Sebastian Huhnholz: Von Carl Schmitt zu Hannah Arendt?
Rezensiert von Prof. Dr. Eckart Riehle, 01.08.2019
Sebastian Huhnholz: Von Carl Schmitt zu Hannah Arendt? Heidelberger Entstehungsspuren und bundesrepublikanische Liberalisierungsschichten von Reinhart Kosellecks Kritik und Krise.
Duncker & Humblot GmbH
(Berlin) 2019.
172 Seiten.
ISBN 978-3-428-15570-5.
D: 39,90 EUR,
A: 41,10 EUR.
Reihe: Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte - Band 95. .
Autor
Der Autor ist Akademischer Rat an der Universität Hannover, u.a. mit den Forschungsschwerpunkten, politische Theorie und Ideengeschichte, Methoden der Ideengeschichte und Begriffsgeschichte. Schwerpunkte, denen auch das zu besprechende Werk zuzuordnen ist.
Thema
Das Thema des Buches erhellt sich, fügt man den Untertitel hinzu: „Heidelberger Entstehungsspuren und bundesrepublikanische Liberalisierungsgeschichten von Reinhart Koselleks Kritik und Krise“.
„Kritik und Krise“, war der Titel der Dissertation von Reinhart Kosellek (1923-2006) an der Universität Heidelberg 1953, Veröffentlicht 1959. Dieses Werk gewann schnell den Status eines Klassikers, über die Zeit von der Aufklärung bis in die Gegenwart, der kontrastiv zur „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno und Horkheimer gelesen werden konnte.
Beachtet man das Fragezeichen im Buchtitel, erschließt sich das Thema des Buches. Wie ist der Einfluss von Carl Schmitt, dem Staatsrechtler des Nationalsozialismus, des autoritären Staatsgedankens und Antisemiten auch noch nach 1945 und der Jüdin Hannah Arendt auf die Entstehung des Werkes einzuschätzen? Die Spurensuche verfährt dabei hochgradig minutiös und kontextualistisch, d.h., die Zeit und die geistige Situation in der Entstehungsphase des Buches, insbesondere in Heidelberg und an der Universität Heidelberg berücksichtigend.
Ausgangspunkt ist dabei die starke Orientierung Koselleks an Carl Schmitt bei im Alter zunehmender Referentialisierung Hannah Arendts (20). Gegenstand des Buches ist damit die Rekonstruktion und Darstellung dieses Prozesses, der in der Folgezeit zu vielfachen unterschiedlichen Interpretation führte.
Aufbau
Nach der Einleitung, „Kritik und Krise zwischen Schmittianisierung und Liberalisierung“ (7- 2), als Kapitel 1, ist das Buch in weitere 7 Kapitel gegliedert, es schließt mit Schlussfolgerungen.
- Der Autor rechtfertigt in Kapitel 2 das Thema (21-34),
- Kapitel 3 stellt die Rezeption des Werkes dar (35 -54),
- Kapitel 4 das Verhältnis Koselleck und Schmitt (55-82),
- Kapitel 5 Koselleck und Arendt (83-91),
- Kapitel 6 erörtert die Europabesuche von Arendt in den 50er Jahren des letzten Jahrhundert (92- 118),
- Kapitel 7 die Arendt Lektüre von Koselleck (119-134),
- dann die Schlussfolgerungen in Kapitel 7 (135-142).
Das Buch enthält ein ausführliches Quellen und Literaturverzeichnis (144-168), sowie ein Namenverzeichnis (170 – 172).
Inhalt
Eine Bemerkung ist erforderlich. Der Autor verfährt stark quellenimmanent, nimmt Bezug auf vielfältige Literatur und Briefe. Die Quellen sind andererseits noch nicht alle erschlossen, vieles bleibt hypothetischen Vermutungen überlassen. Eine auch nur annähernd detaillierte Darstellung des Buches ist nicht möglich. Der Rezensent versucht daher, den und die Kerngedanken des Buches zu erfassen in der Hoffnung, dass ihm dies gelungen ist.
Kapitel II Rechtfertigung des Themas
Die Forschung, so der Autor, hat einen Deutungsrahmen von „Kritik und Krise“ aufgespannt zwischen Carl Schmitt und Arendt, zwischen schwarzer Aufklärungsliteratur und dem bürgerlich-liberalen Denken Arendts. Aber dieser Rahmen wurde nur unzureichend entfaltet. Dies zu korrigieren, rechtfertige das Thema der Arbeit.
