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Michael Schwarz: Konstruktion eines Persönlichkeitsinventars für Patienten des Maßregelvollzugs gemäß § 64 StGB

Rezensiert von Dr. phil. Gernot Hahn, 04.02.2020

Cover Michael Schwarz: Konstruktion eines Persönlichkeitsinventars für Patienten des Maßregelvollzugs gemäß § 64 StGB ISBN 978-3-86676-546-7

Michael Schwarz: Konstruktion eines Persönlichkeitsinventars für Patienten des Maßregelvollzugs gemäß § 64 StGB. Verlag für Polizeiwissenschaft (Frankfurt am Main) 2018. 180 Seiten. ISBN 978-3-86676-546-7. D: 22,80 EUR, A: 23,50 EUR.

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Thema

Als Maßregel der Besserung und Sicherung dient die strafgerichtlich angeordnete Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gem. § 64 der Behandlung und Resozialisierung straffällig gewordener suchtkranker Menschen. Ziel dieser mehrjährigen Unterbringung mit sucht- und kriminaltherapeutischen Interventionen ist eine möglichst dauerhafte Abstinenz und Straffreiheit. In diesem Zusammenhang kommt den Persönlichkeitsmerkmalen der Untergebrachten hinsichtlich Therapieplanung und Vollzugsgestaltung eine besondere Rolle zu, da die Maßnahme auf die individuellen Merkmale und Bedürfnisse jedes Patienten angepasst werden muss. Für die medizinisch-psychologische Eingangsdiagnostik liegt bislang kein valides Testverfahren vor, dass die speziell im forensischen Bereich relevanten Persönlichkeitsmerkmale erfassen kann. Gegenstand der vorliegenden Veröffentlichung ist die „Konzeption und erste Evaluation eines derartigen Fragebogens“ (Klappentext). Das Instrument soll relevante Merkmale und Einstellungen aus den Bereichen personeninterne Grundlagen, Stellung von Delinquenz und Sucht im Leben eines Patienten und forensisch relevante Persönlichkeitsaspekte erfassen und für die Therapieplanung und -durchführung erschließen.

Autor

Michael Schwarz studierte Psychologie in Leipzig und arbeitet heute an der Klinik für Forensische Psychiatrie am Bezirksklinikum Ansbach.

Aufbau und Inhalt

Der 180 Seiten starke Text ist in die Kapitel Einleitung, Vorstudie (Konstruktidentifikation durch Experteninterviews), Konstruktauswahl, Hauptstudie (Entwurf, Erprobung und Analyse des Persönlichkeitsinventars) inklusive Diskussion der Ergebnisse unterteilt. Im Anhang finden sich das Literaturverzeichnis, die Aspekte aus den Experteninterviews, Fragebögen, sowie die finalen Items des untersuchten Persönlichkeitsinventars.

Einleitung

Im Einleitungskapitel beschreibt Michael Schwarz die grundsätzlichen Aspekte des Maßregelvollzugs gem. § 64 StGB im deutschen Rechtssystem mit Schwerpunkten bezüglich der rechtlichen Grundlagen, der Vollzugsaspekte und Behandlungsabläufe, der heterogenen Organisations- und Versorgungsformen in den einzelnen Bundesländern und zentralen therapeutischen Aspekten. In rein aufzählender Form finden sich Hinweise auf den Zusammenhang von Suchterkrankung und Delinquenz. Darauf aufbauend gibt Schwarz einen Überblick zur Persönlichkeitsdiagnostik im Maßregelvollzug nach § 64 StGB und erläutert den Aufbau gängiger Instrumente wie den „Persönlichkeitsfragebogen für Inhaftierte – PFI+“ oder das zur allgemeineren Quantifizierung von Persönlichkeitsmerkmalen eingesetzte „Minnesota Multiphasic Personality Inventory 2 – MMPI-2“ mit dem u.a. Persönlichkeitsstörungen entsprechend den Klassifikationssystemen (z.B. ICD-10) erfasst werden. Anhand der knappen Darstellung wird deutlich, dass ein speziell auf die Personengruppe von § 64-Patienten abgestimmtes Instrument nicht zur Verfügung steht. Entsprechend formuliert der Autor im nächsten Abschnitt allgemeine Überlegungen für ein Persönlichkeitsinventar auf Basis gängiger theoretischer Grundlagen für Selbstbeurteilungsverfahren der Forensischen Psychologie. Dessen grobe Architektur soll „Personeninterne Grundlagen zur Durchführung einer MRV-Therapie, (die) Stellung von Delinquenz und Sucht im Leben eines Patienten (und) Forensisch-relevante Persönlichkeitsaspekte einschl. sozialer Erwünschtheitstendenz“ (27) erfassen. Die Umstände der Entwicklung und Erprobung des Fragebogens werden im folgenden Unterabschnitt beschrieben: Michael Schwarz beschreibt, dass die Konzeption und Erprobung des Fragebogens („PI-MRV-64“) an einer sächsischen Maßregelvollzugsklinik für suchtkranke Straftäter gem. § 64 StGB durchgeführt wurde. Der konkrete Standort dieser Klinik in Leipzig mit seinem strukturellen Aufbau und dem spezifischen Therapieangebot (das dem der meisten Maßregelvollzugskliniken in Deutschland ähneln dürfte) wird im Folgenden ausführlich dargestellt.

