Axel Priebs: Die Stadtregion
Rezensiert von Prof. Dr. Detlef Baum, 23.03.2020
Axel Priebs: Die Stadtregion. Planung - Politik - Management.
UTB
(Stuttgart) 2019.
329 Seiten.
ISBN 978-3-8252-4952-6.
D: 29,99 EUR,
A: 30,90 EUR,
CH: 37,50 sFr.
Reihe: UTB - Band-Nr. 4952. Geographie, Raum- und Landschaftsplanung, Verwaltungswissenschaft.
Thema
Städte enden nie an ihren politisch-geographischen Grenzen. Selbst im Mittelalter konnten Stadtmauern nicht verhindern, dass die Städte Beziehungen und Strukturen in das sie umgebende Umland entwickelt haben, auch entwickeln konnten. Und Städte konnten sich nur unter der Bedingung entwickeln, dass sie ein bäuerlich-landwirtschaftlich geprägtes Umland ernährte, weil subsistenzwirtschaftliche Strukturen in der Stadt zumindest nicht ausreichend vorhanden waren.
Insofern geht es immer um Stadtregionen, um regionale Einbettungen von Städten und es gebietet sich, Städte auch immer im Kontext ihrer jeweiligen regional-spezifischen räumlichen, kulturellen, ökonomischen und sozialen Dynamiken und Strukturen zu verstehen. Dies gilt nicht nur für Mittel- und Kleinstädte, deren regionale Einbettungen deutlicher zu Tage treten als bei Großstädten, die immer auch eine andere urbane Dynamik entfalten und Abgrenzungen zum umgebenden Umland deswegen auch deutlicher werden.
Autor
Prof. Dr. Axel Priebs ist Diplom-Geograph und hat nach einigen verantwortlichen Tätigkeiten in Verwaltung, Planung und Wissenschaft eine Professur für Angewandte Geographie, Raumforschung und Raumordnung am Institut für Geographie und Raumordnung der Universität inne.
Aufbau
Das Buch gliedert sich nach einem Vorwort, das auf die Konzeption des Lehrbuches verweist und nach einer kurzen Einleitung, in der sich der Autor mit dem Begriff der Stadtregion auseinandersetzt, in zwölf Kapitel, die im Folgenden kurz vorgestellt werden. Am Ende befindet sich eine ausführliche Literaturliste und ein Sachverzeichnis, das auf zentrale Begriffe verweist.
Einleitung: Der Begriff der Stadtregion
Die Stadtgeographie versteht unter einer Stadtregion eine funktionsräumliche Einheit von Kernstadt und einem Pendlereinzugsbereich. Damit soll deutlich werden, dass die Kernstadt mit dem Umland strukturell verbunden ist und beide aufeinander verwiesen sind. Ballungsräume und Agglomerationen machen diesen Zusammenhang nicht deutlich. Wenn der Autor hier keine einheitliche Definition von Stadtregion aufzeigt, dann geht er davon aus, dass das, was zu einer Stadtregionen gehört, immer auch den je spezifischen regionalräumlichen und -politischen Gegebenheiten entspricht und immer auch auf der Basis kultureller, sozialer, ökonomischer und raumspezifischer Gegebenheiten und Dynamiken ausgehandelt werden muss.
1. Die Stadt und ihre Region – ein historischer Längsschnitt
Zunächst erläutert der Autor die gegenseitige Abhängigkeit von Stadt und Umwelt und verweist auf die Funktion der Stadt z.B. als Gerichtsstadt, Handelsstadt, Marktflecken oder Residenzstadt, die in Europa immer auch mit der Zuweisung bestimmter Rechte verbunden war. Er geht dann auf die Entwicklung der Industriestadt im Zuge industrieller Verstädterung und Großstadtentwicklung ein.
Städte haben sich immer von innen nach außen entwickelt, wobei die alten Stadtkerne unbestritten die Zentren der Städte bildeten. Suburbanisierungstendenzen bildeten sich sehr früh bereits in dieser Phase aus. Vor dem Hintergrund innerstädtischer Verdichtungstendenzen haben sich bereits gegen Ende des 19. Jahrhundert Bürger, die es sich leisten konnten, an den Rand der Städte niedergelassen. Dies wird ausführlich erörtert.
