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Klaus Obermeyer, Harald Pühl (Hrsg.): Übergänge in Beruf und Organisation

Rezensiert von Prof. Dr. Rüdiger Falk, 02.09.2019

Cover Klaus Obermeyer, Harald Pühl (Hrsg.): Übergänge in Beruf und Organisation ISBN 978-3-8379-2752-8

Klaus Obermeyer, Harald Pühl (Hrsg.): Übergänge in Beruf und Organisation. Umgang mit Ungewissheit in Supervision, Coaching und Mediation. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2019. 245 Seiten. ISBN 978-3-8379-2752-8. D: 24,90 EUR, A: 25,60 EUR.
Reihe: Therapie & Beratung.

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Herausgeber

Harald Pühl, Dr., Dipl.Psych., gründete mit Thomas Brauner und Beata Vissy 1983 das TRIANGEL-Institut in Berlin. Nach nicht bestandenem Abitur jobbte er als Kraftfahrer, absolvierte eine Banklehre und studierte Sozialarbeit in Dortmund. 1982 veröffentlichte er seine Diplomarbeit »Team Supervision«. Seit 2012 leiten er und Klaus Obermeyer, Dipl.-Psych., der eine eigene Praxis in Hamburg hat, das TRIANGEL-Institut.

Entstehungshintergrund

Ausgangspunkt ist die These, dass durch die ständige Veränderung der Rahmenbedingungen im Umfeld von Organisationen und Institutionen eine sichere Planung nicht mehr möglich ist. Diese Arbeitswelt stellt nach Ansicht der Herausgeber Supervision, Organisationsentwicklung, Mediation und Coaching vor die Herausforderung der Unsicherheit. Die Folgen sind ambivalent: einerseits kann diese Offenheit und Flexibilität Angst machen, andererseits ein enormes kreatives Potenzial eröffnen. In der Publikation geht es um die Frage, wie Beratung dazu beitragen kann, dass Arbeitnehmer ihre (Übergangs-) Kompetenzen entwickeln und erhalten können.

Aufbau

Das Buch besteht aus 13 Aufsätzen von Autoren(-teams), die sich auf unterschiedliche Referenztheorien beziehen. Es ist also eine Art Reader, aber keine in sich geschlossene Abhandlung zu der Thematik. Je nach Autor gibt es Abbildungen, Tabellen und Definitionen. Insgesamt ist das Layout solide ohne didkatische Elemente. Einige Aufsätze haben eher wissenschaftlichen Charakter mit Literaturverzeichnis, während andere eher einem Sach- als einem Fachbuch zuzurechnen sind. Leider finden sich am Ende des Buches weder ein Autorenverzeichnis noch ein Sachregister; die Autoren werden im Anschluss an jeden Aufsatz kurz vorgestellt. Als Stilmittel ist jedem Aufsatz ein Zitat vorangestellt.

Inhalte

1. Klaus Obermeyer & Harald Pühl »Wenn Ungewissheit zur Gewissheit wird«.  

Dieser Aufsatz ist die Einleitung. Die Autoren gehen darauf ein, dass die Zukunft heute ein größeres verunsicherndes Potenzial hat als in früheren Zeiten, obwohl damals die objektiven Bedrohungen weitaus größer waren. Die Folgen sind Katastrophenszenarien und Erlösungstheoretiker, die auf den Plan gerufen werden, frei nach Karl Valentins Wort »die Zukunft war früher auch besser«. Ungewissheit zeigt sich im gesamtgesellschaftlichen Maßstab ebenso wie in Organisationen und Institutionen (S. 12). Daher wird Unvollkommenheit der neue Referenzrahmen, auf den Beratung und Berater reagieren müssen. Letztlich geht es darum, einen Umgang mit der Angst zu finden.

2. Wolfgang Schmidbauer »Die Angst vor der Langsamkeit und die Grenzen der Selbstreflexion«.

In den Text wurde Teile aus dem Buch »Helikoptermoral – Empörung, Entrüstung und Zorn im öffentlichen Raum« eingearbeitet. Der Autor ist Psycho-, Lehr- und Gruppenanalytiker sowie Supervisor in München. Es geht vor allem um die Bewertung, z.B. die Aufwertung durch Entwertung eines Gegenübers in zwei möglichen Formen: als pharisäisch und kannibalisch. Oder auch in dem Zwang zur Evaluation, ohne die heute keine Bildungsveranstaltung von Schule, Hochschule bis zum Weiterbildungsseminar mehr auskommt. Folgen dieser Angst vor der Bewertung ist zum Beispiel, dass 93 % der Ärzte sagen, ihr Verhalten gegenüber Patienten sei auch dadurch beeinflusst, Haftungsklagen zu vermeiden (S. 34).

