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Katrin Toens, Benjamin Benz (Hrsg.): Schwache Interessen?

Rezensiert von Michael Bertram-Maikath, 23.12.2019

Cover Katrin Toens, Benjamin Benz (Hrsg.): Schwache Interessen? ISBN 978-3-7799-3890-3

Katrin Toens, Benjamin Benz (Hrsg.): Schwache Interessen? Politische Beteiligung in der Sozialen Arbeit. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2019. 374 Seiten. ISBN 978-3-7799-3890-3. D: 29,95 EUR, A: 30,80 EUR, CH: 40,10 sFr.

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Thema

Blickt man am Ende dieses Jahrzehnts auf die letzten zehn Jahre zurück, findet sich eine Reihe an Publikationen zum Thema: einerseits wurde erneut der Versuch unternommen, Notwendigkeiten und Potenziale einer sich kritisch verstehenden Sozialen Arbeit auszuloten (z.B. Anhorn u.a. 2012, Hünersdorf/​Hartmann 2013, Stender/Kröger 2013). Andererseits lässt „sich [eine] entwickelnde Tradition der ‚Politikwissenschaft in der Sozialen Arbeit’“ (Weckel 2019) beobachten, die sich dadurch auszeichnet, dass sie die bestehenden Wissensbestände und Erfahrungen aufnimmt, versucht diese durch Forschung zu mehren und durch Systematisierung und Methodisierung einer professionellen politischen Praxis Sozialer Arbeit fruchtbar zu machen (z.B. Benz u.a. 2013 und 2014, Bütow/Chasse/​Lindner 2014, vor allem aber Benz/Rieger 2015 sowie Borstel/​Fischer 2018).

Hier herrscht keineswegs Konsens. Im Gegenteil: die grundlegenden Begriffe, die Schlussfolgerungen und auch das jeweilige Verständnis von Sozialer Arbeit sind nach wie vor vielfältig, empirische Forschungen liegen zwar vor, ihre Anzahl ist aber noch überschaubar. Und trotz dieses Zustandes werden die Fruchtbarkeiten etwaiger Diskurse wohl gerade in ihrer Synthese zu finden sein: Das, was Soziale Arbeit (politisch) sein könnte und können sollte, bleibt eine intellektuelle Debatte, wenn sie es nicht kann. Im Umkehrschluss muss sich eine politische, professionelle Soziale Arbeit immer wieder kritisch fragen was ihre Bedingungen, Möglichkeiten und Ziele sind und sein sollen. Denn wenn es die Funktion Sozialer Arbeit in einer modernen und pluralen Gesellschaft ist, Integration und Emanzipation zu leisten, kann es nicht ausreichen eine ethisch fundierte und methodisch abgestützte kritische Praxis zu realisieren – wenngleich damit bereits viel geleistet wäre; zugleich braucht es die Kompetenz sich kritisch ambitioniert in politische Prozesse einzumischen.

In diese Gemengelage reiht sich nun eine Neuerscheinung ein, deren Ziel es war, „theoretische Vorannahmen der politikwissenschaftlichen Interessengruppenforschung und ihrer Kategorisierung von Interessen in stark oder schwach als theoretischen Bezugsrahmen für die Auseinandersetzung mit der politischen Praxis der Sozialen Arbeit heranzuziehen“ (Toens/Benz: S. 362). Außerdem „sollten diese Vorannahmen aber auch an den verdichteten professionellen Erfahrungen der Fachkräfte und den Sichtweisen von Klient_innen Sozialer Arbeit gemessen und dabei auf ihre Tragfähigkeit für die zielführende Auseinandersetzung mit Interessenvertretung und politischer Beteiligung in ausgewählten Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit geprüft werden“ (ebd.).

Herausgeberin und Herausgeber

Katrin Toens ist Professorin für Politikwissenschaft an der Evangelischen Hochschule Freiburg, wo sie den ansässigen Masterstudiengang Sozialer Arbeit leitet. Neben Sozialpolitik und Sozialwirtschaft zählen die Themen Flucht, Migration und Globalisierung zu ihren Arbeitschwerpunkten. Sie ist außerdem u.a. Mitglied in der DGSA.