Es geht dann um die Gründung von Trabantenstädten, wobei der Autor auf Modellsiedlungen verweist, die die steinerne Stadt auflösen. Dabei wird auf das Ideal der Gartenstadt und auf Reformbewegungen mit dem Modell der Arbeitersiedlungen rund um die industriellen Arbeitsplätze hingewiesen. Danach diskutiert Priebs die Suburbanisierung als internationales Phänomen auch in ihrer historischen Entwicklung. Dann erörtert der Autor die Begriffe und die Phänomene der Desurbanisierung und Reurbanisierung. Nach dem Attraktivitätsverlust der Stadt als Wohnstandort kennen wir inzwischen wieder die Reurbanisierung als einen Prozess der neueren Attraktivität der Stadt als Bedingung für einen urbanen Lebensstil einer jungen gebildeten Mittelschicht. Diese Form der Reurbanisierung ist meist verbunden ist mit Gentrifizierungsprozessen und damit auch mit einer Verdrängung einer angestammten Bewohnerschaft bestimmter Quartiere. Der Autor setzt sich dabei kritisch mit der damit verbundenen Wohnungsproblematik auseinander.
2. Die Anfänge stadtregionaler Planung und Organisation
Wenn Siedlungsentwicklungen – wie im 19. Jahrhundert geschehen – die Grenzen der Kernstädte überschritten und sich in die umliegenden Gemeinden ausdehnten, kam es zu unterschiedlichen Bewertungen verschiedener Themen, die beiden – den Städten und den Gemeinden – gemeinsam waren. Einmal ging es um die Steuerung dieser Entwicklung und zum anderen um die Probleme der Verteilung und der Ordnung.
Die damit verbundenen administrativen und politischen Herausforderungen bildeten stadtregionale Planungsansätze aus, die einmal zu einer neuen Disziplin Städtebau führte, zum anderen zur Entwicklung der Regionalplanung. Beide Entwicklungen werden ausführlich erörtert. Weiter wird vom Autor die Herausbildung stadtregionaler Organisationsansätze diskutiert. So wird die Eingemeindung als administrative Lösung der Stadt-Umwelt-Problematik beispielhaft erläutert und diskutiert. Am Beispiel von London, New York und Berlin wird aufgezeigt, dass stadtregionale Fragen schon sehr früh unterschiedlich beantwortet wurden. Und am Beispiel des Siedlungsverbandes Ruhrkohlenbezirk geht der Autor auf deutsche Organisationsansätze in der Weimarer Republik ein.
3. Modellierung, innere Differenzierung und äußere Abgrenzung der Stadtregion
Stadträumliche Strukturmodelle zeigen auf, wie sich eine städtische Bevölkerung nach Maßgabe bestimmter Kriterien wie die des sozioökonomischen Status im städtischen Raum verteilt. Dahinter steht die klassische These der Chicagoer Schule, dass die horizontale räumliche Verteilung der Bevölkerung ihre vertikale soziale Stratifikation widerspiegelt.
Priebs zeigt dies an den Strukturmodellen der Chicagoer Schule auf, wobei auf die klassischen Vertreter dieser Schule wie Burgess, Hoyt, Harris und Ulmann Bezug genommen wird. Weiter diskutiert der Autor das Strukturmodell von Lichtenberger, das eher auch noch einmal das Verhältnis von Stadt und Umland thematisiert, und jüngere Modell der amerikanischen Stadt. Weiter geht der Autor auf die deutsche Raumforschung und die Bundesraumordnung ein und diskutiert auch die österreichische Raumordnung sehr ausführlich.
4. Raum und Siedlungsstruktur der Stadtregion
Die Steuerung der Siedlungsentwicklung ist eine der zentralen Planungs- und Gestaltungsaufgaben in einer Stadtregion. Sowohl die technische und soziale Infrastruktur als auch die verkehrstechnischen Anbindung von Stadtteilen und Quartieren an die Kernstadt sind besondere Herausforderungen – und dies alles auch unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit. Wie kann eine Nutzungsmischung quasi vor Ort erzeugt werden, sodass Verkehre minimalisiert werden? Und wie schafft die Stadtplanung siedlungsnahe Freiräume wie Parks oder Spielplätze innerhalb von Quartieren?
