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Naomi Feil: Validation

Rezensiert von Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind, 12.03.2002

Cover Naomi Feil: Validation ISBN 978-3-497-01513-9

Naomi Feil: Validation. Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen. Ernst Reinhardt Verlag (München) 2000. 6. Auflage. 133 Seiten. ISBN 978-3-497-01513-9. 16,90 EUR.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.

Seit Erstellung der Rezension ist eine neuere Auflage mit der ISBN 978-3-497-02391-2 erschienen, auf die sich unsere Bestellmöglichkeiten beziehen.

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Zur Thematik und Vorgeschichte des Buches

Für die Pflege und Betreuung Demenzkranker in den Heimen besteht gegenwärtig noch kein in Theorie und Praxis allgemein verbindliches Vorgehen. Herrschte vor einigen Jahrzehnten noch ein "therapeutischer Nihilismus" vor, der sich häufig im bloßen Sedieren und Fixieren äußerte, so gewannen in den 70er und 80er Jahren verhaltenstherapeutisch ausgerichtete Verfahren ("token economy", trainings etc.) Einzug in die Heime. In Deutschland wurde besonders der Ansatz des "Realitätsorientierungs-Trainings" (ROT) in der Altenhilfe populär. In der Praxis jedoch erwies sich dieses Vorgehens als geradezu kontraproduktiv dergestalt, dass die Demenzkranken durch die Korrektur der zeitlichen Desorientierung und ihrer Halluzinationen noch stärker verwirrt wurden. Naomi Feil, eine Sozialarbeiterin mit jahrzehntelanger Berufserfahrung in Altenheimen in den USA, entwickelte daraufhin vor ca. 20 Jahren ein eigenes Konzept zum Umgang mit Altersverwirrten, das die Schwächen und Mängel des ROT überwinden sollte.

Im vorliegenden Buch, zuerst 1982 in den USA veröffentlicht, sind die wesentlichen Inhalte ihres Modells zusammengefasst.

Inhalt

Im ersten Kapitel "Was ist Validation" umreißt die Autorin die Grundzüge ihres Ansatzes.

Validation ist eine "Entwicklungstheorie für sehr alte, mangelhaft/unglücklich orientierte und desorientierte Menschen", eine "Methode, ihr Verhalten einzuschätzen" und zugleich auch eine "spezifische Technik".

Der Ansatz basiert auf unterschiedlichen Konzepten: u. a. Modellen der "humanistischen Psychologie" (Carl Rogers, Abraham Maslow) und der Psychoanalyse (Sigmund Freud, C. G. Jung und Erik Erikson), wobei besonders das Konstrukt der Entwicklungsstadien und ihrer Bewältigung von Erikson im Mittelpunkt ihres Gedankengebäudes steht, denn Naomi Feil "entwickelt" in Anlehnung an Erikson ein letztes Stadium für das "hohe Alter": "Aufarbeiten" (positive Bewältigung) oder "Vegetieren" (Misslingen der Entwicklungsaufgabe).

Unzureichendes Aufarbeiten führt zu psychischer Dysfunktionalität, Rückzug in die Vergangenheit, Desorientierung u. a.. Das Abgleiten in die Desorientierung lässt sich jedoch nach Feil durch Anwendung der Validation verhindern, wie sie an Beispielen zu belegen versucht.

Im zweiten Kapitel "Die vier Stadien der Desorientierung" werden diese Stadien ausführlich mitsamt der jeweiligen körperlichen und psychologischen Symptomatik beschrieben. Es sind das Stadium I ("Mangelhafte /unglückliche Orientierung"), Stadium II ("Zeitverwirrtheit – Verlust der kognitiven Fähigkeiten"), Stadium III ("Sich wiederholende Bewegungen") und Stadium IV ("Vegetieren – totaler Rückzug nach innen"). Nach Feil verbleibt ein Desorientierter die meiste Zeit in einem Stadium, ein Wechsel in ein anderes Stadium kann jedoch innerhalb von 5 Minuten mehrmals am Tage auftreten.

Des weiteren führt sie in Anlehnung an Freud das Konstrukt der Symbole ein, d. h. bestimmte Gegenstände in der Gegenwart bieten Anlass zur Deutung vergangener Erlebnisse, wobei sich Feil hierbei stark vom Libido-Modell Freuds inspirieren lässt. Eine Hand verweist z. B. auf ein Baby, ein Knopf und Kieselsteine auf Nahrung und Liebe, ein mächtiger Sessel auf einen Penis, einen Mann oder Sex, ein Socken oder Schuh auf ein Kind oder ein Sexualorgan, ein anzuziehendes Kleidungsstück auf den Geschlechtsakt, Freiheit und Herausforderung.