Benjamin Benz ist diplomierter Sozialarbeiter und Professor für Politikwissenschaft an der Evangelischen Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe. Auch er ist u.a. Mitlied in der DGSA, in der er in verschiedenen Bereichen aktiv ist, vor allem in der Sektion für Politik Sozialer Arbeit.

Entstehungsgeschichte und Konzept

Der Band geht auf die Tagung „Schwache Interessen – Ein Blick in die deutsche Wirklichkeit“ zurück, die am 28. September 2017 stattfand und als Wissenschaft-Praxis-Dialog angelegt war. Vor allem die Schader-Stiftung und die DGSA-Sektion Politik Soziale Arbeit waren wichtige Akteure in der Realisierung dieser Tagung bzw. des Buches.

Bemerkenswert ist dabei, dass der Anstoß für diese Tagung von Studierenden geleistet wurde und dass sich die Idee eines Zusammenkommens von Wissenschaft und Praxis auch konsequent in der Aufmachung dieses Bandes zeigt. Denn für die Buchkonzeption wurde versucht, Tandems, bestehend aus Wissenschaftler*innen und Sozialarbeitenden zu bilden; wo dies nicht möglich war, wurden die Beiträge von Wissenschaftler*innen mit einschlägiger Praxiserfahrung oder Praktizierenden verfasst.

Aufbau und Inhalt

Es ging den Herausgebenden bei diesem Sammelband darum, „theoretische Erkenntnisse zur politischen Stärke und Schwäche von Interessen … einerseits zu nutzen, um altbekannte und neuere politische Entwicklungen in der Sozialen Arbeit einordnen und systematisieren zu können. Andererseits sollten aber auch die dabei identifizierten Bestimmungsfaktoren schwacher Interessen auf ihre Tragfähigkeit und Reichweite für die Soziale Arbeit hin diskutiert werden“ (Toens/Benz: S. 14). Zur Umsetzung dieses Anliegens wurde der Band (von der Einleitung abgesehen) in vier Teile gegliedert:

  1. Grundlagen: Im ersten Teil wird das Konzept der schwachen Interessen eingeführt und aus verschiedenen theoretischen bzw. empirischen Perspektiven diskutiert. Die dabei eingenommenen Blickwinkel bilden eine weite Spannweite an Positionen ab. Um nur einige zu erwähnen: Wo Anne Cress das anwaltschaftliche Handeln Sozialer Arbeit in Zusammenhang mit schwachen Interessen skeptisch sieht und aus verschiedenen theoretischen Zugängen vergleichend diskutiert, fragt Roland Roth nach dem Verhältnis von Verbänden und sozialen Bewegungen zur Sozialen Arbeit. Maren Schreier hingegen stellt fest, dass der Begriff der schwachen Interessen grundsätzlich vermieden werden sollte, weil er die Bedingungen des ‚Schwach-Machens’ nicht hinreichend impliziert, Herrschaftskritik also ausklammert und diese daher verschleiert.
  2. Handlungsfelder: Armut, Wohnungslosenhilfe, Jugendarbeit, Strafvollzug, geschlechtliche Diversität und Inklusion (in den Feldern der Psychiatrie und der Behindertenpolitik) sind die Handlungsvollzüge, die im zweiten Teil des Bandes diskutiert werden. Dabei sind die jeweiligen Beiträge sehr unterschiedlich konzipiert: Wo, um wiederum nur einige Beispiele zu nennen, sich der Aufsatz von Rieger und Seyffer fast wie eine Einführung in die Arbeit im Strafvollzug lesen lässt, erörtern Schönig und Sellner das Konzept der schwachen Interessen vor dem Hintergrund verschiedener Praxiserfahrungen, wohingegen das Kernstück im Text von Toens, Hohnerlein und Breuer ein Vergleich zweier Projekte aus der Wohnungslosenhilfe darstellt.
  3. Akteure und Ebenen: Hinsichtlich der Kompilation der von den Herausgebenden bzw. den Veranstaltenden als relevant erachteten Protagonisten fällt die Betonung genuin sozialarbeiterischer Akteure auf, dargestellt in den Beiträgen von Grießmeier, Leinenbach sowie Franz/Plettau (siehe ausführlicher unten). Aber auch eine empirische Arbeit mit Bezug auf den Zusammenhang zwischen Politik, politischer Sozialer Arbeit und dem Studium ebendieser (Kulke) sowie ein Appell, ehrenamtliche Arbeit als Hilfe unter Protest zu verstehen und zu betreiben (Augenstein/de Gilde) finden ihren Platz. Einen spezifischeren Fokus wählen Reinecke-Terner und Hollenstein, wenn sie herausarbeiten, dass die Landesarbeitsgemeinschaften (in der Schulsozialarbeit) nicht nur ein Medium zur politischen Einmischung sind, sondern auch einen Beitrag zur politischen Professionalisierung leisten können.
  4. Resümee und Ausblick: Im Abschlusskapitel werden die Erkenntnisse der einzelnen Beiträge von Toens und Benz, soweit dies möglich war, entlang der durch von Winter erarbeiteten Faktoren rekapituliert. So wird, erstens, dieses politikwissenschaftliche Konzept mit sozialarbeiterischen Wissensbeständen angereichert, wodurch es, zweitens, möglich wird, Hypothesen zu formulieren und dadurch Desiderate für zukünftige Forschungen zu identifizieren. Dieses Kapitel liefert in systematischer Weise die Beantwortung der eingangs formulierten Fragestellungen.

