Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Eberhard Eichenhofer: Sozialrecht

Rezensiert von Prof. Dr. Peter Baumeister, 22.08.2019

Cover Eberhard Eichenhofer: Sozialrecht ISBN 978-3-16-157556-3

Eberhard Eichenhofer: Sozialrecht. Mohr Siebeck (Tübingen) 2019. 11., neubearbeitete Auflage. 346 Seiten. ISBN 978-3-16-157556-3. 29,00 EUR.
Reihe: Mohr Siebeck Lehrbuch.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Kaufen beim socialnet Buchversand

Thema

Bei dem vorzustellenden Werk handelt es sich um ein Standardlehrbuch zum Sozialrecht in 11. Auflage.

Autor

Der Autor ist ein – inzwischen seit 2016 pensionierter – Hochschullehrer. Er war Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Sozialrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und zählt zu den profiliertesten Sozialrechtlern in Deutschland. Sein Tätigkeitsspektrum im Bereich des Sozialrechts umfasst neben dem nationalen Recht vor allem auch das europäische und das internationale Sozialrecht.

Entstehungshintergrund

Das Lehrbuch verfolgt das Ziel, „das Sozialrecht als ein geschlossenes Rechtsgebiet in seinen Eigenheiten und Grundstrukturen sichtbar zu machen“ (Vorwort, 1. Auflage). Der Autor möchte das Sozialrecht zugleich „als internationales und interdisziplinäres Gebiet zeichnen“. Dem „Außenstehenden“ (Studenten, Spezialisten und Nicht-Juristen) soll der Zugang zum Sozialrecht geebnet werden.

Aufbau und Inhalt

Das Werk stellt in insgesamt 27 Paragraphen, gegliedert in zwei Haupteile, davon der zweite Teil wiederum in fünf Abschnitte untergliedert, das gesamte nationale Sozialrecht dar:

Teil A: Grundlagen

  • § 1 Begriff, Gegenstand und System
  • § 2 Geschichte des Sozialrechts
  • § 3 Wirtschaftliche Bedeutung und Zukunft des Sozialrechts
  • § 4 Internationale Dimensionen des Sozialrechts
  • § 5 Verfassung und Sozialrecht
  • § 6 Stellung des Sozialrechts im Rechtssystem

Teil B: System des Sozialrechts

I. Allgemeine Grundsätze

  • § 7 Rechtsquellen
  • § 8 Sozialleistungsanspruch
  • § 9 Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren
  • § 10 Ausgleichsansprüche der Sozialleistungsträger
  • § 11 Rechtsschutz im Sozialrecht

II. Recht der sozialen Vorsorge

  • § 12 Das Vorsorgeverhältnis
  • § 13 Formen der Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenensicherung im Überblick
  • § 14 Rentenversicherung
  • § 15 Versorgungsausgleich
  • § 16 Krankenversicherung
  • § 17 Pflegeversicherung
  • § 18 Die gesetzliche Unfallversicherung

III. Recht der sozialen Entschädigung

  • § 19 Soziale Entschädigung nach den Grundsätzen des Bundesversorgungsgesetzes
  • § 20 Unechte Unfallversicherung

IV. Soziale Förderung

  • § 21 Arbeitsförderung
  • § 22 Ausbildungsförderung
  • § 23 Familienleistungen
  • § 24 Wohngeldrecht
  • § 25 Recht der Menschen mit Behinderung

V. Recht sozialer Hilfen

  • § 26 Sozialhilfe
  • § 27 Kinder- und Jugendhilferecht

Die Gliederung des Lehrbuchs weist bereits auf die Systematisierungsleistungen und -auffassungen des Autors hin. Aus den Grundlagen (Teil A) besonders zu erwähnen sind die Ausführungen zur Geschichte des Sozialrechts (§ 2). Hier finden sich trotz des überschaubaren Umfangs (S. 12 – 30) vielfältige Informationen, die auch für das Verständnis der heutigen Regelungen von Nutzen sein können. Dasselbe gilt auch für die „Internationalen Dimensionen des Sozialrechts“ in § 4.

