Laura Wiesböck: In besserer Gesellschaft
Rezensiert von Laura Sturzeis, 28.08.2019

Laura Wiesböck: In besserer Gesellschaft. Der selbstgerechte Blick auf die Anderen. Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG (Wien) 2019. 208 Seiten. ISBN 978-3-218-01133-4. D: 22,00 EUR, A: 22,00 EUR.
Thema
Das Buch untersucht die Entstehung von Zugehörigkeitskategorien in verschiedenen gesellschaftlichen Sphären, sowie die damit einhergehenden Abgrenzungsprozesse, an die die Abwertung Anderer – der Nicht-Zugehörigen – anschließt. Die Autorin konzentriert sich dabei insbesondere auf Grenzziehungsprozesse in der gesellschaftlichen Mitte, die in den Bereichen Arbeit, Geschlecht, Einwanderung, Armut und Vermögen, Kriminalität, Konsum, Aufmerksamkeit und Politik vollzogen werden. In diesen Bereichen wird die Entstehung eines gemeinsamen „Wir“ und die Abgrenzung zu den „Anderen“ nachgezeichnet – ein Prozess, dem oftmals die Abwertung ebendieser „Anderen“ innewohnt, wie die Autorin nachdrücklich anhand anschaulicher Beispiele aufzeigt.
Herausgeber
Laura Wiesböck ist Soziologin an der Universität Wien und forscht zu sozialer Ungleichheit.
Aufbau
Das Buch gliedert sich in acht Kapitel – u.a. Arbeit, Konsum oder Einkommen –, in denen die Autorin jeweils zentrale Dimensionen sozialer Ungleichheit in den Mittelpunkt stellt und ungleichheitsfördernde Mechanismen in diesen Feldern aufzeigt. Die inhaltliche Klammer, die die Auswahl der Bereiche zusammenhält, ist die Frage danach, wie sich die jeweiligen Zugehörigkeits- und Abgrenzungsprozesse entfalten und wie sich letztlich der „selbstgerechte Blick auf „die Anderen“ manifestiert.“ (S. 11). Jedes Kapitel ist zudem in zwei Teile gegliedert, die unterschiedliche Phänomene innerhalb der jeweils untersuchten Sphäre genauer ausleuchten.
Inhalt
Nach einer kurzen Einleitung folgt die Untersuchung der Sphäre der Arbeit als gesellschaftlicher Ort der Etablierung von Abgrenzungs- und Abwertungsprozessen (Kapitel 1). In einem ersten Teil zeichnet die Autorin nach, wie der seit den 1980er Jahren vollzogene Wandel von Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft zu stärkerer Individualisierung und Betonung der Eigenverantwortlichkeit in der Arbeitswelt geführt hat. Als Konsequenz konstatiert Wiesböck, dass sich ein neues Mantra des „Do what you love“ herausgebildet hat, dem zufolge die eigene Arbeit primär mit der Selbstverwirklichung des Individuums gleichgesetzt wird. Die Kehrseite dieser Entwicklung verortet die Autorin in einem „verkleidete[n], versteckte[n] Elitismus“ (S. 15), der darin begründet liegt, dass der selbstverwirklichende Beruf meist nur einer privilegierten Gruppe vorbehalten bleibt.
Der zweite Teil zur Arbeit widmet sich der „Trennung von Hand und Kopf“ (S. 23). Während in der Industriegesellschaft die manuelle Arbeit weit verbreitet war, so hat diese gegenwärtig einen Bedeutungsverlust erfahren, insbesondere gegenüber der Kopfarbeit. Damit ging auch der Statusverlust manuell tätiger ArbeiterInnen einher. Während die einstigen Hand-Werker zunehmend zu Bediener von Maschinen und Computern werden, deren Arbeit von immer mehr Kopfarbeitern kontrolliert wird, hat sich parallel dazu ein neuer Trend des Selbermachens herausgebildet. „Alles in allem zeigt sich, dass hinter der Trennung von Hand und Kopf und den damit verbundenen Abgrenzungen insgeheim Klassenkämpfe verstecken. Es wird aber auch deutlich, dass in diesen neuartigen Ansätzen eine Sehnsucht nach einer alten Ganzheit spürbar ist, nach einer früheren oder früher vermuteten Einheit von Kopf und Hand.“ (S. 31). Als Fazit konstatiert die Autorin, dass Handarbeit nicht gleich Handarbeit ist im Hinblick auf den sozialen Status der Ausführenden.