Ausgewählte Beiträge

Es ist unstrittig, dass die von von Winter (S. 26–35) diskutierten Faktoren einen analytischen Zugang zum Thema der politischen Beteiligung eröffnen können. Dass die Empirie hingegen ungleich komplexer sein kann, wird bei der Durcharbeit von Benjamin Benz’ (S. 84–122) Beitrag deutlich. Er geht dabei von den konkreten Akteuren im Feld der Interessenvertretung Sozialer Arbeit und ihren Beziehungen zueinander, Entwicklungstendenzen und Konfliktstellungen aus. Benz bringt dabei nachvollziehbar und gut begründet Ordnung in die Dinge, indem er den Gegenstand – professionelle, nationale und handlungsfeldübergreifende Soziale Arbeit als Trägerin (vermeintlich) schwacher Interessen – seines Nachdenkens präzise eingrenzt, sich diesem aus einer historischen Perspektive annähert, relevante Akteure benennt und entlang der Dimensionen Praxis, Ausbildung und Wissenschaft differenziert. Innerhalb dieser Systematik werden sog. „Scheidelinien“ deutlich, die einer generellen Organisierung von ‚den’ Interessen ‚der’ Sozialen Arbeit (potenziell) im Wege stehen (können). Der Beitrag mündet in eine Vielzahl von Hypothesen (welche interaktiv während des Workshops entstanden und diskutiert wurden) und benennt Desiderate in der Forschung, womit vor allem, sicher aber nicht ausschließlich, Wissenschaftstreibende adressiert werden, die hilfreiche Anregungen finden dürften.

Die Perspektive einer Kritischen Sozialen Arbeit wird (neben Maren Schreier) von Nicolas Grießmeier eingebracht, wenn er von seinen Erfahrungen im AKS München berichtet (S. 291–299). Ihm geht es dabei aber nicht einzig darum, Erlebtes zu dokumentieren. Die spezifische Organisationsform des AKS wird auch daraufhin untersucht, inwiefern sie die Möglichkeiten einer kritisch-politisch verstandenen Sozialen Arbeit bereichern kann. Kritische Soziale Arbeit wird dabei zunächst als „Sammelbezeichnung“ (S. 292) verstanden, wobei aber gesagt werden kann, sie „betont die kategorische Position der radikal-reflexiven Infragestellung nicht nur der hegemonialen Diskurse und gesellschaftlichen Machtstrukturen, sondern auch der eigenen Wissenschaft und Praxis“ (ebd.).

