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Clarissa Rudolph, Katja Schmidt (Hrsg.): Interessen­vertretung und Care

Rezensiert von Dr. Barbara Stiegler, 11.02.2020

Cover Clarissa Rudolph, Katja Schmidt (Hrsg.): Interessen­vertretung und Care ISBN 978-3-89691-270-1

Clarissa Rudolph, Katja Schmidt (Hrsg.): Interessenvertretung und Care. Voraussetzungen, Akteure und Handlungsebenen. Verlag Westfälisches Dampfboot (Münster) 2019. 266 Seiten. ISBN 978-3-89691-270-1. D: 33,00 EUR, A: 34,00 EUR.
Reihe: Arbeit - Demokratie - Geschlecht - 26.

Weitere Informationen bei DNB KVK GVK.
Inhaltsverzeichnis bei der DNB.

Thema

Nicht nur mit dem Blick auf die demographische Entwicklung in Zukunft, auch schon heute ist die Pflege alter und kranker Menschen in einer Krise, die mit Recht die Bezeichnung „Notstand“ verdient. Das bundesdeutsche Pflegesystem ist nach wie vor familienzentriert, die Hauptlast tragen die meist weiblichen Angehörigen. Die professionellen Dienstleistungsangebote sind quantitativ und qualitativ unzureichend, die dort Arbeitenden, wiederum überwiegend weiblich, unterbezahlt und müssen belastende Arbeitsbedingungen in Kauf nehmen. Selten haben sie die Möglichkeit, die Pflege so zu gestalten, wie es ihrem professionellen Selbstverständnis entspricht. Der Fachkräftemangel, der schon jetzt herrscht und der in Zukunft noch zunehmen wird, führt allerdings nicht dazu, dass die professionell Pflegenden ihre Stärke aus diesem Mangel ziehen, sich in großem Stil organisieren und für ihre Interessen kämpfen. Welche Gründe es dafür gibt, aber auch welche Möglichkeiten der Artikulation sich entwickeln können, dazu gibt es in diesem Sammelband eine Fülle von Erkenntnissen.

Herausgeberinnen

Prof. Dr. Clarissa Rudolph lehrt an der OTH Regensburg Soziologie und Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Geschlecht und Arbeit.

Katja Schmidt, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsverbund ForGenderCare und forscht an der OTH Regensburg zu „Arbeitsbedingungen und Interessenvertretung von Pflegekräften in Bayern“.

Aufbau und Inhalt

Der Band beinhaltet 14 Beiträge und gliedert sich in vier Teile:

  1. Im ersten Teil geht es um die wohlfahrtsstaatliche Analyse von Care und Care-Arbeit und den Wandel der Geschlechterverhältnisse.
  2. Im zweiten Teil werden Analysen von konkreten Interessenvertretungsprozessen in der Kranken- und Altenpflege vorgestellt.
  3. Der dritte Teil widmet sich den Arbeits- und Politikbedingungen der migrantischen Pflege im Privathaushalt und
  4. der vierte Teil thematisiert kollektives Handeln in und durch Care-Arbeit.

Erster Teil

Eine sehr klare Einführung in die Geschichte und die Debatte um Care Arbeit gibt Alexandra Scheele, PD Dr., die zurzeit eine Vertretungsprofessur für Arbeits- und Wirtschaftssoziologie an der Uni Bielefeld innehat. Zunächst zeichnet sie die historische Entwicklung geschlechtlicher Arbeitsteilung und deren Verfestigung im heutigen Wohlfahrtstaat nach. Die gegenwärtige Abspaltung und Abwertung dieser Arbeit führt sie auf die Dominanz der kapitalistischen Produktionslogik zurück, wodurch auch die Arbeitsbedingungen der Care Arbeitendem so prekär werden. Zuletzt definiert sie zwei mögliche Entwicklungspfade, in denen die Reproduktionskrise gelöst werden könnte: in der positiven Variante gibt es ein politisches und ökonomisches Umdenken, in dessen Zentrum die Bedürftigkeit des Menschen steht, in der pessimistischen Variante verschärft sich die Nach- und Unterordnung von Care-Arbeit und statt der Aufwertung der Care-Arbeit gewinnt das Leitbild einer Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft Oberhand, in der die Sorge für andere keine Rolle mehr spielt.

