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Rolf Göppel: Das Jugendalter

Rezensiert von Christoph Nette, 10.11.2020

Cover Rolf Göppel: Das Jugendalter ISBN 978-3-17-036449-3

Rolf Göppel: Das Jugendalter. Theorien, Perspektiven, Deutungsmuster. Verlag W. Kohlhammer (Stuttgart) 2019. 322 Seiten. ISBN 978-3-17-036449-3. 26,00 EUR.
Reihe: Das Jugendalter.

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Thema und Reihe

Rolf Göppel legt mit diesem Buch den Auftakt zu einer Buchreihe im Stuttgarter Verlag W. Kohlhammer, die den Namen „Das Jugendalter“ trägt. In dieser Reihe, die auch von Göppel herausgegeben wird, sind bereits zwei weitere Bücher erschienen. Darin beleuchtet Karin Flaake das Verhältnis der Jugendlichen zu ihrem Körper und Eva-Verena Wendt die Jugendlichen und deren Umgang mit Sexualität, Liebe und Partnerschaft. Laut Verlagsangaben sind für das 1. Quartal 2021 zwei weitere Bücher geplant.

Nun setzen die erwähnten und geplanten Verhältnisbestimmungen voraus, dass es so etwas wie Jugend oder Jugendliche als abgrenzbare gesellschaftliche Gruppe gibt, und sie sich in verschiedenen Bereichen und Dingen von Erwachsenen und Kindern unterscheidet. Der These, dass Jugend eine „besondere Form des In-der-Welt-Seins“ (S. 12) sei, verschreibt sich dieser Einführungsband.

Autor

Der Autor ist Professor für Allgemeine Pädagogik am Institut für Erziehungswissenschaften der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Kinder- und Jugendkunde, Risiko- und Resilienzforschung, Pädagogische Biografieforschung, Psychoanalytische Pädagogik und Bildungstheorie.

Aufbau

Rolf Göppel erkundet in diesem Buch in acht größeren Abschnitten, was Jugend eigentlich ist. Dazu wird zunächst ein Problemaufriss und ein allgemeiner Einstieg getätigt. Anschließend werden 23 verschiedene Positionen dargestellt, die stets der Formel „Jugend als …“ folgen. Sortiert sind sie in die folgenden Kategorien: klassische Positionen, psychoanalytische Positionen, Positionen der Entwicklungspsychologie, (neuro-)biologische Positionen, soziologische Positionen und aktuelle integrative bio-psycho-soziale und pädagogische Positionen.

Inhalt

„[Es] geht um die Vergegenwärtigung und halbwegs systematische Ordnung der vielfältigen Deutungsmuster, unter denen Jugend betrachtet werden kann und die in der Diskussion über die Jugend immer wieder auftauchen.“ (S. 24 f.)

Diese Vergegenwärtigung beginnt mit einer Annäherung in insgesamt sieben Kapiteln. Hier wird zunächst dargestellt, wie Jugend sich im Alltagsdiskurs und in der Coming-of-Age-Literatur wiederfindet, wie man Jugend als Altersabschnitt (durch Gesetzestext und Entwicklungspsychologie) definieren kann, wie Jugend in der Perspektive von Lyrik, Lebenskunst und Aphorismen erscheint, welche Lebenslagen und -orientierungen Jugend ausmacht und letztlich, womit sich Jugendforschung beschäftigt und was eine Theorie der Jugend leisten kann. In diesen, mitunter nur 2–3 Seiten umfassenden Kapiteln, wird auch immer wieder festgestellt, was für das vorliegende Buch und seine Betrachtung von Jugend und Jugendlichen gilt bzw. was das Anliegen des Werkes ist. Zum Beispiel wird hier die Feststellung getroffen, dass Jugend hier v.a. die Altersgruppe von 13- bis18-Jährigen umfasst.

