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Fritz Riemann: Grundformen der Angst

Rezensiert von Christina Weckwerth, 10.07.2019

Cover Fritz Riemann: Grundformen der Angst ISBN 978-3-497-01749-2

Fritz Riemann: Grundformen der Angst. Eine tiefenpsychologische Studie. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2019. 44. Auflage. 250 Seiten. ISBN 978-3-497-01749-2.

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Thema

Das Thema Angst beschäftigt den Menschen von jeher und scheint, betrachtet man den Inhalt der verschiedensten Fachzeitschriften, ein immer bedeutsameres Thema in unserer Gesellschaft einzunehmen. Angst gehört zum Leben dazu, genau wie der Tod. Sie ist ein notwendiges Überlebenskriterium. Dennoch können sich Ängste entwickeln, die allein auf dem Boden unseres individuellen Handeln und Tuns sich entwickeln. Dabei gibt es praktisch nichts, vor dem wir keine Angst entwickeln können. Jegliche Ausprägung der Angst, auch in ihrer extremsten Form, basiert auf den vier Grundformen, die in diesem Buch besprochen werden.

Autor

Fritz Riemann, geb. am 15.09.1902 in Chemnitz war ein deutscher Psychologe, Psychoanalytiker, Psychotherapeut und Autor. Riemann wurde für die Abhandlung einer Patientin, die an zwanghaften Weinkrämpfen litt, international ausgezeichnet. Grundformen der Angst erschienen in der Erstauflage 1961. 

Aufbau

Zunächst bietet das Buch eine kurze, aber dennoch aussagekräftige Biographie des Autors. Die darauffolgende Einleitung zum Wesen der Angst und von den Antinomien des Lebens beschreibt Angst in seinen verschieden Ausprägungen und Entstehungshintergründen. Hier werden die einzelnen Grundformen das erste Mal erwähnt und gegeneinander beleuchtet. Im Hauptteil widmet der Autor jeder Grundform ein eigenes Kapitel, welches in fünf Subkapitel unterteilt ist. Die Subkapitel beschäftigen sich ausführlich mit dem Thema Liebe, Aggressionen und lebensgeschichtliche Hintergründe. Daran anknüpfend finden sich Beispiele der jeweiligen Persönlichkeitstypen aus der Praxiserfahrung des Autors. Wichtig hierbei ist die Darstellung der Ausprägung der Angstform in der Individualität und unterschiedlicher Schweregrade. In den ergänzenden Betrachtungen als fünftes Subkapitel werden die vorangegangenen Ausführungen zusammengefasst, einige wichtige Aspekte noch einmal verdeutlicht und die Persönlichkeitstypen in Kontrast zueinander gesetzt. Die Schlussbetrachtung greift einige wesentlichen Punkte und Eigenschaften der jeweiligen Persönlichkeiten noch einmal auf, ergänzend mit der eigenen und erweiterten Sichtweise des Autors.

Inhalt

Grundformen der Angst beschreibt Riemann vier idealtypische Persönlichkeiten. Das theoretische Wissen und sein Erfahrungsschatz wurden aus seiner Tätigkeit als analytischer Psychotherapeut genährt. Jeder Persönlichkeitstyp, dazu zählen schizoide, depressive, zwanghafte und hysterische, werden genau beschrieben und in Kontrast zu den anderen Typen gesetzt.

Schizoide Persönlichkeiten zeichnen sich durch ihre Angst vor Hingabe aus und streben nach einem größtmöglichen Maß nach Unabhängigkeit. Riemann beschreibt sie als kühl und distanziert. Nicht selten wirken sie seltsam oder befremdlich. Die Distanziertheit zu anderen Menschen hat beträchtlichen Einfluss auch auf das eigene Ich-Erleben des Betroffenen. Für ihn ist es u.a. schwierig empathisch gegenüber anderen Menschen zu sein, sodass es in extremer Ausprägung dieses Persönlichkeitstypes bis hin zu völliger Isolation kommen kann. Partnerschaften gestaltet der schizoide Mensch als eine rationale und sachliche Angelegenheit, während Aggressionen schon eine größere Rolle spielen, häufig reagieren sie äußerst rücksichtslos. Dabei scheint es, als sei der Ausdruck von Aggression die einzige Möglichkeit Kontakt mit anderen Menschen aufzunehmen. Als möglichen Grund für die Ausprägung dieser Persönlichkeit sieht Riemann ein fehlen von mangelnder Begleitung in der frühen Kindheit.

