Armin Castello: Positives Elternhandeln
Rezensiert von Prof. Dr. Marius Metzger, 10.01.2020

Armin Castello: Positives Elternhandeln. Pädagogik im familiären Alltag.
Kohlhammer Verlag
(Stuttgart) 2019.
114 Seiten.
ISBN 978-3-17-035256-8.
25,00 EUR.
Reihe: Praxiswissen Erziehung.
Thema
Die Zielsetzung des Buches „Positives Elternhandeln. Pädagogik im familiären Alltag“ besteht gemäß Autor darin, „[…] einen kompakten Überblick zu elterlichem Handeln zu geben, das die kindliche Entwicklung positiv beeinflussen kann“ (S. 10).
Wie aus dem folgenden Zitat hervorgeht, richtet sich das Buch an Eltern und Fachpersonen, welche Eltern bilden, beraten und begleiten: „Die Zielgruppe des Bandes sind daher Eltern, die direkt oder über eine vermittelte Elternedukation erreicht werden sollen. Ein Personenkreis, der sich professionell für die Qualifikation und Beratung von Eltern engagiert, gehört daher ebenso zu den Adressaten“ (S. 11).
Autor
Prof. Dr. Armin Castello ist Professor für Psychologie und Diagnostik an der Europa-Universität Flensburg. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen in den folgenden Themenfeldern: Klinische Kinderpsychologie, Erziehungsberatung und systemische Familienberatung.
Inhalt
Im ersten Kapitel „Kindliche Entwicklung: Ein Anpassungsprozess“ wird die Ausgangslage des Elternsein skizziert: Kindern fehlen bei der Geburt viele wichtige Fähigkeiten, die sie sich erst in den ersten beiden Lebensjahrzehnten aneignen können. Dies ermöglicht es den Kindern, sich differenziert an die Erfordernisse der Umwelt anzupassen, was nicht mehr möglich wäre, wenn ihnen bereits von Beginn an basale, überlebenssichernde Fähigkeiten zur Verfügung stehen würden. Eltern kommt dabei die Aufgabe zu, Kindern den Zugang zum Erwerb der notwendigen Fähigkeiten für ebendiese Anpassungsleistungen zu ebnen.
Das zweite Kapitel „Bindung zwischen Eltern und Kind“ widmet sich funktionalen respektive dysfunktionalen Eltern-Kind-Interaktionen, die zur ausreichenden respektive mangelnden Befriedigung von kindlichen Bedürfnissen führen. Da der Umgang mit kindlichen Bedürfnissen in einem engen Zusammenhang mit Bindungsmustern steht, werden die bekannten Bindungstypen dargestellt und die Schutzwirkung von sicheren Bindungen nachgezeichnet.
Im dritten Kapitel „Erziehung“ wird eingangs kurz auf den hohen Stellenwert der familiären Erziehung als wichtige Sozialisationsleistung eingegangen, um anschließend die Funktionsfähigkeit moderner Familien aufgrund deren zunehmenden Instabilität und Isolierung zu problematisieren. Der Schwerpunkt dieses Kapitels liegt in der Beschreibung elterlicher Erziehungsstile und deren Auswirkungen auf die kindliche Erziehung.
Das vierte, fünfte und sechste Kapitel befasst sich mit den Themen „Elterlicher Umgang mit Emotionen“, „Unterstützung positiven Denkens“ und „Unterstützung positiven Sozialverhaltens“, womit unterschiedliche Schwerpunkte für die elterliche Einflussnahme auf die kindliche Entwicklung gesetzt werden. In diesen drei Kapiteln wird jeweils die Wichtigkeit von indirekter und direkter Einflussnahme der Eltern aufgezeigt: Eltern können als Modell für einen adäquaten Umgang mit Emotionen, Denkmustern und Sozialverhalten indirekt Einfluss auf die kindliche Entwicklung nehmen. Zudem können Eltern ihre Kinder auch direkt im Umgang mit ihren Emotionen, Denkmustern und sozialen Verhaltensweisen unterstützen, indem sie dies stellvertretend überall da so weit wie nötig übernehmen, wo es den Kindern noch nicht möglich ist. So kann mit Kindern beispielsweise nach alternativen Zuschreibungen von Ursachen gesucht werden, die für das Zustandekommen von sozialem Ausschluss verantwortlich sind – sofern ihnen dies ohne Hilfestellung noch nicht möglich ist.
Im siebten Kapitel „Systemisches Verständnis für Eltern“ findet sich systemisches Grundwissen zur Funktionsweise von Familien aufbereitet. Ausgehend von der Einsicht in die Notwendigkeit einer Annahme von zirkulärer Kausalität für ein adäquates Verständnis familiärer Phänomene, werden mit Überlegungen zu Grenzen, Koalitionen, Traditionen und Familienregeln zentrale Begriffe für ein systemisches Verständnis von Familien in einer Mehrgenerationenperspektive geklärt.
Das achte, neunte und zehnte Kapitel widmet sich mit der Förderung des „Selbstmitgefühls für Eltern“, der „Elternpartnerschaft“ und der „Ressourcen für Eltern“ unterschiedlichen Möglichkeiten zur Stärkung von Eltern. Alle drei Kapiteln fokussieren auf Entlastungsmöglichkeiten: Sei es die psychische Entlastung von Perfektionsansprüchen, die gegenseitige Unterstützung im Rahmen einer funktionierenden Elternbeziehung oder die Inanspruchnahme ganz unterschiedlicher Elternangebote.
