Erich Frey: Ich beantrage Freispruch!
Rezensiert von Prof. Dr. jur. Susanne Benöhr-Laqueur, Daniel Bußmann, 19.09.2019

Erich Frey: Ich beantrage Freispruch! Die Erinnerungen des berühmten Berliner Strafverteidigers.
Elsengold Verlag GmbH
(Berlin) 2019.
496 Seiten.
ISBN 978-3-96201-022-5.
D: 24,00 EUR,
A: 24,20 EUR.
Regina Stürickow.
Thema und Autor
Nach wie vor faszinieren die „Goldenen Zwanziger Jahre“ eine breite Öffentlichkeit. Die Romane von Volker Kutscher und die Fernsehserie „Babylon Berlin“ begeistern ein Millionenpublikum. In diese Epoche fällt das Wirken von Erich Frey.
Erich Frey, Jahrgang 1882, Doktor der Rechtswissenschaft und der Philosophie war einer jener Strafverteidiger, der mit seinen spektakulären Fällen nicht nur die Gazetten der Hauptstadt sondern der gesamten Republik beherrschte. Er residierte mit seiner Kanzlei in allerbester Lage am Potsdamer Platz. Der begnadeter Selbstdarsteller und Bonvivant war ein „Staranwalt“, der als Strafrechtler einerseits sowohl Serienmörder und die Größen der Berliner Unterwelt vertrat aber andererseits auch den Kriminalbeamten- und den Deutschen Eisenbahnerverband zu seinen Mandanten zählte.
Seine Erinnerungen datieren aus dem Jahr 1959. Zu diesem Zeitpunkt waren seit seiner Flucht aus Berlin bereits 26 Jahre vergangen. Niedergeschrieben hatte er seine Memoiren in Santiago de Chile. Dorthin hatte ihn – den gebürtigen jedoch zum Protestantismus konvertierten Juden – seine weltweite Odysee geführt. Erich Frey hat Berlin nie wieder gesehen.
Um so erstaunlicher ist es, dass der mittlerweile 78-jährige – obwohl er im chilenischen Exil lebte – im Jahre 1960 erneut seine Zulassung als Rechtsanwalt beim Berliner Amts- und Kammergericht erhielt. [1] Diese Geste dürfte nicht zuletzt dem Umstand geschuldet sein, dass ihm während der Weimarer Republik eine bedeutende Rolle in der Strafrechtspflege zukam.
Seine Schilderungen der rechtspolitischen und sozialen Gegebenheiten versprechen folglich nicht nur eine hochinteressante Lektüre zu sein, vielmehr dürften sie auch eine perfekte Ergänzung zu der – gleichfalls im Elsengold Verlag erschienenen – Biographie des legendären Berliner Kriminalpolizisten Ernst Gennat darstellen. [2]
Erich Freys Erinnerungen waren bis dato nur antiquarisch zu erwerben.
Aufbau
Das Werk umfasst 478 Seiten, wobei acht Seiten auf das Nachwort von Regina Stürickow entfallen. Erich Frey widmet seiner Biographie lediglich elf Seiten, unterteilt in den Kapiteln „Eröffnung“ ( S. 7–13) und „Schlussplädoyer“ (S. 468–471). Der Hauptteil des Buches umfasst sechs große Abschnitte, nämlich
- Der Zwang zum Töten
- Frauen in Moabit
- Gauner in Frack und Pullover
- Die Steglitzer Schülertragödie
- Der Schritt vom Weg
- Ärzte auf der Anklagebank
Jeder dieser Passagen sind spektakuläre Strafrechtsfälle zugeordnet, in denen Erich Frey die Strafverteidigung übernommen hatte. So zählte zu seinen Klienten der Serienmörder „Fritz Haarmann“ (S. 58–79), die Nackttänzerin „Lola Bach“ (S. 80–95) aber auch die Berliner Unterweltgrößen des „Ringverein Immertreu“ (S. 237–257). Die umfassendsten und persönlichsten Ausführungen – mit mehr als 110 Seiten – tätigte er bezüglich des Angeklagten „Paul Krantz“, dessen Vertretung er im Falle der „Steglitzer Schülertragödie“ (S. 258–368) übernommen hatte.
Das Buch enthält weder ein Personen- und Sachverzeichnis noch einen Stadtplan von Groß Berlin zur Zeit der Weimarer Republik bzw. eine Übersicht bezüglich der Lebensdaten- und stationen von Erich Frey.
Die vorliegende Rezension beschränkt sich auf eine Analyse der Kapitel „Eröffnung“, „Der Zwang zum Töten“ sowie das „Schlussplädoyer“.