Priebs stellt dazu einige stadtregionale Siedlungsstrukturkonzepte vor.
Als klassisches Gegenmodell zu der industriellen Großstadtentwicklung gilt das von E. Howard entwickelte Gartenstadt-Modell. Angesichts der desaströsen Wohnverhältnisse der Arbeiterschaft in den Industriestädten entwirft Howard ein Wohnmodell, das den Arbeitern ein gesünderes Leben ermöglicht. Der Autor diskutiert in dem Zusammenhang auch den Grüngürtel, den Green Belt als Instrument der Siedlungsgliederung. Weitere Konzepte wie das Bandstadtkonzept und das Achsenkonzept werden ausführlich und beispielhaft erläutert. Der Autor geht dann auf das Konzept der dezentralen Konzentration ein. Auf der einen Seite drückt Dezentralität aus, dass die Kernstadt entlastet wird, auf der anderer Seite soll Konzentration auf die Bündelung von Ressourcen und die Fokussierung auf den Kern verweisen. Letztlich geht es um eine polyzentrische Raumentwicklung.
Die Vernetzung in der Stadtregion zeigt das Konzept der Netzstadt. Es geht um eine verkehrstechnische Vernetzung, die auch zu einer stärkeren Vernetzung der Siedlungsstruktur führt. Auch dies wird ausführlich und beispielhaft dargestellt.
5. Stadtregionale Organisations- und Managementformen
Welche zentralen öffentlichen Akteure und Institutionen organisieren auf welche Weise ihre Zusammenarbeit und welche Möglichkeiten gibt es, die Handlungsoptionen und Organisationsformen zu gestalten? Dabei geht es um die institutionellen Akteure, die in eben solchen Akteurskonstellationen sowohl ihre institutionellen Kontexte repräsentieren, als auch ihre persönlichen Interessen und Vorstellungen einbringen. Es sind zunächst die Kernstädte als zentrale Akteure von Stadtregionen. Dazu zählen vor allem die Spitzen von Politik und Verwaltung. Dann gibt es die Stadtbezirke, die Nachbarkommunen und -kreise. Als selbstständige Akteure sind es die Gemeinden des Umlandes im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung und die übergemeindlichen kommunalen Verwaltungseinheiten wie die Landkreise und Gemeindeverbände.
Dann diskutiert der Autor staatliche und andere öffentliche Institutionen und Akteure und Akteure der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft.
Neben institutionellen Organisationsstrukturen gibt es auch informelle und zivilrechtliche für eine Stadtregion. Informelle Kooperationsformen sind Runde Tische und Regionalkonferenzen oder solche in der Rechtform des eingetragenen Vereins oder der Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
Der Autor diskutiert dann öffentlich-rechtliche Organisationsstrukturen wie interkommunale Arbeitsgemeinschaften oder interkommunale Zweckvereinbarungen; weiter gibt es Zweck- und Nachbarschaftsverbände und Kommunalverbände wie der Regionalverband Ruhr.
Ein neuerer Ansatz sind die Regionalstädte und große Einheitsgemeinden. Beispiel hierfür ist die Einheitsgemeinde Groß-Berlin. Solche Regionalstädte machen die Stadt-Umland-Probleme zu innerstädtischen Fragen und lösen Planungsprobleme durch einen einzigen Flächennutzungsplan. Regionalkreise wiederum sind übergemeindliche Gebietskörperschaften; der älteste dieser Kreise ist der Stadtverband Saarbrücken.
Alle Typen werden in einer anschaulichen Graphik noch einmal zusammenfassend und übersichtlich dargestellt.
Ein weiterer Aspekt ist die Metropolregion. Mit solchen großmaßstäbigen Raumgebilden strebt man eine Vergrößerung der städtisch geprägten Funktionsräume wie der Pendlerregionen an. Der Autor nennt diese Metropolregionen auch großräumige Verantwortungsgemeinschaften.
6. Förmliche Raumplanung für die Stadtregion: Pläne und Instrumente
Wie soll eine Stadt aussehen und wie soll man in ihr gut leben können? Städte entwickeln Leitbilder nach innen und außen. Wie wollen sie sein und aussehen und wie wollen sie, dass andere sie sehen? Quasi Fragen nach der Identität einer Stadt. Antworten auf diese Fragen bedürfen politischer Entscheidungen und administrativer und planerischer Instrumente. Diese Instrumente werden in diesem Kapitel vorgestellt. Da geht um einen verbindlichen stadtregionalen Plan, der die Siedlungsentwicklung steuert, um eine Verkehrsplanung, die einen öffentlichen Nah- und Fernverkehr regelt, und um eine Freiflächen- und Infrastrukturplanung.
