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Wolfgang Siegfried, Tim Wanders: Zocken, futtern, Schule schwänzen

Rezensiert von Prof. Dr. Christa Paulini, 26.06.2020

Cover Wolfgang Siegfried, Tim Wanders: Zocken, futtern, Schule schwänzen ISBN 978-3-498-06558-4

Wolfgang Siegfried, Tim Wanders: Zocken, futtern, Schule schwänzen. Das ISO-Syndrom - die neue Gefahr für unsere Kinder. Rowohlt Verlag (Reinbek) 2019. 288 Seiten. ISBN 978-3-498-06558-4. D: 22,00 EUR, A: 22,70 EUR.

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Thema

Das Buch beschäftigt sich mit adipösen Kindern und Jugendlichen die aufgrund ihrer Esssucht verbunden mit Medienabhängigkeit und Schulabsentismus oder schulvermeidenden Verhalten oft vor einer vorzeitig beendeten Schulkarriere stehen. Die Autoren haben dieses fatale Zusammentreffen der drei Phänomene das „ISO-Syndrom“ genannt (Internetabhängigkeit, schulvermeidendes Verhalten, Obesitas). Das Anliegen der beiden Autoren ist es, „in diesem Buch einen möglichst genauen Einblick in die Thematik zu geben, Eltern dabei zu unterstützen, die digitale Lebenswelt ihrer Kinder besser zu verstehen, und praktische Anhaltspunke für den Umgang mit Suchttendenzen zu geben“ (S. 7f).

Autor*innen und Entstehungshintergrund

Dr. med. Wolfgang Siegfried ist Facharzt für Innere Medizin und Lungenheilkunde; außerdem Sportmediziner, ernährungsbeauftragter Arzt, Hypnotherapeut. Er hat in Italien, Deutschland, Irland und den USA studiert, geforscht und gearbeitet. Seit 24 Jahren ist er ärztlicher Leiter des Adipositas-Rehazentrums Insula mit Wohngruppen in Bischofswiesen. Hier behandelt er hochgradig übergewichtige Jugendliche und junge Erwachsene in Langzeittherapie.

Tim Wanders ist Erzieher und Sozialarbeiter, angehender Medienpädagoge sowie Anti-Aggressivitäts- und Coolness-Trainer®. Nach mehrjährigem Einsatz in einem Familienzentrum sowie im Schulbereich arbeitet er heute im Adipositas-Zentrum Insula in Bischofswiesen. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehört u.a der Aufbau von Sozial- und Medienkompetenz der Patienten.

Beide arbeiten im Rehazentrum für adipöse Kinder und Jugendliche und haben u.a. ihre Erfahrungen im Umgang mit dem „ISO-Syndrom“ genauer beschrieben.

Aufbau und Inhalt

Das Buch gliedert sich in drei große Abschnitte sowie einem Vorwort und einen längeren Anhang, der zwei Patienteninterviews enthält, die deutlich machen wie unterschiedlich die Krankheitsverläufe verlaufen können. Das Buch schließt mit einem Dank an die vielen, langjährigen Mitarbeiter u.a. den beiden Psychologinnen Christina Schoosleitner und Claudia Vogt, deren Beratung die Arbeit an diesem Buch maßgeblich unterstützt hat. Der Dank schließt die Unterstützung durch verschiedene Universitätskliniken bei der Entwicklung des ISO-Fragebogen mit ein.

Anlass für dieses Buch war die Erfahrung, dass sich das Krankheitsbild der Patienten der Adipositas-Klinik im Berchtesgadener Land in den letzten Jahren drastisch gewandelt hat und nun die Kinder und Jugendlichen gleichermaßen unter Esssucht, Medienabhängigkeit und vorzeitig beendete Schulkarrieren leiden.

Im ersten großen Abschnitt gehen die Autoren näher auf das Phänomen der Internetabhänigkeit ein. Hier wird zuerst Internetabhängigkeit (Internet Gaming Disorder) definiert, der Reiz der Videospiele und die Attraktivität sozialer Netzwerke und Streamingdienste beschrieben (S. 13–103). Danach geht es um die Frage „Wie kann man Internetabhängigkeit vorbeugen?“. Wichtig dabei stellt sich der Aufbau von Medienkompetenz und den Umgang mit Cybermobbing, den viele adipöse Kinder und Jugendliche ausgesetzt sind, dar. Hier folgen konkrete Verhaltensregeln für Kinder und Jugendliche, Freunde, Eltern und Lehrer. Danach gehen die Autoren auf die Gefahr von „Cypergrooming“ ein und listen auch hier Verhaltensempfehlungen für Kinder und Jugendliche sowie Freunde, Eltern und Lehrer auf. Die Autoren bearbeiten die Frage der Mediennutzung (W-Lan, Medienzeiten und geben Hinweise auf hilfreiche Informationsquellen im Netz). Abschließend gehen sie der Frage nach welche Faktoren zu einer problematischen Mediennutzung beitragen und wie diese abgebaut werden können? Das Kapitel schließt mit der Beschreibung der Behandlung von Medienabhängigkeit im Adipositas-Zentrum Insula (S. 134–161) sowie einen Fazit zur Internetabhängigkeit ab.