Abgedeckt wird das komplette Sozialrecht ohne Einschränkungen. Zudem finden sich – abweichend von anderen Sozialrechtslehrbüchern – sogar über das Sozialrecht hinausgehende Ausführungen etwa auch zur Beamtenversorgung, zur betrieblichen Altersversorgung und zur Lebensversicherung (§ 13) wie auch zum Versorgungsausgleich (§ 15). Nicht nur diese Teile belegen das Bemühen des Autors um eine Einordnung des Sozialrechts in seine diversen Zusammenhänge.

Diskussion

Nach 11 Auflagen in 24 Jahren gehört das Lehrbuch zu Recht zu den Platzhirschen auf dem inzwischen auch für das Sozialrecht durchaus beachtlichen Lehrbuchmarkt. In seiner inhaltlichen Ausrichtung ist es zudem einzigartig, weil Eichenhofer regelmäßig den Fragen auf den Grund geht und nicht nur darstellt. Mit dem Lehrbuch kann sich der Leser nicht nur Wissen verschaffen, sondern – was wesentlich bedeutsamer ist – gerade um Verständnis ringen. Mit dem in allen Auflagen wiederholten Abdruck des Vorworts zur 1. Auflage belegt der Autor seinen Anspruch, „das Sozialrecht als ein geschlossenes Rechtsgebiet in seinen Eigenheiten und Grundstrukturen sichtbar zu machen“. Diesen selbst gesteckten Anspruch erfüllt das Lehrbuch vorbildlich.

Das Engagement des Autors für das Sozialrecht ist dem Lehrbuch durchweg anzumerken. Zur 10. Auflage wurde zudem im Vorwort der Niedergang des Sozialrechts als Lehrgebiet an den juristischen Fakultäten der Universitäten und der Verlust an Sozialrechtslehrstühlen beklagt – leider ist dieser Hinweis mit der 11. Auflage wieder weggefallen (ein fortdauernder Abdruck wie beim 1. Vorwort wäre wünschenswert). Dass diese Entwicklung komplett im Widerspruch zur (wachsenden) praktischen Bedeutung des Sozialrechts steht, braucht dem Praktiker nicht besonders nahegelegt zu werden, auch werden das Vorwort der 10. Auflage ohnehin nur diejenigen zur Kenntnis genommen haben, die nicht überzeugt zu werden brauchten.

Ein besonderer Wert des Lehrbuchs liegt in seinen Systematisierungsleistungen für das Sozialrecht, die gekoppelt sind mit einer umfassenden Einordnung in die Geschichte, der Erörterung der Bedeutung für die Volkswirtschaft, des internationalen Sozialrechts und dem übrigen einfachen Recht. Kein anderes Lehrbuch zum Sozialrecht bietet eine solche Gesamtschau – zumal auf insgesamt 346 Seiten – für ein solch umfassendes Thema! Immer wieder finden sich auch rechtsvergleichende Hinweise zu anderen ausländischen Rechtsordnungen.

Ein Beispiel für die Möglichkeit, auf engem Raum einen hervorragenden Überblick über ein keineswegs simples System zu geben, bietet der Abschnitt über die Aufhebung bestandskräftiger Verwaltungsakte im Sozialrecht (Rn. 214 – 233). Hier schafft es der Zivilrechtler Eichenhofer auf neun Seiten (mit Schaubild), eine exzellente Einführung in die Regelungen der §§ 44 ff. SGB X aus dem Sozialverwaltungsrecht zu liefern, die man so anderweitig auch in umfangreicheren Darstellungen und auch von Öffentlichrechtlern nicht findet. Weiterführend sind auch die Ausführungen zum Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X und die hier vorhandenen Hinweise auf Übereinstimmungen und Unterschiede zu den zivilrechtlichen Bereicherungsansprüchen nach § 812 BGB. Da lässt sich leicht darüber hinwegsehen, dass mitunter die Begrifflichkeiten nicht vollständig denen des Verwaltungsrechts entsprechen (Bsp.: Gleichsetzung von „verbindlich“ mit „bestandskräftig“ in Rn. 203). Als kleine Anregung für diesen Abschnitt: Vielleicht kann an geeigneter Stelle noch knapp auf das Verhältnis zu dem in Rn. 200 angesprochenen § 66 SGB I eingegangen werden.

