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Irmgard Jansen, Margherita Zander (Hrsg.): Unterstützung von geflüchteten Menschen über die Lebensspanne

Rezensiert von Prof. Simone Gretler Heusser, 21.02.2020

Cover Irmgard Jansen, Margherita Zander (Hrsg.): Unterstützung von geflüchteten Menschen über die Lebensspanne ISBN 978-3-7799-3825-5

Irmgard Jansen, Margherita Zander (Hrsg.): Unterstützung von geflüchteten Menschen über die Lebensspanne. Ressourcenorientierung, Resilienzförderung, Biografiearbeit. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2019. 400 Seiten. ISBN 978-3-7799-3825-5. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 40,10 sFr.

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Autorin und Entstehungshintergrund

Irma Jansen, Professorin für Erziehungswissenschaft und Diplompädagogin, und Margherita Zander, Sozialwissenschaftlerin und em. Professorin für Erziehungswissenscahft, ist resp. war an der Fachhochschule Münster tätig und befassen sich mit Themen rund um Prekarität und Armut, Resilienz und Biografiearbeit.

Inhalt

In dem unglaublich reichhaltigen Buch versammeln die Herausgeberinnen eigene Texte und Beiträge von Kolleginnen und Kollegen. Allen Beiträgen und dem Buch als Ganzem ist etwas gemeinsam: Menschen mit Fluchterfahrung werden nicht auf ihre Bedürftigkeit reduziert, sondern mit ihren Ressourcen und Interessen wahrgenommen; und die Beiträge decken ein breites Feld verschiedener sozialwissenschaftlicher Richtungen ab, wobei weniger die einzelne Disziplin als vielmehr interdisziplinäre Verschränkungen im Vordergrund stehen. Besonders am vorliegenden Buch ist weiterhin, dass die gesamte Lebensspanne in den Fokus genommen wird.

Nach dem ersten Kapitel mit theoretischen Grundlegungen und Kontextualisierungen der Herausgeberinnen richtet Kapitel 2 das Augenmerk auf verschiedene Lebensalter. Beginnend beim Kindesalter berichten Katharina Gerarts und Sabine Andresen von den Wünschen, Hoffnungen, Bedürfnissen und Ängsten geflüchteter Kinder. Die Erkenntnisse sind aus Interviews abgeleitet, was dem Biografieverständnis des Buches entspricht. Petra Wagner problematisiert die „Verbesonderung“ von geflüchteten Kindern (im Schulalltag). Der Begriff der „Verbesonderung“ taucht noch mehrmals auf, beispielsweise auch im Kapitel über ältere geflüchtete Menschen. Julia Bialek und Martin Kühn erörtern die „Pädagogik des sicheren Raums“ für Kinder im Vorschulalter, welche Traumatisierungen erlitten haben. Kathrin Aghamari liefert mit ihrer auf teilnehmender Beobachtung basierenden Analyse die wichtige Erkenntnis, dass schulische Partizipationsmöglichkeiten das Kohärenzgefühl von Grundschulkindern stärkten. Danielle Deeke und Sarah Inal stellen das Interventionsprojekt „HonigHelden“ für Grundschulen vor. Uli Hahn beschreibt in einem sehr eindrücklichen Text die Auswirkungen eines schulbegleitenden, intensiven pädagogischen Projektes für Roma-Flüchtlingskinder. Nicht nur die Resilienz des begleiteten Mädchens konnte gestärkt werden, das Projekt hatte positive Auswirkungen auf die ganze Familie. Zum Beispiel lehrte das Mädchen ihre Mutter, ihren Namen zu schreiben, sodass sie die Zeugnisse ihrer Tochter nicht mehr mit einem Kreuzchen unterzeichnen musste.

