Norman Paech: Menschenrechte
Rezensiert von Prof. Dr. Georg Auernheimer, 12.11.2019

Norman Paech: Menschenrechte. Geschichte und Gegenwart - Anspruch und Realität.
PapyRossa Verlag
(Köln) 2019.
221 Seiten.
ISBN 978-3-89438-710-5.
D: 18,90 EUR,
A: 19,50 EUR.
Reihe: Neue kleine Bibliothek - 279.
Thema
Der Untertitel gibt bereits Auskunft über zentrale Fragen: Seit wann gibt es nicht nur ein Bewusstsein von Menschenrechten, sondern auch ein erklärtes Recht solcher Art von universeller Geltung? Worin besteht der Anspruch und inwieweit wird er eingelöst? Dabei werden vor allem die UNO-Deklarationen seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte Thema, und zwar unter Berücksichtigung nicht nur der politischen, sondern auch der sozialen Menschenrechte.
Autor
Norman Paech lehrte bis zu seiner Emeritierung Politische Wissenschaften an der Fakultät Jura II der Universität Hamburg und Öffentliches Recht an der Hamburger Hochschule für Wirtschaft und Politik. Er ist Autor zahlreicher Publikationen über Menschenrechtsfragen und Völkerrecht und hat sich stets auch politisch engagiert, nicht zuletzt als Bundestagsabgeordneter der Fraktion Die Linke (2005-2009).
Inhalt und Aufbau
Der Autor hat seine Abhandlung in zehn Kapitel gegliedert, die Einleitung inbegriffen.
- Leitend ist dabei der Blick auf die Doppelgesichtigkeit der auf die bürgerlichen Grundfreiheiten beschränkten Menschenrechte als Verpflichtung und Aufgabe, aber auch als Waffe und als „Veredelung der eigenen Interessen“ (Vorwort), was zugleich danach verlangt, die Menschenrechte nicht auf politische Rechte zu verkürzen. Denn ihr eigenes Schicksal könnten Menschen nur bestimmen, wenn sie auch soziale Rechte haben, um sich von den Restriktionen ihrer Umwelt zu befreien. Ein zentraler Aspekt ist dabei die völkerrechtliche Verbindlichkeit der Menschenrechte, die historisch jüngeren Datums ist (Einleitung).
- Höchst problematisch findet der Autor jedoch die angemaßte „Responsibility to Protect“ (Schutzverantwortung) zur Rechtfertigung „humanitärer Interventionen“ in Kapitel 2 „Das Völkerrecht und die Instrumentalisierung der Menschenrechte“. Sie diene als „Türöffner für einen Krieg kolonialer Prägung“ (34).
- In 3. „Ursprung der Menschenrechte“ zeichnet Paech den Fortschritt vom göttlichen Recht zum Gesellschaftsvertrag nach, der es erlaubt, Rechte einzufordern, wobei es noch ein Schritt vom Herrschaftsvertrag zur Volkssouveränität ist. Die Kämpfe der Frauen, der Arbeiterbewegung und der Befreiungsbewegungen werden als Konsequenz des neuen Rechtsverständnisses behandelt.
- In 4. „Marxismus und Menschenrechte“ wendet sich Paech im Anschluss an Hermann Klenner (1982) gegen das Missverständnis, für die revolutionäre Praxis oder für die nachrevolutionäre sozialistische Gesellschaft sei der Kampf für die Menschenrechte ohne Belang.
- In 5. „Drei Generationen von Menschenrechten“ fokussiert Paech auf das in den antikolonialen Befreiungsbewegungen erkämpfte Selbstbestimmungsrecht der Völker. Behandelt werden Grenzen dieses Rechts (Beispiel Katalonien), der Unterschied zwischen Autonomie und Sezession, Fragen der Legitimation von Sezessionen und Minderheitenschutz. Behandelt wird also das Recht der dritten Generation von Menschenrechten. Die Überschrift ist insofern irreführend.
