Gerhard Rott: Lernprozesse im interkulturellen Management dialogischer Entwicklungsarbeit
Rezensiert von Prof. em. Dr. phil. Ronald Lutz, 09.08.2019

Gerhard Rott: Lernprozesse im interkulturellen Management dialogischer Entwicklungsarbeit. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2019. 335 Seiten. ISBN 978-3-7799-6034-8. D: 39,95 EUR, A: 41,10 EUR, CH: 51,90 sFr.
Thema
Das Buch ruht auf einer wichtigen Überzeugung: Die Ausrichtung des kirchlichen Engagements als selbst verstandene Anwältin der Menschenrechte, des Friedens und der Gerechtigkeit wurde in der Befreiungstheologie Lateinamerikas vor über 40 Jahren als „Option für die Armen“ postuliert. Aus dieser Befreiungstheologie wuchsen Überlegungen und Konzepte einer „Befreiungspädagogik“, die sich mit Paulo Freire und seiner „Pädagogik der Unterdrückten“ verbinden. Sie führten zu einer Vielfalt von Projekten in Basisgemeinden, die nicht nur Alphabetisierung im Fokus hatten, sondern sich u.a. auch in „Volksküchen“, in „Gesundheitsförderung“ und einer „Straßensozialarbeit mit Straßenkindern“ niederschlug. Gerade das letztere wird bis heute immer wieder als innovativ rezipiert, als Ansatz einer postkolonialen Sozialen Arbeit, in dem Kinder als „Soziale Subjekte“ und somit als „Protagonisten“ verstanden wurden; und dies Jahre bevor dies in der in der europäischen Kindheitspädagogik Thema wurde.
Konsequent, und aus diesem Denken heraus, fokussiert sich der Autor auf eine dialogisch ausgerichtete Praxis, die sich mit den befreiungstheologischen Ansprüchen kirchlicher Solidaritätsarbeit verknüpfen lässt. Das Buch fragt, ob das Konzept des Dialogs im Management der Entwicklungszusammenarbeit festzustellen ist und wie eine „dialogische Arbeit“, die inzwischen in der Internationalen Sozialen Arbeit einen hohen Stellenwert besitzt, nachgewiesen werden kann. Der Autor will aber auch den darin liegenden Lernprozess beschreiben und Auswirkungen auf die Ausgestaltung des Managements erörtern.
Um es vorweg zu sagen: diese Fragen werden überwiegend und zumeist nachvollziehbar beantwortet. Die Ergebnisse des Buches können zweifelsohne dazu beitragen die aktuelle Praxis zu hinterfragen und auch anders auszurichten, eben dialogisch und an einer gemeinsamen Erarbeitung von Zielen, Inhalten und Praxen ausgerichtet. Darin erlangen „Indigenes Wissen“ und „indigene Traditionen“ eine Gleichbehandlung und werden als Entwicklungspotenziale erörtert. Hiermit befindet sich der Autor im Spiegel aktueller Diskussionen der Internationalen Sozialen Arbeit, die in ihrer Definition Sozialer Arbeit „Indigenes Wissen“ an die Seite anderer Wissenssysteme stellt und zum Dialog aufruft.
Autor
Dr. phil. Gerhard Rott ist Lehrbeauftragter und Experte für internationale Kooperationen nichtstaatlicher Organisationen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit. Seit 2008 lehrt er Internationale Soziale Arbeit an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.
Aufbau und Inhalt
Vor diesem Hintergrund ist der überzeugende und in sich nachvollziehbare Aufbau des Buches zu verstehen, der kurz dargestellt werden soll:
Zunächst wird als Einführung der Dialog als Basis des interkulturellen Managements erörtert, dies lehnt sich an das Prinzip des Dialogs bei Martin Buber an und diskutiert dies schließlich in Kontexten interkultureller Beziehungen und Philosophien, insbesondere in Lateinamerika. Darin wird die schon erwähnte Nähe zur Befreiungstheologie deutlich.