Inhalt
„Eröffnung“
Das Kapitel umfasst sieben Seiten (S. 7–13). Erich Frey berichtet über seine tiefe emotionale Verbundenheit zu Berlin (S. 7), den diversen Orten seines Studium des Rechtswissenschaften (S. 7,8) – bemerkenswerterweise war er durch das Erste Juristische Staatsexamen gefallen (S. 7) – sowie seine ersten Berufsjahre als Rechtsanwalt. Für das Werk stilbildend ist die häufige Verwendung von phonetischem Berlinerisch in wörtlicher Rede.
„Der Zwang zum Töten“
Im zweiten Abschnitt schildert Erich Frey die Taten der Serienmörder „Friedrich Schumann“ (S. 14–41), „Carl Grossmann“ (S. 42–52) und „Fritz Haarmann“ (S. 58–79). In allen drei Fällen hatte er die Strafverteidigung übernommen. Das Mandat im Falle „Fritz Haarmann“ legte er – allerdings noch vor Verhandlungsbeginn – nieder (S. 79). Unklar bleibt, warum er sich zu diesem Schritt entschlossen hatte. Indessen gesteht er sich ein, dass es die falsche Entscheidung gewesen sei (S. 79). In Übereinstimmung mit seinem Freund – dem Psychologen Professor Theodor Lessing - bildete für Erich Frey u.a. die Massenverelendung nach dem 1. Weltkrieg, dass behördliche Versagen (Fritz Haarmann war zeitweise Polizeispitzel) und nicht zuletzt die Doppelmoral der Nachkriegsjahre den idealen Nährboden für Fritz Haarmanns Taten (S. 77,78). Die entscheidende Frage, ob Fritz Haarmann, der diverse Zeiten seines Lebens in sogenannten „Irrenanstalten“ zugebracht hatte, überhaupt schuldfähig war, ist im Übrigen bis heute umstritten. Fritz Haarmann hatte – nach dem Erich Frey das Mandat niederlegte – einen „alten versierten Anwalt aus Hannover“ ( S. 79) von Gerichts wegen zugewiesen bekommen, der entgegen dem dringenden Rat von Theodor Lessing darauf verzichtete eine psychologisches Zweitgutachten einzuholen. Im Übrigen wurde Theodor Lessing am ersten Tag des Prozesses des Gerichtssaals verwiesen, da er nach der Auffassung des Gerichts kein Reporter sondern ein Schriftsteller sei (S. 79). Fritz Haarmann wurde wegen Mordes in 24 Fällen zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Die Nachwirkungen der Gräuel des 1. Weltkrieges waren auch im Falle von Friedrich Schumann, der als „Massenmörder vom Falkenhagener See“ in die Kriminalgeschichte einging, für Erich Frey von nicht unerheblicher Bedeutung. Bereits in jungen Jahren war Friedrich Schumann strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er hatte als sechzehnjähriger seine Cousine erschossen – das Ganze jedoch als Unglücksfall darstellen können (S. 38). Im 1. Weltkrieg wurde er aufgrund Tapferkeit mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet ( S. 38). Er fand jedoch nicht ein geregeltes Leben zurück. Fortan betrachtete Friedrich Schumann den Falkenhagener See als sein Revier. Das Refugium durfte nicht gestört werden, also ermordete er Spaziergänger, Liebespaare, Radfahrer und einen Revierförster, da sie die friedliche Waldesruh störten (S. 28, 39). Unmittelbar vor seiner Hinrichtung gestand Friedrich Schumann seinem Strafverteidiger, dass er nicht nur sechs Morde begangen habe, sondern 25 Menschen das Leben genommen habe (S. 35, 36). Gleichwohl konnte Erich Frey dieses Geständnis nicht zu Gunsten seines Klienten im Hinblick auf eine etwaige Schuldunfähigkeit und der damit verbundenen Einweisung in die Psychiatrie verwenden. Friedrich Schumann hatte es ihm verboten (S. 36) – er wurde hingerichtet.
Völlig anders gestaltete sich die Situation im Falle von Carl Grossmann, der wegen zwei Tötungsdelikten aus sexuellen Motiven angeklagte war und darauf bestand, sichvor Gericht selber zu verteidigen (S. 56). Daraufhin erfolgte die Mandatsniederlegung durch Erich Frey. Carl Grossmann entzog sich der Urteilsverkündung durch Selbstmord (S. 57). Er stand im Verdacht mindestens 25 weitere Tötungen aus sexuellen Motiven begangen zu haben.
Der Fall Carl Grossmann führte Erich Frey mit Kriminalrat Ernst Gennat zusammen, einem „der interessantesten Männer“ (S. 55), der jemals in Deutschland Verbrechen verfolgt habe. Bereits das Verhör von Carl Grossmann offenbart Ernst Gennats Methodik: Carl Grossmann besaß einen Zeisig. Als man ihm berichtete, dass der Vogel zu verenden drohte, geriet er in Panik und schrie: „Bringen Sie mir den Zeisig und ich will gestehn!“(S. 50). Die Beamten holten den Vogel, brachten ihn in den Verhörraum, nahmen Carl Grossmann die Handschellen ab und ließen ihn mit dem Vogel alleine (S. 50). Schlussendlich wurde sogar noch Insektenpulver geholt, da das Tier an Milben litt (S. 50). Carl Grossmann gestand daraufhin zumindest zwei Tötungsdelikte: „Sechs Stunden erzählt Grossmann…Er hält eine Vorlesung darüber, wie er die beiden jungen Frauen fachgerecht getötet hat“ (S. 51).
