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Sigrid Buck-Horstkotte, Johanna Gabriel: Sicher durch Stürme und Flauten

Rezensiert von Dr. Winfried Leisgang, 08.06.2020

Cover Sigrid Buck-Horstkotte, Johanna Gabriel: Sicher durch Stürme und Flauten ISBN 978-3-621-28578-0

Sigrid Buck-Horstkotte, Johanna Gabriel: Sicher durch Stürme und Flauten. Das Selbsthilfebuch für Mütter mit Borderline-Persönlichkeitsstörung. Beltz Verlag (Weinheim, Basel) 2019. 239 Seiten. ISBN 978-3-621-28578-0. D: 24,95 EUR, A: 25,60 EUR, CH: 34,60 sFr.
Mit Online-Material. Illustrator: Kukasz Buda.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Autorinnen

Die Psychologin Sigrid Buck-Horstkotte ist als Psychotherapeutin und Supervisorin in freier Praxis in Berlin tätig.

Frau Dipl.-Psych. Johanna Gabriel ist Psychologische Psychotherapeutin und führt eine Praxis in Berlin.

Aufbau

Die Autorinnen beziehen sich in ihrer Einführung auf den Buchtitel und weisen darauf hin, dass „eine Reise durch Stürme und Flauten nicht nur Schönwettersegeln“ (S. 14) sei. Sie betrachten das Lesen des Buches als Reise und stellen in 12 Kapiteln die Reiseetappen vor. Inhaltlich schließen sie an ihr Buch „Borderline und Mutter sein“ an, deren Themen und Inhalte sie gründlich überarbeitet und ergänzt haben.

Die Themen werden beispielhaft inhaltlich veranschaulicht von einer „Fall-Familie“. Zu ihr gehören die Mutter Kati, die fünfjährige Lea, der eineinhalbjährige Leon und der neue Freund von Kati, der aber kaum vorkommt.

Die Käufer*innen des Buches können sich zusätzliches Onlinematerial auf der Seite des Verlages herunterladen.

Inhalt

Kapitel eins macht eine Bestandsaufnahme und fragt die Leserin, wo sie mit ihrem Kind hin will. Gleich zu Beginn wird eine entscheidende Diskussion geführt und die Autorinnen beziehen Stellung: „Darum in aller Deutlichkeit: Frauen mit BPS (Borderline Persönlichkeitsstörung, Anmerkung W.L.) können absolut ausreichend gute Mütter sein.“ (S. 19). Danach wenden sie sich günstigen und ungünstigen Faktoren für die Entstehung einer BPS zu und gehen ausführlich auf die diagnostischen Kriterien ein. Sie erklären, wie die Störung entstehen kann und wie sich die Betroffenen erleben. Schließlich thematisieren sie in einem ersten Schritt, was unterstützt, dass die eigene BPS nicht an die Kinder weitergegeben wird.

Kapitel zwei befasst sich mit der Achtsamkeit. Wie man es von Psychologinnen erwartet, kann man mit einem kleinen Fragebogen feststellen, ob man eine Kandidatin für weitere Achtsamkeitsübungen ist. Zunächst geht es darum, unliebsame Gedanken und Gefühle wahrzunehmen, anzuerkennen und nicht den Fehler zu machen, sie zu ignorieren oder zu unterdrücken. Danach werden einige Achtsamkeitsübungen vorgestellt. Dabei geht es den Autorinnen nicht nur um die Gefühle der Mutter, sondern auch, wie sie mit negativen Gefühlen des Kindes umgehen. Ziel ist es, in Stress- und Konfliktsituationen die eigenen Kinder nicht genauso zu behandeln, „wie sie selbst als Kinder behandelt wurden.“ (S. 36)

Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, wenn sich Kapitel drei mit der Frage beschäftigt, was das Kind braucht. Es werden die Grundbedürfnisse von Babys und kleinen Kindern festgehalten (Ernährung, Schutz, tägliche Routinen, körperliche Nähe, Hygiene und Schlaf). Daraus formulieren die Autorinnen bestimmte Haltungen und mögliche Aktionen für die Mütter, wie z.B. „Ich nehme es liebevoll in den Arm und kuschle mit meinem Kind, wenn es zeigt, dass es das braucht“ oder „Ich akzeptiere, mein Kind auch dann, wenn es Gefühle oder Verhaltensweisen zeigt, die mir nicht gefallen.“ (S. 67). Es folgen die Aspekte Orientierung, Kontrolle und Selbstwerterhöhung und -schutz und Lustgewinnung und Vermeidung von Unlust. Auch hier werden anhand von Beispielen aus dem Leben der Fallfamilie die theoretischen entwicklungspsychologischen Grundlagen anschaulich verdeutlicht und weiter Handlungsoptionen formuliert, wie z.B. „ich lobe mein Kind mehr, als dass ich es kritisiere.“ (S. 70)

Leider sind die Bedürfnisse der Kinder und der Eltern nicht immer kongruent. Daher werden im letzten Abschnitt des Kapitels fünf Schritte vorgestellt, wie die Mütter ihr Kind verstehen können und handlungsfähig bleiben. Hilfreich sind:

  • Die Perspektive des Kindes einnehmen,
  • eigene Erfahrungen mit berücksichtigen („das kenne ich auch“),
  • sich informieren,
  • Abstand finden – was braucht das Kind und was und was ist notwendig? – und
  • angemessenes Handeln.

Damit kann die Mutter in ihre Verantwortung gebracht werden, dem Kind das zu geben, was es für eine gesunde Entwicklung braucht.

Ausgangspunkt für Kapitel vier ist eine Wahrnehmung, die auch die Leser kennen. „Unter Stress und bei hoher Anspannung ist es viel schwerer, den Alltag zu bewältigen, Probleme zu lösen und auf Kinder einzugehen als wenn wir ruhig und entspannt sind.“ (S. 82) Das Kapitel widmet sich daher den Fragen, was Stress ist, welche Stresssituationen im Alltag mit Kindern auftreten können und wie wir unser Stressempfinden selbst beeinflussen können. Hilfreiche Gedanken und Einstellungen sind hier z.B. „Ich muss nicht perfekt sein, shit happens, ich mache alles, so gut ich kann.“ (S. 86) Es folgt der Hinweis auf krankmachende Stresssituationen und wie Stress die Beziehung von Mutter und Kind belastet. Dabei wird auf die Besonderheiten im Zusammenhang mit der BPS eingegangen und es werden ungünstige Strategien im Umgang mit Stress aufgezeigt. Dies wird wieder begleitet von Fragebögen, die helfen, sich selbst besser im Umgang mit Stress zu verstehen. Denn aus Sicht der Autorinnen ist es so, dass es wichtig ist, die „eigenen wunden Punkte bei Stress zu kennen. Für Mütter mit BPS ist es jedoch noch wichtiger, weil die Wunden of tiefer und die Probleme oft größer sind.“ (S. 99)

Das nächste Kapitel fünf zeigt auf, wie man die Stresskontrolle erhöhen kann. Es geht darum, Frühwarnzeichen zu erkennen, die eigene Anfälligkeit und Verletzlichkeit zu verringern und sich zu stärken, stressige Situationen anders zu steuern und Stress zu verringern, die eigene Stresstoleranz und die Selbstkontrolle zu erhöhen. Den Abschluss bildet ein Maßnahmenplan und ein Sicherheitsnetz, wenn bereits Schaden entstanden ist. Abschließend werden Skills aus dem DBT (Dialektisch Behaviorale Therapie) vorgestellt, die alle Sinne mit einbezieht, um Anspannung abzubauen.

