfehlungen formuliert, die u.a. die zuvor berichteten Ergebnisse in den Kontext des deutschen Pflege- und Gesundheitssystems setzen. Wie die AutorInnen betonen, ist eine Übertragung auf deutsche Verhältnisse natürlich nicht ohne weiteres möglich. Sie verorten ihre Empfehlungen in vier Bereichen:

  • Es wird dafür plädiert, die Selbstorganisation und professionelle Autonomie der Pflege zu stärken und sie vor allem in wichtige Entscheidungs- und Steuerungsgremien einzubinden.
  • Sowohl Pflegebildung wie Aufgabenprofile sollten modernisiert und differenziert werden. U.a. weisen die Autorinnen hier auf das Pflegeberufegesetz hin, das entsprechende Änderungen bereits beinhalte, die aber insgesamt nicht ausreichten. Hingewiesen wird auch auf den Umstand, dass neue, erweiterte Qualifikationsprofile auch entsprechend erweiterte Aufgabenprofile brauchen.
  • Eine zukunftssichere Gestaltung und Weiterentwicklung der pflegerischen Versorgung selbst, vor allem in Richtung einer stärker personenzentrierten Versorgung, was einen durchaus tiefgreifenden Kulturwandel beinhalte. Darüber hinaus die stärkere Nutzung neuer Technologien und Potenziale der Digitalisierung zur Verbesserung der Versorgung.
  • Abschließend plädieren die Autorinnen und der Autor für eine Weiterentwicklung der Strukturen des gesundheits- und Pflegewesens. Die übergeordnete Richtung sollte dabei zur Kenntnis nehmen, dass Pflege ein gesamtgesellschaftlich relevantes Themenfeld ist.

Fazit

Es handelt sich um eine Untersuchung zu einem Themengebiet, das nicht neu ist: Die Frage, wie sich die deutsche Pflege zu ihren internationalen Gegenstücken verhält und, damit zusammenhängend, die Frage nach ihrer Bewertung vor dem Hintergrund eines solchen Vergleichs. Die vorgestellten Ergebnisse sind nicht völlig überraschend und neu, zumindest nicht für diejenigen, die sich schon seit Längerem damit beschäftigen. Auch sind die Ausführungen innerhalb der einzelnen Länderprofile zum Teil eher kurz gefasst, was hier nicht als Schwäche verstanden werden sollte. Sehr positiv zu bewerten ist die Frage nach der Anwendung neuer Technologien und Digitalisierung. Die Publikation lässt sich deshalb als aktuelles Kompendium zum Thema begreifen. Als solches ist es für einen Leserkreis sehr zu empfehlen, der sich neu in das Thema einarbeiten möchte. Fachpublikum, das sich schon länger mit dem Thema befasst, wird darin die eine oder andere relevante Neuerung in den untersuchten Ländern nachlesen und entsprechende Quellen dazu finden können.

Rezension von
Matthias Brünett
MSc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung (DIP), Köln
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Es gibt 12 Rezensionen von Matthias Brünett.

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Zitiervorschlag
Matthias Brünett. Rezension vom 03.06.2019 zu: Yvonne Lehmann, Christiane Schaepe, Ines Wulff, Holger Roßberg, Michael Ewers: Pflege in anderen Ländern. Vom Ausland lernen? medhochzwei Verlag GmbH (Heidelberg) 2019. ISBN 978-3-86216-536-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25430.php, Datum des Zugriffs 20.09.2024.


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