Im dritten Kapitel "Die Anwendung individueller Validation" beschreibt die Autorin die einzelnen Validations-Techniken und Modalitäten ihrer Anwendung. Zu Beginn gilt es mittels "Hier und Jetzt"- und "Damals und Dort"-Fragen Informationen über die Verwirrten zu ermitteln. Anschließend muss das augenblickliche Stadium, in dem sich die Betroffene gerade befindet, festgestellt werden, denn jedes Stadium besitzt seine spezifischen Validations-Techniken. Anhand von Beispielen werden die Techniken für die einzelnen Stadien demonstriert. Interessant ist ein Fallbeispiel, in dem auf die Wahnvorstellung einer Bewohnerin "Ein Mann liegt unter dem Bett" mit der Frage reagiert werden soll: "Wie sieht er aus?". Laut der Autorin weiß nämlich die Verwirrte "tief unten, auf der Ebene des Unbewussten, dass unter ihrem Bett kein Mann liegt" (Seite 94).

Im vierten Kapitel "Validations-Gruppen" erläutert Naomi Feil die einzelnen Schritte zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Validations-Gruppen anhand konkreter Fallbeispiele. Hervorzuheben ist hierbei, dass den einzelnen Teilnehmern konkrete Rollen wie z. B. "Gastgeberin" oder "Vorsängerin" im Gruppengeschehen zugewiesen werden.

Tabellen, Arbeitsblätter und Tests u. a. für die Anwendung der Validation werden im Anschluss hierzu angeführt.

Kritische Würdigung

Zu dem Konzept Validation können verschiedene kritische Einwände erhoben werden:

- Zur theoretischen Fundierung:

Der Autorin ist anscheinend nicht bekannt, das die Psychoanalyse und die so genannte "humanistische Psychologie" bloße spekulative Gedankenkonstrukte sind, die den Beweis eines empirisch überprüfbaren Wirklichkeitsbezuges bisher schuldig geblieben sind.

Konzepte wie die Validation, die auf diesen Ideengebilden aufbauen, dürften somit ebenso realitätsfern sein.

- Zur medizinischen Nomenklatur und dem Stand der Forschung:

Die Kerngedanken und Begriffe der Validation lassen sich nicht mit der international gültigen

medizinischen Nomenklatur und dem Stand der Demenzforschung hinsichtlich Genese, Ätiologie und Verlauf der Erkrankung in Einklang bringen.

- Zur psychogeriatrischen Pflege in Theorie und Praxis:

Naomi Feil lehnt bei Wahnvorstellungen und zeitlicher Desorientierung Strategien wie Ablenkung und "Mitgehen" (die Wahnvorstellung bestätigen, sich in sie hinein begeben mit dem Ziel, hierbei eine Lösung der psychischen Krise zu entwickeln) mit dem Argument ab, Verwirrte könnten im "Unbewussten" die Wahnvorstellung von der Wirklichkeit unterscheiden und würden somit dieses Vorgehen als "therapeutische Lüge" entlarven.

Es käme vordringlich darauf an, die "tiefer liegenden" Ursachen therapeutisch zu "bearbeiten".

Dieser Ansatz von Feil, Wahn, Halluzination und zeitliche Desorientierung zu bagatellisieren und damit auch gleichzeitig zu verharmlosen (das "Unbewusste" vermag zwischen Wahn und Wirklichkeit zu unterscheiden), widerspricht jedweder Erkenntnis und Erfahrung in diesem Bereich. Bei Wahnvorstellungen Demenzkranker handelt es sich um schwerwiegende psychische Krisen, die ein unmittelbares Eingreifen (Ablenkung, Mitgehen u. a.) erfordern, da sonst mit einem physischen Zusammenbruch der Hochbetagten gerechnet werden muss.

Fazit

Es bleibt das Fazit zu ziehen, dass Validation kein "Weg zum Verständnis alter verwirrter Menschen" darstellt, sondern im Gegenteil nur ein Konglomerat aus empirisch nicht haltbaren Konstrukten, Strategien und Techniken bildet, das möglichst in der Pflege und Betreuung Demenzkranker zum Wohle der Betroffen nicht zur Anwendung gelangen sollte.

Rezension von
Dr. phil. Dipl.-Psychol. Sven Lind
Gerontologische Beratung Haan
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Es gibt 230 Rezensionen von Sven Lind.

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ISSN 2190-9245