Jochen Gabrisch: Führungsinstrument Mitarbeiterkommunikation
Rezensiert von Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle, 08.05.2020

Jochen Gabrisch: Führungsinstrument Mitarbeiterkommunikation. Wie gute Gesprächsführung im Team gelingt - Mitarbeitergespräche gekonnt führen.
managerSeminare Verlags GmbH
(Bonn) 2019.
128 Seiten.
ISBN 978-3-95891-051-5.
24,90 EUR.
Reihe: Leadership kompakt. Edition managerSeminare.
Thema und Entstehungshintergrund
Mitarbeitergespräche sind ein seit vielen Jahrzehnten in der Literatur intensiv bearbeitetes Thema. Die deutsche Nationalbibliothek zeigt für die Schlagwortsuche «Mitarbeitergespräch» – beginnend mit dem Jahr 1973 (Neuberger 1973) 270 Titel an. NEBIS, das Netzwerk der Schweizer Bibliotheken, liefert 212 Titel. Bei der groben Durchsicht wird deutlich, dass eine überaus breite und unterschiedlichsten Ansprüchen entgegenkommende Literatur zum Thema existiert: Es finden sich
- Klassiker zur Kommunikation für Führungskräfte (Benien 2015; Schulz von Thun et al. 2017),
- eine große Menge an Essentials (Alter 2018; Kratz 2015; Mentzel et al. 2020),
- praxisnahe Einführungen (Boden 2013; Burtscher 2016; Hossiep et al. 2020; Neuberger 2015),
- auf bestimmte Berufsgruppen wie die öffentliche Verwaltung oder bspw. Arztpraxen fokussierte Titel (Kock et al. 2019; Meier 2009),
- Anleitungen für junge Führungskräfte (Behr 2016) oder
- für bestimmte Adressatengruppen wie problematische Mitarbeitende (Laufer 2018) sowie
- u spezifischen Anlässen wie Kündigungen (Meyer 2009) oder lohnrelevanten Leistungsbewertungen (Hofbauer & Winkler 2002).
Auffällig viele - 85 der 231 Publikationen – erschienen oder wurden aktualisiert zwischen 2008 und 2012. Die 2008er-Finanzkrise scheint hier für die Personalführung einen besonderen Bildungs- und Anleitungsbedarf generiert zu haben. Also ein weiteres Buch zu Mitarbeitergesprächen: Das 128 Seiten lange Buch von Gabrisch ist Teil der Reihe «Leadership kompakt» von ManagerSeminare und reiht sich damit bei den Essentials und Einführungen ein. Es positioniert sich ausdrücklich im Bereich von Profit-Unternehmen («schnelle Märkte», «agile Arbeitswelten», «ambitionierte Ziele», «Hochleistungskommunikation», «Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit») und wirbt mit passendem Handwerkszeug, kompaktem Grundlagenwissen und praxisnahen Gesprächsleitfäden.
Autor
Jochen Gabrisch hat Amerikanistik, Betriebswirtschaft und Politikwissenschaft studiert und bei Großunternehmen im Personalbereich gearbeitet. Er ist als selbstständiger Unternehmensberater und Coach mit Fokus auf Personalrekrutierung, -diagnostik und -management tätig und Autor von knapp einem Dutzend primär für die Wirtschaft geschriebenen Büchern im Bereich Führung und Human Resources Management, mit einem starken Fokus auf Führungskräfte – «die Besten … entdecken/… im Gespräch/… managen» – so drei der Titel (Gabrisch 2010; 2013; 2014).
Aufbau und Inhalt
Das Buch gliedert sich in drei Teile:
- Die Grundlagen und einen Werkzeugkoffer zur Kommunikation mit Mitarbeitenden erarbeiten (Teil 1)
- Mitarbeitergespräche im Tagesgeschäft thematisieren (Teil 2) und
- 18 Gesprächsformen im Personallebenszyklus.