In einem weiteren Kapitel setzt sich die Autorin mit Abgrenzungsprozessen im Bereich von „Armut und Vermögen“ (Kapitel 4) auseinander. Hierbei konstatiert Wiesböck gegenwärtig eine Gleichsetzung von Arbeitslosigkeit mit individuellem Versagen. Obgleich sich anhand empirischer Befunde zeigt, dass immer mehr Menschen von prekären Arbeitsverhältnissen betroffen sind und auch der Arbeitsmarkt für gewisse Gruppen an Menschen – bspw. niedrig Qualifizierte, Ältere oder gesundheitlich Beeinträchtigte – nur schwer, falls überhaupt, zugänglich ist, überwiegt die öffentliche Wahrnehmung von Arbeitslosigkeit als selbstverschuldetem Phänomen. Begleitet wird diese Entwicklung von einer „Kultur der Armut“, die in „fiktionalen TV-Sendungen (…) Elend wirkungsvoll inszeniert“ (S. 93). Dieser Blick auf Armut und Arbeitslosigkeit hat zur Folge, dass statt Unterstützung die Forderungen nach Bestrafung salonfähiger geworden sind. Arme Menschen werden als moralisch schlechtere Menschen wahrgenommen, die gesellschaftlicher Solidarität unwürdig sind. Hinzu kommt, dass gerade zunehmende Unsicherheit des Arbeitsmarktes die Abgrenzungsprozesse jener, die (noch) Arbeit haben gegenüber jenen, die keine Arbeit (mehr) haben, verstärkt. „Die Angst der Mittelschicht vor dem Abstieg, die Sicherung der eigenen Privilegien sowie die ausgrenzende Rhetorik (…) verstärken die Sozialhierarchie zwischen Nützlichen und Nutzlosen (…).“ (S. 97). Was dabei auf der Strecke bleibt ist zum einen die gesellschaftliche Solidarität und zum anderen der Fokus auf die Kritik der wachsenden Kluft zwischen Vermögenden und Nicht-Vermögenden. Der zweite Teil des Kapitels widmet sich dem „Diktat des Unternehmergeistes“ (S. 98 ff.), der – wie ausführlich in Kapitel 1 dargelegt – eng im Zusammenhang steht mit dem Primat der Selbstverwirklichung im Arbeitsleben. Unternehmertum wird mit Erfolg, Leistung, Flexibilität und Risikobereitschaft assoziiert und positiv konnotiert sind. Zugleich werden auch hier Selbst- und Fremdausbeutung ausgeblendet, ebenso wie unterschiedliche Startbedingungen aufgrund von sozialer Herkunft. „Ohne Zweifel findet eine zunehmende Verknüpfung zwischen angestrebter Selbstverwirklichung und ökonomischem Erfolg statt. Und dabei haben privilegiertere Milieus die besseren Karten.“ (S. 101). Zugleich findet seit den 1990er Jahren ein zunehmendes Eindringen des Unternehmergeistes in unterschiedliche gesellschaftliche Bereiche statt und erfährt seine prägnanteste Ausformung im „unternehmerischen Selbst“ (S. 106). als neuen Maxime aller Lebensbereiche. „Dieses Leitbild ist zugleich Schreckensbild. Was alle werden sollen, ist auch das, was allen droht.“ (S. 107).
Abschließend wird im Zuge dieser Rezension als letzte Sphäre der Konsum näher beleuchtet (Kapitel 6), wobei Teil eins sich dem Geltungskonsum und Teil zwei sich dem moralischen Überlegenheitsgefühl widmet. Bereits vor über 100 Jahren stellte der Ökonom und Soziologe Thorstein Veblen fest, dass Konsum nicht nur der Befriedigung von Bedürfnissen dient, sondern auch der Zurschaustellung des eigenen Status. Der nach ihm benannte Veblen-Effekt bezeichnet in der heutigen Ökonomie so dann auch jenes Phänomen, das gewisse Produkte mit Erhöhung des Preises nicht weniger, sondern mehr nachgefragt werden. Diese sogenannten Veblen-Güter erhöhen das Prestige ihrer Besitzer umso mehr, je teurer sie sind. Auch heute tritt uns dieses Phänomen in gewandelter Form entgegen. Für die oberen Gesellschaftsklassen gilt, dass Luxus heimlich und nicht öffentlich zur Schau gestellt wird. Nach außen hin dominiert ein sorgfältig kultiviertes Understatement. „Je erfolgreicher und finanziell unabhängiger jemand ist, desto unwichtiger werden die klassischen Geltungssymbole, desto subtiler werden die Erkennungsmerkmale.“ (S. 132). Für weniger begüterte Klassen ist hingegen die Zurschaustellung von Prunk nach wie vor ein wichtiges Kriterium zur Abgrenzung nach unten und auch zur Integration in die Gesellschaft. „[W]eniger privilegierte Gruppen [kompensieren] ihr Gefühl mangelnder Anerkennung über den Konsum von Produkten, die Status symbolisieren sollen.“ (S. 134 f.). Dabei kommt nicht nur Produkten, wie bspw. Sneakers eine wichtige symbolische Bedeutung zu, sondern auch dem Aussehen, das sich insbesondere bei Frauen durch Schönheitsoperationen und anderen Formen der nach außen sichtbaren ‚Veredelung‘ in Symbole für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder Klasse nutzen lässt, wie Wiesböck beispielhaft anführt.
