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Christian Schüle: In der Kampfzone

Rezensiert von Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer, 23.04.2019

Cover Christian Schüle: In der Kampfzone ISBN 978-3-328-60080-0

Christian Schüle: In der Kampfzone. Deutschland zwischen Panik, Größenwahn und Selbstverzwergung. Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH (München) 2019. 304 Seiten. ISBN 978-3-328-60080-0. D: 22,00 EUR, A: 22,70 EUR, CH: 30,90 sFr.

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Freiheit ist nicht selbstverständlich

Weil Menschenwürde, Friedfertigkeit, Gerechtigkeit, Solidarität und Humanität weder vom Himmel fallen und auch nicht vom Teufel verhindert werden, sondern den Menschen als humane Herausforderung aufgegeben sind, braucht es des immerwährenden, aktiven Strebens von Individuen und Gemeinschaften, das zu verwirklichen, was in der „Globalen Ethik“, der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, zuvorderst als humane Aufgabe für jeden Menschen gestellt wird: „Die Anerkennung der allen Mitgliedern der menschlichen Familie innewohnenden Würde und ihrer gleichen und unveräußerlichen Rechte bildet die Grundlage der Freiheit, der Gerechtigkeit und des Friedens in der Welt“. Dieser vielbeschworene Anspruch jedoch ist national und international längst nicht realisiert. Die Lage der Welt ist vielmehr geprägt von Ego- und Ethnozentrismus, von Rassismus und Populismus. Es gibt mutvolle und mutlose Reaktionen darüber, wie die Zustände in der Welt zu bewerten und zu bewältigen sind.

Entstehungshintergrund

Da ist von „emotionaler Mobilmachung in Politik und Gesellschaft“ die Rede bei der Frage, wie sich die Situation in Deutschland darstellt. Die Spannweite von den Empathikern bis zu den Wutbürgern, von den Demokraten bis zu den Populisten ist groß und scheinbar unüberwindlich. Um gegen die Kakophonien und Fake News von Rassisten, Identitären und Egoisten anzugehen, braucht es Verstand und die Fähigkeit zum Denken. „Lebenslehre“ ist angesagt. Hilfreich dazu können die politischen Philosophen sein, wie etwa des Berliner Philosophen, Publizisten, Essayisten und Schriftstellers Christian Schüle, wenn er Denkanstöße für ein gutes, gelingendes und menschenwürdiges Leben gibt (Christian Schüle, Wir haben die Zeit. Denkanstöße für ein gutes Leben, 2017, www.socialnet.de/rezensionen/22088.php); oder wenn er zu den aktuellen, lokalen und globalen, friedlosen und besorgniserregenden Entwicklungen Position bezieht. Er stellt fest: „Meines Erachtens ist das größte Vergehen unserer Tage die Verachtung des liberalen Prinzips durch Ignoranten, Verirrte und Gehörnte“. Sie fänden sich überall in der Gesellschaft, mit emotionalen und momentanistischen Argumenten; und ihre unheilvollen Einflüsse wirkten sich sowohl im individuellen, als auch im gesellschaftspolitischen Situationen aus, rechts wie links, politisch und unpolitisch. Da ist guter Rat gefragt!

Christian Schüles neuer Einspruch ist, wie er betont, einer Verstörung geschuldet ob der in der deutschen Gesellschaft zunehmenden Hyper- und Doppelmoral, der Hysterie und Hybris, von Panik und Panikmache. Es ist die Sorge ob der schleichenden wie eruptiven „Entfremdung zwischen Politik und Bürger, (der) … rücksichtslose(n) Polemik durch Hassprediger und Gesinnungsapostel jeglicher Dogmatik und die rhetorische Dammbruchtechnik bürgerlicher Radikalität“, die den Autor von einer „Kampfzone“ sprechen lassen. Er verortet das Schlachtfeld horizontal Links contra Rechts, vertikal Unten gegen Oben, und metaphysisch Liberal gegen Ideologisch. Es sind Klagen über die Missachtung und Entwertung der Demokratie durch Demokraten, und es sind die Fake User (Rolf Arnold, Ach, die Fakten! Wider den Aufstand des schwachen Denkens, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/23890.php), die den Philosophen beim antiken Denken nachschauen und den Zwiespalt und Widerspruch im Logos versus Thymos finden lässt: Vernünftigem gegen Zerstörerischem. Der bisher in den lokalen und globalen gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung kaum beachtete „Thymos-Faktor“ ist es, der die Extreme zum Vorschein bringt. Sein Fingerzeig wird dabei zu einem Rundumschlag, bei dem sich alle angesprochen fühlen können: Die selbstbewussten Rechtschaffenen genauso wie die provozierenden Störenfriede.

Aufbau und Inhalt

Schüle gliedert seine „Kampfschrift“ neben dem Prolog in sechs Kapitel. Die Überschriften verdeutlichen bereits das Programm: „In der Kampfzone“ – „In der Egokapsel“ – „In der Gefahrenzone“ – „In der Echokammer“ – „In der Unterwelt“ – „In die Freiheit“.

