Suche nach Titel, AutorIn, RezensentIn, Verlag, ISBN/EAN, Schlagwort
socialnet Logo

Steffi Thon: Bewegung und Wahrnehmung

Rezensiert von Lorena Rautenberg, 15.04.2020

Cover Steffi Thon: Bewegung und Wahrnehmung

Steffi Thon: Bewegung und Wahrnehmung. AV1 Pädagogik-Filme (Kaufungen) 2018.
DVD; 55 Minuten.

Thema und Entstehungshintergrund

Bewegung gehört zu den elementarsten Grundbedürfnissen eines Menschen und gehört zu den elementaren Ausdrucksformen. Sobald Kinder geboren sind, fangen sie an sich zu bewegen und mit fortschreitendem Alter probieren sie alle Facetten von Bewegung exzessiv aus. Der Bewegungsdrang ist besonders Kinder im Alter von 0 bis 10 Jahren mitgegeben. Bewegung bedeutet dabei Lernen, frühkindliche Bildung und Spaß und Freude. Deshalb spielen Bewegung und die Wahrnehmung der Bewegung und der Erfahrungen, die dadurch entstehen, eine wesentliche Rolle für kindliche Entwicklung. Die DVD gibt allgemeine Basisinformationen, Informationen zur Bedeutung der Bewegung für das Lernen, die (geschlechtsspezifische) Bewegungsentwicklung und den Zusammenhang von Bewegung und Wahrnehmung.

Aufbau

Die DVD enthält folgende, einzeln anwählbare Kapitel:

  • Einleitung
  • Basisinformationen – Bewegung und Wahrnehmung
  • Entwicklung der Sinne
  • Bewegung als Grundbedürfnis
  • Chronologie der Bewegungs- und Wahrnehmungsentwicklung
  • Bewegungs- und Wahrnehmungserfahrungen mit der Rassel
  • Wirkung von Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrungen
  • Bewegungs- und Wahrnehmungserfahrung beim Treppensteigen
  • Was passiert, wenn man Kinder in ihrem Bewegungsdrang einschränkt
  • Bewegung und Lernen
  • Bewegung und Hirnentwicklung
  • Bewegen oder Stillsitzen?
  • Bewegung und soziale Interaktion
  • Bewegungsentwicklung bei Mädchen und Jungen
  • Einflussfaktoren auf das Bewegungsverhalten
  • Geschlechtsspezifische Bewegungssozialisation
  • Anregungen für geschlechtersensible Aktivitäten
  • Mehr Bewegung in die Einrichtungen
  • Eine bewegungsfreudige Kita
  • Eine bewegungsfreudige Schule
  • Bewegung im Alltag unterstützen
  • Der Waldkindergarten
  • Fazit

Inhalt

Basisinformationen – Bewegung und Wahrnehmung

Zunächst stellt das Kapitel die Entwicklung der Sinne beginnend mit der Entwicklung im Mutterleib vor. Sobald Kinder geboren sind, motiviert die natürliche Neugier sie dazu, neue Erfahrungen zu machen. Durch den zu zunehmenden Erfahrungsgewinn vermitteln Bewegung und Wahrnehmung den Kindern Sicherheit. Anschließend wird Bewegung als Grundbedürfnis näher betrachtet. Für Kinder ist Bewegung ein Teil der Alltagsbewältigung. Besonders in den ersten elf Lebensjahren bedürfen die Reifungsprozesse der Bewegung. Daher ist es unerlässlich, Kindern entsprechende Räume anzubieten. Die Chronologie der Bewegungs- und Wahrnehmungsentwicklung beschreibt, dass die Entwicklungsstufen als solche vorgegeben sind, aber unterschiedlich schnell und intensiv durchlebt werden; dies ist auch abhängig von der Umgebung. Daher ergeht u.a. die Aufforderung an Eltern, mit ihren Kindern zu krabbeln, um die Kreuzkoordination zu fördern. Im Abschnitt Bewegungs- und Wahrnehmungserfahrungen mit der Rassel wird das experimentelle Vorgehen der Kinder bei der Erforschung eines (neuen) Gegenstandes dargestellt. Der Punkt Wirkung von Wahrnehmungs- und Bewegungserfahrungen stellt die Zusammenhänge zwischen neurophysiologischer Vernetzung und der Gehirnentwicklung dar und beschreibt auch die Wirkung auf die psychisch-emotionale Ebene. Bewegungs- und Wahrnehmungserfahrungen beim Treppensteigen zeigt am Beispiel, wie Eltern ihre Kinder (selbst krabbelnd) unterstützen können, die Herausforderung Treppe zu bewältigen. Abschließend wird beschrieben, was passiert, wenn man Kinder in ihrem Bewegungsdrang einschränkt: Entwicklung würde verhindert und Vertrauensverlust in sich und andere wären mögliche Folgen.