Dass dabei kontextualisntisch die Bedeutung Heidelbergs als Gelehrtenstandort der 50er Jahre immer wieder zu beachten ist, was präzise wann geschehen ist und von wem gedacht, von wem gesagt oder in Beziehung gebracht worden ist(25), verlangt eine quellenkritische und quellenintensive Vorgehensweise, welche sich in einem umfangsreichen und in die Tiefe gehenden Anmerkungsapparat wieder findet. Auf die Schwierigkeiten der Quellenlage wird deutlich hingewiesen.
Kapitel III Die Rezeption
Die Rezeption nach dem Erscheinen des Werkes war ihn hohem Maße, wenn auch keineswegs, man denke etwa an Karl Löwith davon beeinflusst, dass Koselleks Werk von Carl Schmitt „nicht bloß begleitet, sondern überdies inthronisiert worden war“ (36). Ein Vorgang, welchen Kosellek keineswegs in Abrede stellte. Eingearbeitet ist in diese Rezeptionsgeschichte die Auseinandersetzung mit Jürgen Habermas, der wenige Jahre danach sein auch mittlerweile als Klassiker zählendes Werk „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ auf den Markt brachte. Die Makel und Mäkeleien der Rezeptionsgeschichte, welche Verletzungen sie hervorgebracht hat, werden aufgeführt. Der Autor hebt hervor, dass vor allem die autobiographischen, die persönlichen Umstände in der Genese des Buches und die werkshistorische Dimension, wie sah Kosellek sein Werk in seiner Entstehungsphase situiert in der Darstellung der Rezeption zu unterscheiden sind.
Kapitel IV Kosellek und Schmitt
Beide kennen sich seit den 50er Jahren. Es ist zu gleich der Beginn eines jahrelangen Gespräches beider über Thomas Hobbes Leviathan. Ein Werk, welches auch in der Diskussion mit Hannah Arendt Bedeutung erlangt. In den Mittelpunkt rückt dabei ein Brief Koselleks „… Die Aufklärer hätten, so Kosellek, um des lieben Friedens willen und mangels eines Zugang zur politischen Macht Nischen des privaten Gewissens eingerichtet, moralisiert statt politisch geurteilt und gedacht. Dies auch noch dann, als sie an die Macht gekommen seien. Mit einem Wort: Politikverweigerung im Namen der Moral.“ Das belegt eine hohe Affinität mit dem Denken Carl Schmitts und dessen politischer Theologie
Der Autor weist Schmitt damit eine erhebliche Bedeutung für das Werk von Kosellek zu.
Kapitel V Kosellek und Arendt
Wann Kosellek Arendts Werk (Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft) erstmals begegnete ist nicht bekannt. Die deutsche Ausgabe des Totalitarismusbuches von Arendt war 1955 erschienen und löste eine erhebliche und breite Resonanz aus. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass Arendt erst Jahre nach Schmitt in das Blickfeld von Kosellek gerät.
Dabei, so der Autor, ist es nicht der öffentlichkeitsfokussierte Blick von Arendt auf das Politische, ihre antitotalitäre Arkanumskritik (90), welche Kosellek interessiert.
Es geht ihm vielmehr, um den ernsthaften Umgang mit der Vergangenheit, jenseits einer bloßen Rechtfertigungsliteratur. Den vermutet er in dem Buch von Arendt.
Kapitel VI Arendts Europabesuche
Ab 1949 unternahm Arendt mehrere Europareisen, welche auch zunehmend mit Veranstaltungen gefüllt und vollgestopft waren, als Folge „sich überhäufende Anfragen“ wegen des Erfolges ihres Totalitarismusbuches und diesen Erfolgt verstärkend.
Als besonders belastend empfand sie dabei die Situation in Heidelberg, an der Universität ein Wespennest, wo sich Altnazis, modische Sozialwissenschaftler und ideologisch kompromittierte Personen gegenseitig beobachteten. Die Stadt, so Arendt, ein „blödsinnier Hexenkessel“ (117) sie sei froh, aus dem Ganzen wieder rauszufahren. Ob sich Arendt und Kosellek in dieser Zeit getroffen haben, lässt sich nicht mehr rekonstruieren.