Die exakte begriffliche Schärfe des Zivilrechtlers zeigt sich andernorts etwa, wenn richtigerweise durchgehend der Begriff der (Mitwirkungs-)Obliegenheit anstelle des gesetzlich nicht selten verwendeten, gleichwohl aber im Grunde nicht korrekten Begriffs der (Mitwirkungs-)Pflicht verwendet wird.

Inhaltlich sehr aufschlussreich sind Eichenhofers Zuordnungen einzelner Rechtsgebiete oder Gesetzbücher zu den Teilbereichen des Sozialrechts (soziale Vorsorge, soziale Entschädigung, soziale Förderung und soziale Hilfe). So ist die Zuordnung der unechten Unfallversicherung zum Recht der sozialen Entschädigung seit der ersten Auflage stets in den diversen Rezensionen angesprochen worden. Andere Zuordnungen mögen Zweifel hervorrufen, sind aber immer überaus diskussionswürdig: Als Beispiel mag dafür die Arbeitslosenversicherung mit der Leistung des Arbeitslosengeldes dienen. Obwohl die Arbeitslosenversicherung den Vorsorgeverhältnissen zugerechnet wird (Rn. 268), erfolgt die Darstellung derselben erst im Zusammenhang mit der dem Bereich der sozialen Förderung zugeordneten Arbeitsförderung (Rn. 467 ff.). Den Grund dafür erfährt man auch: Das Arbeitslosengeld wird als eine finale und nicht als kausale Leistung aufgefasst, die deshalb gewährt wird, weil der Arbeitslose seine fortbestehende Bereitschaft zur Beschäftigungsaufnahme zeige (Rn. 469 iVm. Rn. 174). Darüber kann man inhaltlich sicher streiten, da bei dieser Sichtweise die Entgeltersatzfunktion (und damit die Vorsorgeleistung im Sinne der Sozialversicherung) ganz in den Hintergrund tritt. In jedem Fall regen derartige Zuordnungen zu einer inhaltlichen Beschäftigung mit dem Zweck der Leistung an, die man in anderen Lehrbüchern nicht oder kaum findet. Entsprechendes muss auch für die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II konstatiert werden, die ebenfalls als Teil des Rechts der sozialen Förderung genannt werden (Rn. 478 ff.). Hier wird das Element der Hilfebedürftigkeit als zentrale Voraussetzung ausgeblendet, nach dem die Zuordnung zum Grundsicherungsrecht, also der sozialen Hilfe, dem Rezensenten naheliegender erscheint.

In dieselbe Kategorie gehört die Zuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts, das als Teil der sozialen Hilfe und nicht der sozialen Förderung dargestellt wird; im Unterschied zu den anderen genannten Beispielen hat der Rezensent hier jedenfalls keine ausdrückliche Begründung für die Zuordnung gefunden. Zumindest ist der Leistungsgrund der Kinder- und Jugendhilfe gerade nicht die Sicherung des Existenzminimums, die aber als maßgebend für die Zuordnung einleitend aufgeführt wird (s. die Übersicht in Rn. 13). Hier hätte man sich weitere Erläuterungen durch den Autor gewünscht.

