Beate Küpper, Ann Marie Krewer (Hrsg.): Arbeit mit geflüchteten und neuzugewanderten Personen
Rezensiert von Dipl.-Soz. Willy Klawe, 29.10.2020

Beate Küpper, Ann Marie Krewer (Hrsg.): Arbeit mit geflüchteten und neuzugewanderten Personen. Eine Handreichung für die Praxis. Verlag Barbara Budrich GmbH (Opladen, Berlin, Toronto) 2019. 170 Seiten. ISBN 978-3-8474-2338-6. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.
Entstehungshintergrund und Aufbau
Einleitend verweisen die Herausgeberinnen darauf, dass die Arbeit mit Geflüchteten „in einem Spannungsfeld von theoretischen Überlegungen, den Anforderungen der praktischen Integrationsarbeit sowie aufgeheizter gesellschaftlicher Debatten“ (9) stattfindet, die Praxis mithin „zwischen dem hohen Reflexionsgrad einer rassismuskritischen Perspektive und den Niederungen der alltäglich zu leistenden Integrationsarbeit“ (10) zu verorten ist. Das Ziel dieser Bemühungen ist „Integration“, wobei diese Integration häufig geprägt ist von Macht und Dominanz: die Mehrheitsgesellschaft gibt vor, wer sich wie anzupassen hat. Dabei werden die Integrationsleistungen vor allem von den zugewanderten Menschen erwartet. Schon in ihrer Einleitung betonen die Autorinnen, dass hier ein Paradigmenwechsel sinnvoll ist, in dem i.S. von Inklusion der Fokus stärker darauf gerichtet ist, welche strukturellen Bedingungen seitens der Mehrheitsgesellschaft geschaffen werden müssten, um eine Begegnung „in Augenhöhe“ zu ermöglichen. Diese Überlegungen werden später in einem Beitrag des Buches näher ausgeführt.
Dieses kurz skizzierte Spannungsfeld gibt ziemlich präzise den Rahmen an, in dem sich die nachfolgenden zwölf Kapitel des vorliegenden Bandes bewegen. Da aus Sicht der Autorinnen die Integration in Arbeit ein zentraler Indikator für gelungene Integrationsbemühungen ist, fokussieren einige dieser Kapitel diesen Aspekt besonders. Gleichwohl beabsichtigt die vorliegende Publikation dennoch, die zentralen Aspekte des skizzierten Spannungsfeldes zu beleuchten und Hinweise für die praktische Integrationsarbeit daraus abzuleiten. Sie richtet sich vor allem an haupt- und ehrenamtliche Neueinsteiger in die Arbeit mit Geflüchteten. Die vorgestellten Materialien und Tools wurden am Institut SO.CON der Hochschule Niederrhein entwickelt und in der Praxis erprobt.
Inhalt
Das erste Kapitel „Wer kommt nach Deutschland? Fakten zu Geflüchteten“ (Maaßen, Bos-Firchow, Küpper) bietet prägnant Informationen über Umfang, Herkunft, Fluchtgründe und – folgen der hier lebenden Geflüchteten. Wichtiges Anliegen dabei ist den Autorinnen die Herausarbeitung der durch den ungewissen Ausgang der anstehenden Asylverfahrenhäufig prekären Lebenslage von Flüchtlingen im Unterschied zu anderen MigrantInnen.
Der zweite Beitrag „Integration“ (Küpper, Krewer, Michalowski, Bos-Firchow) gibt einen knappen Überblick über die theoretischen Implikationen von Integrationsprozessen und den aktuellen Integrationsdiskurs rund um die Begriffe Integration, Diversity und Inklusion. Vor diesem Hintergrund wagen die Autorinnen eine vorsichtige Bestandsaufnahme des bisher Erreichten und geben Hinweise auf künftige Herausforderungen.
Das dritte Kapitel „Zwischen Willkommen und Hass“ (Küpper) knüpft hieran an und skizziert den gesellschaftlichen Kontext, in dem Integrationsarbeit derzeit (leider) stattfindet. Die Autorin gibt einen Einblick in Diskriminierung, Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als Erklärungsansätze für alltägliche Diskriminierungserfahrungen Geflüchteter und leitet daraus „Basics“ für nachhaltige Gegenstrategien ab.
