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Kevin Breel: Boy Meets Depression

Rezensiert von Prof. Dr. Carl Heese, 16.09.2019

Cover Kevin Breel: Boy Meets Depression ISBN 978-0-553-41837-8

Kevin Breel: Boy Meets Depression. Random House (New York, NY 10019) 2015. ISBN 978-0-553-41837-8.

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Autor

Kevin Breel ist Anfang zwanzig und leidet seit seiner Jugend immer wieder an Depressionen. Als Neuzehnjähriger hat er in einem bewegenden TED-Talk, der millionenmal aufgerufen wurde, über seine Erkrankung gesprochen und das vorliegende Buch veröffentlicht. Er arbeitet als Autor und Stand up-Commedian, tritt engagiert für die Mental-Health-Bewegung ein und hat Auftritte bei zahlreichen Organisationen, bei denen er auf seine besondere Weise von seiner Erkrankung erzählt und gegen die Stigmatisierung von Menschen mit psychischen Erkrankungen eintritt.

Aufbau

Das Buch ist als lineare biografische Erzählung in zehn Kapiteln aufgebaut. Die Kapitel werden jeweils durch ‚Notes to Self‘ beendet – eine kurze Reflexion oder Maxime, die häufig ironisch gebrochen wird.

Inhalt

Die Erzählung beginnt mit der Kindheit in Kanada, in einem mittelständischen Wohngebiet in Viktoria. Schon die frühe Kindheit ist von einer schwierigen Elternsituation belastet. Der Vater ist Alkoholiker, wenn auch ein unaggressiver, der nachmittags in seinem Zimmer im Erdgeschoß – der erste Stock gehört der Mutter – betrunken auf dem Sofa einschläft. Die Mutter ist resigniert und die ältere Schwester nützt das Zuhause nur als Versorgungsstation. In dieser Konstellation erlebt Kevin vor allem Alleinsein, vor dem er in seine Fantasie flüchtet. Es fehlt ihm ein wirkliches Zuhause, in dem er nicht ständig auf der Hut muss.

Die Schule erlebt er als Ort des Befremdens und der Langeweile, in dem man Umgang mit Lehrern hat, die bitter und ärgerlich sind oder ihre Schüler sogar hassen. Er habe die Schule nie geliebt, weil er, wie er vermutet, niemals einer Lehrperson begegnet ist, zu der er Zutrauen und Zuneigung empfunden hätte. Dazu finden die Mitschüler bald heraus, was für ein einfaches Opfer ein schüchterner, nah am Wasser gebauter Junge ist und fangen an, ihn ungestört zu mobben. Die Schule hat ironischerweise eine Anti-Bullying-Strategie, mit der sie breit wirbt. Kevin verschließt sich weiter und entwickelt einen Selbsthass, der findet, seine Peiniger hätten recht.

Er wechselt die Schule und nach einer Durststrecke beginnt sich alles zu ändern, als er in der neuen Schule Freunde findet. Da ist vor allem Jordan, bei dessen Familie er aufgenommen wird wie Harry Potter bei den Weasleys. Ab da hätte für den jetzt Zwölfjährigen vielleicht alles gutgehen können, doch dann stirbt Jordan bei einem Autounfall und Kevin fällt wieder in die Einsamkeit zurück, aus der gerade angefangen hatte, sich herauszuarbeiten.

Seine Pubertät erlebt er dann als dauernde Belastung. Er kommt nun an die Highschool, die ihn verwirrt und in der seine innere Einsamkeit und Verzweiflung weiter anwachsen. Aber er kommt dort auch in Kontakt mit einem Berater, der ihn aufgrund seines Risikoprofils proaktiv betreut und ihn – wie er im Nachhinein erkennt – rettet. Einer intensiveren Therapie entzieht er sich jedoch zu diesem Zeitpunkt, indem er erneut die Schule wechselt, aber durch den Berater kennt seine Mutter nun seine Gefährdung.

Sein pubertärer Umgang mit Mädchen ist überaus kompliziert, er zieht lange Zeit daraus vor allem die Bestätigung dafür, dass an ihm nichts Liebenswertes ist. Es ist für ihn ein weiter Weg, bis er seine Verletzlichkeit und den Gedanken an eine Beziehung zusammenbringen kann. In einer ausgedehnten Lektürephase wendet er dann sein Elend nach außen. Sein Selbsthass wird zum Hass auf die Welt, die dafür genügend Stoff liefert.

Schließlich rutscht er langsam und beinahe unmerklich in die Depression. Er funktioniert im Alltag, liegt aber nachmittags stundenlang am Boden und starrt die Decke an. Seine innere Einsamkeit hat einen Minuspol erreicht. Als die Suizidgedanken einsetzen, erlebt es das als eine kleine Erleichterung. Ihre Häufigkeit nimmt zu und schließlich kommt es zu einer Krise. Er fasst einen Suizidplan, schreckt aber vor dessen Umsetzung schließlich doch zurück. Seine Mutter kann ihn dann davon überzeugen einen Psychotherapeuten aufzusuchen. Er berichtet davon, wie lange er sich dagegen gesträubt hat und wie schwer es ihm gefallen ist, diesen Schritt zu tun. Aber schon bei der Fahrt dorthin kommen bei ihm in einem Vorort zwischen Küste und Bergen heimatliche Gefühle auf, die etwas von dem enthalten, was er in seiner Kindheit in seiner Familie vermisst hat.