Was die deutsche Kommune kennt, ist der Flächennutzungsplan als vorbereitender Bauleitplan, dem der Bebauungsplan folgt. Der Autor plädiert für einen gemeinsamen Flächennutzungsplan für die gesamte Stadtregion. Dabei kommt es darauf an, dass die in der Stadtregion eingebundenen Gemeinden eine Grundversorgung in erreichbarer Nähe haben, ein übergeordnetes Planungsziel.
Regionalpläne und Raumordnungspläne kennt die deutsche Stadtregion ebenso. Sie steuern die anzustrebende Siedlungs-, Freiraum- und Infrastruktur.
Weiter stellt der Autor den Regionalen Flächennutzungsplan als besonderen Planungstyp vor, der den Regional- und Flächennutzungsplan zusammenführt. Zum Schluss werden die verschiedenen Planungstypen miteinander verglichen.
Die Planungstypen werden sehr anschaulich an Graphiken dargestellt und mit konkreten Beispielen unterlegt.
7. Öffentlicher Nahverkehr als Rückgrat der Stadtregion
In diesem Kapitel diskutiert der Autor die Entwicklung, Geschichte und Struktur verschiedener Verkehrssysteme wie den Schienenfernverkehr, also die Eisenbahn, den Schienennahverkehr wie die S-Bahn, die U-Bahn, die Hochbahn und die Straßenbahn. Weiter wird in gleicher Weise das klassische Verkehrsmittel des Busses bzw. des Stadtbusses vorgestellt.
Priebs geht dann auf aktuelle Straßenbahn- und Hybridsysteme ein und nennt Hannover als Beispiel, wo fast alle Systeme unterirdisch verlaufen und nur in Außenbezirken das klassische Stadtbahnmodell vorherrscht. Es geht schließlich um einen stadtregionalen ÖPNV als Gesamtsystem, in dem Regionalzüge, S-Bahnen Straßenbahnen, U-Bahnen und Busse auf einander abgestimmt sind. Das setzt eine integrierte Siedlungs- und Verkehrsplanung und ein integriertes Mobilitätsmanagement voraus; beides wird ausführlich entfaltet und erörtert.
8. Freiräume und grüne Infrastruktur der Stadtregion
Eine nachhaltige Stadtentwicklung kommt um die Sicherung von Freiräumen und grünen Zonen in der Stadt heute nicht mehr herum. Auch mit einem Blick in die Geschichte verdeutlicht Priebs, wie Städte sich bemüht haben, mit Parks und städtischen Gärten dem Anspruch gerecht zu werden eine lebenswerte Stadt zu sein. Sie haben Mauern und Wälle sowie militärische Festungsanlagen geschleift und haben sich dem eher grünen Umland geöffnet. Es entstanden innerstädtische Grüngürtel – Köln wird hier als Beispiel genannt. Und es entstanden Botanische Gärten, Ziergärten und Volksparkanlagen. Auch hierfür werden Beispiele genannt.
Wie kommt man von städtischen zu stadtregionalen Grün- und Freiraumkonzepten? Diese Frage beantwortet Priebs am Beispiel von Wien und dem Wiener Wald. Es geht um übergemeindliche Ansätze in der Konzeptionierung. Weiter stellt der Autor regionale Park- und Gartenkonzepte vor; es geht dabei um Grünzonen für die Wochenenderholung oder um Naherholungsräume. Beispiel hierfür ist der Regionalpark Rhein-Main in Frankfurt. Hannover wiederum verfolgt ein etwas anderes Konzept der Gartenregion Hannover.
Urbane Grünräume wie Friedhöfe, Kleingärten, Stadtwälder, Spielplätze und Sportstätten müssen neu bewertet werden und urban gardening muss eine größere Wertschätzung erfahren. Und es geht um biologische Vielfalt, um Biodiversität. Dies alles wird ausführlich entfaltet und begründet.
