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Alexander Naß, Silvia Rentzsch et al. (Hrsg.): Trans* und inter­geschlechtliche Menschen

Rezensiert von Dr. Klemens Ketelhut, 20.08.2019

Cover Alexander Naß, Silvia Rentzsch et al. (Hrsg.): Trans* und inter­geschlechtliche Menschen ISBN 978-3-8379-2859-4

Alexander Naß, Silvia Rentzsch, Johanna Rödenbeck, Monika Deinbeck, Melanie Hartmann (Hrsg.): Empowerment und Selbstwirksamkeit von trans* und intergeschlechtlichen Menschen. Psychosozial-Verlag GmbH & Co. KG (Gießen) 2019. 152 Seiten. ISBN 978-3-8379-2859-4. D: 19,90 EUR, A: 20,50 EUR.
Reihe: Geschlechtliche Vielfalt (er)leben - Band 2. Angewandte Sexualwissenschaft - Band 18.

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Thema

Der vorliegende Band nimmt die nach wie vor anhaltende gesellschaftliche Diskriminierung von trans* und intergeschlechtlichen Menschen in den Blick und zeigt anhand unterschiedlicher Beispiele auf, wie dieser durch Engagement und die Etablierung von Empowermentstrukturen begegnet wird. Die einzelnen Beiträge vermitteln Einblicke in unterschiedliche Themen, beispielsweise aus den Bereichen Pflege, Kinder- und Jugendhilfe oder (Peer-)Beratung.

Herausgeber*innen

Die Herausgeber*innen sind (stellvertretende) Vorstandsmitglieder bei „Trans-Inter-Aktiv-Mitteldeutschland e.V.“ (TIAM e.V.)

Entstehungshintergrund

Es handelt sich um den zweiten Band in der Reihe „Geschlechtliche Vielfalt erleben“.

Inhalt

Johannes Hamm und K*Stern geben in ihrem Beitrag „Einblicke in die Trans*-Beratung“ aus der Perspektive von erfahrenen Praktiker*innen. Dabei zeigen sie unterschiedliche Schwerpunkte innerhalb von Beratungssettings im Kontext von Trans* auf, beispielsweise wird die Frage der (richtigen) Haltung diskutiert, ein notwendig vielfältiges Verständnis von Geschlecht vorgestellt und der Bereich der Körperlichkeit als ein zentrales Moment in den Blick genommen. Die Autor*innen machen zudem auf die ausnehmend prekäre Situation der Trans*-Beratung – vor allem in hauptamtlichen Kontexten – aufmerksam und verweisen auf die Notwendigkeit spezifischer Angebote, da in den meisten Regelstrukturen selten die notwendigen Expertisen und Kompetenzen vorhanden sind.

Ants Kiel stellt in seinem Artikel „Geschlechtliche Vielfalt in der Beratung und Bildungsarbeit“ die Arbeit des Begegnungs- und Beratungszentrums „lebensart“ e.V. in Halle vor, die seit 2011 auch einen Schwerpunkt im Bereich geschlechtlicher Vielfalt aufweist, der anhand verschiedener Beratungs- und Bildungsangebote dargestellt wird. Letztere umfassen ein breites Spektrum in den Bereichen geschlechtlicher und sexueller Vielfalt.

Kerstin Schumann und Judith Linde-Kleiner vom Kompetenzzentrum geschlechtergerechte Kinder- und Jugendhilfe porträtieren den Weg von „Trans* als Thema in der sachsen-anhaltinischen Kinder- und Jugendhilfe“. Dabei legen sie einen Schwerpunkt auf unterschiedliche in Sachsen-Anhalt durchgeführte Praxisforschungen und Teilstudien in der Kinder- und Jugendhilfe und deren Bedeutung für die Weiterentwicklung von (Bildungs-)Angeboten genauso wie dem notwendigen und durchaus erfolgreichen agenda-setting im politischen Raum. Der Beitrag zeigt, dass im Land Sachsen-Anhalt noch große Bedarfe hinsichtlich der Etablierung und Absicherung von Strukturen im Kontext geschlechtlicher Identitäten vorhanden sind.