Folgerichtig schließt sich hieran das Kapitel „Diskriminierungssensibilität in der Sozialen Arbeit mit Geflüchteten“ (Rüther) an. Die Autorin beschreibt eindringlich exemplarische Felder, in denen Geflüchtete Diskriminierung und Rassismus erfahren und zeigt überzeugend Wege zu einer reflexiven rassismuskritischen und diskriminierungssensiblem Arbeit auf.
Gemeinhin wird der Erwerb der deutschen Sprache als Mittel von und Indikator für gelingende Integration angesehen. Kapitel 5 „Integrationsmittel Sprache: Bedeutung und Herausforderungen des Spracherwerbs nach der Flucht“ (Grimaldi) des vorliegenden Buches geht diesem Konstrukt nach, beschreibt die Bedingungen für einen erfolgreichen Spracherwerb und stellt ein in der Praxis erprobtes Sprachvermittlungsmodell vor. Es stellt jedoch auch unmissverständlich klar, dass der Spracherwerb nur ein Erfolgsfaktor für Integration unter zahlreichen anderen ist und die bisherige didaktisch-methodische Praxis in den Sprachkursen des BAMF in vielerlei Hinsicht verbesserungswürdig ist.
Mit der Integration geflüchteter Menschen sind die Kommunen „vor die Herausforderung gestellt, sowohl zielgruppenspezifische als auch übergreifende Unterstützungsmöglichkeiten zu schaffen – also ein Gesamtkonzept 'Integration' zu entwickeln, das alle im Quartier lebenden Menschen einschließt, bisherige Aktivitäten bündelt und die zusätzlichen Aufgaben sinnvoll vernetzt.“ (99). Das Kapitel 6 „Integration und Inklusion. Zwei Strategien – ein Ziel: Kommunale Integration“ (Krewer, Vomberg, Golestani) stellt hierfür zwei erprobte Modelle vor und skizziert anschaulich deren praktisch-methodische Umsetzung.
Die alltägliche Arbeit mit Geflüchteten stellt Fachkräfte, Helfer und Engagierte vor vielfältige Herausforderungen. Einerseits muss in der Zusammenarbeit von haupt- und ehrenamtlichen Helfern eine tragfähige und wertschätzende Basis gefunden werden. Zum anderen irritieren möglicherweise Einstellungen und Verhalten der Geflüchteten aufgrund kultureller Differenzen, spezifischer Fluchterfahrung oder traumatisierender Erlebnisse den Umgang miteinander. Das Kapitel 7 „ Haupt- und ehrenamtliche Arbeit mit Geflüchteten und Neuzugewanderten“ (Krewer, Michalowski, Tiskens) setzt sich differenziert mit diesen Fragestellungen auseinander und entwickelt überzeugend ressourcenorientierte Handlungsstrategien. Dabei wird explizit dazu ermutigt, dem Capability Approach folgend die Ressourcen und die Resilienz der Geflüchteten zu erkunden und zur Grundlage der Ansprache und der Entwicklung von Hilfsangeboten zu machen. Zugleich hilft diese Sicht auch, die eigenen Ressourcen zu erkennen und mit den Grenzen möglicher Belastung achtsam umzugehen.
Wenn die Integration in Beruf und Arbeit ein wichtiges Ziel und zugleich ein aussagekräftiger Indikator für gelingende Integrationsprozesse ist, genügt es nicht, den erreichten Stand lediglich aus der Perspektive der Fachkräfte und ihrer Institutionen zu beurteilen. Vielmehr muss diese Perspektive durch die Sicht der Betroffenen selbst und ihre Einschätzung validiert werden. Dies geschieht in Kapitel 8 „Perspektivwechsel – wie Geflüchtete ihre Arbeitsmarktintegration wahrnehmen“ (Närdemann). Die Autorin arbeitet anhand qualitativer Interviews zentrale Konfliktfelder heraus und gibt Anregungen zur Veränderung.
