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Jenny Lay-Kumar: Aktivismus zwischen Protest und Gestaltungsraum

Rezensiert von Arnold Schmieder, 20.10.2020

Cover Jenny Lay-Kumar: Aktivismus zwischen Protest und Gestaltungsraum ISBN 978-3-8376-4735-8

Jenny Lay-Kumar: Aktivismus zwischen Protest und Gestaltungsraum. Jugendumweltgruppen und ihr Verhältnis zum Klimaschutz. transcript (Bielefeld) 2019. 430 Seiten. ISBN 978-3-8376-4735-8. D: 39,99 EUR, A: 39,99 EUR, CH: 48,70 sFr.
Reihe: Sozialtheorie.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Autorin

Jenny Lay-Kumar promovierte mit der vorliegenden Arbeit am Institut für Soziologie der Universität Freiburg unter der Betreuung von Professorin Nina Degele. Sie forscht und lehrt zu Nachhaltigkeitswissen, -transformation und -bildung sowie zu nachhaltiger Unternehmenssteuerung.

Thema

Was Jugendliche unter Klimaschutz und Klimawandel verstehen, wie sie diese Begriffe inhaltlich aufnehmen und in verschiedene Handlungspraktiken übersetzen, dem geht Jenny Lay-Kumar in ihrer qualitativ-rekonstruktiven Studie nach, wobei sie im Anhang ihr umfangreiches Material dokumentiert. Acht BUND- und Greenpeace-Jugendgruppen wurden hinsichtlich ihrer kollektiven Orientierungsmuster, Wissensbestände wie Deutungsfiguren und jeweiliger Sinnstrukturen untersucht, ebenso die sozialen Milieus der sich engagierenden Jugendlichen sowie Differenzen und Wirksamkeiten der Organisationsstrukturen.

Anliegen der Autorin ist, „einen nachhaltigen Klimaschutz stark zu machen“ (S. 10), was sie nötigt, zu kurz greifende Konzeptualisierungen insbesondere von Klimaschutz kritisch zu erörtern. Sie reklamiert, dass ihre „Ergebnisse eine Aussagekraft (haben), die weit über dieses kleine Sample hinaus geht“ (S. 265), zumal die von ihr rekonstruierten Sinnhorizonte und Orientierungsmuster sich auch „auf andere (Jugend-)Umweltgruppen und politische bzw. soziale Bewegungen übertragen lassen.“ (S. 267) Außerdem, und zwar auf der Folie ihrer Ergebnisse, stellt sie dar, „welcher Forschungsbedarf“ sich aus dem Projekt „ablesen“ lässt (S. 15), den die Autorin nicht erst zum Schluss ausweist, sondern auch innerhalb der einzelnen Kapitel anklingen lässt.

Aufbau

Neben dem kurz gehaltenen Problemaufriss, einem Ausblick sowie Danksagung und umfangreicher Bibliographie, gefolgt von einem fast zweihundert Seiten umfassenden Anhang, ist das Buch in sechs Hauptkapitel mit jeweils einigen Unterkapiteln gegliedert. Ganz wesentlich ist dabei eine Unterteilung der Gruppen nach dem je vorherrschenden Orientierungsmuster Protest und jenem des Gestaltungsraumes, wie sie Jenny Lay-Kumar terminologisch bezeichnet. Der wie im Titel genannte Begriff des ‚Aktivismus‘ darf dabei durchaus als Signal ihrer – konstruktiven – Kritik verstanden werden.

Inhalt

Klimawandel, bezieht sich die Autorin auf vorliegende Forschungsergebnisse, sei „weitgehend ein abstraktes Thema, das für einen Großteil der Bevölkerung nicht von alltagspraktischer Bedeutung ist“, Grund sei auch, wie gleich im Problemaufriss betont wird, „mangelnde Greifbarkeit sowie der hohe Abstraktheitsgrad von Klimawandel, der zu Hilflosigkeit, Überforderung und Passivität führe“. Gleichwohl aber ist er, wie der erste Satz lautet, „in aller Munde“ (S. 9), wobei ihn „fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung (…) für wissenschaftlich umstritten“ hält; und die setzt sich, wie anzumerken ist, zum größten Teil aus derzeitig Erwachsenen zusammen. Das sei ihr Grund, so Jenny Lay-Kumar, den Fokus zu verschieben und die „Aufmerksamkeit auf die Erwachsenen der Zukunft“ zu lenken, „die bereits jetzt engagiert sind.“ (S. 10)