Spannend sind auch die Ausführungen zu den Grundprinzipien der Rentenversicherung (Rn. 318). Hier kritisiert Eichenhofer die Aussage der Äquivalenz von Beitrag und Leistung als „schief“, weil die Leistungshöhe nicht aus der Höhe der gezahlten Beiträge, sondern aus der Höhe des Einkommens der Versicherten folge. Auch das ist aber nicht ganz korrekt, weil die Leistungen nicht vom Einkommen, sondern vom durch Beiträge versicherten Einkommen abhängen. Zudem hätte man sich bei diesen Ausführungen noch ein paar weitere Erläuterungen unter Einbeziehung der Rechtsprechung des BVerfG zur Beitragsäquivalenz gewünscht. Aber: Gerade solche Aussagen in diesem Lehrbuch sind über alle Maßen anregend für das weitere Nachdenken und Studieren.

Eine andere Anregung soll hier noch ergänzt werden: Im Rahmen der Erörterungen der Gemeinsamkeiten des Sozialrechts mit dem Schuldrecht (Rn. 141) finden sich die folgenden Bemerkungen: „Der Sozialleistungsträger unterliegt wie der Schuldner der Nebenpflicht zu umfassender Aufklärung des Gläubigers (vgl. §§ 13 ff. SGB I). Hier wie dort ist der falsch beratene oder nicht aufgeklärte Schuldner vom Gläubiger so zu stellen, wie er bei ordnungsgemäßer Erfüllung gestanden hätte (§ 280 BGB), und hier wie dort ist der geschuldete Ausgleich auf Naturalrestitution gerichtet (§ 249 BGB).“ Abgesehen davon, dass bei der zweiten Erwähnung von Schuldner und Gläubiger beide offenbar verwechselt wurden, stellt sich insgesamt die Frage, ob an dieser Stelle der Versuch zur Herausarbeitung von Parallelen zwischen Zivil- und Sozialrecht nicht doch überstrapaziert wurde. Das Sozialleistungsverhältnis ist gerade kein verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis, für das die analoge Anwendung der BGB-Vorschriften zu den Pflichtverletzungen befürwortet werden kann. Das zeigt sich nicht nur daran, dass in den Fällen unzureichender Aufklärung und Information etwa der sozialrechtliche Herstellungsanspruch in Betracht kommt, wie Eichenhofer an anderer Stelle selbst schreibt (Rn. 212 f.). Dessen Anwendungsbereich wird aber derart begrenzt, dass von einer Parallele zum zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gem. § 280 BGB nicht die Rede sein kann.

Schließlich sei ein letzter Hinweis für die 12. Auflage angefügt: Die Ausführungen zur Pflegeversicherung (Rn. 387 ff.) sind noch nicht in allen Passagen an die Neuregelungen nach dem Pflegestärkungsgesetz II angepasst worden. So wird die Pflegebedürftigkeit inzwischen gerade nicht mehr als „die aus Krankheit oder Behinderung herrührende dauerhafte Beeinträchtigung der gewöhnlichen oder regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens“ definiert – vgl. § 14 Abs. 1 SGB XI.

Fazit

„Der Eichenhofer“ ist im Sozialrecht eine Institution. Wer nicht nur über den Inhalt von Sozialrechtsnormen informiert werden, sondern Zusammenhänge verstehen will, liegt bei diesem Werk richtig. Über einige Aussagen lässt sich trefflich streiten – doch nur durch eine solche aktive Auseinandersetzung erlangt der Leser neue Erkenntnisse. So enthält das Buch vielfältige Anregungen zum Weiterdenken und bietet mehr als nur einen ersten kurzen Überblick. Uneingeschränkte Empfehlung!

Rezension von
Prof. Dr. Peter Baumeister
Duale Hochschule Baden-Württemberg Stuttgart
Website
Mailformular

Es gibt 8 Rezensionen von Peter Baumeister.

Zitiervorschlag anzeigen Besprochenes Werk kaufen

Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht

Sponsoren

Wir danken unseren Sponsoren. Sie ermöglichen dieses umfassende Angebot.

Über die socialnet Rezensionen
Hinweise für Rezensent:innen | Verlage | Autor:innen | Leser:innen sowie zur Verlinkung

Bitte lesen Sie die Hinweise, bevor Sie Kontakt zur Redaktion aufnehmen.
rezensionen@socialnet.de

ISSN 2190-9245