Das Buch ist stark gegliedert und auf weite Strecken in Absätzen mit Listenzeichen geschrieben, die Tipps, Regeln, Frage- und Aussagebeispiele sowie Handlungsanweisungen enthalten. Margins am Rand verdichten die wichtigsten Aussagen und dienen als Lernhilfe, die ansprechenden und an Bikablo (Haußmann 2018) erinnernden Visualisierungen unterstützen und animieren beim Lesen. An den breiten, zu Notizen einladenden Rändern finden sich Hinweise zu Downloadlinks zu einem 55-seitigen, reichhaltigen PDF-Dokument, das Übungen, Checklisten und Raster zur Verfügung stellt.
Der erste Hauptteil soll den «Werkzeugkoffer Kommunikation» füllen. Als Basis guter Kommunikation wird aber nicht von einem geklärten Führungsverständnis, Unternehmens- und Führungskultur, von Haltungen und Einstellungen ausgegangen. Gabrisch fasst den Werkzeugkoffer sehr technisch: Es werden Strategien der Gesprächsvorbereitung angeboten, Sprache als Führungsinstrument thematisiert, in Frage- und Feedback- und Feedforward-Techniken kurz eingeführt sowie zur Gesprächsnachbereitung instruiert.
Teil 2 beschreibt «Mitarbeitergespräche im Tagesgeschäft». Die Gesprächsformen werden in die Fokusbereiche «Grundlagen», «Aufgaben» und «Feedback» unterteilt. Die Instruktionen zu den einzelnen Gesprächsformen gliedern sich folgendermaßen:
- Fragen zur Gesprächsvorbereitung und Hinweise zum Gesprächsverlauf,
- Anregungen zu Fragen im Gespräch, zur Einwandbehandlung und zu möglichen Klippen im Gespräch sowie
- Ideen zum Abschluss und zu nächsten Schritten nach dem Gespräch.
Zum Bereich Grundlagen gehören Einzelgespräche, Team-Meetings und die elektronische Kommunikation im Berufsalltag, die Gabrisch mehr unter das Primat des Informationsflusses als das der Kooperation stellt.
Der zweite Fokusbereich «Aufgaben» orientiert sich an einem Gespräch zur Erteilung und Delegation von Aufgaben. Der dritte Bereich «Feedback» instruiert zu Gesprächen über positives und kritisches Feedback sowie zu Klärungsgesprächen. Die Anleitungen erfolgen in der oben beschriebenen Systematik.
Der dritte Teil der Buchs geht auf «Mitarbeitergespräche im Personallebenszyklus» ein. Mit der Personalgewinnung, Einarbeitung, Personalentwicklung, Gesprächen zur Leistung, zu Handlungs- und Veränderungsbedarfen und zur Trennung wird der Personallebenszyklus in sechs Fokusbereiche eingeteilt und dazu 18 Gesprächsformen vorgestellt.
Personalauswahl und -einarbeitung
- Auswahlgespräch (Bewerbungsgespräch),
- Onboarding-Gespräch (Einarbeitung, Ankommen),
- Probezeitgespräch (zu deren Ende),
Personalentwicklung und Leistung
- Persönliche Entwicklung (jährliches Mitarbeitergespräch),
- Seminar-Transfer (Gespräch nach Weiterbildungen),
- Laufbahnplanung(sgespräch),
- Rückkehrgespräch (nach Krankheit, Elternzeit, Auslandsaufenthalt oder Sabbatical),
- Zielvereinbarung(sgespräch),
- Beurteilungsgespräch (zur Jahresleistung, ggf. mit Leistungsratings),
- Gehaltsverhandlung,
Handlungsbedarf und Probleme
- Veränderungsprozesse (Change-Kommunikation/​Information zu Veränderungen im Unternehmen),
- Gespräch zu Konflikten im Team,
- Low Performer – Gespräche zur Einforderung von Leistungserwartungen,
- Gespräch bei Alkoholmissbrauch,
- Abmahnung,
Trennung
- Trennungsgespräch (Mitteilung einer Kündigung),
- Exit-Interview bei von Mitarbeitenden entschiedenem Ausscheiden sowie
Spezielles
- Upward-Feedback von Mitarbeitenden an Führungskräfte
Die Instruktion zu den Gesprächen folgt dem oben genannten, sehr praxisnahen, teils aber auch arg rezeptologischen Standardaufbau. Zusätzlich werden für die folgenden Gesprächsformen noch typische Kernaussagen von Führungskräften vorgeschlagen. Auch in den Gesprächen im Personallebenszyklus sind Einwandbehandlung und Empfehlungen zu potenziellen Klippen im Gespräch zentral.