- Die „Universalität der Menschenrechte“ (Kapitel 6) wird nach Paech nicht nur durch kulturelle und religiöse Unterschiede in Frage gestellt, was meist allein Beachtung findet, sondern auch durch die Reduktion auf politische Rechte. Der kritischen Bewertung des Verständnisses von Menschenrechten im Islam und in Ostasien folgt der Verweis auf die Instrumentalisierung der Menschenrechte durch die imperialistischen Staaten.
- In 7. „Menschenrechte im Dienst des Krieges“ wird einerseits die zivilisatorische Mission auf Basis der „Spaltung des Völkerrechts entlang der Trennung in Zivilisation und Barbarei“ (137) zum Thema gemacht, andererseits die Schaffung einer neuen Völkerrechtsordnung durch die UN-Charta.
- In den Fokus von 8. „In der Wüste der Menschenrechte: Apartheid“ rückt Paech die Politik Israels. Den starken Vorwurf belegt er mit Gutachten der UN-Sonderberichterstatter und anderen Dokumenten.
- Auf „Soziale Menschenrechte“ geht der Verfasser ausführlich in Kapitel 9 ein, nachdem er auf sie vorher schon wiederholt verwiesen hat. Er erinnert an die Forderungen der Arbeiterbewegung in den Revolutionen von 1848 und 1917/18, sodann an die Verabschiedung des Sozialpakts der UNO, der Europäischen Sozialcharta etc. Die reservierte Haltung gegenüber dieser Kategorie von Menschenrechten im Kapitalismus wird dabei so wenig ausgeblendet wie die Schwierigkeiten ihrer Kodifizierung in diesem System. Paech betont, dass es ungeachtet unterschiedlicher Verpflichtungsebenen des Staates „keinen normativen Unterschied in der rechtlichen Verbindlichkeit von Rechten des Zivil- und Sozialpakts gibt“ (185).
- Das abschließende Thema sind „Menschenrechte und Weltwirtschaftsordnung“ (Kapitel 10). Beide werden als schwer vereinbar eingeschätzt, solange letztere vom Marktradikalismus bestimmt wird. Kritisch beleuchtet werden die Streitschlichtungsverfahren zwischen Konzernen und Staaten sowie patentrechtliche Regelungen. Auch auf die Chance von Klagen gegen transnationale Konzerne im Fall von Umweltschäden oder Menschenrechtsverletzungen geht der Verfasser ein.
Diskussion
Gegenüber der bisherigen Literatur zum Thema zeichnen zwei Besonderheiten die vorliegende Publikation aus: zum einen die Betonung des Verweisungszusammenhangs von Menschenrechten und Völkerrecht, zum anderen das Insistieren auf der gleichen rechtlichen Verbindlichkeit von politischen und sozialen Rechten, damit auch von individuellen und kollektiven Rechten. Anders als viele Veröffentlichungen über Menschenrechte beschränkt sich der Verfasser auch nicht auf historische und philosophische Annäherungen ans Thema, sondern lässt sich auf sozialwissenschaftliche, speziell politische, Realisierungsbedingungen ein. Dass der rechtswissenschaftliche Aspekt nicht vernachlässigt wird, ist bei seiner fachlichen Herkunft selbstverständlich. Generell ist die Vielfalt der behandelten Aspekte beachtlich.
Fazit
Selbstverständlich ist das Buch von allgemeinem Interesse, von besonderem Interesse aber für politische Aktivisten, in Sozialberufen, in der Entwicklungszusammenarbeit oder auch im Bildungsbereich Tätige.
Rezension von
Prof. Dr. Georg Auernheimer
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Zitiervorschlag
Georg Auernheimer. Rezension vom 12.11.2019 zu:
Norman Paech: Menschenrechte. Geschichte und Gegenwart - Anspruch und Realität. PapyRossa Verlag
(Köln) 2019.
ISBN 978-3-89438-710-5.
Reihe: Neue kleine Bibliothek - 279.
In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26225.php, Datum des Zugriffs 25.09.2023.
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