3. Karin Lackner »Zwischen trügerischer Hoffnung und Wahrhaftigkeit«.

Die Autorin, bis 2016 Professorin für Organisationsberatung, Supervision und Coaching an der Universität Kassel, nennt ihren Aufsatz ein Gedankenexperiment: Illusionsbildungen in der Beratungsarbeit. Illusion werden etymologisch als Gedankenspiel verstanden: es kann der täuschende Eindruck, aber auch falsche oder unrealistische Einstellungen meinen. Zunächst denkt die Autorin Beratung dialektisch, dann geht es um Abhängigkeitsumkehr und Asymmetrien und die Strukturierung des Geschehen-Lassens. Es werden auch weitere Elemente des Beratungsprozesses beleuchtet wie Distanz und Nähe, Kenntnis und Nichtwissen bis hin zudem, was gute Beratung ist; schließlich ist deren Erfolg nicht eindeutig messbar.

4. Erhard Tietel »Triade und triadische Dynamiken aus psychoanalytischer und systemischer Perspektive«.

Der Autor ist Professor am Zentrum für Arbeit und Politik der Universität Bremen. Ausgangspunkt ist Ulrich Becks Überlegung, dass westliche Gesellschaften eine neue Entscheidungslogik entwickeln müssen, die nicht mehr auf dem Prinzip »Entweder-oder«, sondern auf dem des »Sowohl-als-auch« basieren. Dabei wird die Triade in unterschiedlichen Ausprägungen als fester Bestandteil der psychoanalytischen Terminologie verstanden. Ob als institutionelle Triangulierung oder als »das Dritte« geht sie in die Wissenschaft ein. Der Autor beschreibt die Strukturen und Dynamiken der Triaden in unterschiedlichen Aspekten.

5. Kornelia Rappe-Giesecke »Triadische Karriereberatung als Format für die Begleitung von Professionals und Führungskräften in Übergangsphasen«.

Die Autorin war bis 2014 Professorin für Supervision und Organisationsberatung an der Hochschule Hannover. Seit vielen Jahren hat sich bei Führungskräften ein Outplacement etabliert, zu dem auch die Beratung gehört. Die Veränderungen bedrohen den sozialen Status und die ökonomische Existenz und lösen damit eine emotionale Dynamik aus. Anzumerken ist, dass der Text klassisch formuliert ist – dieses begründet die Autorin – und damit gut lesbar. Zunächst geht die Autorin darauf ein, wie Karrieren heute verlaufen, die durch drei Prozesse geprägt werden: Biographie, Laufbahn und fachliche Entwicklung. Dann folgt die Rolle des Beraters in der Begleitung von Übergangsphasen in Karrieren. Schon fast pragmatisch-rezeptologisch werden das ideale Setting und der ideale Ablauf der Karriereberatung dargestellt; damit aber auch sehr anschaulich und nachvollziehbar.

6. Harald Pühl »Präsenz und Intuition – Reflexive Beratungskunst in stürmischen Zeiten«.

Sind Übergangsphasen stürmisch und ziehen sich über einen längeren Zeitraum hin, so sind Berater gefährdet, sich immer mehr auf die Seite des klagenden Teams zu rücken. Sie geben damit ihren triadischen Platz auf. Wie dieses vermieden werden kann, zeigt der Autor an seinen Wegen zur Präsenz und der Kunst des Loslassens. Insbesondere geht er auf die schwer definierbare Intuition ein, die aber oft den Interventionen zugrunde liegt.

7. Katharina Wendt »Zukunft als Ankunft – Die Theorie U von Claus Otto Scharmer als Zugang für eine offene Haltung« (vgl. auch Rezension zu Fatzer & Schönberger »Organisation und Inspiration« 2016).

Die Autorin ist selbstständige Organisationsberaterin und Coach. Welche unterschiedlichen Emotionen löst das »Ungewisse« aus? Anhand von zwei Beispielen wird gezeigt, wie die Theorie U in der Begleitung eingesetzt werden kann.