Im ersten Kapitel Theorie wird zunächst allgemein der Stand der Forschung umrissen, wobei angrenzende Forschungsgebiete einbezogen werden. Dabei kehrt die Autorin ihren theoretischen Rahmen hervor, ihre „wissenschaftliche und aktivistische Position“ (S. 11). Sie macht hier auch deutlich und kritisiert, dass in der Klimaforschung bislang naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse tonangebend und soziale wie kulturelle Aspekte unzulänglich berücksichtigt seien, wobei zusätzlich der Klimawandel in den Deutungsrahmen des geläufigeren Umweltthemas gerückt und ihm somit durch altbekannte Strategien begegnet werde, eine „konzeptionelle Verengung“, die als „Ausdruck gesellschaftlicher Machtverhältnisse“ zu kritisieren sei (S. 12). Diesen gesellschaftskritischen Zungenschlag hält die Autorin bis in ihre Schlussbemerkung durch, wo sie als Möglichkeit die Perspektive ins Auge fasst, „(j)unge Klimaschutzbewegungen“ könnten das „Potenzial“ haben, „zu Pionier*innen der Transformation“ zu werden, einer „sozialökologischen Transformation gigantischen Umfangs“ (S. 268). Methodisch nachvollziehbar geht Jenny Lay-Kumar zunächst von der Annahme aus, dass sich das Engagement der in Gruppen organisierten und intervenierenden Jugendlichen aus nahweltlichen Erfahrungen speist und demzufolge auch ihre soziale Herkunft wie ihr Bildungshintergrund eine nicht unmaßgebliche Rolle spielen. Mit Luhmann geht sie von der (schon bei Luhmann nicht sonderlich überraschenden) Feststellung aus, derzufolge „Protestbewegungen auf ein Dagegen gerichtet (sind), um das sie kreisen“ (S. 74), wozu sie „(k)ollektive Orientierungsmuster“ als Rückhalt brauchen, die nach Verständnis der Autorin „nicht nur die Rahmung von Wissensbeständen und Deutungsfiguren“ brauchen, sondern mit „Organisationsstrukturen, Stimmungen und Praktiken der Jugendgruppen (interagieren)“ (S. 73), was über eine Beschreibung Luhmannscher Provenienz für folgende Analyse der Autorin und spätere theoretische Erklärungsreichweite fruchtbar gemacht wird.

Wesentlich um Bewertungsunsicherheiten kreist das zweite Kapitel Empirische Analyse von Wissensbeständen und Deutungsfiguren zu Klimawandel und Klimaschutz, wobei die Autorin zwischen protest- und gestaltungstypischen Deutungsfiguren unterscheidet, eine Thematik, die den weiteren Text durchzieht, gesättigt von den Analyseergebnissen und von Relevanz auch für die abschließenden Thesen zum Klimaschutz. Sie hält fest, dass die von ihr untersuchten Jugendlichen bzw. Gruppen sich dem „sozialökologischen Jugendmilieu“ zurechnen lassen und auf einem hohen bis sehr hohen Bildungsgrad anzusiedeln sind, weithin die „Interessen der (Konsum-)Gesellschaft“ als „nachrangig“ betrachten, was insofern mit den Ergebnissen großer Jugendstudien koinzidiere, „dass sich die Mehrheit der Jugendlichen Sorgen um die Zukunft macht und Klimawandel für ein Problem hält“ (S. 106 f.). Extreme Protestfälle sind auszumachen wie auch untypische gestaltungsorientierte, die ihren Fokus auf Umweltschutzthemen legen und gleichwohl gegen u.a. transnationale Konzerne protestieren. Darin schwinge mit, dass „Klimawandel (…) implizit etwas (ist), das 'irgendwo da draußen' passiert“, wobei hinzutrete, dass es sich deutlich abzeichnende Unterschiede in der Bewertung gibt, „ob Klimawandel anthropogene Ursachen hat“, ein Resultat des Einflusses klimaskeptischer Positionen, „die selbst überzeugte Umweltschützer*innen verunsichern“ (S. 110 f.). Auch das begünstige „Hilflosigkeit im Angesicht einer aufziehenden Katastrophe bei schwachen eigenen Handlungsmöglichkeiten.“ Protestorientierte adressieren Verantwortung „an die Anderen, deren Einstellung und Lebensstile sie als falsch bewerten“, wobei der Protest zum Klimaschutz sich mit den „Sinnstrukturen“ zum Umweltschutz überkreuze (S. 113).