Das Gegenteil zu den schizoid ausgeprägten Menschen sind solche mit einer depressiven Persönlichkeit. Ihre Hauptangst besteht darin selbstständig und unabhängig zu sein, weshalb sie sich häufig in Abhängigkeitsverhältnisse begeben und auf sämtliche Freiheiten verzichten. Das eigene Ich kann mitunter völlig aufgegeben werden. Nur wenn der depressive Mensch gebraucht wird, fühlt er sich sicher. Ihre altruistische und aufopferungsvolle Art kann sich im Negativen bis hin zur Erschöpfung ausbreiten. Liebe ist für diese Menschen „das Wichtigste im Leben“, während Aggressionen unterdrückt werden und zu einem ernsthaften Problem werden können. Als lebensgeschichtlichen Hintergrund beschreibt Riemann zwei mögliche Gründe dieser Persönlichkeiten. Zum einen wurden diese Menschen in der frühen Kindheit zu sehr verwöhnt, welches Eigenverantwortung überflüssig macht, zum anderen kann ein Mangel an Geborgenheit Auslöser sein. Als zusätzlicher begünstigender Faktor kann eine „gemüthaft-gefühlswarme Anlage“ gezählt werden.

Die „Sehnsucht nach Dauer“ und die damit verbundene Angst vor Vergänglichkeit charakterisieren diesen Persönlichkeitstyp. Somit wollen diese Menschen alles vermeiden, was mit Veränderung einhergeht. Sie sind sparsam, pünktlich und verlässlich. Menschen mit einem zwanghaften Charakter hadern mit sich, Anderen und vor allem dem Leben. So geraten sie in völlige Verzweiflung, wenn sich Dinge, auch das Leben, sich ihrer Kontrolle entziehen. Liebe ist für sie etwas völlig „beunruhigendes“. Gefühlen werden unter Kontrolle gehalten, Sexualität vermieden. Auch mit Aggressionen gehen zwanghafte Menschen vorsichtig um, denn sie haben früh gelernt Affekte unter Kontrolle zu halten. Ausgeprägt ist allerdings ihr Machtwillen. Als mögliche Entstehung dieses Persönlichkeitstyps diskutiert Riemann u.a. motorisch-aggressive Anlagen, die in der Kindheit zu Konflikten mit anderen führen kann oder eine erhöhte Anpassungsbereitschaft entstehen lässt.

 Das Gegenteil zu den zwanghaften Menschen sind hysterische Persönlichkeiten. Sie wollen Neues entdecken und suchen, so Riemann, den „Zauber des Neuen“. Veränderung und der Wunsch nach Freiheit steht bei diesen Menschen im Vordergrund. Jeder Impuls muss sofort befriedigt werden. Zwanghafte Menschen sind leidenschaftlich Liebende und phantasievolle Partner, die sich aber allein auch schnell langweilen können. Aggressionen sehen sie als Rivalisierung. Nicht selten wollen sie damit andere Menschen beeindrucken. Sie sind selten selbstkritisch, was dazu führen kann, dass diese Menschen nicht selten einen Hang zur Übertreibung haben und in ihren Handlungen sehr impulsiv sein können. Dieses hohe Geltungsbedürfnis kann nach Riemann angeboren sein, des Weiteren können Vorbilder aus der Kindheit zur Ausprägung dieses Persönlichkeitstypes eine Rolle spielen, mit denen sie sich identifizieren können.

Diskussion

Ansgt ist eine grundlegende, zum Leben gehörende Ur-Emotion. Was Fritz Riemann vor Jahrzehnten beschrieben hat, ist bis heute noch aktuell und beständig. Jeder Leser dieses Buches wird sich und/oder seine Mitmenschen mehr oder weniger in einem dieser Idealtypen wiedererkennen. Das Ich rückt immer mehr in den Vordergrund, was Gier, Neid, etc. mit sich führt. Häufig versteckt sich dahinter ein in der Kindheit beschädigtes Selbstwertgefühl. Unsere heutige Gesellschaft trägt leider immer häufiger dazu bei, dass unser Ich immer mehr beschädigt ist. Die daraus resultierenden Charaktereigenschaften hat Fritz Riemann ausführlich beschrieben. Aus dem Buch geht hervor, dass wir alle individuell geprägt sind. Wichtig dabei ist es niemanden ändern zu wollen, die eigenen Anteile anzunehmen, aber trotzdem Grenzen zu setzen. „Alle möglichen Ängste sind letztendlich immer Varianten dieser vier Grundängste“ (Riemann, 1975).

Fazit

Menschen sind von Geburt an verschieden, selbst in der Entwicklung gibt es keine einheitlichen Erfahrungen, auch diese sind wandelbar, was sich in den von Riemann beschriebenen Persönlichkeiten niederschlägt. Fritz Riemann ist in der Lage komplizierte Sachverhalte und psychoanlaytische Fachbegriffe so verständlich darzustellen, dass das Werk auch für interessierte Laien ein Muss sein sollte, sich mit den dargestellten Grundformen der Angst und den eigenen Ängsten auseinanderzusetzen.

Rezension von
Christina Weckwerth
B.Sc. Psychologie an der FernUniversität in Hagen Allg. psych. Lernen, Motivation, Emotionen
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Es gibt 2 Rezensionen von Christina Weckwerth.

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Zitiervorschlag
Christina Weckwerth. Rezension vom 10.07.2019 zu: Fritz Riemann: Grundformen der Angst. Eine tiefenpsychologische Studie. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2019. 44. Auflage. ISBN 978-3-497-01749-2. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25468.php, Datum des Zugriffs 15.01.2025.


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