Grießmeier behauptet, dass „Träger und Organisationen … ihre Möglichkeiten zur Kritik an sozialpolitischen Programmen und Praxen oftmals nicht“ (S. 294) hinreichend nutzen (These 1) und dass „viele Missstände innerhalb der Sozialen Arbeit … kaum thematisiert werden“ (S. 296) (These 2). Der AKS könnte hier Abhilfe schaffen, weil er finanziell und ideologisch unabhängig von Institutionen agieren kann. Große Vorteile, aber auch Grundlagen, sind hierzu, dass der AKS unberechenbar und flexibel, intern gut organisiert und extern gut vernetzt ist bzw. sein muss (vgl. 297 f.). Geschlossen wird mit der Einschätzung: „Der AKS kann zwar eine kritische Reflexion der eigenen Praxis leisten … er kann eine kritische Begleitung der Politik und der Sozialen Arbeit bieten und alternative Diskurse anregen. Dennoch ist eine größere ‚strukturelle’ Einflussnahme nicht zu erwarten. Ein Engagement in bzw. die Unterstützung durch soziale/n Bewegungen und vielleicht auch progressive/n Parteien … scheint unumgänglich, so an der Realisierung der politischen Ziele des Arbeitskreises festgehalten wird“ (S. 298).

Wenn man dieser Einschätzung folgen will, muss man sich nicht mit verschiedenen Akteuren einer sozialarbeiterischen Interessenvertretung beschäftigt haben, um an den DBSH zu denken, wenn es darum geht, eine „strukturelle Einflussnahme“ zu bewerkstelligen, denn auch dessen Perspektive findet im vorliegend Band Berücksichtigung. Dabei behandelt Michael Leinenbach, Vorsitzender des DBSH, Problemstellungen einer berufsverbandlichen Organisation und ihre Bearbeitung; Simon Franz und Nicole Plettau, beide Mitglieder im Leitungsteam des Jungen DBSH, berichten über die Aktivitäten, Arbeitsweisen und Schwerpunktsetzungen desselben. Trotz dieser unterschiedlichen Fokussierungen wird in beiden Beiträgen deutlich, dass es „eine berufspolitische, handlungsfeldübergreifende Organisation der Sozialen Arbeit [bedarf], um … ihrer Funktion als gestaltender und an demokratischen Prozessen partizipierender, gesellschaftlicher, professioneller Akteur gerecht zu werden“ (Bertram 2017: S. 45). Anders formuliert: Es existieren eine Reihe traditionsreichere, größere und im Interessenkampf fester etablierte Verbände und Gewerkschaften, die Sozialarbeitenden in ihren konkreten Handlungsfeldern, also in Bezug auf ihre spezifischen Arbeitsbedingungen, bestimmt notwendige Unterstützungen bieten können; die Berufsgruppe der Sozialen Arbeit insgesamt – die Profession – haben diese allerdings i.d.R. nicht im Blick.

Diskussion

Man täte dem Band von Toens und Benz Unrecht an, würde man ihm vorwerfen, den eingangs als notwendig postulierten diskursiven Brückenschlag nicht hinreichend angefasst zu haben, ging es in der Tagung doch dezidiert um eine andere Zielsetzung (s.o.). Gerade deswegen ist aber hervorzuheben, dass die Diskussionsstränge einer kritischen und einer politikwissenschaftlichen Sozialen Arbeit im Band aufgenommen wurden und so zumindest in einer Publikation gemeinsam stattfinden. Nichtsdestotrotz gilt es hierzu in Zukunft seitens der Disziplin integrativ zu wirken, um vorhandene Potenziale auch in der Praxis zu realisieren, denn dass es diese gibt, belegt die Lektüre eindrücklich.

Fernab von diesen noch zu gehenden Wegen begründet der Band eine seiner Stärken gewissermaßen aus sich selbst heraus: Die Studierenden der Sozialen Arbeit, so schreibt Dieter Kulke, „zeichnen sich [nämlich] durch ein überdurchschnittlicheres Interesse an Politik, höhere politische Wirksamkeit und überwiegend zur Sozialen Arbeit passende politische und sozialpolitische Einstellungen aus – all dies stellt eine sehr gute Grundlage zu Studium und Tätigkeit in der Profession Soziale Arbeit dar“ (S. 288). Aus den empirischen Befunden, die diese Aussage begründen, geht aber auch hervor, dass Teile der Studierenden nicht wissen, welcher Rolle einer Opposition in einem Parlament zukommt und dass nur 43 Prozent der Aussage widersprechen, „dass Sozialleistungen Menschen träge und faul machen“ (ebd.: S. 276). Richtig ist daher wohl auch Kulkes Einschätzung, wonach es weiterhin eine Förderung des politischen Interesses, eine Vermittlung von Wissen über das politische System sowie einer Befähigung, sich kompetent in diesem zu bewegen, brauche (vgl. S. 288) (wenngleich ergänzt werden muss, dass dies immer mit einer professionellen Haltung in Deckung gebracht werden muss, da politisches Interesse, Können und Wissen keineswegs notwendig den Zielen einer professionellen Sozialen Arbeit entsprechen müssen, wenn Menschenbilder, wie solche, die aus der oben genannten Aussage hervorgehen, Grundlage des Handelns sind). Sucht man nun nach einer Publikationsform, die den genannten Forderungen gerecht werden könnte, erscheint ein Sammelband, der aus einer von Studierenden angestoßenen Tagung hervorging und der in stringenter Weise wesentliche Aspekte des theoretischen und praktischen Politischseins in der Sozialen Arbeit verbindet, als ein gelungener Beitrag zu Politisierung und Professionalisierung der zukünftigen Sozialarbeitenden.

