Oliver Müller: Vom Almosen zum Spendenmarkt
Rezensiert von Angela Scheibe-Jaeger, 26.04.2005
Oliver Müller: Vom Almosen zum Spendenmarkt. Sozialethische Aspekte christlicher Spendenkultur. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb (Freiburg) 2005. 443 Seiten. ISBN 978-3-7841-1574-0. 28,00 EUR. CH: 49,00 sFr.
Einführung
Bei dem aus einer Dissertation hervorgegangenen Buch geht es um die historische Entwicklung vom klassischen Almosen zur modernen Spende, wobei der Schwerpunkt auf der Beschreibung theologischer Sachverhalte liegt. Es wurde untersucht, wie sich der Almosenbegriff im Laufe der Zeit von der "paulinischen" Kollekte bis zum heutigen Spendenmarkt gewandelt hat und welche sozialethische Funktion der Spende dabei zukam.
Hintergrund
Der Autor hat als Anliegen, die Aktualität und gesellschaftliche Relevanz privater Wohltätigkeit im Kontext ihrer theologischen und geisteswissenschaftlichen Wurzeln heraus zu stellen. Sie wurde von jeher als Schlüssel zur Lösung sozialer Probleme betrachtet. Insoweit ist ein Zusammenhang mit Sozialen Berufen herzustellen.
Aufbau und Gliederung
In fünf der insgesamt sechs Kapiteln geht es um den Begriff Almosen. Im Kapitel 1 wird erklärt, was unter Almosen zu verstehen ist und sie werden in ihrem Kontext dargestellt. Das zweite Kapitel befasst sich mit Almosen in der theologiegeschichtlichen Rückschau. Die Almosen in der kirchlichen Sozialverkündung werden in Kapitel 3 dargestellt. Kapitel 4 zeigt die Erscheinungsformen des Almosenbegriffs in Sozialethik und Caritaswissenschaft auf. Strategie statt Sammelbüchse: Spendenmarkt und -praxis heute stehen im Mittelpunkt des fünften Kapitels. Das sechste Kapitel enthält die Sozialethischen Dimensionen des Spendens.
Inhalte
- Die Ausführungen sind stark theologisch geprägte Darstellungen und beleuchten auf dieser Basis im Kapitel 1 den Begriff Almosen. Almosen sind als Gabe, als Geschenk, als Opfer und als Spender zu sehen und ihre gesellschaftlichen Funktionen werden im sozialwissenschaftlichen Kontext zu Betteln und Aberglaube untersucht.
- Kapitel 2 zeigt die Bedeutungsverschiebungen des Almosen-Begriffs in einer umfassenden Entwicklungsgeschichte vom vorchristlichen Altertum, dem Alten Testament und Judentum, Almosen im Neuen Testament, in frühchristlicher Zeit über das Mittelalter und frühen Neuzeit bis zum Ende des19. Jahrhunderts.
- Kapitel 3 widmet sich der Darstellung, wie Almosen in der kirchlichen Sozialverkündung erklärt werden, wie die einzelnen Päpste seit Leo XIII. (1891) sich mit ihren Sozialenzykliken mit dem Thema Almosen als Form individueller Wohltätigkeit auseinander gesetzt haben.
- Im vierten Kapitel geht es um die Ausprägungen der letzten gut 100 Jahre. Danach galten Almosen ehemals als Schlüssel zum Schutz der bedürftigen Menschen und noch in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jh. stellten sie das zentrale Mittel der Caritas dar: Almosen als Sinnbild und Mittel der Caritas, als Bekenntnis, als Pflicht in der Nachkriegsnot nach dem zweiten Weltkrieg, um die Entwicklung zur Spende für „Hilfe zur Selbsthilfe“ und dem Abschied von der Sammelbüchse als „befreites Spenden“ zwischen 1970 und 1990.
