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Andreas von Westphalen: Die Wiederentdeckung des Menschen

Rezensiert von Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann, 10.12.2019

Cover Andreas von Westphalen: Die Wiederentdeckung des Menschen ISBN 978-3-86489-213-4

Andreas von Westphalen: Die Wiederentdeckung des Menschen. Warum Egoismus, Gier und Konkurrenz nicht unserer Natur entsprechen. Westend Verlag GmbH (Neu-Isenburg) 2019. 237 Seiten. ISBN 978-3-86489-213-4. D: 18,00 EUR, A: 18,50 EUR.

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Thema

Der Autor wendet sich gegen die s. E. in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik vorherrschende Meinung, dass der Mensch von Natur aus egoistisch und faul sei, dass er darauf aus sei, „den größten Nutzen für sich selbst herauszuschlagen “ und „seine besten Leistungen nur unter Konkurrenzdruck“ erbringen könne (vgl. Klappentext).

Mit einer Vielzahl an Argumenten – „gegen die Besserwisser aus den Chefetagen, den Beraterfirmen und den Stammtischen“ (a.a.O.) – geht er gegen das im Kapitalismus von der Wirtschaft als 'Mär' verbreitete Menschenbild vor und postuliert sein Credo vom Menschen als sozialem Wesen.

Autor

Andreas von Westphalen studierte Vergleichende Literaturwissenschaft, Neuere Germanistik und Philosophie in Bonn, Oxford und Fribourg und ist als Theater- und Hörspielregisseur und Journalist tätig.

Entstehungshintergrund

Das Schreiben des Autors über das von ihm propagierte Menschenbild erwächst vor dem Hintergrund des vormaligen Zusammenbruchs des Ostblock und der damit einhergehenden Erkenntnis, dass das kommunistische Menschenbild nicht mit dem eigentlichen Wesen des Menschen übereinstimmt, sich aber zugleich heute die Frage auftut, inwieweit sich das aus dem Kapitalismus ergebende, auf Egoismus, Konkurrenz und Materialismus stützende, andere Menschenbild das richtigere ist?

Aufbau

Das Buch eröffnet mit einer ausführlichen Einführung in die Thematik, an die sich das Kapitel über das herrschende 'deformierte Menschenbild' anschließt. Hier geht es vordringlich darum, darzulegen, dass es die Wirtschaftswissenschaft ist, die sich das heutige Bild vom Menschen formt.

Das zweite Kapitel stellt den Kerngedanken des Autors, dass es sich beim Menschen um ein soziales Wesen handelt, in den Mittelpunkt seiner Überlegungen.

Im dritten Kapitel wird das menschliche Verhalten analysiert und insbesondere auf Egoismus und Altruismus und den damit verbundenen jeweiligen Widerlegungsversuchen, wie auch auf Aggressions- und Konkurrenzmuster eingegangen.

Das nachfolgende Kapitel befasst sich mit der kapitalistischen Wirtschaft und deren Nebenwirkungen. Danach beschäftigt sich der Autor mit den sich aus der Allgegenwart eines kapitalistischen Menschenbildes ergebenden Konsequenzen u.a. hinsichtlich des Gemeinsinns und der Eigenverantwortung, aber auch im Bezug auf Soziale Gerechtigkeit und Ungleichheit.

Das letzte und damit sechste Kapitel stellt die positive Bedeutung eines altruistischen Verhaltens des Menschen besonders heraus, ehe der Autor das Buch mit einem ausführlichen Literatur- und Siglen-Verzeichnis, sowie mit den den jeweiligen Kapiteln zugeordneten Anmerkungen abschließt.

Inhalte

von Westphal versteht seine Beschäftigung mit einer von ihm erkannten Wiederentdeckung des heutigen Menschen(-Bildes) als eine Reise, deren Ziel die Entdeckung der menschlichen Natur ist, wobei der Frage nachgegangen werden soll, „wie egoistisch, materialistisch und auf Konkurrenz gepolt der Mensch in der Gesellschaft tatsächlich ist“, da dies nach Ansicht des Autors „nicht zwangsläufig etwas über seine Natur“ aussagt (S. 119). Dabei wird als Ausgangspunkt dieser Reise die seit den 1980er Jahren in den westlichen Industriestaaten vorherrschende kapitalistische Wirtschaftsform bzw. der 'Neoliberalismus' angenommen.

Zunächst stellt von Westphal bestimmte Ereignisse, vorwiegend Katastrophen – wie etwa der katastrophale Schäden in New Orleans im Jahr 2005 anrichtende Hurrikan 'Katrina' – in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, um anhand derer auf das Verhalten der Menschen in solchen Extremsituationen einzugehen. So zieht er aus diesem Beispiel die Lehre über die wahre Natur des Menschen, die sich damals in überaus bemerkenswerten altruistischen Handlungen gezeigt habe.

Um dies tiefergehend beleuchten zu können, wird der Versuch unternommen, sich der Frage 'Was ist der Mensch?' über das Denken bedeutender Philosophen, seien es nun Jean-Jaques Rousseau und Thomas Hobbes, oder aber Sigmund Freud und Carl Gustav Jung, anzunähern. 