Ferner besticht der Band konzeptionell nicht nur, wenn man ihn nach seinem potenziellen Nutzen für die Lehre und die berufliche Sozialisation beurteilt. Denn was der Fachöffentlichkeit hier vorgelegt wird, geht unmittelbar aus ihrer Mitte hervor: Es ist nicht nur so, dass Theorie, empirische Forschung und Praxiserfahrung aus diversen Handlungszusammenhängen nebeneinander platziert werden. Vielmehr zeigt sich, dass die jeweiligen Perspektiven auch innerhalb einzelner Beiträge miteinander verwoben werden, entweder, weil diese durch Lehrende bzw. Forschende mit Praktizierenden gemeinsam vorgelegt werden oder weil beide Blickwinkel in einer Person zusammenlaufen, wie es z.B. Jens Wortmann vorführt. Gerade dieses Miteinander macht den Band aus. – Auf diese Weise wird deutlich, dass im Zusammengehen von Disziplin und Profession die Möglichkeit besteht, praxisfundierte und praxisorientierte Forschung zu betreiben, was diese allzu oft als getrennt postulierten Sphären nicht nur unter Wahrung ihrer je eigenen Stärken aufeinander zu bewegen, sondern so auch einem eigenständigen Profil sozialarbeitswissenschaftlicher Forschung weiter Kontur geben würde.

Und mit diesem Plädoyer für eine sozialarbeiterische Praxisforschung ist auch die Stärke dieser Publikation benannt. Denn der von Toens und Benz vorgelegte Sammelband kann insgesamt als Projekt sozialarbeitersicher Forschung bezeichnet werden: Es wird ein politikwissenschaftliches Konzept von Akteur*innen der Sozialen Arbeit aufgegriffen und durch diverse wissenschaftlich und/oder praktisch Aktive im Kontext verschiedener theoretischer Zugänge und Handlungsfelder sowie aus der Perspektive unterschiedlicher politischer Akteure Sozialer Arbeit diskutiert (und mitunter scharf kritisiert); die Befunde und Bedenken werden entlang der Systematik des Konzeptes der schwachen Interessen gebündelt und durch die Formulierung von Hypothesen bzw. Fragestellungen für weiterführende sozialarbeiterische Forschungen erschlossen. Insofern kann den Herausgebenden gefolgt werden, wenn sie der Ansicht sind, dass diese „Vorgehendweise … die Möglichkeit ein[schließt], Ausgangsfragen in Rekurs auf theoretische Kritik und gewonnene Erkenntnisse zu schärfen und daraus Forschungsbedarfe heraus zu destillieren“ (S. 362). Hier finden Wissenschaft und Praxis zeitgleich und gemeinsam statt – und was könnte sozialarbeiterischer sein als das?

Fazit

Katrin Toens und Benjamin Benz ist mit dem vorliegenden Sammelband eine bemerkenswerte Arbeit gelungen. Vor dem Hintergrund des Konzeptes der schwachen Interessen wird eine weite Spannweite denkbarer Handlungsvollzüge (politischer) Sozialer Arbeit abgebildet und in fruchtbaren Austausch gebracht, um die Frage nach der Relevanz des Konzeptes für die Soziale Arbeit durch die Soziale Arbeit zu beurteilen. So kann gesagt werden, dass nicht nur neue Positionen in den Diskurs eingebracht werden, sondern auch, dass die Lektüre des gesamten Bandes, aber auch einzelner Beiträge, einen guten Eindruck über das für die Soziale Arbeit typische miteinander von wissenschaftlicher und professionell-praktischer Arbeit vermittelt und selbst realisiert.