Kapitel VII Koselleks Arendt Lektüre
Der Autor argumentiert, dass eine sonderlich „beeindruckende Wirkung“ von Arendt auf das frühe Werk von Kosellek nicht nachweisbar sei (121). Auch hier bildet ein Zentrum wieder die Interpretation des Leviathans von Hobbes, den Arendt besitzindividualistisch interpretiert. Anders aber anders als Arendt, will Kosellek die Hobbsche Staatstheorie nicht als individualistischen Imperialismus interpretiert sehen der die nationalstaatlichen Grenzen bürgerlicher Ordnung sprengte (125). Darin, so der Autor, sehe Arendt die „Implosion der bürgerlichen Gesellschaft vorweggenommen“ (126). Dagegen vertritt Kosellek die These, dass es die Geheimgesellschaften waren, korreliert zur Gewissensfreiheit im Privaten, die „Bürgerwölfe“, welche letztlich den Misserfolg des Staates, das Scheitern des Leviathan zur Folge hatten, eine an Carl Schmitt erinnernde Denkfigur.
VIII. Schlussfolgerungen
Eine wissenschaftspraktische Übereinstimmung aller drei sieht der Autor in einem den Verhältnissen entrückten Verständnis politischer Theorie als Philosophie, statt in einer politischen Urteilslehre und in einem politischen Denken (138).
Für den Autor nimmt Kosellek aber in seiner Spätphase Arendt über Gebühr für sich in Anspruch wenn er zunehmend, aus welchen Gründen auch immer, auf diese referiert. Er bewegt sich zwischen beiden, wohl mit stärkerer Affinität zu Carl Schmitt.
Im Ergebnis so Huhnholz „sind Kosellek sowohl Schmitts radikale wie auch Arendts republikanische Politisierungsantworten suspekt geblieben. Liberal wäre dies zweifellos“ 142
Diskussion
An der stupend genauen Quellenarbeit und Quelleninterpretation der Arbeit gibt es nichts auszusetzen. Sie fällt mehr als nur angenehm auf, gegenüber der Schnelligkeit, mit welcher gegenwärtig, trotz dem Ende der Postmoderne, immer wieder neue großflächige Beschreibungen der Gesellschaft auf den Büchermarkt gelangen.
Ist aber Krise das zentrales Thema eines Buches, das ein Klassiker war und ist, in Anspruch genommen von rechtsnationalem wie liberaldemokratischen Positionen, wäre es spannend gewesen, der Autor hätte in den Schlussfolgerungen angesichts der vielfältigen Krisen der Gegenwart, einige Überlegungen dazu weitergegeben, wie sich die gegenwärtigen Krisendiskussionen in das Spannungsverhältnis von Carl Schmitt, man denke an die AFD, bis zu Hannah Arendt einordnen lassen, welche bekanntlich in der Asyldiskussion das Recht eines jeden auf Rechte eingefordert hat.
Fazit
Ein Buch, das für jeden produktiv sein kann, der daran interessiert ist, aus Diskussionen, Erfahrungen und Beziehungen der Vergangenheit, eigene Gewissheiten und Deutungsrahmen zu überprüfen und neu zu ordnen. Nebenbei, auch ein Buch das Freude bereitet, wird hier doch vorgeführt, welche Tradition viele Denkfiguren haben, die in veränderten Kontexten immer wieder rekontextualisiert auftauchen. Damit auch ein Buch das dazu beitragen kann, über den professionellen Tellerrand zu schauen.
Rezension von
Prof. Dr. Eckart Riehle
em. Professor für öffentliches Recht und Sozialrecht an der Fachhochschule Erfurt. Rechtsanwalt, Karlsruhe
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Zitiervorschlag
Eckart Riehle. Rezension vom 01.08.2019 zu:
Sebastian Huhnholz: Von Carl Schmitt zu Hannah Arendt? Heidelberger Entstehungsspuren und bundesrepublikanische Liberalisierungsschichten von Reinhart Kosellecks Kritik und Krise. Duncker & Humblot GmbH
(Berlin) 2019.
ISBN 978-3-428-15570-5.
Reihe: Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte - Band 95. .
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25687.php, Datum des Zugriffs 08.09.2024.
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