Die zu unterscheidenden Orientierungsmuster werden im dritten Kapitel unter Protest und Gestaltungsraum machen nicht nur dahingehend dargestellt, wie und wodurch die jeweils für die Jugendgruppen typischen Praktiken durch voneinander abgrenzbare Deutungen über Verursachungen und daraus folgenden Zielen von Aktionen nach Form und Inhalt ausgerichtet sind, sondern es werden über zentrale Differenzen auch Gemeinsamkeiten eruiert. Die besondere Aufmerksamkeit der Autorin galt im Forschungsprozess dabei der Frage, wie in den Interaktionen der von ihr untersuchten Gruppen gemeinsame Deutungen hergestellt wurden, wobei, wie im nächsten Kapitel deutlich herausgeschält, auch die Organisationen, unter deren Dach sich die Gruppen eingefunden hatte, mit ihren prominenten Ausrichtungen eine Rolle spielten resp. spielen. Eine nicht zu unterschlagende Rolle nehmen auch die „kontrastierenden Deutungen von Natur und Gesellschaft“ ein. (S. 14) Die Gestaltungsraumgruppen gehen davon aus, „dass der Möglichkeitsraum für Utopien offen ist“, und sie wollen „diese bessere Welt im Kleinen erproben und erleben“ (S. 121), was u.a. im Hinblick auch auf die Berufswahl thematisiert wird, allerdings „in keiner der protestorientierten Gruppen“ der Fall ist. Für diese Gruppen sei es von „funktionaler Bedeutung, das Ziel des Angriffs klar einzugrenzen, Gegner*innen pointiert zu benennen und fokussiert loszuschlagen. (…) Je negativer die Gruppen die Lage der Welt einschätzen, desto drastischer formulieren sie und desto eher tendieren sie dazu, drastische Systemumwälzungen zu fordern“ (S. 124).

Einen „radikalen Systemwechsel“ thematisierten alle diese Gruppen, wobei „‚Abschaffung‘“ und „‚Kampf gegen den Kapitalismus‘“ der Tenor sind, „jedoch mit unterschiedlichem Radikalitätsgrad.“ (ebd., Anm. 5) Das befördere eine Schließung dieser Gruppen durch Differenz zwischen „Wir und die Gesellschaft“ (Luhmann), also eine „klare Trennung zwischen sich und den Anderen, die als zerstörerisch, gierig und ignorant dargestellt werden“ (S. 125) – ein „Idealtypus“, räumt die Autorin ein, der sich in vielen Gruppen finden lässt. (ebd., Anm. 6) Luhmann „weiter denkend“, kommt die Autorin vermittels ihrer „rekonstruktiven Analyse zu der These“, dass ein Kreisen und Abwägen um ein Dagegen oder Dafür darüber entscheidet, „ob eine Zielvorstellung von Umweltschutz funktional notwendig ist“, welche eine „Orientierung an Protest“ nicht benötige, da eben auf „Protest und Kampf“ fokussiert. Hingegen sei es für das „Füllen eines Gestaltungsraums“ notwendig, „sich über eine Definition von Umwelt und von Umweltschutzinteressen zu verständigen, da diese das Dafür ausmacht“ (S. 138). Protestgruppen hingegen würden Umweltzerstörung verhindern wollen, Umweltschutz ist nicht ihr vorrangiges Anliegen: „Die Deutung von Umwelt als Antithese zu Gesellschaft führt dazu, dass ‚für die Umwelt sein‘ implizit bedeutet, gegen ‚die Gesellschaft‘ zu sein“; Gesellschaft, deren „Orientierungen und Praktiken“ die Protest-Gruppen „verachten“, wird negativ konnotiert und gilt als „Gegenspielerin von Umwelt“ – Gesellschaft ist insoweit Kürzel für die „Anderen“. Insofern sei in den Protest-Gruppen, so die Einschätzung von Jenny Lay-Kumar, „eine eher menschenfeindliche Ethik“ dokumentiert (S. 129 f.).

