Manfred Günther: Pädagogisches Rollenspiel
Rezensiert von Peter Schröder, 12.10.2019

Manfred Günther: Pädagogisches Rollenspiel. Wissensbaustein und Leitfaden für die psychosoziale Praxis.
Springer Science+Business Media GmbH & Co. KG
(Berlin) 2019.
48 Seiten.
ISBN 978-3-658-22792-0.
D: 14,99 EUR,
A: 15,41 EUR,
CH: 15,50 sFr.
Reihe: Essentials.
Thema
Menschen handeln, soziologisch gesehen, in Rollen. Sozialisation und Enkulturation können als zunehmende Rollenübernahmekompetenz beschrieben werden. Die gesellschaftliche Wirklichkeit wird dadurch angeeignet, dass gesellschaftliche Rollen übernommen und „gespielt“ werden. Das pädagogische Rollenspiel ist eine Form des Probehandelns für den gesellschaftlichen Ernstfall, weshalb es sowohl in Lehr-/Lernsettings als auch in Beratungen vielfältig eingesetzt wird.
Autor
Manfred Günther war nach dem Studium der Psychologie, Arbeitslehre und Public Health als Heim-, Schul- und Notfallpsychologe tätig, ebenso als Mediator, Dozent und Jugendberater. Er ist Autor mehrerer Bücher, seine Publikationsliste findet sich auf seiner Homepage www.manfred-guenther.de.
Aufbau und Inhalt
Das Buch aus der Springer-Reihe „essentials“ umfasst 8 Kapitel und ein Literaturverzeichnis. Nach der Einleitung ist das zweite Kapitel überschrieben mit „Rollenspiele: Abgrenzungen“. Das Rollenspiel wird abgegrenzt von anderen Spielformaten wie Theaterspiel, Improvisationstheater, Phantasy-Spielen, Scharaden, therapeutischem Spiel, Psychodrama und Planspielen. Pädogogische Rollenspiele werden im dritten Kapitel behandelt, das vor allem Einsatzfelder von Rollenspielen sowie die Fortbildungen zum Thema beschreibt. Zwei dieser Felder werden im folgenden vierten Kapitel mit der Überschrift „Gelingensbedingungen: Das Formale Setting“ beschrieben, nämlich zum einen Rollenspiele in der Kinder- und Jugendarbeit und zum anderen in der Arbeit mit Lernenden und Studierenden. Rollenspieltechniken beschreibt das fünfte Kapitel, beginnend mit der Zielvereinbarung, gefolgt von Warming up, Eindoppeln, Roillenübernahme, Blitzlicht und Video-Einsatz. Aus der systemischen Arbeit werden im sechsten Kapitel „Add-ons: Ergänzende (systemische) Methoden“ hinzugefügt: der sokratische Dialog, das Refraiming, zirkuläres Arbeiten, Aufstellungsarbeit, Spiegeln und paradoxe Intervention. Aus seiner Kenntnis verschiedener Arbeitsfelder zeigt der Autor schließlich im siebten Kapitel einige Einsatzfelder und Praxisbeispiele auf: Vorschule, Schule, Mediation, Psychotherapie- und Supervisionsausbildung, Gewaltprävention bei der Polizei und schließlich auch Verkaufsgesprächstrainings. Das achte Kapitel listet einige Berufsverbände und Ausbildungsstätten auf, und das Literaturverzeichnis beschließt den Band.
Diskussion
Die Publikationsreihe „essentials“ von Springer vereint eine Reihe von schmalen Bändchen, die ein Fachgebiet im Überblick darstellen und Akzente setzen, an denen weiterzuarbeiten sich lohnt. Sie sind dadurch für erste Zugänge zum Thema ebenso hilfreich wie ggf. für ein Resümee. Dadurch stellen sie hohe Anforderungen an Prägnanz und Gliederung. Außerdem brauchen sie mehr als umfangreiche Monographien eine klare Zielgruppe, für die die Publikation hilfreich sein kann.
Damit sind Anforderungen genannt, die das vorliegende Buch meines Erachtens nicht im vollen Umfang erfüllt. Zunächst bleibt für mich unsicher, ob es für die auf der Buchrückseite angegebene Zielgruppe (Psychologen und Lehrpersonal an Schulen der Grund- und Sekundarstufe) wirklich hilfreich ist, sich mit dieser Art sehr weiträumigen und dadurch groben Überblicks über Pädagogisches Rollenspiel zu informieren. Möglicherweise kann es allerdings ein guter Impuls sein, das Thema selbst weiter zu vertiefen. Die Prägnanz könnte gewinnen, wenn der Autor auf eigene Wertungen, über die man lange diskutieren könnte oder sogar müsste, verzichtet hätte. Ich nenne zwei Beispiele: Unter der Überschrift „Abgrenzungen“ heißt es: „Umstrittene psychotherapeutische Ansätze wie die Transaktionsanalyse bezeichnen z.B. das regelhafte Verhalten als Spiel. Auch da ist etwas dran. Andererseits würde es sicher Sinn machen, sich vor jedem Rollenspiel im Alltag und/oder vor jeder Lüge eine Maske aufzusetzen.“ (S. 5) Und unter der Überschrift „Ungeeignete oder problematische Techniken“ (S. 32) beurteilt Günther den Einsatz von Rollenspielen in Seminaren zur Gewaltfreien Kommunikation: „Rosenberg empfiehlt bestimmte, von ihm genormte Sätze und Gegensätze in der Rollenspielkommunikation. Diese wirken auf ‚normale‘ Menschen stilisiert.“ Beide Äußerungen signalisieren keine vertiefte Kenntnis der genannten Formate. Darüber hinaus fehlen Rollenspielformate, die m.E. (nicht nur) in der pädagogischen Arbeit eine wichtige Rolle spielen, wie z.B. das Forumtheater nach Augusto Boal. Und ob es schließlich günstig ist, den Band so zu eröffnen, dass das Rollenspiel als falsche, verlogene Form des Leben, als Lüge eingeführt wird, halte ich auch für fraglich.
Wichtig und hilfreich an dem Buch ist das deutliche Plädoyer für den Einsatz pädagogischer Rollenspielformen in verschiedenen Arbeitsbereichen, und unbestritten ist die Kompetenz und umfangreiche Erfahrung in dieser Methode, vor allem in den Arbeitsbereichen, in denen auch die Zielgruppe zuhause ist. Und die Sache selbst, das pädagogische Rollenspiel, ist es allemal wert, (mehr) in den Fokus gerückt zu werden.
Fazit
Rollenspiele sind eine bewährte Form, soziales Lernen zu inszenieren. Der Autor beschreibt die verschiedenen Formate und Einsatzbereiche und gibt gut Hinweise darauf, wo man profunde Fort- und Weiterbildungen zum Thema absolvieren kann. Für einen ersten Überblick und für Anregungen zur Weiterarbeit ist das Buch gut geeignet.
Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Heilpraktiker für Psychotherapie (VFP)
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