Vorstudie

Die Vorstudie wurde in Form von Experteninterviews durchgeführt. Zwölf forensisch erfahrene Psychologen und vier Psychiater wurden danach befragt, welche wichtigsten Persönlichkeitseigenschaften und Einstellungen von Patienten des Maßregelvollzugs gem. § 64 StGB bei der Therapieplanung zu berücksichtigen wären. Die genannten Aspekte wurden in einen Ratingfragebogen zur quantitativen Beurteilung ihrer Relevanz übernommen, wobei ähnliche Aspekte im Sinn einer Gruppenbildung zusammengefasst wurden. Die Vorstudie diente als erste Orientierung zur Exploration geeigneter Konstrukte für einen Persönlichkeitsfragebogen und umfasst u.a. die Bereiche Veränderungsmotivation, Impulsivität, Steuerungsfähigkeit, Leidensdruck, Dissozialität und andere.

Hauptstudie

Die Hauptstudie erfolgt in Form eines Testkonstruktionsberichts mit einem besonderen Schwerpunkt im Ergebnisteil und zielt auf die finale Abfassung des Persönlichkeitsinventars und den darin enthaltenen Items. Ausführlich werden die einzelnen Themenbereiche zur Messung der Persönlichkeitseigenschaften dargestellt (z.B. Vertrauen, Kooperationsbereitschaft und Therapiemotivation, Leidensdruck, Delinquenzhabitualisierung, Substanzaffirmation, Verantwortungs- und Schuldabwehr, Destruktivität, Ehrlichkeit). Der Fragebogen wurde schließlich an einer Stichprobe von N=57 Patienten die in der untersuchten Klinik untergebracht waren erprobt. Die statistische Auswertung der Stichprobenwerte erbrachte acht eindimensionale Primärskalen zur Erfassung latenter Variablen und einer Kontrollskale zur Überprüfung sozialer Erwünschtheitstendenz, auf deren Grundlage der im Anhang befindliche finale Fragebogen konstruiert wurde. Einschränkend stellt Schwarz fest, dass „zum gegenwärtigen Zeitpunkt … nicht abgeschätzt werden (kann), ob und wie stark die finalen Messmodelle (und die Messergebnisse) von stichprobenabhängigen Artefakten beeinflusst sind“ (123). Entsprechend grenzt der Autor seine Ergebnisse und das erarbeitete Persönlichkeitsinventar als Zwischenergebnis ein. „Bis zum Einsatz des Verfahrens in der individual- und kollektivdiagnostischen Praxis sind aber noch weitere Schritte zu gehen“ (123). Das Ergebnis der Studie und die Fragebogenkonstruktion umfasst final 64 Items, welche die Bereiche Therapiemotivation, Delinquenz, Sucht, Persönlichkeitsmerkmale, Vertrauen, soziale Erwünschtheitstendenzen, Sozialisationsfaktoren, personale Ressourcen und Selbstwirksamkeitserleben umfassen.

Zielgruppe des Buches

Alle Berufsgruppen die mit der untersuchten Zielgruppe, suchtkranke straffällig gewordene Patienten im Vollzug einer Maßnahme nach § 64 STGB arbeiten und mit Aufgaben der Behandlung und/oder Therapieplanung befasst sind.