8. Renate Ritter »Fundamentalismus – Zur kollektiven Abwehrform bei als bedroht erlebter Identität. Tiefenpsychologische und gruppendynamische Überlegungen«. Die Autorin ist freiberuflich als Psychoanalytikerin und Supervisor in Hamburg tätig. Im Zentrum der Überlegungen steht der Begriff der »Identität«, da Gruppen aus fundamentalistischen Kreisen sich hierauf beziehen. Identität sind Zuschreibungen aus dem umgebenden Kontext, sind verinnerlichte Normen und Werte, Gebote und Verbote. Hieraus entstehen Wandel, Veränderung und Bedrohung. Wird die eigene Identität als bedroht erlebt, so kann »Fundamentalismus« eine kollektive Abwehrform sein. Der Gegenentwurf wäre der Konvivialismus, der gutes Leben nicht durch ökonomischen Wohlstand definiert.

9. Klaus Obermeyer »Verstörte Touristen – Das Befremdungserleben in der Supervision als Last und Ressource«.

Was passiert, wenn wir uns selbst die Diagnose stellen »ich bin hier fremd«? Menschen sind immer zwischen den beiden Polen »Fremde« und »Heimat« angesiedelt. Und was ist der Unterschied zwischen Fremdheit und Befremdung? Die möglichen Auswirkungen des Befremdungsgefühls auf die supervisorische Arbeit werden anhand einer Fallvignette untersucht. Oder um noch einmal Karl Valentin zu zitieren »Fremd ist der Fremde nur in der Fremde«.

10. Katrin Thorun-Brennan »Zuversicht als beraterische Haltung – Der Umgang der Beraterin mit ihrer Angst«.

Die Autorin ist freiberuflich als Coach, Supervisor und Organisationsberaterin in Berlin tätig. Ihre Erfahrung hat gezeigt, dass dann, wenn sie als Beraterin zuversichtlich ist, auch ihre Klienten leichter die arbeitsweltlichen Herausforderungen meistern. Sie beginnt ihren Text mit einem Fallbeispiel, dass keinen guten Anfang schildert. Kollegiale Reflexion als Erste Hilfe sowie das Teilen des eigenen Erlebens und Achtsamkeit sollen Spielräume eröffnen und Angst nehmen. Sie endet damit, der Zuversicht Zuträgliches zu schildern.

11. Anusheh Rafi »Formatübergänge als Antwort auf das Oxymoron der professionellen Authentizität«.

Der Autor ist Rektor der Evangelischen Hochschule Berlin. Wenn das Umfeld schon unsicher ist, dann kann Beratung bzw. ihre Form ebenso unsicher sein: »Welche Beratung wende ich in welchen Situationen an?« Beratungsformate können da eine Orientierungssicherheit geben. Beratungsformate sind die Zusammenfassung von deskriptiven und präskriptiven Vorgehensweisen. Der Text beschäftigt sich mit den teilweise bestehenden Diskrepanzen zwischen professioneller und authentischer Beratung. Der Autor bezeichnet professionelle Authentizität als Oxymoron, also als Widerspruch in sich, relativiert dies im Text aber wieder (S. 184). Er argumentiert, dass Profession sich aus dem Bedürfnis nach Orientierung, während Authentizität sich aus dem Bedürfnis nach Flexibilität ableitet. Dem könnte man aus berufspädagogischer Sicht vehement widersprechen. Schon Pestalozzi und Kerschensteiner sahen in der Berufsbildung die »Pforte zur Menschenbildung« und bei Goethe in »Wilhelm Meister« ist die Meisterschaft im Beruf auch die Meisterschaft des Lebens. Von den unterschiedlichen Standpunkten eines solchen Diskurses lebt die Wissenschaft. Nach der Positionierung stellt der Autor die Formatanwendung vor und beschreibt Probleme bei Formatwechseln.

12. Ortfried Schäffter »Transitionsanalyse – Komplementäres Denken in Übergängen«.

Der Autor war bis 2011 Professor für Erwachsenenbildung an der HU Berlin. Er geht davon aus, dass Diskontinuitäten und Einschnitte in der Berufskarriere im Übergang dazu führen können, dass sich Angst und Kreativität zu einer brisanten Mischung verbinden. Der Begriff Transition bezeichnet unterschiedliche motivierte nicht-lineare biographische Wandlungsprozesse und damit sind Transitionen soziale Prozesse. Der Autor beschreibt dann ausführlich unter anderem den Umgang mit komplexer Unbestimmtheit oder pädagogischen und lebensweltlichen »Hinsichten«, ein vom Autor selbst in dieser semantischen Form geschaffener phänomenologischer Terminus. Den Abschluss bilden metaphorische Ankerpunkte einer zu entwickelnden Methodenkonzeption.