Während der langen Zeit der Therapie kommt es zu Krisen, in denen es ihm nun aber gelingt sich seiner Mutter und anderen anzuvertrauen. Er findet auch einen älteren Freund, der ebenfalls mit psychischen Problemen belastet ist. Die akute Depression geht vorüber, sie kehrt aber seither öfter wieder, und er muss lernen, mit ihr zu leben.

Das abschließende Kapitel Thinking better thoughts ist dann eine Meditation, in der er über seine Gedanken reflektiert. Er erkennt unter anderem, dass seine Kindheit nicht die schlechteste war und dass es immer wieder einfacher war und ist, sich gehen zu lassen und den Kampf gegen den Druck der Erkrankung aufzugeben.

Ein kurzes Nachwort berichtet von einer Krise beim Schreiben des Buches. In dem Wohnheim, in dem er nun lebt, kommt es zu einem nächtlichen Feueralarm. Während er in Panik versucht, nach draußen zu kommen, überfällt ihn die Erkenntnis, was seine Panik bedeutet: dass er vor allem eines will, leben.

Der Anhang enthält eine persönlich gehaltene Werbung für die Selbthilfe-Bewegung „To Write Love on Her Arms“ (https://twloha.com/learn/story/), die versucht, Menschen mit Depressionen, Suizidgedanken und Suchtproblemen zu unterstützen.

Diskussion

Für die Aufklärung über depressive Erkrankungen ist in den letzten Jahren Vieles erreicht worden. Die Depressionshilfe mit ihren regionalen Bündnissen und Netzwerken war und ist dabei ein wichtiger Akteur. Als eine Gruppe, die für Prävention und Aufklärung schwerer zu erreichen ist, hat sich die der Jugendlichen, und besonders der männlichen Jugendlichen, herausgestellt. Für sie hat zwar die Berichterstattung über die depressive Erkrankung von Jugendidolen wie die Fußballer Robert Enke und Sebastian Deisler das Wissen über die Existenz depressiver Erkrankungen erhöht, es ist aber ein besonderer Glücksfall, wenn jemand aus dieser Gruppe von seinem Betroffensein mit großer Darstellungsgabe reflektiert berichten kann. Das ist bei Kevin Breel der Fall. Sein Buch ist ein wunderbarer biografischer Bericht über eine Kindheit und Jugend, die lange belastet war, in eine Depression führte, die schließlich therapeutisch teilweise bewältigt und teilweise akzeptiert wird.

Das Buch hat zwei besondere Stärken. Die eine liegt in der authentischen Darstellung der Erkrankung, aber auch der des Heranwachsens. Was Pubertät heute ist, wie sehr man sich gegen Hilfe sträuben kann, wie das depressive Selbstbild zum Weltbild wird, wie Suizidideen langsam einen Eingang in das Denken finden oder dass man bei seiner Lebensgeschichte als Leidensgeschichte nicht stehen bleiben muss und dass ein hilfreicher Weg über Solidarisierung in das Engagement führen kann: das sind für mich die besonderen Glanzlichter dieses Buches.

Die andere Stärke liegt in der Art der Darstellung. Das Buch steht in der Tradition von Büchern wie „I Never Promised You a Rose Garden“ von Joanne Greenberg (Hannah Green). Während Greenberg die Romanform für die Darstellung ihrer psychischen Erkrankung wählte, arbeitet Breel mit einer direkten Erzählung der eigenen Lebensgeschichte, die er immer wieder mit Reflexionen ergänzt. Dabei unterstützt die einfache Erzählung den authentischen Charakter des Buches. Ihre sprachliche Umsetzung ist aber durchaus kunstvoll. So arbeitet er häufig mit der Rhetorik der Wiederholung, die er auch auf der Bühne benützt und die einen lebendigen und improvisatorischen Eindruck erzeugt, und vor allem gelingen ihm pointierte Formulierungen zuhauf. Durch sie wird das Buch trotz des traurigen Themas zu einem besonderen Vergnügen.

Fazit

Wunderbares Buch, in dem ein junger Mann plastisch, witzig und auch drastisch von seinem Leben mit einer Depression erzählt und dabei Einiges an Weisheit über sich, die Anderen und die Welt entfaltet. Auf Englisch, Holländisch, Portugiesisch und Chinesisch – aber leider nicht auf Deutsch!

Rezension von
Prof. Dr. Carl Heese
Professur für Rehabilitation an der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg
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Es gibt 35 Rezensionen von Carl Heese.

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Zitiervorschlag
Carl Heese. Rezension vom 16.09.2019 zu: Kevin Breel: Boy Meets Depression. Random House (New York, NY 10019) 2015. ISBN 978-0-553-41837-8. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26126.php, Datum des Zugriffs 16.01.2025.


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