9. Aktuelle Stadtregionale Herausforderungen, Handlungsfelder und Managementaufgaben
Gesellschaftliche Vielfalt ist zwangläufig auch mit Heterogenität der Menschen in einem sozialen Raum verbunden. Und Städte waren immer schon Orte kultureller Heterogenität und sozialstruktureller Differenziertheit. Das bedeutete auch, dass Städte eigentlich immer schon besondere Herausforderungen in der sozialstrukturellen Integration der Bevölkerung unter den Bedingungen kultureller Diversität und sozialer Differenzierung sahen. Sie haben deshalb auch schon sehr früh in ihrer Geschichte Maßnahmen gegen Armut und Ausgrenzung ergriffen und auch Maßnahmen kollektiver Daseinsvorsorge waren auf einen Vorteils- und Lastenausgleich ausgerichtet. Dies bezieht sich inzwischen nicht nur auf die Kernstadt, sondern auch auf die Beziehung zum Umland und gilt zunehmend auch für Stadtregionen. Das entfaltet der Autor unter dem Begriff der solidarischen Stadtregion.
Das Gleiche gilt auch für den demographischen Wandel. für internationale Wanderungsbewegungen und Binnenwanderung, für die Alterung der Gesellschaft und für Migration. Dieser Wandel ist von einer Vielzahl und einer Ausdifferenzierung von Lebensstilen und Arbeitsweisen verbunden und ist begleitet von Anforderungen an differenzierte Wohnformen und an eine dementsprechende Wohnraumnachfrage, vor allem an die Nachfrage nach preisgünstigem Wohnraum.
Eine weitere Herausforderung sieht Priebs in der Verletzbarkeit (Vulnerabilität) und Resilienz von Stadtregionen durch den Klimawandel, durch politische Krisen und dem damit verbundenen Herstellen von Sicherheit der Bevölkerung. Es geht um Resilienz der Stadtregion vor allem in anfälligen Wohngebieten mit einer kritischen Infrastruktur. Und es geht um eine klimaneutrale Stadtregion, um einen Klimaschutz wie er seit zwei Jahrzehnten von der Region Hannover praktiziert wird. Dort geht es um Energieeffizienz und -einsparungen, um die Förderung des ÖNPV und des Radwegenetzes; dies wird besonders ausführlich erörtert.
10. Beispiele deutscher Stadtregionen
In diesem Kapitel werden einige deutsche Stadtregionen vorgestellt und erörtert, die zugleich Beispiele sind für weitere im Wachstum begriffene Städte und deren Vernetzung mit dem Umland.
Berlin ist sicher eine besondere Herausforderung, zumal nach der Wiedervereinigung zwei „Stadthälften“ wieder zusammen geführt wurden. die sich 40 Jahre vollkommen diametral entwickelt haben. Und Westberlin war eine Insel, die sich dem Umland neu öffnen musste. Außerdem war jetzt die Herausforderung, Berlin mit dem Bundesland Brandenburg zu verbinden.
Der Regionalverband Ruhr wird als eine polyzentrische Metropole vorgestellt – eine Stadtregion mit elf kreisfreien Städten und vier Kreisen. Die Herausforderung bestand im Strukturwandel im Zuge der Bewältigung der „Kohlekrise“, der auch mit einem Imagewandel verbunden war. Die altindustrialisierte Region wurde zur Metropole Ruhr; das wird ausführlich und anschaulich beschrieben.
Eine ganz andere Stadtregion stellt die Region Stuttgart als eine der wirtschaftsstärksten Regionen Deutschland dar. Nach dem Zweiten Weltkrieg bestand die Notwendigkeit eines abgestimmten Handelns im gesamten Stuttgarter Raum. Wie dieser Prozess entwickelt wurde und was dies bedeutete, wird ausführlich beschrieben.
Schließlich wird Hannover als eine aus dem Verband heraus entwickelte stadtregionale Gebietskörperschaft vorgestellt und diskutiert, ihre Geschichte erörtert und die organisatorische Struktur und ihre Aufgaben erläutert.
Welche Erfolgsfaktoren der Regionsbildung eine Rolle spielen und vor allem warum gerade die Akzeptanz der Reform gesichert wurde, weil es keine Eingemeindungen nach Hannover gab, führt Priebs anschaulich vor.