Das Buch schließt mit einem Serviceteil, das ein kurzes Literatur- und ein ausführliches Stichwortverzeichnis enthält.
Diskussion
Gabrischs Bild von Führungspersönlichkeit, Führungsarbeit und Führungsalltag bleibt konservativ. In allen Gesprächsformaten zeigt sich ein sehr traditionelles Führungsverständnis, das wenig auf Kollaboration oder gar die Führung von Expertenteams bzw. Professionellen mit großen Autonomie- und Handlungsspielräumen ausgerichtet ist. Die den Gesprächen zugrunde liegenden Haltungen bleiben meist implizit und für mich ein großes Fragezeichen, die vielen technischen Instruktionen und das sehr hierarchisch ausgerichtete Führungsverständnis werden sich aber bei ausreichender Internalisierung durch die Lesenden sicher auswirken. Die Teile, die sensibilisieren sollen und eine kooperative Gesprächskultur auf Augenhöhe vermitteln könnten, bleiben eher schwach. Hierzu gehört auch, dass es für den im HR-Sprech sicher verbreiteten Begriff des «Personallebenszyklus», der doch eher an Produkte als an Menschen erinnert, sicher ein freundlicheres Wort (und Verständnis) gäbe.
Moderne Führungsverständnisse (coachingorientiert, lateral, kooperativ oder für Expertenorganisationen geeignet) fehlen, daher scheint das Buch für innovative Organisationen mit ausgeprägte Agilität, flachen Hierarchien, dynamischer Organisation oder zu führenden Experten eher wenig geeignet, auch nicht für Einrichtungen im (Hoch-)Schul-, im weiteren Bildungs- oder Sozialbereich.
So viele besprochene Gesprächsformen führen naturgemäß dazu, dass die Ausführungen zum einzelnen Gespräch sehr kurz, teils etwas arg an der Oberfläche und rezeptologisch ausfallen. In der Haltung des Autors finde ich einige Dinge nicht unproblematisch: Die Unterscheidung von (entwickelbaren) Fähigkeiten und (kaum von Grund auf entwickelbaren) Talenten/​Begabungen scheint doch sehr konservativ und wenig ressourcenorientiert gedacht, die sehr hierarchische Ausrichtung der Führungsarbeit ebenso. Das spiegelt sich auch in kleineren Details – der Zeitrahmen für ein formelles Entwicklungsgespräch ist z.B. mit 30 – 60 Minuten sehr kurz angelegt und kaum für Professionelle und Experten geeignet.
Insgesamt sind im Buch nur wenige theoretische Bezüge erkennbar, wenn auch Kooperation, Fähigkeits- und Stärkenorientierung als Grundidee wahrnehmbar sind. Da der Autor auf seiner Website explizit Fritz B. Simon, einen der Pioniere systemischer Therapie, Beratung und Organisationsentwicklung nennt, erlaube ich mir einen Kommentar dazu: Das Führungsverständnis ist sehr verhaltensorientiert – eine im engeren Sinne systemische Haltung (konstruktivistisch, ressourcenaktivierend, interaktional, an Systemen orientiert) erkenne ich im Buch nur in Ansätzen.
Das Buch scheint mir geeignet für Wirtschaftsunternehmen mit klassischen Hierarchien, hohen Leistungserwartungen und traditionellem Führungsverständnis und dort für Führungskräfte im unteren und mittleren Management mit kleineren Teams. Für Bildungs- und Sozialeinrichtungen, innovative Startups oder Expertenorganisationen scheint es mir wenig geeignet.
Für Anfänger in der Führungsarbeit scheint es mir insofern hilfreich, als eine Vielzahl von Gesprächsformen thematisiert wird und ein schneller Einblick mit den wichtigsten Regeln möglich ist, dazu mag es auch als Nachschlagewerk dienen. Die reichhaltigen Download-Arbeitsmaterialien sind für eine etwas tiefergehende persönliche Entwicklung als Führungskraft sicher hilfreich.