Adam Smith schließlich erkennt er als den eigentlichen Begründer eines kapitalistischen Menschenbildes. Aufgrund seines wirtschaftswissenschaftlich orientierten Denkens glaubte dieser, dass dieses Bild der Natur des Menschen entsprechen würde.

Der Glaube an die Evolution als Überlebenskampf eines Charles Darwin, mit Egoismus und Konkurrenz behaftet, ist für den Autor ebenfalls ursächlich für das kapitalistische Menschenbild, das sich auch in zugespitzter Form des 'homo oeconomicus' mit all seiner Habgier und Egoismus niederschlägt.

Natürlich belässt es von Westphal nicht dabei, aufzuzeigen, wo dieses negative, aber gängige Menschenbild herrührt; er hält dem zunehmend entgegen, dass der Mensch eigentlich ein soziales Wesen ist (ohne jedoch darauf hinzuweisen, dass es schon Aristoteles war, der diese Deklaration vorgenommen hat). Er erläutert Erkenntnisse aus der Gehirnforschung und zitiert zum Beispiel Christian Keysers, der Empathie in der Architektur unseres Gehirns verankert sieht, verweist u.a. auf die Entdeckung von Spiegelneuronen, die sich für bestimmte Handlungsweisen aktivieren und beispielsweise Mitgefühl bei Menschen erregen, diese sich also emotional anstecken lassen.

Des Weiteren analysiert der Autor, welche Bedeutung Ausgrenzung und Trennung, oder aber Einsamkeit und Zuwendung für das Gemeinschaftswesen 'Mensch' haben, ehe er sich dem menschlichen Verhalten in Bezug auf 'Egoismus' und 'Altruismus' zuwendet.

Während von Westphal konstatiert, dass uns 'Egoismus' nicht nur in Politik und Wirtschaft, sondern auch im Alltag begegnet, glaubt er dennoch daran, dass dies nicht zwingend etwas über die eigentliche Natur des Menschen aussagt. Es geht ihm vielmehr darum, nachzuweisen – und dies anhand von dem aktuellen Forschungsstand entnommenen Experimenten mit Kleinkindern – wie die menschliche Natur tatsächlich beschaffen ist (vgl. S. 55). Diesem Erklärungsversuch dient insbesondere das Herausgreifen von Beispielen altruistischen Verhaltens in spezifischen Extremsituationen, wie etwa dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust.

Der Autor verweist darauf, dass es trotz der Massenvernichtung von Juden, Menschen gelang, Tausenden Juden in altruistischer Weise das Leben zu retten, wie auch die Gedenkstätte Yad Vashem in Israel dokumentiert hat. Mit weiteren Beispielen wird die Existenz altruistischer Akte oder Verhaltensweisen nachgewiesen, auch wenn von Westphal im Verlauf seiner Darlegungen auf Widerlegungsversuche und Begründungen für die Nicht-Existenz des Altruismus eingeht und näher beleuchtet.

Den für ihn schlichtesten jedoch radikalsten Widerlegungsversuch unternehmen s. E. Vertreter des 'psychologischen Egoismus': „Dieser beruht auf der Überzeugung, das Ziel hinter allem Verhalten und Streben des Menschen (…) sei nichts anderes als die Steigerung des eigenen Wohlbefindens und die Verwirklichung der eigenen Wünsche“ (S. 57).

Der Autor erläutert sodann, was unter einem 'reziproken Altruismus' oder einem 'indirekten Altruismus' zu verstehen ist, um anschließend Antworten aus wissenschaftlichen Experimenten zur Widerlegung der Widerlegungen zu suchen.

Im weiteren Verlauf werden menschliche Verhaltensweisen und Gefühle – vielleicht auch eher unter Charaktereigenschaften zu verstehen – untersucht. Wie steht es etwa mit Habgier und Großzügigkeit, Moral und Fairness, Neid, Aversion, Aggression und Gewalt? Oberflächlich betrachtet sieht der Autor die Überzeugung, Aggression wäre Teil der menschlichen Natur im Kampf 'Jeder gegen jeden' nicht zuletzt durch Freuds Diktum über die Aggression als „eine selbstständige Triebanlage des Menschen“ (S. 88) durchaus bestätigt. Er weist aber zugleich darauf hin, dass es eines Auslösers, zum Beispiel durch Ausgrenzung und Zurückweisung aus einer Gruppe oder eines sozialen Umfelds bedarf, damit es zu aggressiven Handlungen kommt. Auch spiele Gewalt dann eine besondere Rolle, wenn man von einem (angeblich) angeborenen Aggressionstrieb des Menschen ausgehe und der Autor zitiert hierzu Winston Churchill mit den Worten: „Die Geschichte der menschlichen Rasse ist der Krieg“ (S. 97).

Im weiteren Verlauf geht von Westphal der Frage nach, was den Menschen zu einer entweder egoistischen oder aber altruistischen Handlung motiviert und er geht dann sowohl auf die intrinsische wie auch extrinsische Motivation ein. Es folgen Abhandlungen über Konkurrenz- und Kooperationsverhalten und Bezugnahmen zum Altruismus.