Hinter der Formel „Integration in den Arbeitsmarkt“ verbirgt sich im Alltag der Geflüchteten auch ganz konkret die Frage, wie gut sie in ihrem Betrieb „ankommen“ und ihren Platz finden. Das Kapitel „Die Integration der Geflüchteten in Betriebe“ (Schulz, Küpper) geht dieser Frage nach. Die Autorinnen stellen fest, dass Geflüchtete hier hohe Hürden zu überwinden haben: neben mangelhaften Sprachkenntnissen sind fachspezifische Kompetenzen nur teilweise vorhanden bzw. können im Herkunftsland erworbene Qualifikationen nicht hinreichend nachgewiesen werden oder werden hier nicht anerkannt. Daneben herrschen auf Seiten der Betriebe nicht selten Unsicherheiten, „wie sie mit tatsächlicher oder vermuteter 'kultureller Fremdheit und Verschiedenheit' umgehen sollen.“ (139) Vor diesem Hintergrund entwickeln die Autorinnen eine Reihe ganz praktischer Vorschläge zur Annäherung von Betrieben und potenziellen ArbeitnehmerInnen.
Einen weiteren Zugang zu neuen und nachhaltigen Lösungen bietet das daran anschließende Kapitel „Kulturelle Vielfalt gestalten“ (van Wickeren, Küpper), das die Betriebsstrukturen stärker in den Blick nimmt und anschaulich und differenziert aufzeigt, wie sich Betriebe und Organisationen auf Vielfalt einstellen und diese fördern können. Hierfür werden praktische Instrumente des Diversity Managements und der interkulturellen Öffnung vorgestellt. Die Autorinnen betonen, „dass Integration keine Einbahnstraße und Aufgabe der Geflüchteten ist, sondern ein gemeinsamer Weg von Betrieben und alten und neuen Mitarbeitenden, den es Schritt für Schritt zu erkunden gilt.“ (178)
Aus verschiedenen Gründen haben es gerade geflüchtete AkademikerInnen besonders schwer, ihrer Ausbildung entsprechende Tätigkeiten zu finden. Im Kapitel „Zugewanderte Akademiker_innen“ (Schulz, Wolgast) skizzieren die Autorinnen diese Hürden und stellen verschiedene Hilfs- und Beratungsmöglichkeiten vor, die mittlerweile zu ihrer Überwindung entwickelt wurden. Konkrete Anregungen für die Beratung dieser Zielgruppe schließen dieses Kapitel ab.
Das letzte Kapitel des vorliegenden Bandes widmet sich „Transfer und Verstetigung als Kriterien erfolgreicher Projektarbeit“ (Nebauer). Die Autorin „wirft einen Blick auf das Spannungsverhältnis zwischen der Zielsetzung von Nachhaltigkeit und der üblichen Projektlogik und bietet Empfehlungen für ein planvolles und zugleich handhabbares Vorgehen für den Transfer von Projektergebnissen.“ (195) Überaus anschaulich und praxisnah stellt sie acht Arbeitsschritte für einen Praxistransfer vor, die auch in anderen Projektzusammenhängen hilfreich und anwendbar sind.
Ein ausführliches Glossar, ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie Kurzbiografien der Autorinnen schließen den Band ab.
Fazit
Die in einem konkreten Projektzusammenhang entstandene Handreichung bietet eine plausible und verständliche Einführung in ausgewählte zentrale Fragestellungen der Arbeit mit Geflüchteten. Die Autorinnen nehmen dabei die geflüchteten Erwachsenen in den Blick und verweisen darauf, dass zur Arbeit mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen bereits eine Fülle von Veröffentlichungen vorliegt. Eine weitere Einschränkung bedeutet die Fokussierung vor allem auf Arbeit und Beruf, die vermutlich vor allem dem Projektzusammenhang geschuldet ist. Dadurch fallen allerdings wesentliche Lebensbereiche aus der Darstellung heraus und müssen durch anderweitige Lektüre ergänzt werden.
Hingegen ist es den Autorinnen in hervorragender Weise gelungen, statt eines Readers mit unverbundenen Einzelbeiträgen ein „zusammenhängendes Buch“ (15) aus „einem Guss“ zu verfassen, das auch ehrenamtliche Helfer mit großem Gewinn zur Reflexion ihrer alltäglichen Arbeit mit Geflüchteten lesen und verstehen können. Der etwas spröde Buchtitel allerdings könnte auch vom BAMF kommen.
Rezension von
Dipl.-Soz. Willy Klawe
war bis März 2015 Hochschullehrer an der Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie Hamburg. Jetzt Wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Instituts für Interkulturelle Pädagogik (HIIP, www.hiip-hamburg.de)
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