Ada Fuest, Friedel John (Hrsg.): 66 Methoden der individualpsychologischen Beratung
Rezensiert von Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt, 09.04.2020

Ada Fuest, Friedel John (Hrsg.): 66 Methoden der individualpsychologischen Beratung. Waxmann Verlag (Münster, New York) 2019. 191 Seiten. ISBN 978-3-8309-3976-4. 29,90 EUR.
Thematischer Hintergrund
Geeignete Verfahren („Methoden“) sind für alle in der Beratung tätigenden Fachkräfte der Sozialen Arbeit ein wichtiger Teil Ihres „Handwerkszeugs“. Durch sie werden die Haltungen der Berater*innen transportiert. Sie dienen dazu, Inhalte zu erarbeiten, Sachverhalte zu verdeutlichen und sie helfen beim Aufbau eines tragfähigen Arbeitsbündnisses mit Ratsuchenden, den Kontakt zu ihnen und die Kommunikation mit ihnen zu entwickeln und zu halten. Solche Verfahren sind Gegenstand des vorliegenden Bandes, in dem 66 als „Methoden“ bezeichnete Verfahren für die Beratungsarbeit sowohl in Einzel- als auch Gruppensettings zur Verfügung gestellt werden
Herausgeber/in und Autor*innen
Ada Fuest, von 1959 bis 2001 im Schuldienst, ist seit 1982 als Gruppenleiterin, Dozentin, Beraterin und Lehrberaterin m Alfred-Adler-institut-Nord (Delmenhorst) tätig.
Friedel John übernahm nach Studium der Sozialpädagogik und der Betriebswirtschaftslehre leitende Funktionen in verschiedenen Unternehmen. Nach 19 Jahren Führungs- und Managementverantwortung war er 1999 Mitbegründer der KJP-Hamburg GbR (Coaching, Personal- und Organisationsentwicklung) und arbeitet heute in einem Expertennetzwerk branchenübergreifend im Bereich Managementtraining, Coaching, Personal--und Organisationsentwicklung.
Alle Autorinnen und ein Autor (Barbara Heine, Olympia Kirchberg, Kathrin Merl, Heidi Merlet, Anna Paduano, Dagmar Schnatmeyer, Gabriele Vogel-Wellmann, Matthias Wenke und Manuela Wiese) sind erfahrene Berater*innen in unterschiedlichen Kontexten, zum Teil in medizinischen Bereichen, zum Teil in der Psychotherapie, zum Teil in der Beratung im Management.
Aufbau und Inhalt
Die vorliegende Sammlung verfolgt im Wesentlichen drei Ziele:
- Zunächst ergänzt sie das „Handbuch individualpsychologischer Beratung in Theorie und Praxis“ aus dem Jahr 2014 (Waxmann Verlag) durch praxis- und anwendungsorientierte Verfahren.
- Dann vervollständigt sie die schon vorhandenen Beratungsmittel, sind doch viele Verfahren neu entwickelt worden und befinden sich noch nicht in anderen Veröffentlichungen zur Methodik der Beratung, wodurch sie das Kompendium individualpsychologischer Methoden erweitern damit deren Anwendungsbereich ergänzen.
- Schließlich gibt sie individualpsychologisch ausgerichteten Berater*innen die Gelegenheit, mit einem Beitrag auf die eigene Beratungspraxis hinzuweisen, zumal die Autor*innen auch künftig weitere individualpsychologische Verfahrenen sammeln wollen, um sie zu einem späteren Zeitpunkt in einem weiteren Band zu publizieren.
Die Struktur des Sammelbandes wird dadurch bestimmt, dass die Autor*innen ein oder mehrere selbst entwickelte oder umgeformte Verfahren nach einem immer gleichen Schema beschreiben: Die Verfahren sind drei Kriterien zugeordnet, sodass den Leser*innen deren Nutzung in einer bestimmten Beratungsphase oder einem spezielles Beratungsthema erleichtert wird. Kriterien sind
- die Phase der Beratung,
- die Form der Methode und
- das Beratungssetting (ob die Methode für ein Einzelsetting oder die Gruppenarbeit geeignet ist).
Im Rahmen dieser gliedernden Kriterien stehen 15 Verfahren für die reine Arbeit in Einzelsettings. 22 Verfahren in Gruppensettings und die übrigen 29 Verfahren für die Beratungsarbeit sowohl in Einzel- als auch Gruppensettings zur Verfügung.