11. Internationale Fallbeispiele
London war schon sehr früh in der ersten Phase industrieller Verstädterung mit einem immensen Bevölkerungswachstum konfrontiert und hat deshalb auch die Herausforderung angenommen, eine der ersten Metropolenverwaltungen der Welt aufzubauen. Das heißt, es gab keine einstufige Stadtverwaltung, sondern eine überörtliche Gebietskörperschaft (County). Die entwickelte Metropolenverwaltung war für die Leistungsverwaltung und einer kollektiven Daseinsvorsorge zuständig, die die einzelnen Stadtbezirke (boroughs) nicht zu leisten imstande waren.
Der Autor erläutert diesen Prozess und seine Geschichte bis zur Auflösung der Metropolenverwaltung 1979 und ihre Wiederherstellungen im Großraum London.
Die Stadtregion Stockholm gehört zu den größten und bedeutendsten Stadtregionen Nordeuropas, die die wichtigsten Aufgaben einer stadtregionalen Daseinsvorsorge verantwortet.
Im Jahr 2010 wurde ein neuer regionaler Entwicklungsplan entwickelt, der vier strategische Ziele verfolgt.
- Die Region soll offen und erreichbar sein.
- Die Region soll eine führende Wachstumsregion in den Bereichen Forschung, Wirtschaft, Kultur und Arbeitsmarkt sein.
- Die Region soll eine gute Lebensqualität aufweisen.
- Die Region soll ihre Ressourcen wie die Raumstruktur, das Siedlungs- und Verkehrssystem, die Freiräume, das Bildungswesen und die technische Infrastruktur effektiv nutzen.
Im Übrigen orientiert man sich an klassischen Zielen der europäischen Stadt: Dichte Heterogenität und Abwechslungsreichtum, gestaltete öffentliche Räume und städtisches Grün. Auch dies wird ausführlich erörtert.
Kopenhagen war schon am Ende des 19. Jahrhunderts auf Grund seines Wachstums gezwungen, die Stadt Kopenhagen über ihre Grenzen hinaus weiterzuentwickeln zum Großraum Kopenhagen. Neben Eingemeindungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielten interkommunale Kooperationen eine wichtige Rolle.
Priebs stellt in diesem Zusammenhang ein Planungskonzept für den Schienennahverkehr (S-Bahn) vor – den Fingerplan – dass als ein robustes Planungskonzept erläutert wird. Weiter wurden wichtige Großprojekte der Verkehrsplanung realisiert wie die Metro als zusätzliches Nahverkehrssystem und der Bau der Öresundbrücke, die Dänemark mit Schweden verbindet.
Mit Zürich verbinden wir einen der bedeutendsten europäischen Finanzplätze und Wirtschaftsräume. Als Stadtregion hat sich Zürich durch Eingemeindungen am Ende des 19. Jahrhunderts wichtige Voraussetzungen für ein planerisches Gesamtkonzept auf regionaler Ebene geschaffen. Mitte der 1950er Jahre führte das gemeinsame Interesse an einer geordneten Siedlungsentwicklung zur freiwilligen Bildung von sechs Planungsgruppen im Züricher Raum. Unter dem Dachverband Regionalplanung Zürich und Umgebung sollte der Erfahrungsaustausch stehen, Räume der Alltagserholung geschaffen werden, sollte Zürich als Wohnregion weiterentwickelt werden und es sollte ein Erfahrungsaustausch und Wissenstransfer zur Zentrumsentwicklung ermöglicht werden.
Das jüngste Schwerpunktprogramm für den Metropolitanraum Zürich will auf die aktuellen Herausforderungen reagieren, die Identifikation mit der Metropolregion stärken und die Kooperation unter seinen Mitgliedern fördern.
12. Ausblick
In einem relativ kurzen Ausblick fasst Priebs seine bisherigen Ausführungen noch einmal prägnant zusammen:
- Es wird immer unterschiedliche Typen von Stadtregionen bezüglich ihrer Lage, Größe und Struktur geben.
- Stadtregionen werden auf der Handlungsebene an Bedeutung gewinnen, ohne dass die lokalen Räume ihre Bedeutung verlören.
