Alexander Schachinger et al.: Digitalisierung des Gesundheitswesens
Rezensiert von Prof. Dr. phil. Barbara Wedler, 11.11.2019

Alexander Schachinger et al.: Was Ärzte über die Digitalisierung des Gesundheitswesens denken. Ein Report von DAK-Gesundheit und Ärzte Zeitung.
medhochzwei Verlag GmbH
(Heidelberg) 2019.
105 Seiten.
ISBN 978-3-86216-546-9.
D: 19,99 EUR,
A: 20,60 EUR.
herausgegeben von Andreas Storm; Reihe: Beiträge zur Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung - Band 27.
Herausgeber
Der Herausgeber ist der Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit.
Entstehungshintergrund
Im Fokus des Buches steht der Report von DAK-Gesundheit und Ärzte Zeitung zur Digitalisierung im Gesundheitswesen i.w.S. Die Befragungsergebnisse werden ergänzt durch die Positionierung sowie Erwartungen weiterer Akteure an die Digitalisierung.
Aufbau
Nach dem Vorwort von A. Storm folgen diverse Beiträge, die mit Angaben zu den Autoren die Inhalte des Buches abrunden.
- Ergebnisse des Digitalisierungsreportes von DAK-Gesundheit und Ärzte Zeitung (Dr. Alexander Schachinger, Geschäftsführer der EPatient RSD GmbH Berlin)
- Die Digitalisierung hängt an der Akzeptanz der Ärzte (Hauke Gerlof, stellv. Chefredakteur der Ärzte Zeitung)
- Digitale Ökosysteme im Gesundheitswesen (Franz-Helmut Gerhards, Chief Digital Officer DAK-Gesundheit)
- Was braucht es, damit Ärzte die Digitalisierung zu ihrem Thema machen? (Dr. Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der KV auf Bundesebene)
- Digitalisierung: Patientennutzen im Focus (Andreas Storm, Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit)
- Was Patienten von Ärzten und anderen Leistungserbringern bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens erwarten (Gerlinde Bendzuck, Vorsitzende der Landesvereinigung Selbsthilfe Berlin e.V.)
- Digitalisierung aus Sicht der Patientensicherheit: Eine Positionsbeschreibung (Dr. Ilona Köster-Steinebach und Marcel Weigand, Geschäftsführerin APS und Vorstandsmitglied APS)
- Gestalten statt Erleiden – Wie wir gemeinsam die digitale Veränderung kreieren (Christian Rebernik, CEO sowie Gründer von Vivy)
- Der digitale Gesundheitsmarkt: Status Quo und Entwicklung (Dr. Alexander Schachinger, Marktfoscher)
Inhalt
Der erste Beitrag ist vollumfänglich der Online-Befragung der DAK von ÄrztInnen gewidmet. Ziel, Kerninteresse des Befragungsprojektes werden benannt. Ergebnisse des Digitalisierungsreportes von 2017 werden hinzugezogen. Die Befragungsergebnisse werden anschaulich dargestellt und interpretiert. Insgesamt zeigen die Ergebnisse eine hohe Offenheit der Ärzteschaft gegenüber der Digitalisierung. Gleichzeitig wurde die Altersabhängigkeit gegenüber der Anwendung digitaler Lösungen im Praxisalltag sowie neuen Möglichkeiten digitaler Versorgungslösungen deutlich.
Im zweiten Beitrag wird zunächst auf die bereits vorhandenen Strukturen für die Digitalisierung im Praxisalltag von MedizinerInnen verwiesen. Es ist aus Sicht des Autors eher eine Frage der Bereitschaft der Selbstverwaltung digitale Lösungen in den Praxisalltag zu integrieren. Sind die Vorzüge derartiger Strukturen deutlich, Arbeitsabläufe, E-Rezepte, E-Arztberichte etc., bedarf es doch auch weiterer Anreize/​Impulse aus der Politik, um den Prozess der Digitalisierung in Arztpraxen voranzutreiben.
Gerhards greift den Zusammenhang zwischen zunehmender Digitalisierung sowie verändertem Kundenverhalten/​Patientenerwartungen auf. Ebenso bewegen sich gesetzliche Krankenversicherungen im Wettbewerb um die Versicherten. Ein Beispiel für ein digitales Angebot für die Versicherten entsprechend deren Bedürfnissen stellt das digitale Ökosystem der DAK-Gesundheit dar. Dieses System wird exemplarisch vorgestellt und stellt gleichzeitig die Forderung nach Kompatibilität der Ökosysteme in den Raum. Neben allen beschriebenen Details ist doch die Basis für die Ausrichtung der Digitalisierung sowohl die Arzt- als auch die Patientenzentrierung.
Dass ÄrztInnen grundsätzlich offen für Neuerungen sind und neue Technologien seit Jahrzehnten Einzug in Arztpraxen halten, wird im vierten Buchbeitrag thematisiert. Doch es geht vor allem um eine sinnhafte und nutzenorientierte Entwicklung digitaler Lösungen. Als wesentliches Element der Digitalisierung wird exemplarisch die elektronische Gesundheitsakte in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt. Im Fazit steht u.a. die Erkenntnis, dass es Standards der Datenübermittlung braucht, um echte Interoperabilität zu erreichen.