Annette Meussling-Sentpali, Dr.rer.cur., Professorin für Pflegewissenschaft an der Ostbayrischen Technischen Hochschule, sieht die anhaltenden Schwierigkeiten für eine Professionalisierung der Pflegeberufe in der Uneindeutigkeit, die dem Pflegebegriff und der Pflegearbeit immer noch anhaften sowie in den dahinter liegenden Geschlechterverhältnissen. Typisch für Pflegeberufe als Frauenberufe sind die vermeintliche Nähe zur Laienarbeit und die Unterordnung unter „höherwertige Professionen“ ( hier der Medizin), das unterdurchschnittliche Lohnniveau, der geringe Marktwert und die mangelhaften Aufstiegschancen für Frauen, während die wenigen Männer in diesem Feld schneller in hierarchisch höhere Positionen kommen. Sie plädiert für eine generalistische akademische Ausbildung und für eine pflegewissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem originär Pflegerischen.

Den Einfluss von Ökonomisierungsprozessen auf die Arbeitsbedingungen in der Pflege analysiert Diana Auth, Dr. habil., Professorin für Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialpolitik an der FH Bielefeld. Zunächst beschreibt sie vier Ökonomisierungsprozesse: Effizienzorientierung in der Organisation der Pflegeversorgung, Vermarktlichung der Leistungserbringung, Individualisierung pflegerischer Risiken trotz deren (Teil-) Kollektivierung durch die Pflegeversicherung sowie die Förderung der Marktausweitung. Die Ökonomisierung hat allerdings nicht dazu geführt, dass die Fachkräftequote unter den Beschäftigten wesentlich steigt, und auch an der Ungleichheit in den Geschlechterverhältnissen hat sich nichts geändert: Bei den Beschäftigten mit pflegewissenschaftlichem (Fach)Hochschulabschluss liegt der Frauenanteil um 15 % niedriger als der der Männer. Die Löhne im Altenpflegebereich sind unterdurchschnittlich, es gibt eine Tendenz zur Zunahme der Teilzeitbeschäftigung und der Befristungen. Demnach haben sich die Arbeitsbedingungen also eher verschlechtert als verbessert und für die Autorin ist es fraglich, ob die jetzigen Bemühungen der Regierung („Konzertierte Aktion Pflege“) ausreichen, um den Trend zu stoppen.

Clarissa Rudolph und Katja Schmidt, die beiden Herausgeberinnen, fragen nach den Gründen dafür, dass die Pflegekräfte noch nicht „auf die Barrikaden“ gegangen sind. Sie stellen dazu Ergebnisse des Forschungsprojektes „Arbeitsbedingungen und Interessenvertretung von Pflegekräften in Bayern“ vor. In einem Dreieck der Arbeitsbeziehungen Pflege (S. 77) setzen sie die politische Ebene (z.B. Wohlfahrtsstaat, Genderregime), die verbandlich kollektive Ebene (z.B. Interessenverbände, Gewerkschaften) und die individuelle Ebene (z.B. Bewältigungsprozesse, Geschlechterbilder) in Beziehung. In diesem Beitrag konzentrieren sie sich auf die individuellen Bewältigungsstrategien und Organisierungshürden (individuelle Ebene) und zeigen durch die Ergebnisse der Interviews mit Pflegenden und an der Debatte zur Pflegekammer (in Bayern) die Möglichkeiten und Hürden der Interessenvertretung in der Pflege auf. Die gegebenen Bedingungen erschweren es den Pflegekräften enorm, ihre Interessen wirksam zu vertreten.

Zweiter Teil

Judith Holland, Dr., arbeitet im Büro für Gender und Diversity an der Universität Erlangen-Nürnberg. Ihr Beitrag beschäftigt sich mit der gewerkschaftlichen Geschlechterpolitik. Bei der Auswertung ihrer Interviews mit Gewerkschaftssekretär*innen lehnt sie sich an die Typologie des Geschlechterwissens von Angelika Wetterer an und stellt fest, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede auf dem deutschen Arbeitsmarkt sich auch in den Unterschieden in den gewerkschaftlichen Geschlechterverhältnissen und im Geschlechterwissen relevanter Akteur*innen widerspiegeln. Sie plädiert dafür, dass neben der Kategorie ‚gender‘ im intersektionalen Sinne auch die Dimension ‚class‘ in der gewerkschaftlichen Politik verstärkt wird und dass frauenpolitische Themen als geschlechterübergreifende Interessen stärker in die Tarifpolitik eingehen müssen.