Diskussion

Die Einweisungszahlen in den Maßregelvollzug gem. § 64 StGB steigen seit Jahren. Oft bestehen Zweifel der Sinnhaftigkeit einer solchen Maßnahme, kommt es Problemen im Verlauf der Unterbringung und zum Abbruch der Unterbringung wegen Sinnlosigkeit. Um solche Prozesse frühzeitig erfassen zu können braucht es ein verlässliches Testverfahren, das in der Lage ist die wesentlichen Parameter der Patientenmerkmale darzustellen und hinsichtlich der Therapieplanung zu bewerten. Ein solches Erhebungsinstrument fehlt bislang in der Praxis. Michael Schwarz will diese Lücke mit dem vorgelegten Persönlichkeitsinventar füllen. Die Messlatte für ein solches Instruments hängt dabei freilich hoch, Gütekriterien müssen erfüllt sein, die Theoriebasis zur Persönlichkeitsdiagnostik muss umfassend berücksichtigt werden, die besondere Situation von Sucht und ihrer Auswirkung auf das individuelle Delinquenzverhalten und schließlich die Aspekte Änderungsbereitschaft/Therapiemotivation müssen erfasst werden. Michael Schwarz nähert sich dieser anspruchsvollen Aufgabe in einem zweistufigen Verfahren indem er zunächst durch Experteninterviews und die Sichtung theoretischer Grundlagen eine Basis für seine Konstruktion des Persönlichkeitsinventars erarbeitet und führt dann schließlich eine statistische Untersuchung des auf Grundlage der Vorstudie entwickelten Fragebogens durch. Der vorgelegte Testbericht erfolgte im Rahmen einer Abschlussarbeit aus einem Masterstudium der Psychologie und weist die entsprechenden Einschränkungen und Begrenzungen auf. Z. B. erfolgte die Auswahl der Teilnehmer der durchgeführten Experteninterviews aus nur einem Standort, die teilnehmenden Patienten der Hauptstudie stammen ebenfalls aus dieser einen Klinik, womit eine Beeinflussung der Studienergebnisse bei eingeschränkter Stichprobenheterogenität zu erwarten sind. Der Autor grenzt seine Studienergebnisse in diesem Sinn selbst ein und verweist auf die nun anstehende weitere wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Publikation: die Überprüfung der Validität des Persönlichkeitsinventars in einem weiter gefassten Rahmen mit unterschiedlichen Patientengruppen an mehreren Standorten und schließlich die Anwendungsforschung in der Praxis. Das vorgelegte Persönlichkeitsinventar verdient eine solche Überprüfung, die eingearbeiteten Items und deren theoretische Begründung erscheinen überzeugend. Auffallend ist die sehr begrenzte Berücksichtigung personaler Ressourcen und zentraler Aspekte wie Intelligenz und die Verfügbarkeit von Kulturtechniken (z.B. Sprache). Bei der weiteren Überprüfung der Validität des vorgelegten Konstrukts sollten diese Merkmale überprüft werden.

Fazit

Eine sehr gründlich durchgeführte Studie in Form eines Testkonstruktionsberichts. Michael Schwarz hat die Grundlagen und den ersten Entwurf eines Persönlichkeitsinventars für Patienten des Maßregelvollzugs gem. § 64 StGB vorgelegt und damit die Basis für ein in der Praxis dringend benötigtes Fragebogenverfahren geschaffen, das die Therapieplanung im Maßregelvollzug erleichtern könnte. Entsprechend ist dem Entwurf eine breite Rezeption und eine umfassende wissenschaftliche Überprüfung und Weiterentwicklung zu wünschen.

Rezension von
Dr. phil. Gernot Hahn
Diplom Sozialpädagoge (Univ.), Diplom Sozialtherapeut
Leiter der Forensischen Ambulanz der Klinik für Forensische Psychiatrie Erlangen
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Es gibt 177 Rezensionen von Gernot Hahn.

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Zitiervorschlag
Gernot Hahn. Rezension vom 04.02.2020 zu: Michael Schwarz: Konstruktion eines Persönlichkeitsinventars für Patienten des Maßregelvollzugs gemäß § 64 StGB. Verlag für Polizeiwissenschaft (Frankfurt am Main) 2018. ISBN 978-3-86676-546-7. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25510.php, Datum des Zugriffs 17.09.2024.


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