Ilka Christin-Weiß fragt nach dem „Umgang mit Trans* in der Pflege“. Sie zeigt auf, dass weder in der ambulanten noch in der stationären Versorgung ein „Ansatz zum Umgang mit Trans*“ (63) vorhanden ist, der die spezifische Lebenssituation und die Transitionsphasen – auch als Thema der Pflegekräfteausbildung – aufnimmt. Diese Leerstelle wird, auch anhand von Fallbeispielen im Beitrag, in ihrer Problematik umfassend analysiert. Die Autorin zeigt anhand acht einfacher „basics“ auf, wie eine trans*-gerechte Pflege aussehen sollte, die sie als in die Aus- und Fortbildung zu integrierende Merkmale versteht. Sie fordert zudem, dass Trans* an der Entwicklung und Umsetzung der entsprechenden Aus- und Fortbildungsprogramme beteiligt werden müssen.

Till Randolf Amelung eruiert unter der Überschrift „Mehr Gesundheit für trans*Menschen“ Handlungsbedarfe im Bereich der Gesundheitsversorgung von Trans* und nutzt dazu einen Gesundheitsbegriff, der auch gesellschaftliche Faktoren mit in den Blick nimmt. Er identifiziert mehrere Ebenen, die die Gesundheit von Trans* berühren: kompetentes Fachpersonal bei Fragen geschlechtsangleichender Maßnahmen (falls diese gewünscht werden), Wissen über spezifische Bedarfe von Trans* bei allgemeinmedizinischen Problemstellungen sowie die Berücksichtigung der Folgen von gesellschaftlicher Diskriminierung und Stigmatisierung. Anhand seiner Diskussion dieser drei Ebenen arbeitet Amelung heraus, dass im Bereich der Gesundheitsversorgung von Trans* noch eklatante Lücken vorhanden sind – beispielsweise was die Sensibilisierung der beteiligten Akteur*innen und deren Kompetenzerweiterung angeht, genauso aber im strukturellen Bereich, wenn es um einen möglichst leichten Zugang zu Gesundheitsgütern geht.

Ein konkretes Beispiel für Gesundheitshandeln steht im Mittelpunkt des Beitrags „Trans*Körper*Wahrnehmung. Auf die Haltung kommt es an“ von Alexander Hahne und K*Stern: sie nehmen das Thema der Körperarbeit von und für Trans* auf und stellen ihr Projekt zur Masektomie vor. Anhand eines Posters und Begleitmaterials wird ein gefühls- und körperorientierter Zugang zum Operationsprozess und der anschließenden Wundheilung vorgestellt, der neben praktischen Hinweisen zum jeweiligen Körpererleben vor allem einen reflexiv-fragenden Gestus besitzt. Dabei wird auch der Zusammenhang zwischen einer spezifischen Haltung (dies beinhaltet u.a. ein breites Verständnis von Geschlecht, einen Arbeit mit direktem Körpererleben und einer Fokussierung auf Gefühle sowie Empowerment und Ressourcenorientierung – um nur einige Aspekte der Haltung zu nennen) und dem Material herausgearbeitet. Auch in diesem Beitrag werden Forderungen formuliert wie die nach mehr Material von Trans* für Trans*, das aus einer klaren Haltung heraus entwickelt wird.

Mehr Akzeptanz! – Wünsche und Empfehlungen junger trans*Menschen in Bezug auf ihre Lebenssituation“ lautet der Titel des Beitrags von Erik Meyer und Arn T. Sauer. Dabei handelt es sich um eine vertiefte Auswertung aus einer bereits unter dem Titel „Wie ein grünes Schaf in einer weißen Herde“ veröffentlichten, partizipativ angelegten Studie, die die Lebenswelt von trans*-Jugendlichen in den Blick nimmt. Der hier speziell und vertieft ausgewertete Bereich „Wünsche und Bedürfnisse“ der Interviewstudie zeigt, dass die befragten Jugendlichen sowohl eher allgemeine als auch sehr konkrete Wünsche und Bedürfnisse formulieren. Forderungen werden sowohl an Akteur*innen im Gesundheits- und im Bildungskontext formuliert als auch an die Gesundheits- und Rechtssysteme. Dabei steht neben Akzeptanz vor allem im Vordergrund, dass Trans* verlangen, als Expert*innen ihrer eigenen Sache ernstgenommen zu werden.