13. Michael Völker »Zwischen verlieren, integrieren, gewinnen und überfordern. Übergänge als Wertewandel für Menschen und ihre Teams und Organisationen«.

Der Autor ist selbstständiger Supervisor, Berater und Mediator. Er setzt sich aufgrund seiner Erfahrungen zunächst mit den »Werten« und dem »Wertesystem« auseinander. Werte geben Auskunft darüber, warum und wofür wir etwas tun, wofür wir da sind oder gerne da wären. Die danach dargestellten Wertesysteme werden anhand der Farben und Namen klassifiziert, wie sie in den Theorien von Beck & Cowan »Spiral Dynamics« und Krumm »9 Levels of Value System« entwickelt wurden. Unterschieden wird zwischen den Wertesystemen erster und zweiter Ordnung.

Diskussion mit begründeter Bewertung

Bei so unterschiedlichen Aufsätzen ist eine einheitliche Bewertung grundsätzlich nicht möglich. Das Buch passt zudem in keine der üblichen Schubladen, weder aus Sicht einer wissenschaftlichen Disziplin (von der Psychoanalyse bis zur Erwachsenenbildung) noch aus inhaltlicher Zuordnung (Sach- oder Fachbuch). Zunächst einmal erscheint es eine stark erfahrungsgeleitete Darstellung der derzeitigen Beratungssituation zu sein, die vor allem in den einschlägigen Beraterkreisen aufgrund ihrer Vielfalt und Intensität sicherlich breite Resonanz finden dürfte. Ob und in welcher Form dieses Buch auch für andere Zielgruppen sinnvoll sein könnte – da ist der Rezensent im besten Sinne dieses Buchs sich »unsicher«. Es ist ein spannendes Buch, das viele neue Eindrücke und Einsichten erbringt. Allerdings ohne dass man am Ende wirklich weiß, wie man sich in Übergangssituationen verhalten soll. Zu verschiedenartig sind die Situationen, ist der jeweilige Referenzrahmen und sind die je nach Standpunkt stark differierenden Betrachtungen und Handlungsempfehlungen.

Fazit

»Die Welt wird immer unsicherer«: kaum ein Buch oder politische Verlautbarung kommt ohne dieses Menetekel aus. Wir leben in einer Welt vermeintlich oder tatsächlich steigender Ungewissheit. Können Berater in dieser Situation helfen, können sie gegen die Angst angehen? Insbesondere wenn neben den abstrakten Gefahren ganz konkrete und persönliche Gefährdungssituationen im Beruf anstehen wie Entlassung, neue Vorgesetzte, Unternehmenszusammenschlüsse etc. Die Folgend sind diskontinuierliche Karrieren oder die Entgrenzung von Berufs- und Privatleben. Dieses Buch zeigt Ansätze, Beispiele und Möglichkeiten, wie durch Supervision, Coaching oder Mediation solche Herausforderungen bewältigt werden können. Nicht lösen können sie allerdings das Erodieren kultureller Werte und Normen in vielen westlichen Staaten. Vielleicht stimmt ja Karl Valentins Sentenz: »Die Zukunft war früher auch besser«, vielleicht ist aber auch das Gegenteil der Fall – das ist die Ungewissheit, die dieses Buch prägt.

Rezension von
Prof. Dr. Rüdiger Falk
em. Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Human Resource Management und Berufsbildung sowie Sportmanagement an der Hochschule Koblenz
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Es gibt 172 Rezensionen von Rüdiger Falk.

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Zitiervorschlag
Rüdiger Falk. Rezension vom 02.09.2019 zu: Klaus Obermeyer, Harald Pühl (Hrsg.): Übergänge in Beruf und Organisation. Umgang mit Ungewissheit in Supervision, Coaching und Mediation. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2019. ISBN 978-3-8379-2752-8. Reihe: Therapie & Beratung. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25748.php, Datum des Zugriffs 04.10.2023.


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