Im zweiten großen Kapitel geht es um schulvermeidendes Verhalten (S. 168–187). Die Autoren definieren schulvermeidendes Verhalten, zeigen den Zusammenhang zwischen Schulvermeidung, Mobbing und Medienabhängigkeit auf. Sie beschreiben die Familie als ersten Ansatzpunkt bei der Frage was man zur Vorbeugung tun kann und zeigen die Therapie von schulvermeidenden Verhalten im Adipositas-Zentrum Insula auf. Dieses Kapitel schließt ebenso mit einem Fazit zu schulvermeidendes Verhalten. Es wird nochmals deutlich, dass Kinder und Jugendliche, die nicht mehr zur Schule gehen und entsprechende psychosomatische Beschwerden zeigen, Bezugspersonen brauchen, die der Ursache auf den Grund gehen wollen. Bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen ist Mobbing und Hänselei oft der Auslöser für die Schulvermeidung und entsprechend brauchen sie Schutz und Unterstützung (S. 186f).

Im dritten Kapitel gehen die Autoren näher auf das Phänomen des Übergewichts bzw. auf das gesellschaftliche Ideal extremer Schlankheit ein. Sie klären auf über die Ursachen von krankhaften Übergewicht, über die Erkrankungen, die mit Adipositas verbunden sind und über die medizinischen Möglichkeiten. Sie beschreiben die Therapien im Adipositas-Zentrum Insula zu denen auch die psychologische und psychotherapeutische Begleitung gehört. Das Kapitel schließt ebenso mit einem Fazit, in dem die Autoren betonen, dass Jugendliche durch ihr Übergewicht -selbst wenn sie nicht internetabhängig sind – große soziale und meist auch psychische Probleme, manchmal sogar Störungen haben. „Unsere Gesellschaft macht es Übergewichtigen nicht leicht, und diese Stigmatisierungen hat ihren Anteil an der psychischen Belastung. Adipositas und speziell extreme Adipositas ist jedoch in jedem Fall ein körperlicher Zustand, der unbedingt verändert werden kann und soll, da die körperlichen Langzeitschäden immens sind und, wenn nicht rechtzeitig eingegriffen wird, fatal (S. 229).

Im Anhang finden sich zwei Patienteninterviews, die zeigen wie unterschiedlich das ISO-Syndrom verlaufen kann.

Die Autoren möchten vor allem den betroffenen Familien, aber auch Hausärzten, Psychotherapeuten und Lehrern von den Risiken, Therapiemöglichkeiten und frühen Präventionschancen berichten, ohne den Anspruch zu stellen, dass dies ein wissenschaftliches Lehrbuch über Medienabhängigkeit, Adipositas oder Schulvermeidung ist.“ (S. 8). Diese von den Autoren genannten Zielgruppen werden sicher erreicht.

Fazit

Das Buch wird seinen Anspruch über die Zusammenhänge von Adipositas, Internetabhängigkeit und Schulvermeidung darstellen, gut gerecht. Es wird deutlich, dass sich das Buch überwiegend an Eltern, Lehrer*innen und Hausärzte richtet. Aber auch für Sozialarbeiter*innen/​Sozialpädagog*innen ist es als Einstiegshilfe durchaus geeignet. Ansprechend ist die Mischung zwischen fachlicher Information und die Unterlegung durch beispielshafte biografische Verläufe. Die Qualität der einzelnen Kapitel variiert. Am spannendsten war für mich das Kapitel über Internetabhängigkeit. Die Argumentation war nachvollziehbar und schlüssig. Das Kapitel über schulvermeidendes Verhalten ist meiner Einschätzung nach nicht so gut gelungen. Hier hätte es der Darstellung gut getan auch neuere deutsche Literatur einzuarbeiten. Das Kapitel über „Obesitas“ und deren Therapie im Adipositas-Zentrum Insula ist informativ und ermöglicht einen Transfers auch für diejenigen, die nicht stationär aufgenommen wurden.

Insgesamt vermittelt das Buch interessante Einblicke und Erkenntnisse in die Zusammenhänge zwischen extremen Übergewicht (Adipositas), Internetabhängigkeit und Schulmüdigkeit oder Schulabsentismus. Auf den reißerischen Titel hätten Verlag und Autoren meiner Meinung verzichten sollen; er wirkt eher abschreckend. Außerdem ist festzustellen, dass die gesellschaftliche Wirklichkeit und ihre Darstellung in der Sprache (Gender) noch ausbaufähig ist.

Rezension von
Prof. Dr. Christa Paulini
HAWK Hildesheim/Holzminden/Göttingen, Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit
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Es gibt 16 Rezensionen von Christa Paulini.

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Zitiervorschlag
Christa Paulini. Rezension vom 26.06.2020 zu: Wolfgang Siegfried, Tim Wanders: Zocken, futtern, Schule schwänzen. Das ISO-Syndrom - die neue Gefahr für unsere Kinder. Rowohlt Verlag (Reinbek) 2019. ISBN 978-3-498-06558-4. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26020.php, Datum des Zugriffs 12.09.2024.


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