Der Teil I des Buches untersucht dann in aller Ausführlichkeit Lernprozesse auf der Ebene von Organisationen. Zunächst wird dabei das „dialogische Prinzip“ als ein essentielles Paradigma der Internationalen Sozialen Arbeit dargestellt, dies reicht u.a. von Debatten über Soziale Arbeit als Menschenrechtsprofession bis hin zur Sozialen Arbeit des Südens und deren Bezug zur Entwicklungszusammenarbeit, der klar herausgearbeitet wird. Im Anschluss daran werden diese Überlegungen zum dialogischen Prinzip auf die Kirche als Träger von Entwicklungszusammenarbeit übertragen. Dabei wird deren Praxis kritisch durchleuchtet, insbesondere im Kontext missionarischer Verantwortung. Einen besonderen Fokus legt der Autor noch einmal auf Mission als „Option für die Armen“. Im letzten Kapitel dies Teils wird ausführlich und mitunter etwas ausufernd der vom Dialog geprägte Paradigmenwechseln in der Entwicklungszusammenarbeit erörtert und zugleich nachhaltig gefordert. Das wird zunächst historisch aufgerollt, es werden danach einige wesentliche Beiträge zur Kritik an Paradigma und Praxis der Entwicklungszusammenarbeit diskutiert, die vielfach erörtern warum Entwicklungszusammenarbeit oftmals scheitert und zugleich Alternativen fordern; bis hin zu Thesen, diese ganz aufzugeben („Lasst Afrika in Ruhe“).
Im Teil II werden dann Lernprozesse auf der Ebene der Person erörtert. Hier kommen Konzepte der Pädagogik in den Blick: von „Röhrs Friedenspädagogik“, über „Freires Pädagogik der Unterdrückten“ bis hin zu „Ilichs Entschulung der Gesellschaft“. Konsequent werden im Anschluss Bildungskonzepte kritisch gesichtet und für den Kontext des Buches und dessen Thesen und Zielstellungen aufgearbeitet. Darunter fallen u.a. Diskussionen von Bildung als „Modernisierungs-Leitbild“, als Konzept einer „neoliberalen Anpassungsstrategie“, als „Nachhaltigkeit“ und als „Globales Lernen“. Gerade das Letztere wird umfassend dargestellt und führt konsequent zur Auseinandersetzung mit „interkulturellem Lernen“.
Schließlich werden im Teil III die bisherigen Ebenen zusammengeführt und auf der Ebene des Globalen Managements, des eigentlichen Fokus des Buches, aufgehoben und neu und vor allem auch innovativ komponiert. Auf der Basis von umfänglichen „Managementtheorien“, insbesondere von Hofstede, werden verschiedene Dimensionen von „Organisationskulturen“, als Praxis und Basis, erörtert; dabei wird der Fokus auf Dialog und die Offenheit der Prozesse gerichtet: Prozessorientiert, Personenorientiert, Organisationsgebunden, Offene Systeme, Schwache Kontrolle und Normativ. Konsequent werden über die Auseinandersetzung mit Ansätzen von „Nonprofit“, „Governance“, „Internationalität“ und „Dialogik“ Elemente und Konzepte des Managements in der kirchlichen Arbeit diskutiert. Aufgezeigt wird, wie deren Praxis ist und wie sich den neuen Ansätzen öffnen kann und muss. Alle, mitunter etwas vereinzelt vorliegenden Stränge des Buches, „gipfeln“ in einem für die weitere Debatte der Internationalen Sozialen Arbeit und der Entwicklungszusammenarbeit wichtigen Auseinandersetzung mit einem „Dialogischen Management“, das als Fokus und als fruchtbares Ergebnis des Buches angesehen werden kann. Alle Diskussionen des Autors münde in einem „neuen, multireferentiellen Ansatz eines internationalen Managementmodells“, das sich normativ als „dialogische Entwicklungszusammenarbeit“ entwerfen muss.