Diskussion
Im Buch findet sich für die Erziehung von Kindern relevantes Wissen kurz und bündig aufbereitet. Da sich das Buch insbesondere an Eltern richtet, ist diese Kürze positiv zu würdigen, da Eltern neben einem anspruchsvollen Familienalltag wohl kaum noch ausreichend Zeit bleiben dürfte, sich umfangreicheres Erziehungswissen zu erschließen. Darüber hinaus erscheint auch die Tatsache wohltuend, dass das Buch den Fokus auf das positive Elternhandeln legt und im Buch konsequenterweise primär Wirkungen positiven Elternhandelns beschrieben werden. Dies dürfte für Eltern ermutigerende Impulse setzen als eine einseitige Fokussierung auf die Wirkungen negativen Elternhandelns und deren (Problem-)Behandlung.
Kritisch ist dagegen auf die hohen Anforderungen an das Textverständnis zu verweisen. So dürften Eltern nicht ohne weiteres in der Lage sein, Aussagen wie etwa die Folgende verstehen zu können: „Kausalattributionen sind als Annahmen über Ursache-Wirkungszusammenhänge Ausdruck der subjektiven Sicht zu den eigenen Handlungsmöglichkeiten“ (S. 67). Mit der Verwendung einer solchen Sprache wird auch offensichtlich, dass primär bildungsnahe Eltern einen Nutzen aus einem solchen Buch ziehen können – sofern ihnen der anspruchsvolle Wissens-Praxis-Transfer wie eben etwa die Identifikation und die Veränderung dysfunktionaler Denkmuster gelingt. Bildungsnahe Eltern, welchen über dieses Buch Einsichten in Wirkzusammenhänge ihres Elternhandelns möglich werden, können sich vom Buch durchaus inspirieren lassen. Dies zeigt sich etwa bei der Bewusstmachung für die Weitergabe von transgenerationellen Erziehungs- und Beziehungsmustern beispielsweise dann, wenn Eltern die Leistungen ihrer Kinder stets kritisch betrachten, die Kinder diese permanente Selbstkritik zunehmend internalisieren und über eine „kritisch begleitende innere Elternstimme“ dann schließlich die Qualität des eigenen Elternseins beeinträchtigt (S. 91).
Aufgrund der hohen Anforderungen dürfte das Buch also eher die zweite Adressatengruppe erreichen: „Ein Personenkreis, der sich professionell für die Qualifikation und Beratung von Eltern engagiert […]“ (S. 11). Obwohl auch dieser Personenkreis mitunter von kurz und prägnant aufbereitetem, erziehungsrelevantem Wissen profitieren dürfte, präsentieren sich diesem Personenkreis folgende drei Lücken:
- Das Buch trägt den Untertitel „Pädagogik im familiären Alltag“. Da die Kernaufgaben von Pädagogik bekanntermaßen in Erziehung und Bildung bestehen, stellt sich die Frage, ob das Buch neben der Erziehung nicht auch die Bildung in Familien zum Thema hätte machen müssen. Hierbei würden sich insbesondere zur informellen Bildung in Familien interessante Überlegungen anstellen lassen, da Familien völlig zu Recht als der zentrale Ort informeller Bildung betrachtet werden können.
- Die Problematisierung der heutigen Familien als weniger beständige soziale Struktur blendet moderne Gestaltungsmöglichkeiten von Familie und die darin liegenden Chancen aus. Anstelle eines implizit normativen Familienverständnisses sollte Familie vielmehr als offen ausgestaltete Herstellungsleistung auf dem Hintergrund eines vielschichtigen sozialen Wandels verstanden werden.
- Zwar werden die unterschiedlichen sozioökonomischen Ausgangslagen von Familien als „ebenso einflussreich“ (S. 40) wie individuumsbezogene Voraussetzungen der einzelnen Familienmitglieder erachtet, aber nicht genauer dargelegt. Dies wäre insbesondere für sozial benachteiligte Familien wichtig gewesen, damit diese Familien eigene Problemlagen nicht primär als individuelles Versagen deuten, sondern eben auch als Folge (zumindest teilweise) veränderbarer Exklusionsmechanismen.
Trotz dieser Lücken ist positiv hervorzuheben, dass sich das vorgelegte Buch durch die Aufbereitung etablierten erziehungsrelevanten Wissens zu Erziehungsratgebern mit teilweise wackligem fachlichem Fundament klar abgrenzt. Dieses Abgrenzungsmerkmal hätte so auch ruhig prominent hervorgehoben werden können.
Fazit
Das Buch „Positives Elternhandeln. Pädagogik im familiären Alltag“ richtet sich an bildungsnahe Eltern mit weit entwickelten Reflexionsfähigkeiten, die ihr Elternhandeln auf ihr positives Potenzial hin prüfen möchten. Das kurz und knapp aufbereitete, erziehungsrelevante Wissen dürfte von all jenen Fachpersonen genutzt werden können, die ihre eigenen Wissensbestände auffrischen möchten. Trotz des Untertitels des Buches „Pädagogik im familiären Alltag“ behandelt das vorgelegte Buch ebendiese Pädagogik des familiären Alltages aber nicht im eigentlichen Sinne.
Rezension von
Prof. Dr. Marius Metzger
Verantwortlicher Kompetenzzentrum Erziehung, Bildung und Betreuung in Lebensphasen am Institut für Sozialpädagogik und Bildung der Hochschule Luzern – Soziale Arbeit
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