Im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte erfährt der Konsum in jüngerer Zeit zudem auch eine moralische Aufladung. Ob Nahrungsmittel, Reisen oder Kleidung – nachhaltige Produkte und Dienstleistungen zu konsumieren wird zum ethischen Imperativ erhoben, so Wiesböck. „Produkte dienen dann nicht nur dazu, einen Bedarf zu erfüllen, einen empfundenen Mangel zu beheben oder sich zu belohnen, sondern in erster Linie dazu, um sich als moralisch guter Mensch zu fühlen.“ (S. 144). Anstatt die individuellen Konsummuster gänzlich zu hinterfragen, bietet die nachhaltige Version eine bequeme Alternative zu Verzicht und öffnet dadurch auch die Türe, um all jene, deren Konsumverhalten dem neuen ethischen Imperativ nicht genügt, abwertend gegenüber zu treten. Gänzlich ausgeblendet wird, dass man sich „[e]inen nachhaltig geprägten Lebensstil [erst einmal] leisten können [muss].“ (S. 149).
Neben den drei hier ausführlicher erläuterten Kapiteln des Buches, werden darin auch noch die Sphären der Einwanderung (Kapitel 3), der Kriminalität (Kapitel 5), der Aufmerksamkeit (Kapitel 7) und der Politik (Kapitel 8) behandelt.
Diskussion und Fazit
Laura Wiesböck diskutiert in ihrem Buch eine breite Palette an Phänomenbereichen sozialer Ungleichheit und darauf bezogener Abgrenzungsprozesse. Mit dieser Arbeit legt sie eine im flotten Stil verfasste Empörungsschrift vor, deren Kritik sich vor allem gegen die bürgerliche/n Schicht/en (oder Klasse/n) richtet, die vielfach aus einer gesellschaftlich privilegierten Machtposition heraus untere Schichten abwerten. Einerseits hält Wiesböck der Gesellschaft einen Spiegel vor, zugleich kann man sich aber des Eindruckes eines Rundumschlags nicht verwehren. Zudem weisen die soziologischen Analysen einen starken Gegenwartsbezug auf, der die historische Bedingtheit und auch ‚Gewordenheit‘ der Ungleichheitsdimensionen ungenügend berücksichtigt. Gerade vor dem Hintergrund der Fokussierung auf soziale Prozesse ist diese zeitliche Verkürzung nicht unproblematisch. Diese dürfte jedoch nicht zuletzt auch der Breite an Themen geschuldet sein, die von der Autorin gegenüber der Tiefe bevorzugt wurde. Zugleich relativiert sich die Kritik angesichts der intendierten Leserschaft; handelt es sich hierbei weniger um eine kleine Gruppe soziologisch geschulter ExpertInnen, als vielmehr um eine breite LeserInnenschaft, die die Inhalte des Buches im Sinne einer – dringend benötigten und daher sicherlich wohlwollend rezipierten – multiplen Gegenwartsdiagnose bzw. einem Kaleidoskop an Gegenwartsdiagnosen lesen wird, deren gemeinsame Klammer die Betrachtung durch die Ungleichheitsbrille darstellt. Insofern bleibt das Fazit ein anerkennendes; denn angesichts der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen in den von Wiesböck behandelten Sphären ist laute Kritik ein wichtiges Gebot der Stunde, das die Autorin mit ihrem Buch gekonnt einlöst.
Rezension von
Laura Sturzeis
Sozioökonomin und Programmkoordinatorin des Masterstudiums Sozioökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien
Mailformular
Es gibt 22 Rezensionen von Laura Sturzeis.
Zitiervorschlag
Laura Sturzeis. Rezension vom 28.08.2019 zu:
Laura Wiesböck: In besserer Gesellschaft. Der selbstgerechte Blick auf die Anderen. Verlag Kremayr & Scheriau GmbH & Co. KG
(Wien) 2019.
ISBN 978-3-218-01133-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25576.php, Datum des Zugriffs 09.12.2023.
Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt.
Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns.
Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen
für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.