Der Autor ist verstört ob der allzu vielen, vorgegebenen, gewachsenen, gemachten verfälschten Richtungsweiser, die ein Alles-oder-Nichts-und ein Einfach-Denken befördern. Er sucht nach der Mitte, dem Normalen, Alltäglichen und gleichzeitig Globalen, eigentlich nach dem Ganzen, das die Conditio humana ausmacht und vielleicht mit dem Anspruch nach dem gesunden Menschenverstand entspricht (vgl. dazu auch: Angela Janssen, Verletzbare Subjekte. Grundlagentheoretische Überlegungen zur conditio humana, 2018, www.socialnet.de/rezensionen/25043.php). Wahrheits- und Wirklichkeitssuche sind ja Aufbrüche ins Menschliche und Kosmische.

Da wird einem die Abrechnung mit dem Bösen, dem Widerwärtigen und den Gegnern einer lebensweltlichen, demokratischen Lebensform nicht erspart; etwa der Auseinandersetzung mit Widerwelten und ego-, ethnozentristischem, populistischem, rassistischem und menschenfeindlichem Denken und Handeln. Es sind die Rechtspopulisten und die Trumps in der Welt, die sich in den Kampfzonen tummeln und scheinbar immer gefragter und mächtiger werden. Damit aus ihnen keine Speerspitzen, sondern Kakophonien werden, ist aller Mühe der Demokraten wert. Eine Gesellschaftsanalyse sollte dabei die vier Narrative in den Blick und in die Hand nehmen, die sich als „geistige Blaupause der Bundesrepublik Deutschland“ darstellen: Aufstieg – Angst – Schuld – Opfermythos. Wenn das Spektakuläre, das Digitante, das Erregende und das Narzisstische zum Erstrebenswerten werden, bleibt nichts übrig von der Menschlichkeit.

Der in vielfältiger Weise geforderte Perspektivenwechsel kann und darf weder per Ordre du mufti verschrieben, noch als weltanschauliche Prophezeiung an die Wand gemalt oder in die Köpfe der Menschen gebracht werden; nur Aufgeklärtheit (vgl. dazu z.B. auch: Jos Schnurer, Die Menschen motivieren, dass sie aufgeklärt und gebildet sein wollen! In: Pädagogische Rundschau, 3/2018, S. 363 – 373) und Mündigkeit vermögen ein humanes Wertebewusstsein erzeugen.

„Es gibt Wege aus der Kampfzone“. Trotz der berechtigten Verstörtheit und der Beunruhigung ob der negativen Entwicklungen in der Welt, braucht es die Hoffnung, dass die Menschheit den Mut aufbringt, sich des eigenen Verstandes zu bedienen, wie dies bereits der Königsberger Philosoph Immanuel Kant hoffte. „Angesichts des existentiell gewordenen Konflikts, in einer zerrissenen Gesellschaft den Abgesang auf das vernunftgeleitete Subjekt anzustimmen, wäre fatal“. Die dauernde Suche nach Werten, Perspektiven und Richtungen für ein gerechtes, gleichberechtigtes, menschenwürdiges gutes Leben für alle Menschen ist Herausforderung für jedes Individuum und Gemeinschaft. Und da liegen die Werte vor uns ausgebreitet: Solidarität und gemeinsame Sorge, soziale Verantwortung und Anerkennung der Vielfalt des Mensch- und Weltseins. Lägen diese Werte einem neuen, gegenwartsbezogenen und zukunftsorientierten Gesellschaftsvertrag zugrunde, könnten wir die Kampfzone verlassen.

Fazit

Die Kampfschrift wandelt sich im Laufe der historischen und aktuellen, argumentativen Analysen über den Zustand unserer Gesellschaft hin zu einer optimistischen Vision. Das Heraustreten und überschreiten der Kampfzone hin zu einem humanen Lebensgrund bleibt dann keine Illusion, wenn es gelingt, dass der anthrôpos Mensch unter Menschen wird.

Ein weiterer Hinweis, der zwar nur indirekt mit Schüles Analyse zu tun hat, jedoch auf den Verlag zielt, sei dem Rezensenten gestattet: Einige Verlage sind mittlerweile dazu übergegangen, auf das völlig überflüssige Einschweißen von Büchern und Druckerzeugnissen in Plastikfolie zu verzichten. Das ist gut und beispielhaft. Der Penguin-Verlag gehört noch nicht dazu. Es wird Zeit!

Rezension von
Dipl.-Päd. Dr. Jos Schnurer
Ehemaliger Lehrbeauftragter an der Universität Hildesheim
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Es gibt 1665 Rezensionen von Jos Schnurer.

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Zitiervorschlag
Jos Schnurer. Rezension vom 23.04.2019 zu: Christian Schüle: In der Kampfzone. Deutschland zwischen Panik, Größenwahn und Selbstverzwergung. Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH (München) 2019. ISBN 978-3-328-60080-0. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25545.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.


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