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Andrea Rudisch-Pfurtscheller: Leitmetapher Herz

Rezensiert von Peter Schröder, 05.02.2020

Cover Andrea Rudisch-Pfurtscheller: Leitmetapher Herz ISBN 978-3-7455-1030-0

Andrea Rudisch-Pfurtscheller: Leitmetapher Herz. Anthropologische Grundannahmen im Coaching. Athena-Verlag e.K. (Oberhausen) 2018. 236 Seiten. ISBN 978-3-7455-1030-0. 25,00 EUR.
Reihe: Pädagogik: Perspektiven und Theorien - Band 30.

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Thema

„Future“ ist ein Tiroler Ausbildungsinstitut für Coaches (www.future.at), das sowohl ein eigenes Coaching- als auch ein eigenes Leadershipmodell entwickelt hat und seit Jahren unterrichtet. Die Autorin Andrea Rudisch-Pfurtscheller hat selbst in den Jahren 2001 – 2003 die Coachingausbildung bei „Future“ absolviert. Der Rückblick darauf fällt zwiespältig aus: Einerseits schätzt sie den praxisorientierten, handlungsbezogenen Ansatz des Instituts, andererseits vermisste sie die Bezüge zu fachbezogenen Theorie- und Konzeptdiskussionen, ihr fehlt das wissenschaftliche Fundament. Das Ziel des vorliegenden Buches, der Dissertation der Autorin, ist es einerseits, die Genese des Future-Modells nachzuvollziehen, andererseits die Begründungszusammenhänge zu rekonstruieren und zum dritten nach den anthropologischen Voraussetzungen von Coaching überhaupt zu fragen.

Autorin

Andrea Rudisch-Pfurtscheller arbeitet als selbstständige Coach mit den besonderen Schwerpunkten Persönlichkeitscoaching und Bewerbungscoaching. Ihr Doktoratsstudium hat sie an der Fakultät für Bildungswissenschaften der Universität Innsbruck absolviert.

Aufbau und Inhalt

Drei große inhaltliche Blöcke enthält das Buch: Nach Vorwort (1) und Einleitung (2) folgt das erste große Kapitel (3), das mit „Gegenstand der Forschungsarbeit“ überschrieben ist. Es beschreibt das Future-Coachingmodell und verortet es im ideengeschichtlichen Kontext.

Nach einem kurzen Einstieg in das Thema (3.1.) folgt in Kapitel 3.2 Eine ausführliche Beschreibung des Future Coaching Modells. „Future“ wurde Ende der 80er Jahre von dem Ehepaar Helga und Wolfgang Stabeneiner gegründet. Das Modell steht im Kontext der humanistischen Psychologie, des „Psychobooms“ und der New-Age-Bewegung dieser Jahre. Gleichzeitig wird, spätestens ab 1989, der Siegeszug des Kapitalismus kulturprägend, der „Geist des Kapitalismus“ wird zum dominanten Zeitgeist. Die New-Age-Bewegung reicht dem Geist des Kapitalismus die Hand: „Die New Age Bewegung geht einher mit einem ‚Psychoboom‘, der durch ein außerordentliches Wachstum von vor allem kommerziellen Angeboten auf dem Gebiet der psychologischen Beratung und Begleitung gekennzeichnet ist. Der Begriff Psychoboom bezieht sich dabei vor allem auf eine ‚Psychologisierung des Alltags‘ mit dem Symptom, dass unterschiedlichste Produkte und Medien wie Meditationskassetten, sogenannte „Bewusstseins-Erweiterungs-Programm‘ oder Ratgeber-Literatur die Buchläden nahezu überschwemmen.“ (S. 43). Was Rudisch-Pfurtscheller als „Psychoboom“ bezeichnet, ist verbunden mit Namen wie Stanislav Graf, Fritjof Capra, David Spangler und anderen. Den Nährboden haben „theosophische“ und „anthroposophische“ Konzepte und die humanistische Psychologie Abraham Maslows bereitet. Die Konzepte und Bausteine des Future-Ansatzes werden in den folgenden Abschnitten ausführlich beschrieben. Das Kapitel 3.3 ist überschrieben mit: „Coaching im Allgemeinen: Definitionen und Zuordnungen“. Es beschreibt das Beratungsformat „Coaching“ mit den üblichen und naheliegenden Grenzziehungen zu Supervision, Psychotherapie und Mentoring und beschreibt den Link zu pädagogischen Diskussionen.