Wolfgang Schröder, Dr., Professor an der Universität Kassel und Fellow am WZB vertritt die These, dass die Selbstorganisationsfähigkeit der Pflegekräfte ein unabdingbarer Faktor bei der Neukonstituierung der Pflegebranche ist. Kollektives Handeln ist aber von strukturellen Pfadabhängigkeiten geprägt, wie er empirisch belegt. Die Altenpflege ist strukturell durch den Staat gerahmt, und wenn die Arbeitgeberseite wenig Interesse an Verbesserungen zeigt, die Beschäftigten aber kaum in der Lage sind, eine handlungsfähige Institutionenordnung zu schaffen, muss der Staat hier eingreifen. Aber auch die Gewerkschaften könnten durch eine geplante Assistenz beim Ausbau betrieblicher Strukturen der Interessenvertretung die Beschäftigten unterstützen. Den Arbeitgebern empfiehlt er, verhandlungsstarke Gewerkschaften als Element eines attraktiven Arbeitsfeldes zu begreifen.

Kirchliche Pflegeeinrichtungen und ihre Besonderheiten sind Gegenstand einer Analyse von Clarissa Rudolph. Der sogenannte „Dritte Weg“, begründet im Sendungsauftrag der Kirche, begrenzt objektiv die Rechte der Interessenvertretungen, in denen zudem die Frauen unterrepräsentiert sind. Das führt im Konfliktfall dazu, dass sich die Arbeitgeber durchsetzen können und die geschlechtsspezifischen Ungleichheiten in den Einrichtungen verfestigt werden. Die patriarchalen Strukturen der Kirchen spiegeln sich auch im System der Interessenvertretung wider. Letztlich führen diese Verhältnisse zu der Frage, ob das Konstrukt der Subsidiarität in der wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Diskussion nicht neu bestimmt werden sollte.

Dritter Teil

Aranka Vanessa Benazha, M.A., wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Frankfurt und Helma Lutz, Dr., Professorin für Frauen und Geschlechterforschung an der Universität Frankfurt und geschäftsführende Direktorin des Cornelia Goethe Centrums, geht es um das Verhältnis von Geschlecht, Klasse und Ethnizität in der Pflege: nach einem Rückblick auf das Dienstmädchenphänomen beschreiben sie die prekarisierenden Verhältnisse für die Migrant*innen in der „24 Stunden Betreuung“ und fokussieren dabei auf die Rolle der Vermittlungsagenturen (400 in Deutschland, 190 in Polen). Da öffentliche Angebote fehlen, wird die Verantwortung für die Pflege an die Angehörigen verwiesen und damit privatisiert. Dementsprechend vollzieht sich auf der Mesoebene durch die Ausbreitung der Agenturen eine schleichende „Institutionalisierung von unten“ (S. 152). Rechtlich sind die Agenturen die Arbeitgeber, real müssen aber die Arbeitsbedingungen im Privaten verhandelt werden. So ist ein grauer, ethnisierter und vergeschlechtlichter Arbeitsmarkt mit Niedrigstlöhnen entstanden, wobei die realen Arbeitsbedingungen der Migrant*innen unsichtbar gemacht werden.

Ein internationaler Vergleich der Altenpflege zeigt, dass es auch Alternativen gibt. Hildegard Theobald, Dr., Professorin für Organisationelle Gerontologie an der Universität Vechta, analysiert ländervergleichend zentrale Dimensionen wie Pflegepolitiken, Professionalisierungspolitiken und Migrationspolitiken in der Altenpflege. Je stärker behandlungs-, grundpflegerische und haushaltsorientierte Tätigkeiten verknüpft werden, desto eher werden professionelle Kompetenzen wahrgenommen. Neue Stratifikationen der Pflegekräfte ergeben sich anhand ihrer Qualifikationen und ihrer Herkunftsländer. Länder, die den integrativen Pfad der Professionalisierung gehen (Schweden, Dänemark) bieten auch für Migrant*innen Zugang zu umfangreichen Qualifikationen und regulärer Beschäftigung.