Im vierten Kapitel beschreitet die Autorin eine „höhere Abstraktionsebene“ (S. 14), d.h. sie wendet sich laut Überschrift einer Analyse von prägenden Strukturen zu, wo sie zunächst den Einfluss von Organisationsstrukturen erhellt, aber auch zeigt, wie Hintergründe aus sozialen Milieus, zuvörderst Elternhaus und Bildung, in die Varianten von Protest- und Gestaltungsraum-Ausrichtungen eingehen und eben praktische Wirksamkeit entfalten. Bereits bei der Kontaktaufnahme fielen der Autorin „deutliche Unterschiede zwischen den beiden Jugendverbänden auf, die sich auf die Organisationsstrukturen zurückführen lassen“ (S. 163), d.h. vorstrukturiert von Greenpeace und BUND, was zeige, „wie Organisationsstrukturen die konjunktiven Erfahrungsräume prägen und in unterschiedlichen Modi von Wissenstransfers sichtbar werden“, wobei gerade für die gestaltungsorientierten Jugendgruppen gelte, dass das „Erlernen von Organisationsaufgaben und Erarbeiten von Projekten“ deren „Sinnstrukturen“ präge (S. 170), zusätzlich befördert durch „vorgegebenes Material und damit einhergehende Handlungsvollzüge“ (S. 174). Über alle Unterschiede zwischen den „Orientierungsmustern Protest und Gestaltungsraum“ hinweg ließen sich ihre Ergebnisse, befindet die Autorin, „in weiten Teilen auf andere Umweltgruppen, Klimaaktivist*innen und soziale Bewegungen übertragen“ (S. 178). Bezogen auf die hier untersuchten Gruppen sei jedoch auffällig, „dass die Protestfälle ihren Zugang zu den Themen Klimawandel und Umweltzerstörung über Theoretisieren erschließen“, selten und wenn für den Zweck der Plausibilisierung auf ihre Lebenswelt rekurrierten. Ihnen käme es auf Verstärkung einer „Dynamik der Empörung“ an, ihre Distanz zu praktischen Aktionen sei typisch für „gymnasial geprägte Gruppen“. Die „Gestaltungsraumfälle“ würden „die Gestaltung einer besseren Welt auch in großen Teilen theoretisierend“ erarbeiten, sich jedoch „häufig auf ihre aktionistische Praxis“ beziehen, und zwar beispielgebend für eine „Konkretisierung der Gestaltung einer besseren Welt“ (S. 194).

Unter Analyse reflektiert die Autorin im fünften Kapitel die erhobenen Ergebnisse zum Wissen um Klimawandel und Klimaschutz innerhalb der Gruppen und erläutert im Rahmen ihrer von ihr eingangs vorgestellten Theorie deren Aussagereichweite, die sie zugleich hinterfragt, was allerdings kein Fingerzeig auf gravierende Schwachstellen ist. Deutlich werden Einflüsse bzw. Prägungen ausgewiesen, die generationell bedingt sind, aus dem Meinungsklima und thematisch unterschiedlich gewichteten Behandlungen in soziale Milieus herrühren oder spezifisch für organisatorische Einbindungen sind, wie sie vorher schon aufgezeigt wurden. Um eine Brücke zwischen ihren Ergebnissen und anderen Forschungen wie Theorien zu schlagen, die entweder nah am Thema liegen und/oder weiter im Hinblick auf kollektive Orientierungen von Jugendgruppen darüber hinausgehen, bündelt sie ihre Ergebnisse und gießt sie in fünf Thesen, in denen „ein komplexes Geflecht von wechselseitiger Beeinflussung von Wissensbeständen, Praktiken und Strukturen“ eingefangen ist (S. 198). Wieder kommt die Neigung zur „Gut-Böse-Semantik und die Schaffung von Feindbildern“ bei Protest-Gruppen zur Sprache (S. 203), ebenfalls der „implizite Anspruch der Gestaltungsraum-Fälle“ auf eine „bessere Welt im Kleinen“, was schon in den Gruppendiskussionen „erlebbar“ gemacht werden soll (S. 208), und im Gestaltungsraum von Klima- und Umweltschutzhandeln glauben sie „Pionierarbeit“ zu leisten, „sei es durch nachhaltige Alltagspraktiken, politische Partizipation oder das Vordenken von klimaverträglichen Entwicklungspfaden“ (was typisch ist), wobei aber auch untypische Varianten beobachtbar sind (S. 212), und zwar nicht nur innerhalb von Gestaltungsraum-Gruppen, sondern es eben auch „Hybrid-Orientierungen zwischen Protest und Gestaltungsraum gibt.“ (S. 229, Anm. 28) Im Hinblick auf „Anschlussfähigkeit“ verweist Jenny Lay-Kumar auf ein „breites Spektrum an Themen und Bewegungen: erstens Kapitalismus- und Wachstumskritik sowie die Klimabewegung, zweitens suffizienzorientierte Praktiken, die über bekannte Umweltschutzpraktiken hinaus gehen, und drittens Ansätze, die Klimaschutz als Teil einer sozial-ökologischen Transformation verstehen“ (S. 237).