Beispiele hierfür sind
- für die Arbeit im Einzelsetting das Verfahren „Drei Namen“ von Matthias Wenke, das dabei helfen soll, „unbewusste Werte und Persönlichkeitsanteile zu identifizieren, zu benennen und zu visualisieren“ (S. 27), also fiktive Ziele, Rollenbewusstsein und Lebensstil thematisiert, und dabei hilft, unvertraute Haltungen und Ressourcen zugänglich zu machen (S. 27 – 29), oder das Verfahren „Kreativer Langzeitplan“ von Friedel John, das dazu dient, „Vorhaben und Ziele in machbare Umsetzungsschritte zu zerlegen“ (S. 39), Überforderungsgefühlen vorzubeugen und auch komplexe Vorhaben zu bewältigen (S.- 39 – 41);
- für die Arbeit im Gruppensetting die Verfahren „Fish-Bowl ‚à la Gabriele‘“ von Gabriele Vogel-Wellmann, das für Teams gedacht ist, die Kommunikations- oder Rollenstrukturen, in denen sie sich befinden, unklar sind, Situationen unterschiedlich erleben oder an moderierten (regelmäßig wiederkehrenden) Situationsanalysen interessiert sind (S. 147 f.) oder das „Feedback-Karussell“ von Friedel John, das in ein konstruktives und aufbauendes Feedback einführt und einen Umgang mit ehrlichen Aussagen unterstützt (S. 142 – 144);
- für die Arbeit sowohl in Einzel- als auch Gruppensettings das Verfahren „Werte ableiten“ von Barbara Heine, das Ratsuchende dabei unterstützt, eigene Werte und Bedürfnisse wahrzunehmen, Relevanzen für das eigene Leben zu bestimmen und auch den Wert der eigenen Lebensgeschichte anzuerkennen (S. 121 – 122), oder das Verfahren „Stimmungsbarometer“ von Gabriele Vogel-Wellmann, das dabei unterstützt, Rückmeldungen zu strukturieren, Bewertungen in der Gruppe zu verdeutlichen und undeutliche Rückmeldungen anderer zu präzisieren (S. 109 f.).
Die Beispiele verdeutlichen, dass hier eine Sammlung von kurz und prägnant formulierten Verfahren vorliegt, die nicht länger als drei Seiten in Anspruch nehmen, um deutlich vermittelt werden zu können. Der Gebrauch wird auch dadurch erleichtert, dass den Verfahren zwei tabellarische Übersichten vorangestellt sind, die die Verfahren
- zum einen nach den Phasen der Beratung (d.h. während der Auftragsklärung, der Anamnese, der Datenerhebung, dem Kennenlernen, der „Selbsterkenntnis“, der Themenklärung, die Identifizierung von Zielen und Perspektiven, der „Umstellung“, der Reflexion, der Beziehungsklärung, der „Fallberatung/​kollegialen Supervision“ und dem Beratungsabschluss) und
- zum anderen nach den Formen der Verfahren („Kommunikationsmethoden“, „Narration“, „In Szene setzen“, kreative Verfahren, assoziative Verfahren, bei der Erstellung eines Genogramms, bei der Klärung der „Familienkonstellation“ und der „Geschwister-Konstellation“, der „Körperarbeit“ und „Rollenmethoden“)
präsentieren und so zugänglich machen (S. 11 – 19).
Diskussion
„Werkzeugkästen“, die Verfahren wie Hammer und Zange zur Verfügung zu stellen scheinen, wohnt zweierlei inne: der Vorwurf der (Sozial-) Technik (wo doch keine Technik möglich ist) und der Vorwurf der Beliebigkeit (wo es doch um fallspezifische Genauigkeit, also um die Anerkennung des Falls als Unikat geht, der mit spezifischen Verfahren und maximaler Kreativität zu bearbeiten sei). Wird der von Ada Füest und Friedel John herausgebrachte Band mit der Messlatte beider Kritiken bedacht, dann sei einerseits darauf verwiesen, dass alle Autor*innen stets auf die individuelle Perspektive des Beratungskontextes verweisen, hier also nichts vorgestellt und/oder vermittelt wird, das rezepthaft zur Anwendung kommen soll. Zum anderen appelliert die Sammlung zugleich an die Kreativität der Berater*innen, sich nicht in einer übersichtlichen Palette von Verfahren zu erschöpfen, die die Beratung unterstützen. Kreative Lösungen sind durch Kombinationen der 66 Verfahren ebenso denkbar, wie andere Verfahren hinzugenommen oder neue dabei entwickelt werden können.
Fazit
Insoweit wird es nicht überraschen, wenn ich zu der abschließenden Einschätzung gelange, dass mit dem vorliegenden Band eine vordergründig individualpsychologisch ausgerichtete Verfahrenssammlung zur Verfügung steht, die gut vorgestellt und systematisch geordnet in vielen Beratungskontexten zur Anwendung kommen kann – ganz unabhängig im Übrigen auch davon, ob der/die Berater/in sich einem individualpsychologischen Paradigma verpflichtet fühlt. Die Sammlung kann darüber hinaus auch gut in der akademischen Lehre zur Lehrunterstützung herangezogen werden (was ich im zurückliegenden Semester mit Student*innen der Sozialen Arbeit gut erleben konnte).
Rezension von
Prof. Dr. Peter-Ulrich Wendt
Professur für Grundlagen und Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule Magdeburg
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Zitiervorschlag
Peter-Ulrich Wendt. Rezension vom 09.04.2020 zu:
Ada Fuest, Friedel John (Hrsg.): 66 Methoden der individualpsychologischen Beratung. Waxmann Verlag
(Münster, New York) 2019.
ISBN 978-3-8309-3976-4.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26041.php, Datum des Zugriffs 30.11.2023.
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