Eine Organisierung von 24h-Pflegekräften ist aber auch nicht unmöglich. Christine Bohmert, M.A., wissenschaftliche Angestellte am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Tübingen, untersucht die Herausforderungen für die freien Träger*innen und Gewerkschaften, die diese Prozesse unterstützen. Während in der Schweiz schon 2013 polnische Migrant*innen ein basisgewerkschaftliches Netzwerk (Respekt@vpod) gegründet haben, wird in Deutschland weiterhin ohne Proteste in der 24h-Pflege gegen Arbeitszeit- und Mindestlohngesetz verstoßen. Hier gibt es allenfalls informelle Netzwerke unter den Care-Arbeiter*innen, die sowohl privaten Charakter (Freizeit, gegenseitige Unterstützung) als auch kommerziellen Charakter (Rekrutierung) haben. Institutionelle Unterstützung etwa durch Gewerkschaften oder freie Träger*innen beschränkt sich vor allem auf Beratung zu arbeits- und sozialrechtlichen Fragen und auf psychosoziale Beratung. Weitergehende Versuche der Initiierung von Begegnungs- und Organisierungskontexten sind bisher wenig erfolgreich. Ein breites Bündnis verschiedener Partner*innen wäre erforderlich, damit die Unterstützungsangebote nicht nur punktuell wirken und die Organisierung von Migrant*innen erleichtert wird.

Eva Kocher, Dr., Professorin für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Europa Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) gibt einen Überblick über die rechtlichen Rahmenbedingungen der 24h-Stunden-Pflege. Der Gesetzgeber kommt seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflicht für die Hausarbeiterinnen und Hausarbeiter insbesondere bei der 24h-Stunden-Pflege bislang nicht wirksam nach. Sie stellt die Probleme der Transparenz und der Rechtsdurchsetzung dar und schlägt Regelungsoptionen vor: Eine gesetzliche Regelung der Mindeststandards für Live-in-Arbeitskräfte, Musterarbeitsverträge, Rechtshilfefonds und Verbandsklagerecht (für Hausangestelltenorganisationen). Als Anreize zur Förderung der Nachfragestrukturen sieht sie vereinfachte Verfahren der sozialversicherungsrechtlichen Anmelde- und Abrechnungsverfahren sowie Zuschüsse bei legalen zertifizierten Dienstleistungen über ein System subventionierter Gutscheine nach belgischem Vorbild.

Vierter Teil

Nausikaa Schirilla, Dr., Professorin für soziale Arbeit, Migration und interkulturelle Kompetenz an der Kath. Hochschule Freiburg, definiert anhand der Daten aus dem Forschungs- und Entwicklungsprojekt EUMIP (Entwicklung von Unterstützungsstrukturen für mittel- und osteuropäische Migrant*innen in Privathaushalten) den Unterstützungsbedarf der Betreuungskräfte in Privathaushalten. Klar geregelt werden sollten demnach: Unterbringung und Verpflegung, die Lage von Arbeits- und Freizeit, eine genaue Definition der Arbeitsaufgaben, eine offene Kommunikation mit den Akteuren im Setting und der Zugang zu Kommunikationsmedien zur Kontaktpflege mit den Angehörigen im Herkunftsland. Die Interessenvertretung oder Selbstorganisation der Migrant*innen ist aber äußerst schwierig, es fehlt eine Vernetzung von Pflegestützpunkten, Migrationsberatungsstellen, Kirchengemeinden und Pflegeverbänden. Letztlich ist aber eine grundsätzliche Veränderung der Pflegeorganisation nötig: sie schlägt vor: eine Organisation der Betreuung in mehreren Schichten und für mehrere Haushalte gebündelt, die Schaffung von Übergängen in die Berufsarbeit in der ambulanten Pflege und die generelle Überführung des Modells der familialen Pflege in ein steuerfinanziertes öffentliches Modell.

Matthias Neumann, Sozialwissenschaftler und aktiv im Netzwerk Care Revolution, und Gabriele Winker, Dr., Professorin für Arbeitswissenschaft und Gender Studies an der TU Hamburg, sehen solidarisches Handeln als verbindende Care Politik. Dieses Handeln trägt zur Erweiterung der Handlungsfähigkeit aller Beteiligten bei und fördert die Demokratisierung des Sorgebereichs. Am Beispiel des kommunalen Care-Rates in Freiburg, der aus interessierten Einzelpersonen besteht, wird gezeigt, dass hier sowohl an der lokalen Situation der Care Arbeit (Altenpflege) gearbeitet wird, gleichzeitig aber auch übergeordnete Forderungen entwickelt werden, wie z.B. die Überführung privater, gewinnorientierter Unternehmen in staatliches oder genossenschaftliches Eigentum.