Das sechste Kapitel ist übertitelt Was Klimaschutz stark macht – 6 Thesen für den Klimaschutz. Hier nimmt Jenny Lay-Kumar nach eigenem Bekunden eine „normative Perspektive“ ein. (S. 14) Aus ihren Analysen bezieht sie, dass wir „einen anderen Umgang mit Wissensbeständen zu Klimawandel“ brauchen (S. 249), es „mehr Klarheit“ bei der Vermittlung von wissenschaftlichen Prognosen bedürfe, wobei der „einseitige Fokus auf Bedrohungsszenarien (…) gefährlich“ sei, da „Handlungsoptionen und Zukunftsoffenheit (…) aus dem Blick“ gerieten (S. 251). Eine „neue Deutungsfigur für Klimaschutz“ sei vonnöten, was heiße, die „dualistischen Vorannahmen“ aufzulösen, „dass Klimawandel ein Umweltproblem sei, das abgetrennt von der Sphäre der Gesellschaft denkbar ist.“ Deutlich müsse werden, „welche politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen Klimaschutz entgegen stehen“ (S. 252 f.). Erforderlich sei eine „konstruktive Klimaschutzkommunikation“, abzuwenden sei, dass „Klimaschutz als Umweltschutz in neuem Gewand“ verstanden werde. Eine „Stimmung der Hoffnung trotz großer Sorge“ sei förderlich (S. 259 f.). Klimaschutz ließe sich in gegenseitiger Ergänzung „sowohl als Gestaltungsraum als auch als Protest gestalten“, empfiehlt die Autorin all denjenigen, die „Klimaschutz aktivistisch voranbringen wollen“, dann eben nicht als „Gegenspieler*innen, sondern als zwei komplementäre Orientierungen“ (S. 261 f.). Und schließlich: „Wer Klimaschutz stark machen will, sollte Erfahrungsräume ausrichten, die es ermöglichen, erfahrungsbasiertes Wissen zu generieren“, das „Selbstwirksamkeit und Handlungsmacht stärkt“. Selbstwirksamkeit ermögliche es, eine „zuvor als starr oder überwältigend schrecklich wahrgenommene Welt als gestaltbar zu erleben“; und veränderndes Engagement berge die Chance, eine „zukunftsfähige Welt“ greifbarer erscheinen zu lassen, was „Zufriedenheit und Sinn“ stiften könne (S. 263 f.).