Das sechste Kapitel widmet sich dem Umgang mit Struktur und Flexibilität. Dabei können sich Borderline-Mütter auf ihre Erfahrung verlassen, schon einige Krisen gemeistert zu haben. Aber es gibt auch Einschränkungen, die anhand der Diagnosekriterien für Borderline dargestellt werden. Es geht um eine ausgewogene Tagesstruktur, mit der sich Mutter und Kind beide wohlfühlen. Als Einstieg dient ein Fragebogen, der den Tagesablauf der Mutter abbilden kann und einer für das Kind. Die Kunst besteht nun darin, beides in eine Balance zu bringen. „Eine ausgewogene Tagesstruktur reduziert Stress und schafft Sicherheit.“ (S. 134) Anhand der Entwicklungsphasen der Kinder wird aufgezeigt, welche Bedürfnisse die Säuglings- und Kleinkindphase bestimmen, auf die sich die Mutter einstellen können muss. Mit den Bedürfnissen verändern sich die Strukturen. Ein weiterer Aspekt ist der Umgang mit Regeln. „Es hat sich ja inzwischen rumgesprochen, dass Kinder Regeln brauchen“. (S. 132) Die Autorinnen lassen die Leserin reflektieren, welche Regeln sie aus der Kindheit kennen. Anschließend zeigen sie auf, wie Kinder Regeln lernen: aus den Folgen, am Vorbild oder durch Wiederholung.

Im siebten Kapitel geht es um die unvermeidlichen Konflikte. „Ein Konflikt ist nicht dasselbe wie ein Streit. Ob aus einem Konflikt ein Streit wird …, hängt davon ab, auf was für eine Art und Weise die Beteiligten sich auseinandersetzen.“ (S. 136). Bei der Konfliktlösung sind Mütter mit BPS besonders konfrontiert: wie sie mit Wut und Ärger umgehen, wie sie ihren Körper einsetzen können/sollen, ob sich das Kind gegen sie richtet, das ähnliche Temperament der Kinder, fehlende Konfliktfähigkeit. Für alle Bereiche werden im Anschluss Hinweise gegeben, wie die Mütter im Konfliktfall „in den grünen Bereich“ (S. 147) kommen können. Die Zielgruppe des Buches hat oft selbst körperliche Gewalt erlebt und weiß dann nicht mit körperlichen Attacken des Kindes ihr gegenüber umzugehen. Auch für den Umgang gilt wie bei der Schaffung von ausgewogenen Strukturen: dranbleiben und nicht so schnell aufgeben.

Gefühle – ein schweres Kapitel lautet die Überschrift im achten Abschnitt. Gerade deshalb, weil die Mütter häufig schlechte Erfahrungen mit Gefühlen gemacht haben und sie nicht angemessen mit ihren Gefühlen umgehen können. Es wird beschrieben, wie Gefühle entstehen und wie damit schnell ein Kopfkino entstehen kann, das mit der Realität oft nichts mehr zu tun hat. Deshalb ist es wichtig, Gefühle selbst zu steuern und nicht von ihnen gesteuert zu werden. Es folgt eine Übersicht und kurze Beschreibung von Gefühlen. Dies sind vor allem unangenehme, die gerne vermieden werden und denen man sich ungern stellt.

Kinder drücken sich über ihren Körper aus und wollen verstanden werden. Damit beschäftigt sich Kapitel neun. Mütter haben die Chance mit ihrem Kind noch einmal zu lernen. Zumal viele Mütter in der eigenen Kindheit körperlich missbraucht wurden. Es gilt, den Kindern beizubringen, dass ihr Körper ihnen gehört und Nein zu sagen, wenn sie körperliche Nähe nicht wünschen. Der Körper speichert frühe Erfahrungen in der Kindheit. Vor allem, ob sich das Kind angenommen fühlt oder nicht. Eine gute Bindungsfähigkeit zwischen Mutter und Kind stärkt dessen Selbstwert und Selbstvertrauen. Zur Orientierung zitieren die Autorinnen sieben Dimensionen des körperlichen Wohlbefindens nach Frank (S. 186).