Katja Schmidt fragt sich, wie aus den unzureichenden wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen der Care-Arbeit doch noch eine Machtressource gewonnen werden kann. Dazu verweist sie auf neue, Organisationsgrenzen überschreitende Bewegungen, in denen nicht nur die Beschäftigten für bessere Arbeitsbedingungen streiken, sondern diese auch Unterstützung durch Bürger*innen (Eltern, Angehörige) oder Volksbegehren erhalten. Es bilden sich auch neue berufspolitische Initiativen, über soziale Netzwerke oder als Vereine, die mit innovativen Aktionen und Protestformen die Öffentlichkeit erreichen. Zivilgesellschaftlich-feministische Bewegungen wie das Netzwerk Care Revolution oder der Frauen*Streiktag thematisieren den Wert der Care Arbeit, ob bezahlt oder unbezahlt und verbinden die Care Krise mit strukturell-politischen und hegemonial-kulturellen Ungleichheitsbedingungen.

Diskussion

Oft ist der Vorwurf zu hören, dass sich die Frauen in der Altenpflege, die pflegenden Angehörigen oder die Pendelmigrant*innen in der 24h-StundenPflege viel zu wenig selbst bewegen, um ihre dort herrschenden, schlechten Bedingungen zu verändern. Dass dieser Vorwurf viel zu kurz greift, belegen die Autor*innen dieses Bandes. Sie zeigen durch intersektionale, historische, juristische und bewegungspolitische Ansätze, dass es mehrere Player im Feld Pflege gibt: Den Staat als Verantwortlichen für die Rahmenbedingungen, die Arbeitgeber*innen und die Gewerkschaften und die einzelnen Beschäftigten. Die Analysen belegen, dass es gerade die Arbeitsbedingungen selbst sind, die verhindern, dass die Beschäftigten auf die Barrikaden gehen können: Überbelastungen, unklare Aufgabendefinitionen, illegale Beschäftigungsformen oder die speziellen rechtlichen Bedingungen z.B. im kirchlichen Arbeitsrecht.

Den Beiträgen ist gemeinsam: Sie beziehen sich vor allem auf die Altenpflege. Einen großen Raum nehmen die Arbeiten zu den 24h-Pfleger*innen in den Privathaushalten ein, eine bislang eher vernachlässigte Gruppe, die aber schon heute einen großen Teil der privaten Pflegearbeit leisten. Die Beiträge präsentieren neue Forschungsergebnisse und ziehen aus ihnen Vorschläge für die Verbesserung der Arbeitssituation in der Pflege. Die Frage nach den Formen und Möglichkeiten der Interessenvertretung steht dabei zwar im Mittelpunkt, aber auch tiefgreifende Veränderungen im Pflegesystem werden adressiert.

Fazit

Dieser Sammelband bezieht schon durch den Titel, unter dem die Beiträge zusammengefasst sind, Position. Alle, die sich für eine Verbesserung der Arbeit in der Pflege einsetzen (möchten), sei es in der eigenen Familie, in ambulanten oder stationären Pflegeeinrichtungen oder auch in Verbänden, Gewerkschaften oder zivilgesellschaftlichen Initiativen und nicht zuletzt in der Politik wird die Lektüre helfen, die eigenen Aktivitäten zu reflektieren. Die Beiträge können aber auch durch den Blick auf die Vielzahl der Bewegungen ermutigen, sich weiter für eine (geschlechter-) gerechte Pflege einzusetzen.

Rezension von
Dr. Barbara Stiegler
Bis zu ihrer Pensionierung Leiterin des Arbeitsbereiches Frauen- und Geschlechterforschung
Friedrich Ebert Stiftung, Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik
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Es gibt 44 Rezensionen von Barbara Stiegler.


Zitiervorschlag
Barbara Stiegler. Rezension vom 11.02.2020 zu: Clarissa Rudolph, Katja Schmidt (Hrsg.): Interessenvertretung und Care. Voraussetzungen, Akteure und Handlungsebenen. Verlag Westfälisches Dampfboot (Münster) 2019. ISBN 978-3-89691-270-1. Reihe: Arbeit - Demokratie - Geschlecht - 26. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26277.php, Datum des Zugriffs 05.10.2023.


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