Im nächsten Unterkapitel stehen Jugendliche im Fokus, beispielsweise in den ersten Ergebnissen einer (noch laufenden) Studie zu den Lebenslagen von geflüchteten Jugendlichen von Anna Huber und Claudia Lechner. Norbert Wieland stellt die Auswirkungen einer Flucht auf die Identitätsentwicklung dar und zeigt auf, dass unbegleitete Minderjährige oft einen familiären Auftrag haben. Gunther Grasshoff und Hans Günther Homfeldt thematisieren Transnationalität im Fluchtkontext. Dieser Beitrag ist ein weiters Beispiel für den innovativen Blickwinkel der Beiträge im vorliegenden Band. Silke Birgitta Gahleitner liefert theoretische Anknüpfungspunkte, wie auch Haxi-Halil Uslucan, Mousa Othman und Sahra Camal in ihrer Interpretation des Resilienzkonzepts mit kulturell bedingten Spezifika.

Luisa Hartwigs Schwerpunkt sind typische Fluchtursachen und –erlebnisse von Frauen. Sie betont die Bedeutung einer frauengerechten Unterbringung in Unterkünften und einer angemessenen Gesundheitsversorgung. Annika Barzen stellt Bewältigungsmuster männlicher erwachsener Geflüchteter vor. Barbara Bussfeld führt mit einer geflüchteten Frau und einem geflüchteten Mann ein gemeinsames Interview, welches der „Aufnahmegesellschaft“ einen erbarmungslosen, zum Denken anregenden Spiegel vorhält. Kulkanti Barbozas Fokus sind Geflüchtete, die in Deutschland studierne wollen.

Viola Schreiber, Ernst-Ludwig Iskenius und Hans Hopf zeigen in ihren Beiträgen die Bedeutung angemessener therapeutischer Begleitung auf, welche ebenfalls Ressourcen zu stärken vermag.

Monika Alisch entwirft ausgehend von einem Projekt zur Vernetzung älterer Migrantinnen und Migranten im Stadtteil einen Anforderungskatalog der Resilienzförderung von älteren Geflüchteten, Elke Olbermann führt in die Thematik ein. Dabei wird klar, dass die Perspektive der älteren Menschen im Fluchtdiskurs so gut wie inexistent ist – bisher.

Martin Roemer schliesst das Buch mit einem Nachwort und einem Forderungskatalog an die deutsche Gesellschaft ab. Biografiearbeit ist aufwendig, aber sie fördert die Resilienz. Ein realisiertes Resilienzpotenzial führt zu einer Gesellschaft mit glücklicheren, gesünderen, selbstständigeren Menschen.

Diskussion

Ein fantastisches Buch! Anregend, vielfältig, hoffnungsvoll. Dazu sind die Beiträge allesamt von hoher Qualität, regen zum Nachdenken und Nachahmen an. Besonders stark sind die konsequent biografisch orientierte, qualitative Analyse und der ebenso konsequente Ressourcenblick – ohne Probleme zu verschleiern natürlich. Aber statt geflüchtete Menschen durch Entmündigung und Entwürdigung immer tiefer in den Sumpf der Hoffnungslosigkeit gleiten zu lassen, stärken die hier beschriebenen Projekte das Kohärenzgefühl, machen Ressourcen sichtbar und stärken so die Resilienz. Selbstverständlich sind auch diese Prozesse mit namhaftem Aufwand verbunden – langfristig und unter dem Strich ist diese Orientierung jedoch mit Sicherheit sinnvoller und nachhaltiger. Dagegen liegen zumindest in der Schweiz Zahlen vor, dass es Asylsuchenden nach einiger Zeit in der „Asylmaschinerie“ durchschnittlich schlechter geht als bei ihrer Ankunft in der Schweiz.

Fazit

Eine wahre Fundgrube und auch ein Buch mit Trost- und Hoffnungspotenzial. Sehr gut auch geeignet für den Unterricht an Universität und Fachhochschule.

Rezension von
Prof. Simone Gretler Heusser
Sozialwissenschafterin, Coaching Praktikerin, Dozentin, Hochschule Luzern
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Es gibt 48 Rezensionen von Simone Gretler Heusser.

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ISSN 2190-9245