Bewegung und Lernen

Grundlage aller Lernprozesse und Fortschritte in der Problemlösung ist das ungehinderte Ausprobieren von Bewegungen. Ein Hemmnis in diesem Prozess ist oft, das Erwachsene sich (zu früh) einmischen und so Lernen verhindern oder erschweren. Die Verknüpfung von Bewegung und Hirnentwicklung hängt bis zum 11. Lebensjahr ganz besonders eng zusammen. Bis zu diesem Zeitpunkt müssen sich etwa 100 Milliarden Nervenzellen verschalten. Dies nennt sich Neuroplastizität. Die Frage Bewegung oder Stillstitzen? befasst sich im Besonderen mit der Schulsituation. Es wird dargestellt, dass Stimulation nötig ist, um gesund zu bleiben und Denkprozesse in Gang zu setzen. Stillsitzen fordert den Kindern Konzentration ab, die dann fehlt, um Lerninhalte aufzunehmen. Bei Kindern verursacht Sitzen Stress für den Körper, was zu einer vermehrten Kortisonproduktion führt; diese wiederum zerstört Nervenzellen. Das Konzept der „Bewegten Schule“ wird vorgestellt.

Bewegung und soziale Interaktion

Bewegung entwickelt auch soziale Fähigkeiten, z.B. Kooperation (in Mannschaften), emotionale Bewältigung von verschiedenen Situationen, den Kontakt zu anderen, sich in der sozialen Umwelt zurecht finden uvm.

Bewegungsentwicklung bei Mädchen und Jungen

Beide Geschlechter bringen bei der Einschulung ähnliche physische Voraussetzungen mit, die Entwicklung hängt dann ab von der Frage: Wer wird wie gefördert? Hier werden verschiedene Einflussfaktoren auf das Bewegungsverhalten identifiziert; u.a. macht das soziale Umfeld unterschiedliche Angebote, so werden Jungen in der Regel zu kämpferischer Bewegung ermuntert, Mädchen eher zu Bewegung im Sinne von Kooperation. Es erfolgt also eine geschlechtsspezifische Bewegungssozialisation. Eltern (und Fachkräfte) ermuntern, verhindern, schaffen oder verbieten motorische Anreize. Auch im Kleidungsangebot zeigt sich dies: Während für Jungen eher funktionale Kleidung angeboten wird, wird bei Kleidung für Mädchen der Schönheit mehr Gewicht beigemessen. So identifizieren sich Mädchen und Jungen mit einem geschlechtsspezifischen Bewegungsverhalten, das als natürlich empfunden wird. Der Abschnitt geschlechtersensible Aktivitäten schärft die Aufmerksamkeit der Erwachsenen: Wo fördere ich klassisches Verhalten und wie kann ich Jungen und Mädchen ermuntern, alle Angebote auszuprobieren.

Mehr Bewegung in die Einrichtungen

Fachkräfte sollten sich zunächst fragen, wie die Angebote, Projekte und die Tagesstruktur aussehen, wo es Raum gibt für Freispiel und ob die Räume reizintensiv und attraktiv gestaltet sind. Eine bewegungsfreudige Kita verzichtet z.B. auf Stühle (außer für das Essen) und bietet in den Gruppenräumen viele Möglichkeiten für Bewegungsgrundformen an. Das Außengelände sollte möglichst frei zugänglich sein und flexible Bewegungselemente sollten angeboten werden. Regeln spielen dabei eine wichtige Rolle: Dürfen Kinder auch auf einen Tisch steigen? Für eine bewegungsfreudige Schule wird ein fließender Übergang empfohlen „So wenig sitzen wie möglich, so viel Bewegung wie möglich“. Offene Unterrichtskonzepte bieten hier die Möglichkeit für schülerzentrierten und -orientierten Unterricht, sofern die Räumlichkeiten und auch die Außenbereiche entsprechend angepasst werden. Bewegung im Alltag kann unterstützt werden, indem freie Zeiten zur Verfügung gestellt werden, in denen Bewegung zugelassen und durch eigenes Mitmachen unterstützt wird. So erfahren Kinder selbstwirksame Handlungen. Als Beispiel wird angeführt, dass Eltern die Kinder nicht zur Schule fahren sollten.