Fazit
Sympathisch sind mir am Buch die gute Verständlichkeit, die starke Gliederung, die sympathischen Visualisierungen sowie der Fokus auf in kurzer Zeit aufnehmbare Strategien, Empfehlungen und Arbeitsregeln, diese werden vor allem Menschen beim Start einer Führungsfunktion hilfreich sein. Das Buch scheint mir geeignet für Führungskräfte in traditionell orientierten Wirtschaftsunternehmen, mit klassischer Hierarchie und Funktionsteilung, zur Führungsarbeit im unteren und mittleren Management mit eher einfach qualifizierten Fach- und Dienstleistungsmitarbeitenden. Für die Führungsarbeit im Sozial- und Bildungsbereich, mit Professionsangehörigen, in Expertenorganisationen oder solchen mit flacher Hierarchie scheint es mir eher wenig hilfreich.
Literatur
Alter, U. (2018). Grundlagen der Kommunikation für Führungskräfte: Mitarbeitende informieren und Führungsgespräche erfolgreich durchführen. Wiesbaden: Springer.
Behr, R. (2016). Mitarbeitergespräche führen: Personalentwicklung für junge Führungskräfte. München: neobooks.
Benien, K. (2015). Schwierige Gespräche führen. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.
Boden, M. (2013). Mitarbeitergespräche führen situativ, typgerecht und lösungsorientiert. Wiesbaden: Springer Gabler.
Burtscher, A. (2016). Das Mitarbeitergespräch erfolgreiche Gesprächsführung mit Mitarbeitenden. Zürich: WEKA.
Gabrisch, J. (2010). Die Besten managen Erfolgreiches Talent-Management im Führungsalltag mit zahlreichen Beispielen aus der Coaching-Praxis. Wiesbaden: Gabler.
Gabrisch, J. (2013). Die Besten entdecken über 800 Fragen für erfolgreiche Auswahlgespräche mit Fach- und Führungskräften. Köln: Luchterhand.
Gabrisch, J. (2014). Die Besten im Gespräch Leitfaden für erfolgreiche Mitarbeitergespräche von Auswahl bis Zielvereinbarung. Köln: Luchterhand.
Haußmann, M. (2018). UZMO – denken mit dem Stift visuell präsentieren, dokumentieren und erkunden das Praxisbuch zur bikablo® Visualisierungstechnik. München: Redline Verlag.
Hofbauer, H. & Winkler, B. (2002). Das Mitarbeitergespräch als Führungsinstrument mit Sonderteil „Leistungsorientierte Vergütung“. München: Hanser.
Hossiep, R., et al. (2020). Mitarbeitergespräche motivierend, wirksam, nachhaltig. Göttingen: Hogrefe.
Kock, S. F., et al. (2019). Wir müssen reden Mitarbeitergespräche in der Arzt- und Zahnarztpraxis. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Kratz, H.-J. (2015). 30 Minuten Mitarbeitergespräche. Offenbach: Gabal Verlag.
Laufer, H. (2018). Problematische Mitarbeiter erfolgreich führen Hintergründe, Leitfäden, Lösungsvorschläge. Wiesbaden: Springer Fachmedien.
Meier, R. (2009). Mitarbeitergespräche in der öffentlichen Verwaltung. Bonn: Verlag für die Deutsche Wirtschaft.
Mentzel, W., et al. (2020). Mitarbeitergespräche. Freiburg i.B.: Haufe.
Meyer, C. (2009). Die faire Kündigung Erfahrungen und Praxistipps für Vorgesetzte. Zürich: Orell Füssli.
Neuberger, O. (1973). Das Mitarbeitergespräch. München: Goldmann.
Neuberger, O. (2015). Das Mitarbeitergespräch praktische Grundlagen für erfolgreiche Führungsarbeit. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden.
Schulz von Thun, F., et al. (2017). Miteinander reden Kommunikationspsychologie für Führungskräfte. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.
Rezension von
Dr. rer. soc. Wolfgang Widulle
Hochschule für Soziale Arbeit FHNW, Olten/Schweiz
Institut Beratung, Coaching und Sozialmanagement
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