Der abschließende Ausblick ist nicht als eigenes Kapitel gekennzeichnet. Es ist gleichsam ein recht kurzer Essay, der sinnvolle Anschlussdiskussionen provoziert. Die Autorin spricht sich gegen hemmende „(h)ierarchische Organisationsstrukturen“ aus. Sie betont, „welch hohe Relevanz implizites, erfahrungsbasiertes Wissen hat“ (S. 265). Weiterer Forschungsbedarf bestehe, und zwar bezüglich der Fragen, „inwiefern Deutungsfiguren zu Klimaschutz milieuspezifisch geprägt sind“, und ebenfalls, „welche Wissensbestände und Sinnhorizonte sich bei schulischen Gruppen rekonstruieren lassen.“ (S. 266 f.) Vor allem aber bestehe über die Ergebnisse ihrer Studie hinaus ein sozialwissenschaftlicher Forschungsbedarf, den Jenny Lay-Kumar wie folgt pointiert: „Es ist die Erforschung nachhaltiger Gesellschaftsentwürfe mitsamt ihren Rahmenorientierungen, Deutungsfiguren, Werten, Lebensstilen, Praktiken, Versorgungsmuster und Infrastrukturen, inbegriffen die Frage, wie eine sozialökologische Transformation gigantischen Umfangs innerhalb einer kurzen Zeitspanne gelingen kann. Junge Klimaschutzbewegungen haben möglicherweise das Potenzial, zu Pionier*innen der Transformation zu werden und verdienen deshalb besondere Aufmerksamkeit“ (S. 268).

Diskussion

Aufmerksamkeit? Welche? Sicher zielt Jenny Lay-Kumar auf jene „Erwachsenen der Zukunft“, die Koler unter „negative Jugend“ fasst, „die auf gesellschaftliche Brennpunkte hinweisen. (…) Sie zeigen unverblümt, unvermittelt, direkt auf gesellschaftliche Schieflagen und Unstimmigkeiten. (…) Sie zeigen uns spontan und unverstellt, wie ihre Lebenswelt und Umwelt auf sie wirken und wo sie diese Umwelt herausfordert und überfordert.“ Wo sie sich um Umwelt-, Natur- und Tierschutz kümmern, Moore renaturieren, was auch dem Klimaschutz dient, wo sie Krötenzäune ziehen und mit spektakulären Aktionen auch außerhalb des rechtlichen Rahmens auf Elend und Grausamkeit der Massentierhaltung aufmerksam machen, dann vielleicht ohne Schuldzuweisung an die Bauern, sondern die ökonomischen Zwänge anprangernd und scharf kritisierend, bekommen sie Aufmerksamkeit, weil sie sich in einem größeren Segment des öffentlichen Meinungsklimas bewegen und es womöglich erweitern (übrigens auch eine Frage der Ethik, die dem diesbezüglichen Verhalten und Handeln von Menschen ‚feindlich‘ gegenüber steht, aber nicht zwingend gleichermaßen ‚menschenfeindlich‘ ist [s.u.]). Große Jugendstudien stellen fest, worauf sich die Autorin beruft, „dass sich die große Mehrheit der Jugendlichen Sorgen um die Zukunft macht und Klimawandel für ein Problem hält“ (S. 107). In Bezug auf Zukunft ist weiter nach schichtenspezifischen Unterschieden zu fragen, da es auch Jugendliche gibt, die anders als die untersuchten Gestaltungsraum- und Protest-Aktivist*innen nicht den Background höherer Bildung und materiell besser gepolsterter Elternhäuser haben, deren Zukunftssorgen, was Jugendstudien auch abwerfen, sich auf berufliche Möglichkeiten und überhaupt darauf richten, ob und wie sie bei dem Anschein nach zunehmender Chancenlosigkeit durch ihr Leben kommen. Nicht „spürbare Klimaverschiebung“ und dabei „mangelnde Greifbarkeit“ ist deren zentrale „Problematik“, sondern es sind die „schwachen eigenen Handlungsmöglichkeiten“, wie sie die Autorin auch bei ihren Aktivist*innen ausmacht (S. 113), welche jene Jugendlichen umtreibt, die fürchten müssen, ausgemustert oder abgehängt zu werden. Auch sie suchen oder haben ihre Gruppen, und auch sie entwickeln eigene ‚Lebensstile‘, Aktivitäten in privaten Settings, die dann allerdings nicht der akzeptablen „sozial weiblichen Sphäre“ zuzuordnen sind (S. 218), verorten sich allerdings auch außerhalb von „Gesellschaft“, deren „Orientierungen und Praktiken“ sie in der Regel nicht explizit „verachten“ (S. 130), die aber auch unter die ‚Anderen‘ fällt. Auch auf sie richtet sich Aufmerksamkeit, besonders wenn sie sich im Dunstkreis von Drogengefahren aufhalten; auch sie zeigen, allerdings verstellt, was sie „überfordert“ (Koler, s.o.).