Diskussion
Das Buch beginnt mit dem Wort „Demütig“. Damit befindet sich der Autor, ob beabsichtigt oder nicht, mitten in den Diskursen einer von Paulo Freier ausgehenden Befreiungspädagogik. Dies deutet sich auch im Titel an, der von „dialogischer Entwicklungsarbeit“ spricht, und somit gleichfalls einen zentralen Begriff aus diesen für die Internationale Soziale Arbeit so essentiellen Zusammenhängen bemüht. Damit und mit den kurz referierte Inhalten setzt der Autor ein wichtiges Zeichen für eine Internationale Soziale Arbeit, die sich eben nicht hegemonial mit dem „Globalen Süden“ auseinandersetzt, sondern an den Erfahrungen, den Traditionen und dem Wissen der Menschen im „Globalen Süden“ ansetzt, sie lernen und verstehen will um somit eine gemeinsame Basis für ein gemeinsames Arbeiten zu finden.
Schon in der Einführung macht der Autor deutlich, dass gerade die Perspektivität des Wissens, der je eigene Standpunkt, nur das erkennen lässt, was mit den je eigenen Instrumenten erfasst werden kann. Das hat immer die „Relativität eigener Erkenntnis“ zur Folge. Insofern sind der Dialog und die Aushandlung erforderlich um unterschiedliche Perspektiven zu verstehen und dennoch zu gemeinsamen Positionen und Zielen zu kommen. Darin liegt eine wichtige Erkenntnis der Internationalen Sozialen Arbeit. Dies kommt mit dem vorliegenden Buch nicht nur konsequent zum Ausdruck, sondern es wird auch noch auf das Management der Entwicklungszusammenarbeit bezogen und gipfelt in einem Modell, das es in den Fachdiskussionen weiter zu erörtern gilt.
Eine besondere Spezifik liegt darin, dass dies auch auf das „Missionsverständnis“ ausgeweitet wird, das sich, so die Überzeugung des Rezensenten, aus seinen doch traditionellen und mitunter als verstaubt zu bewertenden Kontexten wieder stärker und konsequenter an den Thesen der Befreiungstheologie ausrichten und eng mit indigenen Bewegungen sowie dem Weltsozialforum zusammenarbeiten sollte.
Die vielfältigen, mitunter auch widersprüchlichen, und dennoch klar gegliederten und nachvollziehbar erörterten Überlegungen des Autors schaffen einige Klarheiten in Fragestellungen, die sich aus den aktuellen Debatten der Internationalen Sozialen Arbeit und der Entwicklungszusammenarbeit hinsichtlich einer Weiterentwicklung des Selbstverständnisses und des Managements von NGOs aktuell stellen. Mit dem Fokus auf eine „dialogische Entwicklungszusammenarbeit“ werden Wissen und Traditionen des Globalen Südens nicht nur betont, sondern völlig neu und anders interpretiert. Ohne deren Einbezug ist keine Praxis mehr möglich.
Fazit
Das Buch ist sowohl eine interessante Anleitung für die Praxis, der es einige interessante Perspektiven eröffnet. Es kann auch als „Lehrbuch“ verstanden werden, das Lehrenden und Studierenden eine Fülle zu bieten hat: u.a. Theorie des Dialogs, Thesen einer Internationalen Sozialen Arbeit, Bedeutung des indigenen Wissens, Kritik der Entwicklungszusammenarbeit, Managementkonzepte, Bildungskonzepte, Konzepte Globalen Lernen und des interkulturellen Managements. Das Buch wird deshalb seine Leser*innen finden.
Rezension von
Prof. em. Dr. phil. Ronald Lutz
Soziologe und Anthropologe
Fachhochschule Erfurt
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Zitiervorschlag
Ronald Lutz. Rezension vom 09.08.2019 zu:
Gerhard Rott: Lernprozesse im interkulturellen Management dialogischer Entwicklungsarbeit. Beltz Juventa
(Weinheim und Basel) 2019.
ISBN 978-3-7799-6034-8.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25943.php, Datum des Zugriffs 04.06.2023.
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