Im zweiten großen Abschnitt werden dann vier klassisches Positionen der Jugendtheorie vorgestellt. Die Erkenntnisse und Anliegen von Jean-Jacque Rousseau, Eduard Spranger, Charlotte Bühler und Siegfried Bernfeld werden anhand ihres bzw. eines ihrer Hauptwerke dargestellt. Dazu wird in den meisten Fällen zunächst auf die Entstehung und Grundlage des jeweiligen Werks eingegangen, das Anliegen dargelegt, die Ergebnisse kritisch gewürdigt und abschließend auf ihre Aktualität hin überprüft.

In ähnlicher Weise verfährt auch der nächste Abschnitt, wenn es um die psychoanalytischen Positionen geht. Hier werden Sigmund Freud, Anna Freud, Erik Erikson und Thomas Ziehe jeweils ein Kapitel gewidmet. Wobei Sigmund Freud vor allem wegen des Ausgangspunkts der psychoanalytischen Reflexion des Jugendalters Eingang findet, den Anna Freud dann in einer eigenen Perspektive der Psychoanalyse auf das Jugendalter adaptiert. Eriksons epigenetisches Entwicklungsmodell und seine Begriffsprägung der Jugend als psychosozialem Moratorium und Ziehes psychoanalytisch orientierte Jugendtheorie mit Blick auf die Jugendgeneration am Ende 1970er Jahre werden jeweils – ähnlich des Klassikerkapitels – anhand des einschlägigen Hauptwerks vorgestellt.

Auf die psychoanalytischen folgen die entwicklungspsychologischen Positionen, die zunächst wieder an Autor*innen verdeutlicht werden. Jean Piagets Erkenntnisse werden vor allem mit Bezug auf die Anforderungen der Schule erläutert. Lawrence Kohlbergs Stufenmodell moralischer Urteilsfähigkeit wird dargestellt und mit weiteren Stufenschemata in der Nachfolge Piagets ergänzt. Eine entwicklungspsychologische, moraltheoretische und feministisch-geschlechtertheoretische Perspektive wird durch Carol Gilligan in den Kanon dieses Buches aufgenommen, die später mit den Erkenntnissen Lyn Browns erweitert wird. Warum nicht gleich beide Autorinnen in der Überschrift genannt werden, bleibt fraglich. Mit dem letzten Kapitel dieses Abschnitts wird auch das, bis hierher konsequent durchgeführte, Muster durchbrochen, immer anhand einer Autor*innen-Position Erkenntnisse zum Thema Jugend/​Jugendliche zu verdeutlichen. Im besagten letzten Kapitel wird unter der Überschrift „Jugend als emotionaler Aufruhr und als Bemühen um Coolness“ (S. 158) die Entwicklung individueller und sozialer Emotionsregulation in Kindheit und Jugend erläutert.

Zwei (neuro-)biologische Positionen werden im fünften Abschnitt dargestellt. Zunächst wird ein sehr kurzer Versuch unternommen darzustellen, wie Jugend sich in Verbindung mit hormonaler Veränderung beschreiben lässt. Hierbei wird auf Literatur rekurriert, die mindestens 18 Jahre alt oder journalistischer Gattung ist. Das Ergebnis ist dann ähnlich kurz, wie das Kapitel: Ein Zusammenhang zwischen Hormonhaushalt und jugendlichem Verhalten ist schwach und sehr inkonsistent. Im zweiten Kapitel dieses Abschnitts werden neurobiologische Entwicklungsprozesse und Gehirnentwicklung vor allem im Zusammenhang mit der Jugendrisikoforschung dargelegt und darüber hinaus kurz mit kulturvergleichenden Erkenntnissen kontrastiert.