- Stadtregionen dürften weiter ihre Attraktivität für Zuwanderung mit der Konsequenz verstärkter Wohnraumnachfrage behalten.
- Das Verhältnis von Außen- und Innenentwicklung bezüglich des Flächenbedarfs und der Entwicklung von Verkehrssystemen und Freiräumen wird immer bedeutsamer und wird auch in Bezug auf die Nahversorgung und die Gestaltung urbaner Strukturen in den Außenbereichen immer wichtiger.
- Die Kooperationsstruktur in Stadtregionen wird angesichts gewachsener Ansprüche an Aushandlungsprozessen mit unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Akteuren (Governance) immer komplexer.
Diskussion
Wie definieren wir heute Stadt als Daseins- und Lebensform und wie müssen sich Städte selbst heute verstehen, in welchem räumlichen, sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Kontext lassen sie sich heute eigentlich nur noch verstehen?
Priebs setzt sich mit der Stadt als Stadtregion auseinander, die praktisch in ihr Umland hineinwächst und Verflechtungen mit ihm ermöglicht und strukturell erzeugt. Wenn wir historisch die Stadt auch immer in der Verbindung mit dem Umland verstanden haben, aus dem heraus sie sich entwickelt hat, und eigentlich immer auch gemeint haben, dass sich Städte nur in Verbindung mit dem Umland entwickeln konnten und vice versa: das Umland von der Stadt profitierte und auch in seiner Entwicklung auf sie angewiesen war – die in diesem Buch beschriebenen Verflechtungen, Verbindungen und interdependenten Zusammenhänge sind strukturell z.T. auch andere, auch neue und erfordern andere planerischen Konzepte und Instrumente, andere politische Ansätze und administrative Kompetenzen. Das ist die zentrale Erkenntnis, die der Autor vermittelt. Den Rahmen, den er in diesem Zusammenhang absteckt, macht nicht nur deutlich, wie vielschichtig diese Auseinandersetzung mit dem ist, was eine Stadtregion ausmacht, sondern auch wie komplex die Prozesse mit einander verwoben sind. Das führt zwangsläufig auch zum Teil zu Widersprüchlichkeiten und Ambivalenzen die auch eine Herausforderung für die beteiligten Akteure sind, was wiederum zu anderen Diskursen und Aushandlungsformen führt.
Das Buch versteht sich auch als Lehrbuch. Der Autor hat mit viel Engagement und Kompetenz Textteile und Anschauungen mit einander vermischt, Beispiele erörtert und in den einzelnen Kapiteln auch Merksätze formuliert, die graphisch abgehoben sind und es den Leser*innen möglich macht, für sich die Texte noch einmal zu rekapitulieren.
Fazit
Das Buch bietet ein breites Spektrum von Aspekten, die für die Charakterisierung der Stadt als Stadt selbst und als Stadtregion wichtig sind und es zeigt die Bedingungen auf, die es einer Stadtregion ermöglichen, sich als solche zu verstehen und zu entwickeln.
Das macht das Buch zu einem wertvollen Kompendium einmal für die Studierenden vor allem in den höheren Semestern, zum anderen für andere Disziplinen, die sich mit der Stadt als Daseins- und Lebensform auseinandersetzen, die sich mit der ökonomischen, kulturellen und sozialen Dynamik von Städten beschäftigen und die die politische Kultur einer Stadtgesellschaft und deren Veränderungen im Fokus ihres Interesse haben.
Rezension von
Prof. Dr. Detlef Baum
Professor em.
Arbeits- u. Praxisschwerpunkte: Gemeinwesenarbeit, stadtteilorientierte Sozialarbeit, Soziale Stadt, Armut in der Stadt
Forschungsgebiete: Stadtsoziologie, Stadt- und Gemeindeforschung, soziale Probleme und soziale Ungleichheit in der Stadt
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Es gibt 172 Rezensionen von Detlef Baum.
Zitiervorschlag
Detlef Baum. Rezension vom 23.03.2020 zu:
Axel Priebs: Die Stadtregion. Planung - Politik - Management. UTB
(Stuttgart) 2019.
ISBN 978-3-8252-4952-6.
Reihe: UTB - Band-Nr. 4952. Geographie, Raum- und Landschaftsplanung, Verwaltungswissenschaft.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25861.php, Datum des Zugriffs 16.09.2024.
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