- Neben diesen detailliertest aufgezeigten Aspekten der Theologiegeschichte geht es in Kapitel 5 in begrenztem Umfang um aktuelle Fragen der Mittelbeschaffung als der Weiterentwicklung des Almosenwesens. Der Autor beschreibt den heutigen Spendenmarkt und verweist auf die heutige Spendenpraxis als „Strategie statt Sammelbüchse“. Nach Daten zum Spendenwesen und einem Hinweis auf die Formen des Fundraising werden Besonderheiten christlicher Spendenkultur aufgezeigt.
- Das sechste Kapitel geht auf sozialpolitische Aspekte des Spendens ein und hinterfragt „ Fundraising - eine christliche Tugend?“. Der Autor zeigt, dass Fundraising als paulinische Kollekte ihren Ursprung im 2. Korintherbrief des Apostels Paulus hat und eine höchst kommunikative Aufgabe ist. Generell sieht er das Fundraising als zentrale Herausforderung der „Weitergabe der Spendenbereitschaft an die kommende Generation“ und wünscht sich eine teilweise Amerikanisierung, um auch hier Fundraising zur unverzichtbaren Kulturtechnik zu etablieren, gerade auch in Pfarrgemeinden und Diözesen.
Zielgruppen
Das Buch spricht deutlich eine theologisch orientierte Zielgruppe innerhalb der Sozialen Arbeit an, denn aus dieser eindeutigen Perspektive wurde es verfasst. Es eignet sich weniger für Fundraising-Praktiker, sondern spricht eher "caritas-orientierte" Leser an, die an einer kirchlich-katholischen Legitimierung von Spenden-Akquisition zur Sicherung der Sozialen Arbeit interessiert sind. Fundraiser finden - anders als der Rückseitentext andeutet - zwar Hintergrundwissen, aber nur wenig Relevantes für ihre Arbeit der Mittelbeschaffung und die Gesetzmäßigkeiten modernen Fundraisings.
Einschätzung des Autors
Der Autor hat als Mitarbeiter bei nationalen und internationalen Caritas-Einrichtungen Erfahrungen im praktischen Fundraising und hat mit dieser "Almosen-Geschichte" erfolgreich promoviert.
Lesbarkeit
Wer an ausführlichen Schilderungen theologisch-historischer Zusammenhänge rund um das Thema Almosen interessiert ist, findet ein lesbares Werk. Es handelt sich aber nicht um ein Lehr- oder gar Arbeitsbuch für soziale Berufe.
Nützlichkeit des Buches
Da lediglich 50 der knapp über 400 Seiten aktuellere Fragen des Fundraising behandeln, der Rest sich um historische sozialethische Aspekte meist überholter christlicher Spendenkultur handelt, nützt dieses Buch den sozial tätigen Lesern, die an theologisch geprägtem Hintergrundwissen interessiert sind. Praktiker werden weniger bedient. Die Leser sollen lt. Autor durch die "wieder zu entdeckende Erbe früherer Almosentheologie wertvolle sozialethische Impulse" erhalten.
Fazit
Für die praktische Arbeit im Fundraising eignet sich dieses Buch nicht, wer an der Geschichte der christlichen (katholischen) Spendenkultur interessiert ist, erfährt Fundiertes dazu.
Rezension von
Angela Scheibe-Jaeger
Als Diplom-Volkswirtin und Diplom-Sozialpädagogin freiberuflich in der Weiterbildung, als Sachbuchautorin (Fundraising, Existenzgründung, Sozialökonomie, Sozialmarketing) sowie als Fundraising-Beraterin in München tätig.
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Es gibt 21 Rezensionen von Angela Scheibe-Jaeger.
Zitiervorschlag
Angela Scheibe-Jaeger. Rezension vom 26.04.2005 zu:
Oliver Müller: Vom Almosen zum Spendenmarkt. Sozialethische Aspekte christlicher Spendenkultur. Lambertus Verlag GmbH Marketing und Vertrieb
(Freiburg) 2005.
ISBN 978-3-7841-1574-0.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/2611.php, Datum des Zugriffs 12.12.2024.
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