Matthias Moch: Kompetentes Handeln in stationären Erziehungshilfen
Rezensiert von Prof. Dr. Petra Mund, 29.09.2020
Matthias Moch: Kompetentes Handeln in stationären Erziehungshilfen. Eine empirische Annäherung.
Springer VS
(Wiesbaden) 2019.
273 Seiten.
ISBN 978-3-658-24438-5.
D: 49,99 EUR,
A: 51,39 EUR,
CH: 55,50 sFr.
Reihe: Edition Centaurus - Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis.
Thema
Die Kinder- und Jugendhilfe hat insgesamt den programmatischen Auftrag, junge Menschen in ihrer Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu fördern. Dafür hält die Kinder- und Jugendhilfe ein breites Leistungs- und Angebotsspektrum vor. In problematischen Lebenssituationen eröffnen die Hilfen zur Erziehung gem. §§ 27ff SGB VIII Kindern, Jugendlichen und ihren Familien eine breite Palette an individuellen Unterstützungsleistungen. Stationäre Hilfen zur Erziehung sind dabei die Formen, die sich besonders intensiv auf das Leben aller Familienmitglieder auswirken. Umso mehr sind die Fachkräfte der (stationären) Hilfen zur Erziehung aufgefordert, ihre handlungsleitenden Theorien und Methoden immer wieder zu reflektieren, zu überprüfen und ggf. den sich veränderten strukturellen Bedingungen und qualitativen Anforderungen anzupassen. An diesem Anspruch und Auftrag setzt die vorliegende Publikation an. Ausgehend von einer Untersuchung, die in 12 Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe des Diakonischen Werks Württemberg durchgeführt wurde, werden das pädagogische Handeln und die zugrunde liegenden Rahmenbedingungen in stationären Einrichtungen der Erziehungshilfe in den Blick genommen und Schlussfolgerungen für kompetentes Handeln in stationären Erziehungshilfen entwickelt.
Autor
Prof. Dr. Matthias Moch lehrt an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg – Stuttgart an der Fakultät Sozialwesen. Er ist Studiengangsleiter der Studienrichtung Erziehungshilfen/Kinder- und Jugendhilfe.
Entstehungshintergrund
Die Untersuchung, auf der die vorliegende Publikation beruht, ist das Ergebnis einer langen Zusammenarbeit der Fakultät Sozialwesen der Dualen Hochschule Baden-Württemberg – Stuttgart (DHBW) und den Einrichtungen des Diakonischen Werks Württemberg. Dabei schließt sich das Projekt an ein im Jahr 2013 abgeschlossenes Entwicklungsprojekt des Diakonischen Werkes zum Thema „Zukunftsfähigkeit der Heimerziehung“ an. Zudem knüpft es an die wechselseitigen Erfahrungen der Projektbeteiligten und an dem Auftrag des Theorie-Praxis-Transfers der Hochschule an. Ziel des von September 2013 und Dezember 2015 durchgeführten kooperativen Forschungsprojektes war es, durch die Auseinandersetzung mit dem fachlich-pädagogischen Handeln und seinen Rahmenbedingungen in Einrichtungen der Erziehungshilfe die Eigenschaften und Bedingungen kompetenten Handelns im Feld der stationären Erziehungshilfen näher zu bestimmen.
Aufbau
Die Publikation ist in die drei Teile: Theoretische Grundlagen und Anlage des Projekts (Teil I), Ergebnisse (Teil II) und Zusammenfassung und Schlussfolgerungen (Teil III) mit insgesamt zwölf Kapitel gegliedert. Allen vorangestellt ist die Einleitung (Kapitel 1), in der die Voraussetzungen und das generelle Ziel der Untersuchung dargestellt werden. Dadurch ist es gut möglich, sich gezielt mit einzelnen Bereichen der Untersuchung auseinanderzusetzen. Neben dem Literaturverzeichnis wird die Publikation durch einen Anhang ergänzt, in dem wesentliche Parameter im Vorfeld der Untersuchung sowie Instrumente ihrer Durchführung zu finden sind. Dabei sind die Kapitel 2-9 in weitere Unterkapitel differenziert, um die Komplexität der Auseinandersetzung und der Untersuchung zu erfassen und zu operationalisieren. Durch die ebenfalls am Ende eines jeden Kapitels erfolgte Zusammenfassung erfolgt zudem auch eine komprimierte Ergebnisdarstellung.