Und: „Wenn dieser Band und die ihm zugrunde liegende Tagung des Potenzial und den Ertrag partizipativer Forschung im Format des Wissenschafts-Praxis-Dialogs zwischen den angesprochenen Akteursgruppen hierfür ein Stück weit verdeutlich haben und zu einer intensivierten Nutzung dieses und ähnlicher Formate führen, entspräche dies unserem Erkenntnis- und Mobilisierungsinteresse. Denn es könnte der theoretischen Weiterentwicklung sowie einer aufgeklärten, zwischen Ohn- und Allmacht demokratisch angemessenen begrenzt einflussreichen politischen Praxis im Feld Sozialer Arbeit dienlich sein“ (Toens/Benz: S. 369). Diese Publikation kann also nicht nur denjenigen empfohlen werden, die an einer politischen Sozialen Arbeit und speziell dem Konzept der schwachen Interessen interessiert sind, sondern auch all denen, die nach Wegen suchen, Forschung und Praxis diskursiv und kollektiv zu realisieren – unabhängig vom jeweiligen Gegenstand des Interesses.

Literatur

Anhorn, R. u.a. (Hg.): Kritik der Sozialen Arbeit – kritische Sozialen Arbeit, Wiesbaden 2012

Benz, B. u.a. (Hg.): Politik Sozialer Arbeit. Band 1: Grundlagen, theoretische Perspektiven und Diskurse, Weinheim/​Basel 2013

Benz, B. u.a. (Hg.): Politik Sozialer Arbeit Band 2: Akteure, Handlungsfelder und Methoden, Weinheim/​Basel 2014

Benz, B., Rieger, G.: Politikwissenschaft für die Soziale Arbeit. Eine Einführung, Wiesbaden 2015

Borstel, D., Fischer, U. L.: Politisches Grundwissen für die Soziale Arbeit, Stuttgart 2018

Bütow, B., Chasse, K. A., Lindner, W. (Hg.): Das Politische im Sozialen. Historische Linien und aktuelle Herausforderungen der Sozialen Arbeit, Opladen, Berlin, Toronto 2014

Bertram, M.: Soziale Arbeit zwischen Markt und sozialem Wandel. Über die Notwendigkeiten einer professionellen Haltung und berufspolitischer Organisation; in FORUM sozial 3/2017: 42–45

Hünersdorf, B., Hartmann, J. (Hg.): Was ist und wozu betreiben wir Kritik in der Sozialen

Arbeit? Disziplinäre und interdisziplinäre Diskurse, Wiesbaden 2013

Stender, W., Kröger, D. (Hg.): Soziale Arbeit als kritische Handlungswissenschaft. Beiträge zur (Re-)Politisierung Sozialer Arbeit, Hannover 2013

Weckel, E.: Rezension vom 13.02.2019 zu: Borstel, D., Fischer, U. L.: Politisches Grundwissen für die Soziale Arbeit, Stuttgart 2018; in: socialnet Rezensionen: https://www.socialnet.de/rezensionen/​25126.php (letzter Zugriff: 02.09.2019)

Rezension von
Michael Bertram-Maikath
B.A. Soziale Arbeit, M.A. Soziologie/Politikwissenschaft
Beruflich in der Sozialen/politischen Arbeit mit geflüchteten Menschen tätig
Lehrbeauftragter an der Hochschule Magdeburg-Stendal
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Es gibt 23 Rezensionen von Michael Bertram-Maikath.

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Zitiervorschlag
Michael Bertram-Maikath. Rezension vom 23.12.2019 zu: Katrin Toens, Benjamin Benz (Hrsg.): Schwache Interessen? Politische Beteiligung in der Sozialen Arbeit. Beltz Juventa (Weinheim und Basel) 2019. ISBN 978-3-7799-3890-3. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26050.php, Datum des Zugriffs 05.10.2024.


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