Weil Innovationen im Gesundheitswesen vergleichsweise langsam vorangehen, werden die gesetzlich vorgegebenen Inhalte digitaler Angebote den Kundenansprüchen aktuell nicht gerecht – so die Aussage von Storm. Noch immer führt eine starke Regulierung zur Einschränkung der Innovationskraft. Der Autor sieht das Potenzial der Digitalisierung durch die Einbeziehung der Patienten, die Entlastung der Folgen des demographischen Wandels und der sektorenübergreifenden Arbeit. Als ein bisher gelungenes Beispiel wird auf die patientenzentrierte elektronische Gesundheitsakte „Vivy“ der DAK-Gesundheit näher eingegangen. Letztendlich, so plädiert der Autor, geht es darum, Digitalisierung im Gesundheitswesen in den gesamtgesellschaftlichen Kontext zu stellen.
G. Bendzuck verbindet die Digitalisierung im Gesundheitswesen mit den Menschenrechten, der Inklusion. Damit hebt sie die wissenschaftlichen Betrachtungen der Thematik auf eine andere Ebene. Aus Patientensicht werden die Ressourcen hervorgehoben, die „Digital Health“ insbesondere für chronisch kranke Menschen innehat. Und die Autorin benennt Risiken der Digitalisierung insbesondere in Hinblick auf die anfallenden Daten. Im Fazit bleibt die Hoffnung und der Auftrag, dass „Digital Health“ zu besserer Behandlungsqualität führen muss!
Auf Nutzen wie auch (möglichen) Schaden der Digitalisierung wird auch im 7. Beitrag hingewiesen. An oberster Stelle steht die Patientensicherheit. Das Aktionsbündnis für Patientensicherheit e.V. erarbeitete ein entsprechendes Positionspapier und fasst in vier Punkten die wesentlichen Voraussetzungen zusammen: wissenschaftliche Studien zu den gewünschten komplexen Interventionen, zur Verfügung-Stellen der notwendigen finanziellen Mittel zur Umsetzung der Digitalisierung, die Anpassung der Ausbildungsinhalte bei MedizinerInnen und den Abbau der Angst vor Transparenz.
Rebernik betont in seinem Buchbeitrag die Notwendigkeit gemeinsam mit etablierten Institutionen im Gesundheitssektor und Start-ups die Potenziale der Digitalisierung des Gesundheitswesens produktiv zu gestalten. Für die Gestaltung dieses Prozesses greift der Autor auf Erkenntnisse des Ökonomen Schumpeter zurück und blickt auf europaweite und branchenübergreifende Erfahrungen mit der „Digital Health“.
Im 9. Kapitel beschreibt Schachinger die „… übergeordneten Marktentwicklungen für webbasierte Gesundheits- und Versorgungsanwendungen für den deutschsprachigen Raum…“. Exemplarisch für die beschriebenen Entwicklungen wird z.B. Deprixis24: evidenzbasierte Online-Therapie vorgestellt. Im Fazit wird herausgestellt, dass nicht jeder Patient gleichermaßen durch digitale Versorgungslösungen erreicht wird. Und es gibt nicht DIE Lösung, sodass Nischenlösungen mehr und mehr gefragt sind, die auch durch Produkte von Start-Ups in ihrer Entwicklung unterstützt werden.
Diskussion
Im Focus aller Beiträge stehen Aspekte der Digitalisierung im Gesundheitswesen. Aus verschiedenen Blickwinkeln heraus diskutieren die AutorInnen den Nutzen der Digitalisierung für Akteure sowie PatientInnen und setzen sich ebenso kritisch mit noch nicht ausgereiften technischen Voraussetzungen auseinander. Ebenso angemahnt wird die Verantwortung der Politik im Prozess der Digitalisierung. Ausgangspunkt der Beiträge ist eine Studie der DAK gemeinsam mit der Ärzte Zeitung unter MedizinerInnen zu Gedanken von ÄrztInnen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen. Die vorangestellten Ergebnisse der Studie werden ergänzt durch die Positionierung weiterer Akteure im Bereich digitaler Anwendungen im Gesundheitswesen. Trotz der eher statistik- und technikorientierten Beiträge bleibt als Fazit für LeserInnen: Digitalisierung beschleunigt den Informationsfluss, die hilft die Behandlung bedarfsgerechter zu gestalten und! der Zeitgewinn kommt die Interaktion Arzt-Patient zu gute. Mit diesen Grundgedanken positionieren sich Schachinger et al. für einen Einsatz der Digitalisierung, die dem Menschen verpflichtet ist und nicht der Ökonomie. Es bleibt zu wünschen, dass gerade EntscheidungsträgerInnen im Gesundheitswesen dieses Buch lesen und die Gedanken verinnerlichen.
Fazit
Dieser Sammelband ist mehr als das Zusammenfügen themenspezifischer Beiträge zur Digitalisierung im Gesundheitswesen. Es werden nicht nur die Studienergebnisse präsentiert und diskutiert sondern generell die Vorzüge und Gefahren der Digitalisierung im Gesundheitswesen detailliert dargestellt. Insgesamt ist dieses Buch ein Fachbuch für eine ausgewählte Leserschaft. Doch wenn AnwenderInnen, PatientenvertreterInnen und EntscheidungsträgerInnen aus dem Gesundheitswesen die Buchbeiträge zum Anlass für eine tiefere Auseinandersetzung mit der benannten Problematik nutzen, dann ist das Ziel erreicht.
Rezension von
Prof. Dr. phil. Barbara Wedler
Professur für klinische Sozialarbeit und Gesundheitswissenschaften
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