Inhalt
Im ersten Teil werden in Kapitel 2 zunächst die theoretischen Vorüberlegungen zum Forschungsgegenstand entwickelt. Ausgehend von Überlegungen zu Kompetenzen als generelle Bildungsziele im Studium der Sozialen Arbeit und der Reflektion, dass in der Praxis Handlungsfähigkeit immer unter Bedingungen der Ungewissheit stattfindet, werden in diesem Kapitel auch Kriterien für kompetentes Handeln entwickelt und verschiedene Kompetenzmodelle vorgestellt. Darauf aufbauend werden in Kapitel 3 die Fragestellungen der Untersuchung dargelegt. Dabei wird deutlich, dass es ein zentrales Ziel der Untersuchung ist, eine Grundstruktur des kompetenten Handelns im Feld der stationären Erziehungshilfe herauszuarbeiten. Dementsprechend lautet auch die leitende Fragestellung der Untersuchung, ob sich in den stationären Erziehungshilfen generalisierende Dimensionen feststellen lassen, anhand derer kompetentes Handeln in unterschiedlichen Situationen eines komplexen Wohngruppenalltags werden könne (vgl. S. 29).
Kapitel 4 stellt umfangreich den Forschungsprozess, das Untersuchungsdesign und die Methodik dar. Die Felderschließung nimmt Kapitel 5 in den Blick und beschreibt in vier Unterkapiteln die Auswahl der Einrichtungen und beteiligten Wohngruppen, das Profil der Gruppen und die Erhebung der strukturellen Rahmenbedingungen sowie die befragten Personen und gibt einen Gesamtüberblick zur Datenstruktur und Ergebnisdarstellung.
Der zweite Teil nimmt die Untersuchungsergebnisse in den Blick. Zunächst erfolgt dies in Kapitel 6 in Bezug auf den Bereich der Kompetenzen. Nach einer Einführung hinsichtlich der übergreifenden Dimensionen, erfolgt eine Beschreibung der kontrastierenden Kompetenzdimensionen sowie der Spektren und Beziehungen zwischen den übergreifenden Kompetenzdimensionen. Dadurch lässt sich ein Grundgerüst fachlicher Kompetenzen ableiten. Das anschließende Kapitel 7 nimmt in Bezug auf die Situationen die Ergebnisdarstellung vor. Auch hier erfolgt zunächst eine Beschreibung und Charakterisierung der Situationen, um darauf aufbauend Konstellationen einzelner Kompetenzmerkmale in bestimmten Situationen in den Blick zu nehmen. Die Ergebnisse im Bereich der Bewältigungsprofile und Handlungstypen werden in Kapitel 8 dargestellt. Hier werden sowohl Einzelmerkmale der beteiligten Fachkräfte als Personenprofile im Vergleich beschrieben. Kapitel 9 setzt sich dann mit den Ergebnissen im Bereich der institutionellen Rahmenbedingungen kompetenten Handelns auseinander. Nach einem einführenden Unterkapitel zu der Frage, was unter Rahmenbedingungen verstanden werden kann, werden in weiteren Unterkapiteln die personelle Ausstattung in den Gruppen, die subjektive Arbeitszufriedenheit, Teamleitung und Vorgesetzte als Rahmenbedingungen beschrieben. Vor diesem Hintergrund erfolgt dann die Einschätzung der notwendigen Kompetenzen. In den abschließenden drei Kapiteln werden die Ergebnisse zusammengefasst. Dazu gibt Kapitel 10 zunächst einen Überblick über die zentralen Ergebnisse und benennt besonders stressauslösende und kompetenzrelevante Faktoren, geht auf personen- und situationen-übergreifende Dimensionen ein und beschreibt typenspezifische Kompetenzmuster. Kapitel 11 nimmt eine Methodenkritik vor und Kapitel 12 zieht abschließende Schlussfolgerungen.
Diskussion
Kompetentes Handeln als Forschungsgegenstand erfordert zunächst eine Bestimmung, aus welcher Perspektive sich diesem Begriff genähert werden soll. Hier überzeugt die im Forschungsprojekt gewählte bildungspolitische Perspektive. Dadurch kann herausgearbeitet werden, dass sich die Fähigkeit zu Bewältigung beruflicher Herausforderungen sich nicht im Studium, sondern erst im Rahmen der Berufstätigkeit zeigen kann (vgl. S. 8), eine für die weitere Anlage der Untersuchung zentrale Grundlage. Auch die weiteren Grundlagen zu den Rahmenbedingungen des sozialarbeiterischen Handelns, wie das Handeln unter Ungewissheit und die Erfordernis der subjektiven Interpretation der jeweiligen Handlungssituation (vgl. Kapitel 2.2 und 2.3) sind für die umfassende Beschreibung, vor welchen Bedingungen sich das Handeln der Sozialen Arbeit im Allgemeinen und den stationären Hilfen zur Erziehung im Besonderen vollzieht, zielführend. Die Darstellung verschiedener Kompetenzmodelle (J. Erpenbeck, M. Heiner) gibt nicht nur einen guten Einblick in die Vorüberlegungen der Untersuchung, sondern ermöglichen auch eine Auseinandersetzung mit dem individuellen Verständnis von Kompetenz. Insgesamt überzeugt der Ansatz, bei der Bestimmung von Kompetenz, den prozessualen, situativen, institutionellen und