Es wurde schon darauf hingewiesen, dass der Autor bezüglich des von ihm kritisierten Menschenbildes die kapitalistische bzw. neoliberale Wirtschaftsform verantwortlich macht, sei es durch das Konsumdenken, Werbung oder Status-Denken, oder aber durch die diesem System anhaftenden Nebenwirkungen, welche die schlechteren Seiten des Menschen begünstigten.

Bei der Darlegung der Konsequenzen für das bestehende Menschenbild geht der Autor von den konkreten Rahmenbedingungen in Gesellschaft und Wirtschaft, welche s. E. „für die zunehmende Betonung von Egoismus, Konkurrenz und Materialismus verantwortlich sind“ (S. 161), aus. So wird das Soziale Sicherungssystem gesehen als etwas, das durch Gemeinsinn einerseits und Eigenverantwortlichkeit andrerseits gekennzeichnet sei, wobei letztlich die Eigenverantwortung im Sinne von Egoismus obsiege; auch hinsichtlich der staatlichen Steuerpolitik stünden die Zeichen eindeutig auf einer weiteren Zunahme der Ungleichheit. Letztlich erkennt der Autor eine Art der Erziehung des Menschen zum Kapitalismus – zum Beispiel durch seine Leistungsorientierung – und damit wiederum zu einem antialtruistischen Verhalten.

Abschließend unternimmt es von Westphal dem in seinem Sinne positiv gegenzuhalten, indem er dem 'Jeden für jeden' ein 'Wir können auch anders' entgegenhält. So postuliert er schlagwortartig, dass Altruismus gesund sei und glücklich mache (vgl. S. 187), oder aber, dass Altruismus erlernbar sei und es eine Art der sozialen Ansteckung gebe.

Diskussion

Andreas von Westphal legt eine Auseinandersetzung mit unserem gegenwärtigen Menschenbild vor, die von einer gewissen Zwiespältigkeit gekennzeichnet ist. So verweist er sicher mit guten Gründen und nicht ganz zu Unrecht darauf hin, dass der Mensch unserer Zeit mit seinem bzw. durch sein Handeln sowohl dem kapitalistischen Menschenbild wie auch einem eher durch Altruismus gekennzeichneten Menschenbild entspricht.

Mit einer Fülle von Zitaten namhafter Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Politik versucht er bestimmte Festlegungen sowohl auf das eine, wie auch auf das andere zu dokumentieren.

Aus der Ambivalenz seiner argumentativen Festlegungen, wie auch aus der Vielzahl der von ihm angeführten Beispiele menschlichen Verhaltens in bestimmten Situationen, lässt sich eine gewisse Verunsicherung ableiten, die den Autor letztlich in die stets wiederholte und in den Mittelpunkt seiner Überlegungen und Analysen gestellte Erkenntnis von einem Verhalten des Menschen drängt, das vordringlich altruistisch ausgerichtet und intrinsisch motiviert ist. Somit lässt sich daraus auch die eigentliche Zielsetzung erkennen, das menschliche Verhalten dürfe auch im Rahmen eines kapitalistisch geprägten Menschenbildes altruistische Züge bzw. Wesensmerkmale erhalten, da der Mensch sich dann quasi selbst wiederentdeckt – wie ja der Buchtitel dem Leser nahezubringen versucht.

Fazit

Es handelt sich bei der Abhandlung von Andreas von Westphal um eine hochinteressante Schrift, die von einem gewissen Enthusiasmus für die Wiederentdeckung eines Menschen, der von Natur aus anders ist, als es unser gängiges heutiges Bild vom Menschen vorzugeben scheint, spricht.

Letztendlich liest sich das Buch wie ein Appell an den in einer neoliberalen Gesellschaft unserer Zeit aufwachsenden und an ihr teilhabenden, ja diese durchaus mitgestaltenden Bürger, sich dessen bewusst zu sein oder wieder zu werden, dass der Mensch im Grunde von Natur aus gut ist und somit über ein Verhalten verfügt, das altruistisch und nicht per se egoistisch motiviert ist.

Es gilt für die Leser*innen, sich dieses Altruismus und den daraus resultierenden Handlungs- und Verhaltensweisen wieder bewusst zu werden.

Auch wenn sich das Buch (lt. Klappentext) an Besserwisser aus den Chefetagen, an die Beraterfirmen und an die Stammtischrunden wendet und möglicherweise wegen einer optimistischen Grundhaltung, was das tatsächliche Verhalten des Menschen nicht nur in Extremsituationen anbelangt, hinterfragbar erscheint, so ist es beinahe als Pflichtlektüre für alle pädagogischen Berufe vorzuschlagen.

Rezension von
Prof. Dr. Dr. habil. Peter Eisenmann
Professor (em.) für Andragogik, Politikwissenschaft und Philosophie/Ethik an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt, Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften
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Es gibt 85 Rezensionen von Peter Eisenmann.

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ISSN 2190-9245