In Kapitel zehn geht es um unsere Grundannahmen, wie wir die Welt sehen und wie sich diese auswirken. Borderline Mütter neigen dazu, entweder total positiv oder total negativ über ihre Umwelt zu denken. Unsere Grundannahmen sind Bestandteil unseres Lebens. Sie bestimmen auch, wie wir uns verhalten. Der Leserin werden eine ganze Anzahl von Übungen und Anleitungen an die Hand gegeben, die hilfreiche und förderliche Grundannahmen entwickeln (S. 199ff).

Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Selbstfürsorge. Gerade für Mütter mit BPS lohnt es sich, sich klar zu machen, wie sich Selbstfürsorge im Umgang mit dem Kind auswirkt. Sie kennen aus ihrem Leben die andere Seite, die der Selbstschädigung. Daher wird aufgezeigt, welch selbstschädigendes Verhalten es gibt. Anhand von Beispielen werden Ideen entwickelt, was man sich überhaupt Gutes tun kann. Denn oft fällt diesen Müttern dazu nichts ein. Als Gegenpol zum Teufelskreis des selbst schädigenden Verhaltens wird der des selbstfürsorglichen Verhaltens dargestellt.

Diskussion

Das Buch stellt an Alltagsituationen die Herausforderungen der Mütter mit Borderline-Symptomatik dar. Diese sind aufgrund ihrer Biographie und Lebenserfahrung häufig allein erziehend. Wie oft in ihrem eigenen Leben fehlt auch für ihre Kinder der Vater. Von daher gehe ich davon aus, dass diese Mütter mit der Erziehung auf sich allein gestellt sind. Oder, so wie im Fallbeispiel dargestellt, ist ein neuer Lebenspartner an ihrer Seite. Und sie haben häufig den Anspruch, in der Erziehung alles perfekt machen zu müssen, damit man ihnen das Kind nicht wegnimmt.

Das Buch ist für Therapeuten als Anleitung für Selbsthilfeschritte durchaus hilfreich. Allerdings zeigt der Titel, dass es sich um ein Selbsthilfebuch für die Betroffenen handelt. Zielgruppe sind Mütter mit kleinen Kindern, die in der Regel mit der Sorge um das Wohl des Kindes gut ausgelastet sind. Ob zu diesem Zeitpunkt das Thema >ich helfe mir selbst< an erster Stelle steht, kann bezweifelt werden. Ein mögliches Motivationselement ist sicherlich, auch für die Kinder etwas zu tun.

Im Selbstversuch der Anwendung der Übungen bekommen die Mütter Anregungen, die sie aber ohne Begleitung nicht nachhaltig in den Alltag integrieren werden. Daran kann auch die Musterfamilie mit ihren Fallgeschichten nur wenig ändern. Im Umsetzungsbereich sind die Anregungen aus meiner Sicht nur in dem Falle hilfreich, wenn eine psychosoziale oder therapeutische Begleitung vorhanden ist oder eine Selbsthilfegruppe bei der Umsetzung des Erkannten unterstützt.

Fazit

Ein Buch, das zum Überprüfen von Verhalten anregt, das aber die Dimension der direkten persönlichen Rückmeldung nicht ersetzen kann. Borderline-Mütter benötigen noch mehr als die ohne Kinder die Auseinandersetzung mit ihrem (therapeutischen) Umfeld. Nur gemeinsam sind viele der vorgestellten Themen in den Alltag umzusetzen. Dazu brauchen die Mütter Menschen an ihrer Seite, denen sie vertrauen können und die sie bei der Umsetzung begleiten.

Rezension von
Dr. Winfried Leisgang
Dipl. Soz.-Päd., Master of Social Work (M.S.W.)
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Es gibt 55 Rezensionen von Winfried Leisgang.

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ISSN 2190-9245