Michaela Katzer beschäftigt sich mit „Sexuelle[n] Grenzverletzungen – (k)ein Thema im Kontext von Intersexualität und Transsexualität?“. Ausgangspunkt ist ein erhöhtes Risiko der genannten Personengruppen, sexuelle Grenzverletzungen zu erleiden. Aus der Darstellung dieser Risikosituationen werden Vorschläge abgeleitet – zum einen hinsichtlich der Betroffenen (bspw. Schutzräume, psychotherapeutische Behandlungen, rechtliche Maßnahmen) und zum anderen für den Bereich der Sexualpädagogik (Orientierung an Vielfalt, körperliche Selbstbestimmung und -annahme) und angrenzende Fragen diskutiert.

Ein Essay mit dem Titel „Von Menschen und inter*-Mäusen“ von Simon Zobel thematisiert einen stark wachsenden Gesundheitsmarkt und sich rasch entwickelnde Biotechnologien hinsichtlich ethischer Implikationen und schließt mit der Forderung nach beispielsweise auf den Bereich der Pränatadiagnostik orientierten Beratungsbereich.

Diskussion

Der vorliegende Band ist von hoher Relevanz und kommt zu einer wichtigen Zeit. Die Beiträge zeigen – in ihren heterogenen Fragestellungen und Argumentationsmustern – zweierlei. Erstens: Trans* und Inter* sind Themen, die noch einen großen inhaltlichen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsbedarf haben. Dabei geht es sowohl um Akzeptanz als auch um dringend notwendige wissenschaftlich größer angelegte Forschungen, vor allem in den Bereichen der Gesundheitsversorgung und im Bildungskontext. Zum zweiten wird deutlich, dass es von hoher Bedeutung ist, dass sich Trans* und Inter* als Expert*innen ihrer selbst und ihrer Lebenssituationen verstehen und dass diese Expertise einen wesentlich höheren Einfluss im gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Diskurs erhalten muss.

Insgesamt machen die Beiträge deutlich, dass geschlechtliche Vielfalt ein nach wie vor hochpolitisches Thema ist, das in allen gesellschaftlichen Bereichen deutlich wahrnehmbaren Einfluss besitzt. Viele der Aufsätze machen diesen Einfluss eher implizit sichtbar und konzentrieren sich vor allem darauf, welche Handlungsstrategien bereits in Erprobung sind und welche weiteren Entwicklungen in den Bereichen Bildung, Beratung und Gesundheit erforderlich sind, um Akzeptanz und Selbstbestimmung zu gewährleisten. Hier ist auch der Bereich der Wissenschaft gefordert, sich viel stärker in Grundlagen- und Anwendungsforschung zu engagieren und die entsprechenden Ergebnisse in den allgemeinen Diskurs einzuspeisen.

Fazit

Der besprochene Sammelband bietet einen weiten und interessanten Einblick in die Lebenswirklichkeiten und Problemstellungen, die sich für Trans* und Inter* ergeben. Er regt sowohl auf der Ebene von Praxis als auch von Forschung (und der Verbindung der beiden) zum Weiterdenken an und gibt Impulse für die Arbeit in Beratungs-, Bildungs- und Gesundheitskontexten.

Rezension von
Dr. Klemens Ketelhut
taatlich anerkannter Heilerziehungspfleger und studierte Rehabilitationspädagogik, Soziologie und Volkswirtschaftslehre. Seit 2022 leitet er bei Mosaik Deutschland e.V. das Forschungsprojekt „Konversionsbehandlungen: Kontexte. Praktiken. Biografien“.
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Es gibt 7 Rezensionen von Klemens Ketelhut.

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ISSN 2190-9245