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Bernhard Widder, Peter Wolfgang Gaidzik (Hrsg.): Neurowissenschaftliche Begutachtung

Rezensiert von Prof. Dr. Harald Dreßing, 03.09.2019

Cover Bernhard Widder, Peter Wolfgang Gaidzik (Hrsg.): Neurowissenschaftliche Begutachtung ISBN 978-3-13-140703-0

Bernhard Widder, Peter Wolfgang Gaidzik (Hrsg.): Neurowissenschaftliche Begutachtung. Gutachten in Neurologie und nicht-forensischer Psychiatrie. Georg Thieme Verlag (Stuttgart) 2018. 3. aktualisierte Auflage. 689 Seiten. ISBN 978-3-13-140703-0.
Referenz-Reihe Neurologie. Methoden.

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Herausgeber und Entstehungshintergrund

Bernhard Widder hat ab 1996 als Ärztlicher Direktor die Klinik für Neurologie und Neurologische Rehabilitation des Bezirkskrankenhauses Günzburg geleitet und betreut seit 2015 dort die neurowissenschaftliche Gutachtenstelle.

Peter Gaidzik hat Medizin und Rechtswissenschaften studiert, ist seit 2005 als Fachanwalt für Medizinrecht niedergelassen und leitet seit 2001 das Institut für Medizinrecht an der Universität Witten/Herdeke.

Beide haben schon als Herausgeber bei vorherigen Auflagen der „Begutachtung in der Neurologie“ fungiert. Die dritte Auflage ist eine Fortschreibung der Vorauflagen, die neue Entwicklungen in den rechtlichen Grundlagen der Begutachtung ebenso berücksichtigt wie neue Erkenntnisse im medizinisch- wissenschaftlichen Gebiet. Neu ist auch der Titel des Werkes, das sich nun „Neurowissenschaftliche Begutachtung“ nennt und den Untertitel „Gutachten in Neurologie und nicht-forensischer Psychiatrie“ trägt. Neben den Herausgebern zeichnen weitere 29 Autoren für die einzelnen Kapitel verantwortlich.

Aufbau und Inhalt

Das Buch umfasst 6 übergeordnete Themengebiete mit insgesamt 51 Kapiteln.

Die mit römischen Zahlen nummerierten Themengebiete sind:

  • Grundlagen der Begutachtung
  • Begutachtung in verscheidene REchts- und Versorgungsbereichen
  • Zustandbegutachtung
  • Zusammenhangsbegutachtung
  • Begutachtung in anderen Ländern
  • Gutachtliche Bewertungstabellen

Kapitel I: Grundlagen der Begutachtung

In diesem Abschnitt werden wichtige Begriffe der Begutachtung erklärt und die unterschiedlichen rechtlichen Gebiete vorgestellt, in denen Begutachtung stattfindet- Sozialrecht, Zivilrecht und Verwaltungsrecht- auf die in diesem Buch eingegangen wird. Das gesamte Strafrecht und die Prognose bleiben ausgeklammert. Weiterhin werden in diesem Abschnitt z.B. die unterschiedlichen Regeln der Kausalitätsbegutachtung in den verschiedenen Rechtsgebieten erklärt und das grundsätzliche Vorgehen in der ärztlichen Begutachtung und dabei zu beachtende mögliche Fehlerquellen. In diesem Abschnitt wird auch ausführlich auf die Beurteilung der Authentizität von subjektiven Beschwerdenangaben eingegangen und ein Kapitel befasst sich gesondert mit den Aspekten, die bei der Beurteilung von Migranten zu berücksichtigen sind.

Kapitel II: Begutachtung in verschiedenen Rechts- und Versorgungsbereichen

In diesem Themengebiet gehen verschiedene Autoren auf Begutachtungsthemen in der Krankenversicherung, der Pflegeversicherung, der Arbeitslosenversicherung, der Berufsunfähigkeitsversicherung, der Dienstfähigkeitsbegutachtung bei Beamten und im Schwerbehindertenrecht und im Betreuungsrecht ein. Weitere Kapitel in diesem Themenbereich befassen sich z.B. mit Gutachtenfragen im Zusammenhang mit der Rehabilitation, der Beurteilung der Geschäfts- und Testierfähigkeit und der Begutachtung im Sozialen Entschädigungsrecht.

Kapitel III: Zustandsbegutachtung

Unter diesem Themengebiet werden Gutachtenfragen in einzelnen Kapiteln abgehandelt, die sich mit definierten neurologischen Leiden befassen, es werden aber auch psychiatrische Krankheitsbilder abgehandelt. Eine ganz stringente Einteilung wird bezüglich der einzelnen Kapitel in diesem Abschnitt nicht ersichtlich, denn es werden einerseits Syndrome abgehandelt, andererseits beziehen sich einzelne Kapitel aber auch Krankheitsentitäten. So befassen sich einzelne Kapitel in diesem Themenbereich z.B. mit den Aphasien und Werkzeugstörungen, extrapyramidalen Syndromen oder Schwindelsyndromen, andere Kapitel sind mit „Epileptische Anfälle und Epilepsien“ oder „Multiple Sklerose“ überschrieben, befassen sich also mit klar definierten Krankheitsentitäten. Auch die Kapitel, die sich mit psychiatrischen Störungen befassen, folgen keiner anerkannten Systematik wie etwa der ICD 10 oder dem DSM 5. Die Darstellung psychiatrischer Störungen ist insoweit auch nicht umfassend, denn es fehlen z.B. Kapitel, die sich mit der Schizophrenie und anderen Formen der Psychosen befassen oder die die Thematik der Persönlichkeitsstörungen im Kontext der Begutachtung darstellen.