Dass dieser Bogen zu spannen ist, nämlich in Zukunftsaussichten Jugendlicher generell, innerhalb derer Klimawandel bis -katastrophe und jetzt schon deutliche Folgen aus Umweltzerstörungen, zeigen etwa die Protestgruppen da, wo sie auch andere Perspektiven einnehmen und auf Themen „wie Verteilungsgerechtigkeit, nachhaltige Infrastrukturen und alternative Konsumformen“ eingehen. (S. 113) Wenn sie davon ausgehen, „dass aus dem normativ richtigen Wissen auch das richtige Handeln entspringen müsste“ (S. 126), gehört das zu den „Orientierungsmustern“, die sich nach Aussage der Autorin auch auf andere „soziale Bewegungen übertragen“ lassen (S. 178), auch „politische“ (S. 267), und es signalisiert das Problem etlicher emanzipatorischer Bewegungen, die vielfältige Dilemmata jeweils isoliert angehen und Widersprüche anprangern, mit unterschiedlichen Methoden Verbesserungen bis einschneidende Veränderungen einklagen, dabei aber nur vordergründige Ursachen indizieren. Greta Thunberg, die Aufmerksamkeit bekommt und gar zu Konferenzen und Gipfel geladen wurde, antwortete auf die Frage, was sie denn nun ändern wolle, mit „Alles“, wofür sie sich ein gutmütiges Schmunzeln einfing. Nimmt man dieses „Alles“ ernst, was die „politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen“, die dem „Klimaschutz entgegenstehen“ (s.o.), einschließt, geht dieses „Alles“ nicht auf in einer „sozialökologischen Transformation“ (s.o.), eher schon in einer sozioökonomischen, letztlich in einer ökonomischen, dem nervus rerum. Was aber ist oder wird sein, wenn die „Pionier*innen“ einer darauf zielenden „Transformation“ (s.o.) drängeln und gar handeln und dies nicht nur hierzulande? Da wird dann höchste Aufmerksamkeit gezollt, und zwar allererst seitens derjenigen, welche die Definitionsmacht darüber haben, was „eine eher menschenfeindliche Ethik“ (s.o.) ist und darin eingeschlossen, wie man dem Fortgang ökonomischen Handelns nicht begegnen darf. Was die Autorin in Aussicht stellt und worauf man mit ihr hoffen möchte, was sich jedoch – nicht erst in Bezug auf die jüngere Geschichte und aktuell gesehen – lebensgeschichtlich für die meisten Opponent*innen nicht wirklich eingestellt hat und daher wie ein zweckoptimistisches Trostpflästerchen anmutet: „In der Veränderung durch Engagement liegt eine Chance, die nicht nur eine zukunftsfähige Welt näher rücken lässt, sondern auch Zufriedenheit und Sinn stiften kann“ (S. 264).

Fazit

Bei einer solchen Studie bleibt es kaum aus, dass sich Redundanzen einschleichen, Ergebnisse wiederholt werden, Argumentationsfiguren mehrfach bemüht werden. Solche Irritation ist lässlich, eröffnet die Autorin doch einen hoch differenzierten Einblick in Motivlagen, Hintergründe, Orientierungen und Aktivitäten der von ihr untersuchten Gruppen und weist begründend weiteren Forschungsbedarf aus. Für Soziolog*innen und Sozialarbeiter*innen ist diese Studie sicherlich ein Gewinn, Umwelt- und Klimaaktivist*innen wird sie zur Selbstreflexion anregen.

Rezension von
Arnold Schmieder
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Zitiervorschlag
Arnold Schmieder. Rezension vom 20.10.2020 zu: Jenny Lay-Kumar: Aktivismus zwischen Protest und Gestaltungsraum. Jugendumweltgruppen und ihr Verhältnis zum Klimaschutz. transcript (Bielefeld) 2019. ISBN 978-3-8376-4735-8. Reihe: Sozialtheorie. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26027.php, Datum des Zugriffs 11.11.2024.


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