„Schlussplädoyer“
Erich Frey war den Nationalsozialisten in mehrfacher Hinsicht suspekt. Am 30. Januar 1933 referierte er im Sender Breslau über das Thema „Neben dem Recht“ (S. 468). Der renommierte Strafverteidiger – jüdischer Herkunft – konnte in den folgenden Monaten de facto stündlich mit seiner Verhaftung rechnen. Im Oktober 1933 – Erich Frey war zu diesem Zeitpunkt 51 Jahre alt – warnte ihn ein Mitglied des Kriminalbeamten-Verbandes vor der drohenden Verhaftung. In seinen Memoiren schreibt er: „…(er) fragte mich, was ich einem politisch unerwünschten Mandanten raten würde, gegen den ihn dieser Zeit ein Haftbefehl ausgestellt werde. Und die Art, wie er mich dabei anblickte, war unmißverständlich. Hoffentlich liest er diese Zeilen und weiß, dass ich ihm heute noch dankbar bin“ (S. 469). Erich Frey fuhr sofort zum Bahnhof. Es gelang ihm – nachdem er sechs Monate wegen Überschreitung der Aufenthaltserlaubnis in einem französischen Gefängnis verbracht hatte – noch unmittelbar vor Kriegsbeginn nach Chile zu emigrieren (S. 469).
Diskussion
Erich Freys Erinnerungen wurden seit der Erstveröffentlichung positiv rezipiert. Eine Ausnahme bildet die aktuelle Rezension von Lorenz Leitmeier in der Legal Tribune Online. [3] Der Rezensent bemängelt nicht nur, dass Erich Frey „kaum über sich“ berichtet, vielmehr sei der rechtliche Gehalt „so dünn wie Brühe“, die Unterredungen seien „gekünzelt und langatmig“ und zudem begehe Erich Frey „menschlichen Verrat“ an seinen Mandanten. Die Kritik ist völlig überzogen. Das Werk von Erich Frey ist vielmehr im Hinblick auf die Polizeitätigkeit eine hochinteressante Referenz-und Sekundärquelle. Ähnlich wie Erich Frey beherrschte nämlich auch Kriminalrat Ernst Gennat die komplette Bandbreite des juristischen Instrumentariums und erarbeitete psychologisch äußerst kluge Vernehmungsmethoden. Zudem waren beide der Ansicht, dass enthumanisierende Behandlungen strikt abzulehnen seien. [4] Sie arbeiteten ehrgeizig und akribisch und wusste geschickt die Medien zu ihren Gunsten zu nutzen. [5] Man kann festhalten, dass beide Persönlichkeiten – die in der Weimarer Republik Kultstatus erlangten – die Strafverfolgung auf der einen Seiten und die Strafverteidigung die Weimarer Republik maßgeblich geprägt haben.
Fazit
Die Neuauflage der Erinnerungen von Erich Frey ist für die Forschung als Glücksfall zu bezeichnen.
[1] Leder, Jens: „Dr. Dr. Erich Frey“, in: Sie waren unsere Nachbarn – Jüdisches Leben in Teltow bis 1945, Berlin 2011, S. 27, https://issuu.com/stadtmarketingteltow/docs/sie_waren_unsere_nachbarn (Letzter Zugriff am 29.7.2019).
[2] Stürickow, Regina: Kommissar Gennat ermittelt, 2. Auflage, Berlin 2017.
[3] Leitmeier, Lorenz: Literatur ist das nicht. Rezension von Erich Frey: Ich beantrage Freispruch, Berlin 2019, in: Legal Tribune Online, 9.3.2019, https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/rezension-erich-frey-erinnerungen-ich-beantrage-freispruch/ (Letzter Zugriff am 29.7.2019).
[4] Boegel, Nathalie: Berlin – Hauptstadt des Verbrechens. Die dunkle Seite der Zwanziger Jahre, München 2018, S. 147.
[5] Boegel, Nathalie: Berlin – Hauptstadt des Verbrechens. Die dunkle Seite der Zwanziger Jahre, München 2018, S. 124.
Rezension von
Prof. Dr. jur. Susanne Benöhr-Laqueur
Ass. jur., Hochschullehrerin, Professorin für Staatsrecht und Eingriffsrecht an der HSPV NRW (Stand-ort Münster)
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Daniel Bußmann
Polizeikommissaranwärter, Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, Standort Münster
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