Unter der Überschrift der soziologischen Positionen finden sich fünf Kapitel, die sich erstens mit dem beschäftigen, was es bedeutet, wenn man von Jugend als gesellschaftlichem Konstrukt spricht. Hier wird die Jugendsoziologie als Disziplin dargelegt und der Frage nachgegangen, was unter einem Konstrukt zu verstehen ist. Gleichzeitig dient dieses Kapitel auch der Darstellung der historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Entwicklungen des Jugendalters bzw. der Jugend. Zweitens wird dem Begriff der Generation nachgegangen. Was macht eine Generation aus? Wie beschreibt man sie? Was definiert ein Generationenverhältnis? Zur Beantwortung dieser Fragen werden die retrospektiven Rekonstruktionen v.a. durch Karl Mannheim und Helmut Fend zitiert. Das dritte Kapitel ist der Vorstellung der Funktionsweise der Shell-Jugendstudien reserviert. Zwar geht der Autor zunächst von der Frage aus, welchen Mehrwert Befragungen von Alterskohorten bei Beschreibung aktueller Jugendgenerationen bieten und inwiefern Titulierungen derselben bei der Beforschung von Jugend hilfreich sind, stellt aber letztlich diverse Ausgaben der Shell-Jugendstudien vor, bis hin zur Nennung vieler Items und Skalen. Kritik am Vorgehen und zur Aussagekraft werden dabei immer wieder eingestreut. Jugend als Jugenden zu beschreiben ist Anliegen der Wertetypen der Shell-Jugendstudien, und vor allem auch der SINUS-Studien mit ihrer Beschreibung der Milieus jugendlicher Lebenswelten. Diesen beiden Darstellungsformen von Jugend ist das vierte Kapitel dieses soziologischen Abschnitts gewidmet, das auch auf die Begriffe der Jugendszenen und Jugendkulturen eingeht. Vieles wird hier genannt, bleibt darüber hinaus aber unkommentiert. Hier eine Wertung der unterschiedlichen Szenen und Gruppen vorzunehmen wäre bestimmt nicht unlauter – manche sind letztlich illegal bzw. kriminell. Auch bleibt zumindest fraglich, ob wirklich jede Szene den einfachen Ausstieg ermöglicht, wie erwähnt wird. Abschließend wird im fünften Kapitel dieses Abschnitts noch einmal auf die Jugendrisikoforschung Bezug genommen. Es werden Anliegen und Gegenstand erläutert und Ergebnisse von Forschungen zu Drogenkonsum, Delinquenz und psychischen Erkrankungen dargestellt.

Vier Kapitel bilden den vorletzten Abschnitt des Buches. Hier finden die Leser*innen nun auch wieder maßgebliche Autoren im Titel der aktuellen integrativen bio-psycho-sozialen und pädagogischen Positionen. Robert Havighurst macht den Anfang, wenn Jugend als Verdichtung von Entwicklungsaufgaben dargestellt wird. Zunächst wird Havighurst kurz vorgestellt. Auch die Genese seines Konzepts der Entwicklungsaufgaben und die hohe Anschlussfähigkeit desselben werden erwähnt. In einer Tabelle werden dann verschiedene Ansätze derselben Ausrichtung miteinander verglichen (Havighurst, Dreher/​Dreher, Fend und Göppel). Im zweiten Kapitel des Abschnitts wird das Verdienst Jürgen Zinneckers kurz dargelegt und sein Ansatz der Selbstnarration und Selbstsozialisation anhand verschiedener Studien erläutert. Als einer, der die letzten Jahre der Jugendforschung in Deutschland maßgeblich mitgeprägt hat – vor allem, aber nicht nur, in der federführenden Konzeption der Shell-Jugendstudien der letzten Jahre, darf Klaus Hurrelmann nicht fehlen. „Jugend als Spannung zwischen Individuation und Integration“ (S. 276) ist das Kapitel überschrieben, in dem es um die Darstellung der von Klaus Hurrelmann und Gudrun Quenzel beschriebenen Entwicklungsaufgaben und ihrem Sozialisationsverständnis gehen soll. Allerdings liest sich das Kapitel eher als eine Rezension des Buches „Lebensphase Jugend“ der beiden Autor*innen. Dadurch bleibt das angekündigte Spannungsverhältnis von Individuation und Integration leider eher unterbelichtet. Eine Darstellung Helmut Fends, seines Anliegens und seines Werkes bilden den Abschluss dieses Abschnitts. Anhand der „Entwicklungspsychologie des Jugendalters“ wird Fends handlungstheoretisch-konstruktivistisches Paradigma erläutert. Außerdem werden die „Konstanzer Längsschnittstudie“ und die „LifE-Studie“ vorgestellt.