Kapitel IV: Zusammenhangsbegutachtung

In diesem Themenbereich finden sich Kapitel, die sich z.B. mit der Begutachtung von Schädel-Hirntraumen, Beschleunigungsverletzungen der Halswirbelsäule, Hirngefäßerkrankungen und traumatisch oder entzündlich bedingten Erkrankungen des Nervensystems befassen. In diesem Abschnitt sind viele weitere Kapitel, die sich auch mit Spezialgebieten der neurologischen Begutachtung befassen wie z.B. der Neuroborreliose und den neurotoxischen Berufskrankheiten. Hinsichtlich psychischer Erkrankungen geht ein Kapitel in diesem Abschnitt auf psychoreaktiven Störungen ein, wobei darunter die posttraumatische Belastungsstörung und die Anpassungsstörungen abgehandelt werden. Alle anderen psychischen Störungen, die für die Zusammenhangsbegutachtung auch von Bedeutung sein können, wie z.B. die affektiven Störungen werden dagegen nicht abgehandelt.

Kapitel V: Begutachtung in anderen Ländern

Dargestellt werden Besonderheiten der Begutachtung in Österreich und der Schweiz.

Kapitel VI: Gutachtliche Bewertungstabellen

Dieser Abschnitt enthält wertvolle Bewertungstabellen, die vom Gutachter in den verschiedenen Rechtsgebieten in der Praxis zu Rate gezogen werden sollten, wenn es etwa um die Einschätzung der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE), des Grades der Schädigungsfolgen (Gds) oder des Grades der Behinderung (GdB) geht.

Fazit

Die dritte Auflage des Standardwerks zur neurologischen Begutachtung ist noch umfangreicher geworden als die vorherigen Auflagen und weitere Zusatzinformationen sind sogar noch über QR-Codes elektronisch abrufbar.

Im Vorwort wenden sich die Herausgeber dezidiert an niedergelassene und in der Klinik tätige Neurologen. Das Werk enthält auch viele hervorragend geschriebene Kapitel, die sich ausschließlich mit der neurologischen Begutachtung befassen. Bereits im Titel der dritten Auflage wird nun aber auch eine deutliche Ausweitung auf das psychiatrisch-psychotherapeutische Fachgebiet deutlich, denn hier ist von Gutachten in Neurologie und nicht-forensischer Psychiatrie die Rede. Dies erscheint problematisch, denn bei der so genannten „nicht-forensichen Psychiatrie“ handelt es sich um eine Wortneuschöpfung. Tatsächlich gibt es so etwas aber nicht. Vielmehr gibt es neurologische und psychiatrisch-psychotherapeutische Gutachten. Alle Gutachten sind forensisch, wenn sie vor Gericht vertreten werden müssen, das ist der Wortsinn von „in foro“. Was die Herausgeber mit ihrem Begriff der „nicht-forensischen Psychiatrie“ meinen, ist der Verzicht auf die Befassung mit psychiatrischen Strafrechts- und Prognosegutachten in ihrem Werk.

Hinsichtlich der psychiatrischen Themen ist das Werk aber nicht nur unvollständig bezüglich der strafrechtlichen Aspekte der psychiatrischen Begutachtung, sondern es fehlt eine Reihe zentraler psychiatrischer Themen, die auch für die zivil- und sozialrechtliche Begutachtung von eminenter Bedeutung sind, wie z.B. die Schizophrenie oder die Persönlichkeitsstörungen. Die Kapitel, die sich mit der Begutachtung einzeln ausgewählter psychiatrischer Krankheitsbilder befassen, sind sicherlich gut geschrieben. Der nicht unerhebliche Zugriff auch auf psychiatrisch-psychotherapeutische Themenfelder wäre in diesem Werk aber eigentlich gar nicht nötig gewesen, denn es wendet sich im Vorwort ja dezidiert an Neurologen und nicht an Psychiater und Psychotherapeuten. Es soll an dieser Stelle deshalb auch sehr deutlich darauf hingewiesen werden, dass sich Neurologie und Psychiatrie und Psychotherapie zu voneinander unabhängigen wissenschaftlichen Disziplinen entwickelt haben. Neurologische Krankheitsbilder sollten deshalb von einem Arzt für Neurologie begutachtet werden. Für solche Gutachten ist das hier besprochene Handbuch hervorragend geeignet. Für die Begutachtung psychiatrischer Störungsbilder bedarf es aber einer Facharztausbildung in Psychiatrie und Psychotherapie und auch psychotherapeutischer Behandlungserfahrung etwa wenn es um die Begutachtung von psychischen Traumafolgestörungen geht. Für solche psychiatrisch-psychotherapeutische Gutachten gibt es umfassende Handbücher, die sich ganz gezielt mit der psychiatrischen Begutachtungslehre befassen und die für solche Fragen vorrangig zu Rate gezogen werden sollten. Deshalb erscheint die Vermischung der neurologischen und der psychiatrischen Begutachtungslehre in dem vorliegenden Werk etwas problematisch.

Rezension von
Prof. Dr. Harald Dreßing
Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie - Sozialmedizin / Rehabilitationswesen - Schwerpunkt Forensische Psychiatrie (DGPPN-Zertifikat)
Leiter des Bereichs für Forensische Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim
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Es gibt 15 Rezensionen von Harald Dreßing.

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Zitiervorschlag
Harald Dreßing. Rezension vom 03.09.2019 zu: Bernhard Widder, Peter Wolfgang Gaidzik (Hrsg.): Neurowissenschaftliche Begutachtung. Gutachten in Neurologie und nicht-forensischer Psychiatrie. Georg Thieme Verlag (Stuttgart) 2018. 3. aktualisierte Auflage. ISBN 978-3-13-140703-0. Referenz-Reihe Neurologie. Methoden. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/25945.php, Datum des Zugriffs 03.06.2023.


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