Mit dem Kapitel 4 beginnt ein neues Thema, nämlich: „Theoretische Rahmung: Anthropologischer Zugang“. Die Autorin entwickelt das anthropologische Konzept entlang des Themas „Spiritualität“. Sowohl in der eigenen Arbeit als Coach als auch im Konzept von „Future“ begegnet ihr dieses Thema. Sie beschreibt die Verbindungslinien von Spiritualität zur katholischen und zur evangelischen Theologie, zeigt aber gleichzeitig auch auf, in welcher Hinsicht die Kirchen gescheitert sind, sodass Selbstbeziehungs- und Selbsterfahrungskonzepte sowie Meditationspraktiken an Einfluss gewinnen. Auch in den für den empirischen Teil der Dissertation geführten Interviews mit Coaches zeigt sich das Thema Spiritualität als ein leitendes Motiv.

Mit „Empirie und Diskussion“ überschreibt die Autorin ihr 5. Kapitel. Auf der Basis der „Grounded Theory“ wertet sie insgesamt acht ausführliche Interviews aus. Es sind vor allem zwei Leitfragen, mit denen die Interviews untersucht werden: „Welche ‚Konzepte‘ von menschenbestimmenden Aspekten können aus den Assoziationen und Reflexionen der interviewten Coaches identifiziert werden?“ und „Welche davon leiten das Denken und Handeln als Coach?“ (S. 145) In einem „paradigmatischen Modell“ zeichnet sie so die „impliziten Anthropologien“ von Future-Coaches nach.

Das sechste Kapitel schließlich ist mit „Fazit“ überschrieben. Ein erstes Fazit lautet: Auch Coaching ist Teil einer kapitalistischen Gesellschaft, was auch die impliziten Ziele von Coaching beeinflusst. Ein zweites: Als zentrales Ziel von Coaching wird von den Interviewten „Entwicklung“ angegeben. Dabei ist „Herz“ eine Leitmetapher: die das Coaching bestimmenden Grundhaltung ist die der „Liebe“ im Sinne einer „pädagogischen Liebe“, die wiederum in spirituellen Orientierungen („Agape“) beheimatet ist.

Diskussion

Das Buch ist, vermute ich, in einer relativ kleinen „literarischen Nische“ zuhause. Das liegt schon in der Natur von Dissertationen, die für den kleinen Leser/​-innenkreis einer „scientific community“ geschrieben werden. Dazu ist das „Future-Modell“ außerhalb des Kreises der damit unmittelbar Verbundenen nicht sehr bekannt. Ob die Fragestellung „Anthropologische Grundannahmen im Coaching“ diese Begrenzung wieder weiten können, erscheint mir fraglich. Natürlich ist es eine interessante Fragestellung, welches die impliziten anthropologischen Konzepte sind, mit denen Coaches an die Arbeit gehen, weil sie gewiss nicht unwesentlich die Haltung bestimmen. Dann aber droht ein Dilemma: Einerseits kann man diese Frage nicht in der vollen Breite behandeln, weil die Datenbasis nicht zuletzt aufgrund unterschiedlicher Grundkonzepte zu divers und zu breit wäre, andererseits wird mit der Konzentration auf das „Future-Modell“ die Basis wieder so eng, dass die Ergebnisse über diesen Rahmen hinaus wenig aussagekräftig sind. Gleichwohl stellt die Autorin in ihrem Buch wichtige Fragen – und findet auch interessante Antworten.

Innerhalb des „Future Coaching Modells“ ist der Band ein wichtiger Beitrag zur Klärung der eigenen Quellen und konzeptionellen Entscheidungen und liefert Begründungen nach, die die Begründer des Modells in dieser Konsistenz offenbar schuldig geblieben sind. Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe von Themen, die für das (Selbst-)verständnis des Beratungsformates „Coaching“ von Interesse sind, wie z.B. der Bezug zur Humanistischen Psychologie und zu pädagogischen Konzepten, die Frage einer grundsätzlichen Ausrichtung auf Systemkritik oder Systemerhaltung, die Dimension der Spiritualität und manches andere. Möglicherweise kann das weitere mögliche Leser/​-innen zu dem Buch führen, allerdings nur solche, die sich von dem wissenschaftlichen Charakter der Arbeit nicht abschrecken lassen.

Fazit

Die Arbeit von Rudisch-Pfurtscheller markiert Grundlinien konzeptioneller, vor allem anthropologischer Annahmen eines bestimmten Coachingmodells, das sie aber gleichzeitig im Kontext des Formates Coaching überhaupt verortet. Man liest das Buch mit großem Gewinn, wenn man auch an Konzepten Interesse hat, die nicht, jedenfalls nicht in Gänze, zu den Selbstverständlichkeiten der Coaching-Community gehören. Und letztlich reichert jede Begegnung mit wenig vertrauten Konzepten das eigene Denken an.

Rezension von
Peter Schröder
Pfarrer i.R.
(Lehr-)Supervisor, Coach (DGSv)
Seniorcoach (DGfC) Systemischer Berater (SySt®)
Heilpraktiker für Psychotherapie (VFP)
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Es gibt 136 Rezensionen von Peter Schröder.

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ISSN 2190-9245