Als Abschluss des Buches finden sich zwei literarische Verweise: Fritz Zorn und Andreas Altmann. So findet eine charmante Rahmung mit dem einleitenden Kapitel zur Coming-of-Age-Literatur statt.

Diskussion

Rolf Göppel schafft es im vorliegenden Buch verschiedenste Positionen in kurzer und prägnanter Weise darzustellen. Das Risiko der Verkürzung geht er dabei genauso ein, wie das der fehlenden Differenziertheit. Die Leser*innen werden darauf aber bereits auf Seite 25 eingestellt, wenn es heißt: „Dass man in einer solchen knappen, überblicksartigen Zusammenfassung der Differenziertheit dessen, was von den einzelnen Positionen alles auch noch [Hervorh. i. Org.] gesehen und erwogen wurde, nicht gerecht werden kann, dass es dabei unvermeidlich zu Akzentuierungen und Verkürzungen kommt, liegt auf der Hand.“

Schwächen zeigt das Buch nicht im Nebeneinander der verschiedenen Positionen oder einer Überlappung verschiedener Ansätze – auch darauf wird übrigens in der Einleitung hingewiesen. Schwächen liegen in der Struktur der einzelnen Kapitel. Für einen Überblick wäre es nützlich, wenn sich eine gleichbleibende Struktur wiederfände, die verlässlich über Autor*in, Werk, Fragestellung, Erkenntnisse, Aktualität und Kritik informiert. Dann wirkte das Buch sicherlich mehr aus einem Guss, als es leider jetzt tut.

Zudem hätte man sich zum einen eine straffere Einführung gewünscht – hier bleibt die Motivation hinter den sehr kurzen Kapiteln im ersten Abschnitt doch oft sehr vage – und zum anderen einen Schluss, der nicht nur auf zwei belletristische Werke mit autobiografischem Charakter verweist, sondern die Frage beantwortet: Wie jetzt weiter?

Das vorliegende Buch ist also ein Einführungsband einer Reihe, die das Jugendalter in vielen Facetten darstellen will. In diesem Einführungsband will auch der Autor viele Facetten dessen darstellen, wie sich das Jugendalter beschreiben lässt. Man kann es also sowohl als Einführung in das Jugendalter begreifen, als auch als Einführung in jeden der jeweils kurz dargestellten Ansätze. Dies animiert zum weiteren Lesen und näheren Informieren.

Fazit

Rolf Göppel setzt mit diesem Buch den Auftakt einer Reihe mit demselben Namen. Dieser erste Band dient der Einführung und dem Überblick. Einer Einführung in das, was Jugend ist und sie ausmacht und ein Überblick über ganz verschiedenen Positionen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Gegenstand Jugend/​Jugendalter/​Jugendliche. Dabei werden klassische, psychologische, soziologische und pädagogische Positionen dargestellt, erläutert, eingeordnet und kritisch beleuchtet. Insgesamt ein Auftakt, der auf die weiteren Werke in der Reihe Lust macht, aber auch zur eigenen Vertiefung der angerissenen Themengebiete und Positionen animiert.

Rezension von
Christoph Nette
Dipl. Theol., M.A. Bildungsreferent im Schulpastoralen Zentrum Fürstenried der Erzdiözese München und Freising
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Es gibt 6 Rezensionen von Christoph Nette.

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Zitiervorschlag
Christoph Nette. Rezension vom 10.11.2020 zu: Rolf Göppel: Das Jugendalter. Theorien, Perspektiven, Deutungsmuster. Verlag W. Kohlhammer (Stuttgart) 2019. ISBN 978-3-17-036449-3. Reihe: Das Jugendalter. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25658.php, Datum des Zugriffs 02.12.2023.


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