Der Waldkindergarten

Der Wald als Sinnesraum bietet viele Bewegungsanreize, die Erfahrung draußen zu sein, Licht und Luft wahrzunehmen ermöglicht einen großen Bewegungsradius; hinzu kommt, dass der Raum sich aus sich selbst heraus ständig verändert. Die Bedeutung des Waldes ist für Bewegung und Wahrnehmung kaum zu unterschätzen und es wird empfohlen, dass auch klassische Kitas sich diesen Erfahrungsraum durch Ausflüge erschließen.

Fazit (des Films)

Sport und Bewegung lösen Ausgeglichenheit, Wohlbefinden und Zufriedenheit aus. Dies motiviert Kinder, sich die Welt anzueignen um diese Gefühle ständig neu zu erleben.

Diskussion

Die DVD verwendet alltägliche und sehr niederschwellige Beispiele, die ansprechend bebildert werden. Die sorgfältige Auswahl des Bildmaterials zeigt auch, mit welcher Hingabe die Beteiligten sich diesem Projekt gewidmet haben. Der Film ist sowohl pädagogischen Laien, Eltern als auch Auszubildenden ein guter Einstieg in das Thema, leicht verständlich und zugänglich. Fachkräften ermöglicht er durch die breite Erfassung relevanter Bereiche zum Thema Bewegung und Wahrnehmung einen guten und kurzweiligen Einstieg in weiterführende Recherche und Impulse, sich intensiver mit der eigenen Kita/Schule und Arbeit zu befassen. Indem er die Altersspanne von 0 bis 11 Jahre in den Blick nimmt, spricht er sowohl Elementarpädagogen als auch Lehrkräfte an.

An einigen Stellen scheinen die Beispiele jedoch etwas willkürlich ausgewählt (z.B. sollen Eltern krabbeln und auf allen Vieren Treppen mit den Kindern steigen, die Schuhauswahl von Jungen und Mädchen oder das Beispiel, Kinder nicht zur Schule zu fahren), einige Stellen im Film erwecken außerdem den Eindruck, dass Erwachsene, insbesondere die Eltern, eine Gefahr für ihre Kinder darstellen, da sie Entwicklung (unbewusst und aus Unkenntnis) verhindern. Diese Aussagen wirken bisweilen plakativ und sehr verallgemeinernd, was im Gegensatz steht zu der sorgfältig ausgewählten Themengestaltung der einzelnen Kapitel. Der eng komprimierten Darstellung der vielschichtigen Aspekte ist es auch geschuldet, dass viele Punkte nur angerissen werden und der Film dadurch sprunghaft wirkt. Einerseits bietet dies den Vorteil, dass eine umfassende Aufstellung einer großen Anzahl von Aspekten zu Bewegung und Wahrnehmung möglich ist, es hat andererseits den Nachteil, dass vieles nur angerissen werden kann und Gedanken nicht vertieft werden können.

Fazit

Der Film ist eingängig und leicht verständlich, schön bebildert und mit einfachen, alltäglichen Beispielen gestaltet, so bietet er einen Zugang zu pädagogischen Fragestellungen auch für Gruppen, die sicher kein (Fach-)Buch zu Hand nehmen würden. Er geht jedoch zu wenig in die Tiefe, um für Fachkräfte mehr als ein Appetithappen sein zu können, sich auf anderen Wegen mit dem Thema Bewegung und Wahrnehmung zu beschäftigen.

Rezension von
Lorena Rautenberg
Amtsleitung Amt für städtische Kindertageseinrichtungen
Mailformular

Es gibt 33 Rezensionen von Lorena Rautenberg.


Zitiervorschlag
Lorena Rautenberg. Rezension vom 15.04.2020 zu: Steffi Thon: Bewegung und Wahrnehmung. AV1 Pädagogik-Filme (Kaufungen) 2018. DVD; 55 Minuten. In: socialnet Rezensionen, ISSN 2190-9245, https://www.socialnet.de/rezensionen/26306.php, Datum des Zugriffs 06.10.2024.


Urheberrecht
Diese Rezension ist, wie alle anderen Inhalte bei socialnet, urheberrechtlich geschützt. Falls Sie Interesse an einer Nutzung haben, treffen Sie bitte vorher eine Vereinbarung mit uns. Gerne steht Ihnen die Redaktion der Rezensionen für weitere Fragen und Absprachen zur Verfügung.


socialnet Rezensionen durch Spenden unterstützen
Sie finden diese und andere Rezensionen für Ihre Arbeit hilfreich? Dann helfen Sie uns bitte mit einer Spende, die socialnet Rezensionen weiter auszubauen: Spenden Sie steuerlich absetzbar an unseren Partner Förderverein Fachinformation Sozialwesen e.V. mit dem Stichwort Rezensionen!

Zur Rezensionsübersicht