handlungsdynamischen Aspekten einen bedeutenden Stellenwert beizumessen (vgl. S. 26), da so die besonderen Bedingungen, innerhalb derer die Leistungen der Sozialen Arbeit in Koproduktion erzeugt werden. Die umfangreiche Analyse setzt sich auch bei der Entwicklung der Fragestellungen fort. Neben einer allgemein leitenden Fragestellung, die der Untersuchung vorangestellt ist („Lassen sich in den stationären Erziehungshilfen generalisierende Dimensionen feststellen, anhand derer kompetentes Handeln in unterschiedlichen Situationen eines komplexen Wohngruppenalltags differenziert werden kann“ S. 29) werden weitere Fragerichtungen entwickelt, die sich sowohl auf das kompetente Handeln von Einzelnen und Teams als auch auf die institutionellen und kommunikativen Rahmenbedingungen kompetenten Handelns beziehen. Damit wird eine umfangreiche Perspektive eingenommen, die auch umfangreiche Ergebnisse auf den unterschiedlichen Ebenen erwarten lässt. Die grundsätzliche empirische Anlage der Untersuchung wird umfangreich im vierten Kapitel dargestellt, dadurch wird die hohe Güte der Untersuchung deutlich. Insbesondere die Gewinnung, Sammlung und Kontrastierung von Kompetenzaspekten (vgl. Kapitel 4.4) mit Hilfe u.a. der Repertory Grid-Technik, Expert_inneninterviews und schrittweisen Validierung und Verdichtung der jeweils gewonnenen Erkenntnisse bis hin zu Items für die eigentliche Untersuchung, verdeutlichen die umfangreichen Überlegungen und Herangehensweisen, durch die sich diese Untersuchung auszeichnet. Die ausführliche Darstellung der Herangehensweise setzt sich auch bei der Darstellung der Felderschließung und der Untersuchungsgruppen fort. Dadurch bietet die Untersuchung gleichfalls gute Möglichkeiten der Übertragung. Die Ergebnisse, die durch die Untersuchung gewonnen werden, werden in den Kapiteln 6 bis 9 dargestellt. Durch die Aufteilung in die Ebenen der Kompetenzen, Bewältigungsprofile und Handlungstypen sowie institutionellen Rahmenbedingungen kompetenten Handelns wird eine fokussierte Betrachtung möglich. Dabei werden die Erkenntnisse auf den einzelnen Ebenen ausdifferenziert dargestellt. Durch die Bezugnahme auf die geführten Interviews, werden dabei die gezogenen Schlussfolgerungen nachvollziehbar verdeutlicht. Der in den Schlussfolgerungen ausführlich dargestellte Erkenntnis, dass sich kompetentes Handeln in der stationären Kinder- und Jugendhilfe durch ein breites Spektrum an Handlungsweisen auszeichnen muss, um den vielfältigen und komplexen Anforderungen gerecht werden zu können (vgl. S. 238), ist vollumfänglich zuzustimmen. Durch die gleichfalls an dieser Stelle gegebenen Hinweise, wie dieser Anforderung entsprochen werden kann (u.a. durch ein Team, in dem unterschiedliche Kompetenzen zu finden sind), werden Möglichkeiten des Transfers der Erkenntnisse in die Praxis eröffnet.
Fazit
Die vorliegende Untersuchung hat sich umfassend mit der Frage auseinandergesetzt, wie kompetentes Handeln in den stationären Hilfen zur Erziehung empirisch erfasst werden kann. Durch den gewählten bildungspolitischen Zugang und der Auseinandersetzung mit der Frage, wie es durch eine Verzahnung von Theorie (Hochschule) und Praxis (Arbeitsfeld stationäre Kinder- und Jugendhilfe) gelingen kann, kompetentes Handeln auszubilden bzw. die (Weiter-)Entwicklung zu befördern, bietet die Untersuchung vielfältige Ansätze für die Weiterentwicklung des Theorie-Praxis-Transfers. Die ausführliche Beschreibung der Anlage der Untersuchung, die methodische Vorgehensweise und die Auswertung eröffnet dabei nicht nur einen Einblick in den Gang der vorliegende Untersuchung, sondern enthält auch Anregungen für zukünftige Forschungen. Dabei ist es möglich, sich sowohl mit der Studie insgesamt als auch gezielt mit ihren einzelnen Fragestellungen auseinanderzusetzen. Daher ist die vorliegende Publikation für Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe und Lehrende der Sozialen Arbeit gleichermaßen eine gewinnbringende Lektüre.
Rezension von
Prof. Dr. Petra Mund
Professorin für Sozialarbeitswissenschaft und Sozialmanagement, Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin
Website
Mailformular
Es gibt 2 Rezensionen von Petra Mund.
Zitiervorschlag
Petra Mund. Rezension vom 29.09.2020 zu:
Matthias Moch: Kompetentes Handeln in stationären Erziehungshilfen. Eine empirische Annäherung. Springer VS
(Wiesbaden) 2019.
ISBN 978-3-658-24438-5.
Reihe: Edition Centaurus - Perspektiven Sozialer Arbeit in Theorie und Praxis.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25574.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.